Zusammenfassung
Wenn in der Bundesrepublik von Neoliberalismus die Rede ist, wird seit den achtziger und neunziger Jahren in der Regel auf seine angelsächsische Variante abgehoben, meist in Gestalt eines Minimalstaatskonzeptes oder auch radikallibertärer Strömungen, die auf das Phantasiegebilde einer weitgehend staatsfreien Marktgesellschaft abheben. Dabei liegt einer der räumlichen und ideengeschichtlichen Ursprünge des Neoliberalismus gerade in Deutschland, wo sich der ‚neue‘ Liberalismus seit Beginn der dreißiger Jahre mit einer spezifisch kontinentaleuropäischen Ausprägung entwickelt hat. Der Ordoliberalismus, wie der deutsche Neoliberalismus später genannt wurde, war in den fünfziger Jahren durch seinen Einfluß auf die Gestaltung der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik national wie international zu hohem Ansehen gekommen und spielte deshalb auch im ersten Jahrzehnt der 1947 gegründeten neoliberalen Internationale, der Mont Pèlerin Society, eine gewichtige Rollet.1 Mit der Sozialen Marktwirtschaft hatte das ordoliberale Spektrum zwar eine im neoliberalen Lager durchaus umstrittene Strategie zur Durchsetzung marktwirtschaftlicher Ziele gewählt, aber im Ergebnis entgegen den vorherrschenden wirtschafts- und sozialtheoretischen Zeitströmungen des Keynesianismus und des Wohlfahrtsstaates in Westdeutschland eine liberale Wirtschaftsordnung durchsetzen und stabilisieren können. Nicht ohne Stolz auf diesen Erfolg des deutschen Neoliberalismus schrieb Alexander Rüstow 1953: „Das einzige mir bekannte konsequente, durchdachte, einheitliche und eigenständige wirtschaftspolitische Gegenprogramm auf unserer Seite ist dasjenige des sogenannten Neoliberalismus, der ‚Sozialen Marktwirtschaft‘ nach der glücklichen Prägung des kürzlich in das Bundeswirtschaftsministerium berufenen Kollegen Müller-Armack, das Programm, an dem meine Freunde und ich seit Jahren arbeiten, eine Gruppe, deren anerkannter Führer in Deutschland unser viel zu früh verstorbener Freund Walter Eucken war.“2
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Literatur
Vgl. Ronald Max Hartwell, A History of the Mont Pelerin Society, Indianapolis 1995
Alexander Rüstow, Soziale Marktwirtschaft als Gegenprogramm gegen Kommunismus und Bolschewismus, in: Albert Hunold (Hrsg.), Wirtschaft ohne Wunder, Erlenbach-Zürich 1953, S. 97–127, hier S. 101
Vgl. Joachim Starbatty, Soziale Marktwirtschaft als Forschungsgegenstand: ein Literaturbericht, in: Ludwig-Erhard-Stiftung (Hrsg.), Soziale Marktwirtschaft als historische Weichenstellung, Bonn — Düsseldorf 1997, S. 63–98; Starbatty stützt seine Schätzung von 14.500 Publikationen für den Zeitraum von 1986–1995 auf die jährlichen Literaturauswertungen von Gerhard Hahn, Bibliographie zur Sozialen Marktwirtschaft. Die Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik 1982/87, Baden-Baden 1989; für die Zeit bis Anfang der achtziger Jahre vgl. Karl Dapper/Gerhard Hahn, Bibliographie zur Sozialen Marktwirtschaft. Die Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland 1945/49–1981, Baden-Baden 1983
Vgl. Friedrun Quaas, Soziale Marktwirtschaft. Wirklichkeit und Verfremdung eines Konzeptes, Bem — Stuttgart — Wien 2000; Rolf Kowitz, Alfred Müller-Armack: Wirtschaftspolitik als Berufung. Zur Entstehungsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft und dem politischen Wirken des Hochschullehrers, Köln 1998; Daniel Dietzfelbinger, Soziale Marktwirtschaft als Wirtschaftsstil. Alfred Müller-Armacks Lebenswerk, Gütersloh 1998
Vgl. Dieter Cassel/Siegfried Rauhut, Soziale Marktwirtschaft: Eine wirtschaftspolitische Konzeption auf dem Prüfstand, in: Dieter Cassel (Hrsg.), 50 Jahre Soziale Marktwirtschaft, Stuttgart 1998, S. 3–31; Karl Hohmann, Stellungnahme aus Sicht der Wirtschaftsethik, in: Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.), Markt mit Moral, Gütersloh 1994, S. 73–79; Phillip Herder-Domeich, Soziale Marktwirtschaft als weltweites Modell. Versuch einer Neuformulierung, Köln 1993
