Zusammenfassung
Unter den modernen Branchen mit großem Interesse für die Märkte in Mittel-, Ost- und Südeuropa spielte die italienische Fahrzeugindustrie eine führende Rolle. Dies gilt besonders für Fiat1. Die folgende Darstellung der Europastrategie des Turiner Autohauses, zugkräftiger Motor der italienischen Expansionspolitik in Europa während des Faschismus, soll daher der Dokumentation und Illustration der bislang allgemeinen Ausführungen (2. Teil) dienen.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Seine Geschichte ist bislang am gründlichsten erforscht worden von Valerio Castronovo, Giovanni Agnelli, Turin 1971; vgl. auch ders., Potere economico e fascismo, in: Rivista di storia contemporanea, 1972, H. 3, S. 273–313; ders., Storia d’Italia, Dall’Unità a oggi, Turin, 1975, Bd. IV (insbes. 3. Teil, „Potere economico e fascismo“), S. 248–350. Wenn nicht anders vermerkt, stützen sich die Zahlenangaben im Text auf diese Veröffentlichungen.
Der Anteil der Fiat-Exporte am Gesamtumsatz sank in den Jahren 1920/21 von 47,4% auf 39,75%; 1923 betrug er 38,35%.
Vgl. dazu Giuseppe Maione, 11 biennio rosso. Autonomia e spontaneità operaia nel 19191920, Bologna 1975.
Im Oktober 1921 setzte die Fiat-Leitung eine Lohnkürzung von 10% durch, gleichzeitig wurde die 48-Stunden-Woche eingeführt.
Zit. nach Castronovo, Agnelli (Anm. 1), S. 430.
Um eine ungefähre Vorstellung von der Entwicklung zu vermitteln: Im Jahre 1925 rollten aus den Fiatwerken 40000 Autos, 1926 waren es 52000. Der Gesamtumsatz von Fiat belief sich 1925 auf 1260 Mill. Lire — 480 Mill. Lire mehr als im Vorjahr; dies entsprach dem höchsten Geschäftsvolumen (im Jahresdurchschnitt) eines Maschinenbauunternehmens in Europa. Die Zahl der Belegschaft hatte sich auf 35000 erhöht: „Nur in einer Ausnahmesituation wie die des Krieges (Herbst 1917/Frühjahr 1918) hatte man in Turin Vergleichbares erlebt“; so Castronovo, Agnelli (Anm. 1), S. 428. Zur Entwicklung der Firmengruppe Ansaldo vgl. Paride Rugafiori, Uomini macchine capitali. L’Ansaldo durante il fascismo 1922–1945, Mailand 1981.
Vgl. Edoardo Giretti, L’industria italiana delle automobili e la protezione doganale, in: La Riforma Sociale, XXXV Jg., 1928, Bd. XXXIX, H. 5–6, S. 236–242, hier S. 238.
Diese kamen zum größten Teil aus den USA: 1926 zu 78% und 1927 sogar zu 90%; vgl. Giretti, L’industria (Anm. 7), S. 237 f.
Vgl. ebd., S. 236.
Einen ersten Oberblick und weiterführende Literaturangaben zur US-amerikanischen Politik nach dem Ersten Weltkrieg in Europa gibt Gian Giacomo Migone, Le origini dell’egemonia americana in Europa, in: Rivista di storia contemporanea, 1974, S. 433–459; zur Stabilisierungspolitik 1924–29, s. ebd., S. 454 ff.
Vgl. auch Edoardo Giretti, L’industria italiana delle automobili, il mercato interno e la necessità dell’esportazione, in: La Riforma Sociale, 38. Jg., 1931, S. 364–377, hier bes. S. 374.
Mit diesem Problem sah sich natürlich nicht nur Fiat konfrontiert. Zu den aus Kreisen des italienischen Finanzkapitals in dieser Zeit an Mussolini gerichteten Forderungen, es möge „im nationalen Interesse“ und mit staatlicher Unterstützung ein „Istituto di credito per le operazioni all’estero” geschaffen werden, vgl. auch das Schreiben von Bernardino Nogara an Mussolini, 18. 1. 1929, veröffentlicht in: Documenti Diplomatici Italiani. Hrsg.: Ministero degli affari esteri, 7. Serie: 1922–1935, Bd. VII (24. 9. 1928–12. 9. 1929), Rom 1970, Nr. 80.
