Zusammenfassung
Menschen sind organisationsbildende Wesen. Sie erfinden unaufhörlich neue Arten und Weisen, miteinander in Beziehung zu treten, die Handlungsstrategien vieler Einzelner zielgerichtet miteinander zu verknüpfen, aufeinander abzustimmen und dadurch zu verstetigen. „Nichtregierungsorganisationen“ sind eines der historisch jüngeren Beispiele für diese organisationsbildende Aktivität im öffentlichen Raum, die längst auch vor Ländergrenzen keinen Halt mehr macht. Die Negativbezeichnung suggeriert, dass bei den neuen Organisationen Einigkeit vor allem darüber besteht, was sie nicht sind. Sie streben keine Regierungsämter an, sie sind nicht an wirtschaftlichem Gewinn orientiert und ihre Mitarbeiter arbeiten nicht allein wegen des Geldes, das sie bekommen, sondern aus überzeugung. Alle diese Merkmale, die in den üblichen Definitionen genannt werden, sind tatsächlich auffällig. Und doch genügen sie nicht für eine Definition, die einerseits trennscharf ist und die neuen Organisationen von anderen Akteuren, vor allem politischen Parteien und klassischen Großverbänden, abgrenzt, und die uns andererseits ein Bild von ihren Aktivitäten vermittelt, die sich ja nicht erschöpfen in der bloßen Anstrengung, sich von Anderen zu unterscheiden. Was also sind die Eigenarten der neuen Organisationen? Wie ist ihr Verhältnis zur politischen Macht, an welche Gemeinschaftsgefühle können sie appellieren, welches Wissen macht sie stark und im Namen welcher Werte streiten sie?
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Referenzen
Neier kam als jüdisches Flüchtlingskind während des Zweiten Weltkriegs aus Deutschland in die USA und gehörte später zu den Mitbegründern der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
GRINGOs wurden z.B. im Vorfeld der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking von der chinesischen Regierung gegründet, um auch innerhalb des NGO-Sektors präsent zu sein.
Daraus folgt, dass ich die so genannten „NGOs der ersten Generation“, die sich auf nichtöffentliche Samaritertätigkeiten konzentriert haben, nur als eine Vorform moderner Nichtregierungsorganisationen betrachte. Vgl. hierzu das Vier-Generationen-Modell der Entwicklung von NGOs in Körten (1990, S. 114–128).
Zu den Beziehungen von NGOs zu Graswurzel-Initiativen und sozialen Bewegungen, besonders mit Blick auf Entwicklungsländer, vgl. Bryant/Bailey (1997).
Andere haben den Orden der Rosenkreuzer, dessen Geschichte sich mindestens bis ins 17. Jahrhundert zurück verfolgen lässt, „die erste NGO“ genannt (Skjelsbaek 1971, S. 424). Es macht jedoch wenig Sinn, von internationalen NGOs in einer Zeit zu sprechen, in der es überhaupt noch keine Nationen im modernen Sinne des Wortes gab.
Zum Folgenden vgl. Keck/Sikkink (1998, Kap. 2).
Ein Beispiel: Schon der bayerische Herzog Wilhelm V., der Vater von Maximilian L, zog sich Ende des 16. Jahrhunderts in die spätere Maxburg zurück, wo er zusammen mit seiner Frau Renata von Lothringen die traditionelle Hierarchie umkehrte und jeden Tag zwölf arme Frauen und Männer einlud und bei Tisch bediente.
Dies ist eine ziemlich neue Entwicklung: Ein moderner Reformer wie Mahatma Gandhi wertete noch 1934 schwere Erdbeben im indischen Bihar als eine „Strafe Gottes“ für die Sünden des Kastensystems.
Vgl. http://www.fema.gov/nwz99/irc624.htm („World Disasters Report Predicts a Decade of Super-Disaster“) (22.2.2001).
Vgl. den Aussteiger-Bericht des algerischen Fallschirmspringers Habib Souaïdia (2001) über die Schrecken und Komplizenschaften des Bürgerkriegs in seinem Land.
Geldgeberorganisationen betrachte ich nicht als einen eigenständigen Pol neben den NGOs, da das Verhältnis beider im Normalfall nicht durch einseitige Außenkontrolle, sondern durch Symbiose gekennzeichnet ist. Siehe auch die Bestimmung von NGOs im Gegensatz zu DONGOs, GRINGOs usw. in Tabelle 2.
Vgl. die typische Stellungnahme von Greenpeace-Deutschland zu den Atommüll-Transporten aus der Wiederaufbereitungsanlage La Hague ins niedersächsische Zwischenlager Gorleben im März 2001: „Deutschland ist damit wieder Mittäter bei einem der größten Umweltverbrechen unserer Zeit“ (SZ, 27.3.2001).
In einem Theorie-Bestseller der radikalen Globalisierungskritik wird sogar eine historische Analogie bemüht zwischen dem globalen moralischen Interventionismus moderner NGOs und dem „imperialen“ und „inquisitorischen“ christlichen Impuls, überall „Sünder“ zu identifizieren und zu bekehren (Hardt/Negri 2000, S. 35–37).
So eine Gegnerbeschreibung der Schweizer Organisation Erklärung von Bern in ihrer Dokumentation Nr. 5/1999 („Die WTO auf dem Prüfstand“).
Vgl. „Mobsters Without Borders Are Targeted as U.S. Security Threat“, in: International Herald Tribune, 16.12.2000 (online-Version). Das Manuskript des vorliegenden Buch wurde unmittelbar nach dem terroristischen Massenmord in den USA vom 11. September 2001 abgeschlossen, dessen Konsequenzen zu diesem Zeitpunkt noch unabsehbar waren.
Vgl. z.B. die Fallstudie über die Eroberung und „ethnische Säuberung“ der bosnischen Stadt Brcko im April 1992 durch bewaffnete Schmuggler- und andere Gangsterbanden in Griffiths (1999).
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Heins, V. (2002). Was sind Nichtregierungsorganisationen?. In: Weltbürger und Lokalpatrioten. Lehrtexte Politik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11827-5_3
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-11827-5_3
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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