Zusammenfassung
Bisher haben wir die „vorwissenschaftliche“ Gegebenheit der Leibnizschen Lehre gesehen, die Substanz gleichsam, aus der sich diese entwickelt. Philosophie als streng beweisbare Fachwissenschaft sieht darin den auszumerzenden Erdenrest, der entweder bloße individuelle Eigenheit oder zeitgebundenes Schicksal ist, nach dessen Abzug das Ewige und Wertvolle zurückbleibt. Gleichwohl werden wir uns damit abfinden müssen, daß Leibnizens Lehre nicht als Ganzes, nicht als Sinnvolles so zu begreifen ist. Philosophie ist Fachwissenschaft, aber nicht nur Fachwissenschaft. Wenigstens die Erkenntnis, die einem Platon, einem Leibniz des Namens Philosophie würdig gilt, wächst aus der Ganzheit des Lebensgefühles, der geahnten Weltschau, vollendet sich in ihrer Bewußtwerdung, deren Stützgerüst ihr rationales System ist, und dient dem menschlichen Ziel, das irdische Reich dem Strahl des Gottesreiches zu öffnen. Wer die Deutung der Leibnizschen Lehre in einem Viertel Jahrtausend, seit den ersten Antworten Arnaulds und Bayles, überschaut, wird diesen Versuchen der Fachmänner, von den ihnen maßgebenden Punkten aus jeweils sein System zu erklären, Dank wissen, ohne in diesen Widersprüchen den Weg zur Lösung des Rätsels zu finden. Gesamtschau ist noch nicht strenge Wissenschaft, und Leibniz hat leidenschaftlich auch nach dieser gestrebt, denn er übersah keineswegs die rationalen Einwände gegen sein „System.” Philosophie ist neben der Schau des Weisen auch ein Fachgebiet neben anderen mit dem Sehnsuchtsblick auf ein vollendetes geschlossenes System der philosophia perennis, dem man sich Zug um Zug nähert, zu dem jeder Forscher, je nach der augenblicklich gegebenen „Problemlage“ einen objektiven Baustein beitragen kann. Dies rechnet der Rationalist allein als allgemeingiltige, überindividuelle Wissenschaft. Man geht mit Recht auf das Ur-Erlebnis abendländischer Wissenschaft, auf Platons Menon, zurück und fragt, was da bewiesen ist. Bewiesen ist, daß es Erkenntnis apriori, echte rationale Wissenschaft, gibt: Mathematik und Logik. Das ist eine wahrhafte Erhebung des Geistes im Blick auf das Ewige, Unendliche, ein tröstliches Bewußtsein, daß es ewige Erkenntnis gibt, die von allen Zufällen unserer geschichtlichen Existenz unabhängig ist. Aber die Erweiterung dieser rationalen Einsicht zum wirklichen, zum metaphysischen Erlebnis, zur Erkenntnis, daß niemand etwas lernt, was nicht wesenhaft in seiner Seele angelegt ist, diese Platonische Erkenntnis bleibt dem Aufklärer eine metaphysische Schwärmerei, dem Positivisten des 19. Jahrhunderts ein Greuel. Sie ist der Grundsatz von Leibnizens Metaphysik.
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Hildebrandt, K. (1953). Begründung und Systematisierung der Lehre. In: Leibniz und das Reich der Gnade. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-011-9273-6_8
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