Auszug
Die Eskapaden eines der skurrilsten Neurotikers aller Zeiten hätte das Buch des Literaturwissenschaftlers Pierre Bayard wohl verhindern können: Leonard Zelig, charmanter, wenn auch fiktiver Titelheld von Woody Allens Kinoklassiker. Dieser wurde als Kind im New York der 1920er Jahre von seinen Mitschülern gefragt, ob er Moby Dick kenne. „Ich schämte mich zuzugeben, dass ich es nicht gelesen habe — also log ich.“ Zeligs Schwindelei ist der Auftakt einer surrealen Persönlichkeitsveränderung: Künftig passt er sich unwillkürlich wie ein Chamäleon jeder Umgebung an, verändert nicht nur seine Stimme, sondern auch Statur und Hautfarbe — ein zwanghafter Virtuose der Unauffälligkeit. Zelig wäre viel erspart geblieben, hätte er, wenn schon nicht Moby Dick, so doch zumindest Bayards Essay als Lektüre in petto gehabt: „Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat“ (Bayard, 2007). Das schmächtige Bändchen hat es in sich: Bayard wendet sich gegen den gesellschaftlichen „Zwang zu lesen“. Ihm zufolge ist Lektüre „noch immer Gegenstand einer Form von Sakralisierung“. Und die Buchdiskurs-Kompetenz, also die Fähigkeit, über Bücher zu reden, ist eine soziale Eintrittskarte und bewirkt im Umkehrschluss Ausgrenzung. Wer nicht mitmachen kann, bleibt außen vor.
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Literatur
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Kreibich, H., Schäfer, C. (2009). Kulturelle Bedeutung des Lesens. In: Clement, M., Blömeke, E., Sambeth, F. (eds) Ökonomie der Buchindustrie. Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-8349-9409-7_6
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