Zusammenfassung
Die Idee der ethnographischen Semantik als einer wissenschaftlichen Methode für die Forschung über kulturelle Bedeutungssysteme stammt ursprünglich aus der linguistischen Kulturanthropologie nordamerikanischer Prägung. Einer ihrer prominenten frühen Vertreter, Charles O. Frake, hat in einem programmatisch gewordenen, auf einer Vorlesungsaufzeichnung beruhenden Aufsatz (Frake 1973[1962]), dazu ausgeführt, dass die ethnographische Forschung sich nicht nur auf die Aufgabe beschränken dürfe, im interkulturellen Vergleich Namen von Dingen in den verschiedenen Kulturen zu ermitteln (wie wir sie z.B. in den folgenden drei Begriffen Fels (dt.), Rock (engl.) und Rocher (frz.) in drei Sprachkulturen finden), sondern vielmehr nach den Dingen zu suchen habe, auf die sich Worte beziehen. Mit dieser Herangehensweise soll erreicht werden, dass die Objekte einer Kultur aus deren Binnensicht rekonstruier- und als Bedeutungssysteme in ihrer praktischen Verwendung verstehbar werden. Dieses Anliegen der Einholung der „Einheimischenperspektive“ liegt als Ausgangsprämisse für das Verstehen von Bedeutungsfiguren in der Sprach- und Handlungspraxis allen so genannten „Ethno-“Theorien gemeinsam zu Grunde. Es wird auch als die Beschreibung des „the native's point of view“ (Malinowski 1984, 49) oder die emische Sicht im Unterschied zur etischen Aussage (Pike 1967) bezeichnet. Im Kern geht es unter dieser Prämisse in der ethnographischen Semantik nun immer darum herauszufinden, welches eigentlich die „Dinge“ im Wissen jener Leute sind, die untersucht werden. In Übereinstimmung mit dem symbolischen Interaktionismus (Blumer 1986 [1969], 68) können dabei „Dinge“ alles das sein, was durch Sprache bezeichnet werden oder worauf man sich mittels Kommunikation beziehen kann. Mitgliedschaft in einer Kultur zeichnet sich dann so gesehen für den einzelnen Handelnden durch den fraglosen, situativ kompetenten Sprachgebrauch im kommunikativen Austausch mit signifikanten Anderen aus (Goodenough 1957, 36-39). Und wie sozial handelnde Mitglieder durch diesen Sprachgebrauch ihre Erfahrungen als geordnete Kategoriensysteme konstituieren und kommunikativ konstruieren bildet dann den Untersuchungsgegenstand der ethnographischen Semantik auf einer theoretischen Ebene (Hymes 1979, 166–192).
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Beck, Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth (1994): Riskante Freiheiten: Individualisierung in modernen Gesellschaften. Frankfurt am Main.
Blumer, Herbert (1986): Symbolic Interactionism. Perspective and Method. Berkeley, Los Angeles, London.
D&Andrade, Roy (1995): The Development of Cognitive Anthropology. Cambridge.
D&Andrade, Roy/Strauss, Claudia (1992): Human Motives and Cultural Models. Cambridge.
Frake, Charles O. (1973): Die ethnographische Erforschung kognitiver Systeme. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit 2. Ethnotheorie und Ethnographie des Sprechens. Reinbek bei Hamburg, 323–337.
Gebhardt, Winfried/Hitzler, Ronald/Pfadenhauer, Michaela (2000): Events. Soziologie des Aussergewöhnlichen. Opladen.
Geertz, Clifford (1987): Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt am Main.
Goodenough, Ward H. (1957) Cultural Anthropology and Linguistics. In Language. In: Hymes, Dell H. (ed.) Culture and Society. A Reader in Linguistics and Anthropology. New York, 36–39.
Gumperz, John J./Hymes, Dell H. (1972, eds.): Directions in Sociolinguistics: The Ethnography of Communication. New Jersey.
Hitzler, Ronald/Bucher, Thomas/Niederbacher, Arno (2001): Leben in Szenen. Formen jugendlicher Vergemeinschaftung heute. Opladen.
Holland, Dorothy/Quinn, Naomi (1987, eds.): Cultural Models in Language and Thought. Cambridge.
