Auszug
Kaum ein anderes Thema wurde in der Literatur der ehemaligen DDR so oft behandelt und in deren Rezeption so wenig beachtet wie die Liebe. Ehen, Liebesaffaren und Ehebruchsdramen sind zwar der narrative Stoff, aus dem sozialistische Erzählungen und eine spezifisch sozialistische Nationalliteratur geschmiedet wurden, aber als Topos in der Rede um die Literatur führte die Liebe eher ein Schattendasein. Dennoch kommt kaum eine Erzählung der fünfziger und sechziger Jahre ohne das Handlungsgerüst einer Liebesbeziehung aus. Von den Produktionsromanen der Aufbauphase über den Ankunftsroman bis hin zur feministischen Literatur von Christa Wolf und Irmtraud Morgner der siebziger und achtziger Jahre werden die Liebe und das Liebesleiden in der Literatur der DDR stets thematisiert, sei es als Passagenritus sozialistischer Jugendlicher, Eifersuchtsgeschichte in einer Dreieckskonstellation oder als Ausdruck einer spezifisch weiblichen Utopie. Obwohl die Liebe eine weitgehend vernachlässigte Komponente der sozialistischen Literatur blieb, wies sie eine unverkennbare Semantik auf, die ihre eigenen Paradoxien und auch ihre eigene Evolution hatte. Wie diese Liebessemantik codiert war, wäre der Gegenstand einer umfangreicheren Studie als dieser. Hier soll stattdessen der Versuch unternommen werden, anhand von zwei Schlüsselromanen der sechziger und siebziger Jahre, Christa Wolfs vielleicht bekanntestem Werk Der geteilte Himmel aus dem Jahre 1963 und Volker Brauns 1977 veröffentlichtem Roman Unvollendete Geschichte, zwei Wasserscheiden der Evolution einer sozialistischen Liebeskonzeption nachzuzeichnen, die man als den Aufstieg und Fall einer Semantik bezeichnen könnte.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Beck, Ulrich, und Elisabeth Beck-Gernsheim. Das ganz normale Chaos der Liebe. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1990.
Bodi, Leslie. „The Art of Paradox: Volker Braun’s ‚Unvollendete Geschichte‘.“ AUMLA (November 1977): 268–282.
Bogdal, Klaus-Michael. „Technikliebe — Liebestechnik. Die ‚Produktivkraft Mensch ‘in der DDR-Literatur.“ Literaturför Leser (1998): 189–206.
Braun, Volker. Unvollendete Geschichte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1977. (UG)
Foucault, Michel. Dispositive der Macht: Michel Foucault über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin: Merve, 1977.
Freud, Sigmund. „Trauer und Melancholie.“ Das Ich und das Es. Einleitung Alex Holder. Frankfurt a. M.: Fischer, 1992 (1917).
Hell, Julia. „Soft Pom, Kitsch, and Post-Fascist Bodies: The East German Novel of Arrival.“ The South Atlantic Quarterly 94/3 (1995): 747–772.
Herzberg, Annegret (Hg.). Alma flieht: 31 neue Märchen von der Liebe. Berlin: Buchverlag Der Morgen, 1988.
Jameson, Fredric. The Political Unconscious: Narrative as a Socially Symbolic Act. London: Methuen, 1981.
Luhmann, Niklas. Die Liebe als Passion. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1982.
Schneider, Manfred. „Kontingenz und Asymmetrie: Grundzüge einer Kritik der erotischen Vernunft.“ Bündnis und Begehren: Ein Symposium über die Liebe. Hg. Andreas Kraß und Alexandra Tischel. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2002. 63–84.
Wolf, Christa. Der geteilte Himmel. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1973. (GW)
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 2007 Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Lewis, A. (2007). Das Paradox der freien Partnerwahl in der Liebe: Zum Aufstieg und Fall einer sozialistischen Liebessemantik in Christa Wolfs Der geteilte Himmel und Volker Brauns Unvollendete Geschichte . In: Magerski, C., Savage, R., Weller, C. (eds) Moderne begreifen. DUV. https://doi.org/10.1007/978-3-8350-9676-9_22
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-8350-9676-9_22
Publisher Name: DUV
Print ISBN: 978-3-8350-6071-5
Online ISBN: 978-3-8350-9676-9
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)