Zu den ebenfalls mit staatlicher Unterstützung laufenden Verhandlungen über Waffenlieferungen von Ansaldo an die Türkei vgl. die Denkschrift (8. 5. 1930), veröffentl. in: DDI (Anm. 13), Bd. IX (15.4.-31. 12. 1930), Rom 1975.
Einen allgemeinen Überblick über die italienisch-sowjetischen Außenwirtschaftsbeziehungen gibt Giorgio Petracchi, La cooperazione italiana, il Centrsojuz e la ripresa dei rapporti commerciali tra l’Italia e la Russia sovietica (1917–1922), in: Storia contemporanea, VIII. Jg. 1977, Nr. 2, S. 207–255; zur ebenfalls wichtigen Periode italienisch-russischer Wirtschaftsbeziehungen 1907–1917 s. Renato Risaliti, I rapporti economici italo-russi, in: La conferenza di Genova e trattato di Rapallo (1922). Atti del convegno italosovietico, Genova-Rapallo 8–11 giugno 1972, Rom, Edizioni Italia-URSS, 1974, S. 480516.
Vgl. hierzu bes. La conferenza di Genova (Anm. 15).
Ergänzend zu den zitierten Veröffentlichungen von Castronovo vgl. Paolo Alatri, Le forze politiche ed economiche italiane di fronte alla conferenza di Genova, in: La conferenza di Genova (Anm. 15 ), S. 80–93.
Nach zunächst schleppend verlaufenden Verhandlungen und dann einem Wettlauf mit der in London neugewählten Labour-Regierung Mac Donald (Jan. 1924) um den ersten Platz in der Rangliste der anerkennenden Staaten; vgl. dazu u. a. Ennio Di Nolfo, Mussolini e la politica estera italiana (1919–1933), Padua 1960, S. 106–110 und die dort angegebene Literatur.
Aber nicht nur für Italien wirkte die Konferenz klärend. Alatri erinnert in seinem Beitrag einleitend: Die Ankündigung der Konferenz (Januar 1922) mit der Beteiligung Deutschlands und der Sowjetunion „hat wie über eine Zündschnur mit den Kanzleien ganz Europas verbundene Lunte gewirkt — innerhalb weniger Tage stürzte zuerst die französische Regierung, es folgten die polnische, österreichische, griechische und italienische, und selbst Lloyd George’s Sessel geriet ins Wanken“.
Vergleichbar im übrigen mit Entwicklungen in der Weimarer Republik, wo „die Wiederbelebung des Rußlandgeschäfts nach dem Krieg“ als vordringliche Aufgabe zuerst von der deutschen Großindustrie betrieben wurde; so Hartmut Pogge von Strandmann, Großindustrie und Rapallopolitik. Deutsch-sowjetische Handelsbeziehungen in der Weimarer Republik, in: Historische Zeitschrift, Bd. 222, 1976, S. 265–341, bes. S. 267.
In das die Confindustria ihre Spitzenvertreter entsandt hatte: Felice Guarneri, Gino Olivetti und Raimondo Targetti.
Conti, Repräsentant der Elektroindustrie, zuvor Präsident der Confindustria und zu der Zeit Vorsitzender der Vereinigung italienischer Aktiengesellschaften sowie Vizepräsident der Banca Commerciale, standen zur Seite u.a.: Alberto Pirelli (Gummi, Kabel), A. Stefano Benni (Elektroindustrie), Guido Jung und, für die Agrarier, Delfino Parodi.
Vgl. hierzu Danilo Veneruso, La vigilia del fascismo. Il primo ministero Facta nella crisi dello stato liberale in Italia, Bologna 1968, S. 409 ff.
Vgl. Ettore Conti, Dal taccuino di un borghese, Mailand 1971, S. 177ff.; Veneruso, La vigilia (Anm. 23), S. 411 ff.