Honer, Anne (1993): Lebensweltliche Ethnographie. Ein explorativ-interpretativer Forschungsansatz am Beispiel von Heimwerker-Wissen. Wiesbaden.
Hymes, Dell (1979): Soziolinguistik: Zur Ethnographie der Kommunikation. Frankfurt.
Keating, Elizabeth (2001): The Ethnography of Communication. In: Atkinson, Paul/Coffey, Amanda/Delamont, Sara/Lofland, John/Lofland, Lyn (eds.): Handbook of Ethnography. London, Thousand Oaks, New Dehli, 285–301.
Knoblauch, Hubert (1991): Kommunikation im Kontext. In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 20, Nr. 6, 446–462.
Knoblauch, Hubert (2003): Qualitative Religionsforschung. Religionsethnographie in der eigenen Gesellschaft. Paderborn, München, Wien, Zürich.
Lakoff, George (1990): Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind. Chicago, London.
Maeder, Christoph (1996): Narrative Zivilisierung im Strafvollzug: Die Macht der Versetzung. In: Knoblauch, Hubert (Hrsg.): Kommunikative Lebenswelten. Beiträge zur Ethnographie einer geschwätzigen Gesellschaft. Konstanz, 125–143.
Maeder, Christoph (1997): „Schwachi und schwierigi Lüüt“. Inoffizielle Insassenkategorien im offenen Strafvollzug. In: Hirschauer, Stefan/Amann, Klaus (Hrsg.): Die Befremdung der eigenen Kultur - Beiträge zur Erneuerung soziologischer Empirie. Frankfurt am Main, 218–239.
Maeder, Christoph (2000): Brauchbare Artefakte. Statistiksoftware für das Pflegemanagement im Spital als das Produkt ethnographischer Arbeit. In: Schweizerische Zeitschrift für Soziologie, Bd. 26, Nr. 3, 637–662.
Maeder, Christoph (2002): Alltagsroutine, Sozialstruktur und soziologische Theorie: Gefängnisforschung mit ethnographischer Semantik. In: Forum Qualitative Sozialforschung (online Journal), Bd. 3, Nr. 1, 26 Paragraphen.
Maeder, Christoph/Brosziewski, Achim (1997): Ethnographische Semantik: Ein Weg zum Verstehen von Zugehörigkeit. In: Hitzler, Ronald/Honer, Anne (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. Opladen, 335–362.
Maeder, Christoph/Nadai, Eva (2004): Organisierte Armut. Sozialhilfe aus wissenssoziologischer Sicht. Konstanz.
Malinowski, Bronislaw (1984): Argonauten des westlichen Pazifik. Frankfurt am Main.
Pike, Kenneth L. (1967): Language in Relation to a Unified Theory of the Structures of Human Behaviour. Den Haag.
Silverman, David (2001): Interpreting Qualitative Data. Methods for Analysing Talk, Text and Interaction. London, Thousand Oaks, New Dehli.
Spradley, James P. (1970): You Owe Yourself a Drunk: An Ethnography of Urban Nomads. Boston.
Spradley, James P. (1973) An Ethnographic Approach to the Study of Organizations: The City Jail. In: Brinkerhoff, Merlin B./Kunz, Phillip R. (eds.): Complex Organisations and their Environments. Dubuque (Iowa), 94–105.
Spradley, James P. (1979): The Ethnographic Interview. New York.
Spradley, James P. (1980): Participant Observation. New York.
Spradley, James P./Mann, Brenda J. (1975): The Cocktail Waitress. Woman&s Work in a Man&s World. New York.
Werner, Oswald/Schoepfle, Mark G. (1986): Systematic Fieldwork. Foundations of Ethnography and Interviewing. Newbury Park, London, New Dehli.
Werner, Oswald/Schoepfle, Mark G. (1987): Systematic Fieldwork. Ethnographic Analysis and Data Management. Newbury Park, London, New Dehli.
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2009 Gabler | GWV Fachverlage GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Maeder, C. (2009). Ethnographische Semantik. In: Buber, R., Holzmüller, H.H. (eds) Qualitative Marktforschung. Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-8349-9441-7_43
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-8349-9441-7_43
Publisher Name: Gabler
Print ISBN: 978-3-8349-0976-3
Online ISBN: 978-3-8349-9441-7
eBook Packages: Business and Economics (German Language)