Vgl. hierzu ebd., S. 421 ff.; zu Verbindungen zwischen Sturzo und dem Vatikan sowie dessen Vorstellungen zur Lösung der „Rußland-Frage“ vgl. ebenfalls ebd., S. 424 f., bes. Anm. 101.
Wortstarke Verfechter einer rigorosen antisowjetischen Politik Italiens waren die Nationalisten, wie sich unschwer ihrem Presseorgan, L’Idea Nazionale, entnehmen läßt; vgl. Veneruso, La vigilia (Anm. 23), S. 413, passim.
Vgl. ebd., S. 429. Zur Rechtsentwicklung in Europa nach dem Scheitern der Genua-Konferenz vgl. auch Alatri, Le forze (Anm. 17).
Ausführlicher dazu ebd., S. 87 ff.
Im Jahr 1918 hatte Agnelli die Öffentlichkeit mit einem zwei Jahre zuvor mit Attilio Cabiati (einem der Zeitschrift La Riforma Sociale nahestehenden Ökonom der liberalen Schule) formulierten Plan zur Bildung eines „Europa federale“, eines Bundesstaates Europa, konfrontiert. (Der Titel der Schrift lautet: „Federazione europea o Lega delle Nazioni?”; vgl. dazu Alatri, Le forze [Anm. 17], S. 88; Castronovo, Agnelli [Anm. 1], S. 202.)
Jenseits aller in den Konzepten von Agnelli und Sturzo anzutreffenden Unterschiede hinsichtlich der prospektierten politischen Organisationsform eines solchen Europa, stand für beide die wirtschaftliche Seite unzweideutig im Vordergrund des Interesses und dabei insbesondere die Dimension „Markt“: „Die Umwandlung der nationalen Märkte in einen Kontinentalmarkt” — dies war mit den Worten Agnellis und Cabiatis das Ziel —, „um der Industrie zu jenem ungeheuren Aufschwung zu verhelfen, den die amerikanische Industrie nach dem Sezessionskrieg erlebt hatte.“ [Zit. nach Castronovo, ebd.] Die unterschiedliche, freilich sich hervorragend ergänzende Akzentsetzung in beiden Konzepten wird in dem jeweiligen Zugang zur Marktproblematik besonders deutlich: Während Agnelli von den Bedingungen der Produktion, der Autoproduktion, und der Arbeit im wesentlichen ausging — Serienfertigung, Herausbildung eines neuen Typus der „produktiven Arbeitskraft”, Massenkonsum —, standen bei Sturzo eher Probleme der Infrastruktur, d. h. die Bedingungen der Zirkulation im Vordergrund, so die Vereinheitlichung des europäischen Transportnetzes, Freizügigkeit der Arbeitskräfte, Abbau der Zollbarrieren, ungehinderter Kapitalverkehr u. a. Rußland schließlich, der russische Markt, nahm in beiden Konzepten eine herausragende Stellung ein.
Hierzu nimmt ausführlich Stellung: Giorgio Rumi, Alle origini della politica estera fascista (1918–1923), Bari 1968, S. 158 f.; vgl. auch Gianfranco Bianchi, Conferenza di Genova e trattato di Rapallo negli echi e commenti di Mussolini e del suo giornale,Il popolo d’Italia`, in: La conferenza di Genova (Anm. 15 ), S. 363–381.
Vgl. Alatri, Le forze (Anm. 17), S. 87 f.
Zur Rolle Marinottis und insgesamt zur Verhandlungsphase September—Dezember 1922 vgl. ebd., S. 89–92.
So Agnelli, zit. u.a. von Alatri, ebd., S. 92.
Rights and permissions
Copyright information
© 1984 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Rafalski, T. (1984). Umstellung auf den Frieden und erste Schritte zur Rückkehr auf den Weltmarkt, 1918/19–1925. In: Italienischer Faschismus in der Weltwirtschaftskrise (1925–1936). Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91074-5_15
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-91074-5_15
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-11699-0
Online ISBN: 978-3-322-91074-5
eBook Packages: Springer Book Archive