Vgl. Herbert Giersch, Das Dilemma des Sozialen, in: Ludwig-Erhard-Stiftung (Hrsg.), Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik 1983, Bonn 1983, S. 39–47; Erich Hoppmann, Soziale Marktwirtschaft oder Konstruktivistischer Interventionismus? Zur Frage der Verfassungskonformität der wirtschaftspolitischen Konzeption einer,Neuen Wirtschaftspolitik’, in: Egon Tuchtfeldt (Hrsg.), Soziale Marktwirtschaft im Wandel, Freiburg 1973, S. 27–68; Gerard Radnitzky, Marktwirtschaft frei oder sozial, in: ders./Hardy Bouillon (Hrsg.), Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, Berlin — Heidelberg — New York 1991, S. 47–75
Anthony de Jasay, Soziale Marktwirtschaft Sozialismus in anderer Form?, in: Ludwig-ErhardStiftung (Hrsg.), Adjektivlose oder Soziale Marktwirtschaft?, Bonn 1993, S. 9–18, hier S. 17
Vgl. Werner Zohlnhöfer, Von der Sozialen Marktwirtschaft zum Minimalstaat? Zur politi- schen Ökonomie des Wohlfahrtsstaates, in: ORDO, Bd. 43, 1992, S. 269–283
Vgl. hierzu die markante Zuspitzung bei Jürgen Lange-von Kulessa/Andreas Renner, Die Soziale Marktwirtschaft Alfred Müller-Armacks und der Ordoliberalismus der Freiburger Schule — Zur Unvereinbarkeit zweier Staatsauffassungen, in: ORDO, Bd. 49, 1998, S. 79–104
Vgl. Werner Abelshauser, Die ordnungspolitische Epochenbedeutung der Weltwirtschaftskrise in Deutschland: Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft, in: Dietmar Petzina (Hrsg.), Ordnungspolitische Weichenstellungen nach dem Zweiten Weltkrieg, Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F., Bd. 203, Berlin 1991, S. 11–29; Keith Tribe, Strategies of economic order. German economic discourse, 1750–1950, Cambridge 1995
Das Problem eines selektiven, aus dem Zusammenhang gerissenen Zitieren findet sich insbesondere in der wissenschaftlichen Diskussion um die Soziale Marktwirtschaft, die durch ihre Struktur als evolutionäre Konzeption einem ständigen programmatischen Wandel unterzogen war (und ist). So ergeben sich teilweise vollkommen falsche Schlüsse, wenn beispielsweise Texte von Müller-Armack aus den Jahren 1946/48 ohne zeitgeschichtlichen Hintergrund, ohne Kenntnis über das Gesamtwerk und über die konzeptionelle Struktur der Sozialen Marktwirtschaft herangezogen werden. Zu Recht verweist Horst Friedrich Wünsche darauf, daß in vielen Fällen „weder nach der Sozialen Marktwirtschaft selbst, noch nach unabhängigen Urteilen über sie geforscht (wird); es wird vielmehr gerechtfertigt und quasi notifiziert, was die Soziale Marktwirtschaft nach irgendeiner vorgegebenen Ansicht sein soll.“ Horst Friedrich Wünsche, Ludwig Erhards Gesellschafts-und Wirtschaftskonzeption: Soziale Marktwirtschaft als Politische Ökonomie, Stuttgart 1986, S. 22; leider begeht Wünsche selbst diesen methodischen Fehler, indem er seine Publikationen seit über 15 Jahren auf den Gedanken fokussiert, daß auch die theoretische Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft von Ludwig Erhard geprägt worden sei.
Vgl. Erich Streissler (Hrsg.), Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie XVI. Die Umsetzung wirtschaftspolitischer Grundkonzeptionen in die kontinentaleuropäische Praxis des 19. und 20. Jahrhunderts, I. Teil — Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F., Bd. 115/XVI, Berlin 1997, Vorwort, S. 7
Vgl. für viele: Hans Willgerodt, Die Liberalen und ihr Staat — Gesellschaftspolitik zwischen Laissez-faire und Diktatur, in: ORDO, Bd. 49, 1998, S. 43–78, hier S. 51 ff.
George Soros, Die Krise des globalen Kapitalismus. Offene Gesellschaft in Gefahr, Berlin 1998, S. 19.
Vgl. Bodo Hornbach, Aufbruch. Die Politik der Neuen Mitte. Mit einem Vorwort von Gerhard Schroder, München — Düsseldorf 1998; Anthony Giddens, Der dritte Weg. Die Erneuerung der sozialen Demokratie (britische Originalausgabe: The Third Way. The Renewal of Social Democracy, Cambridge 1998), Frankfurt am Main 1999
Vgl. Egon Edgar Nawroth, Die Sozial-und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, Sammlung Politeia, Bd. XIV, Heidelberg 1961; den., Die wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen des Neoliberalismus, FIW-Schriftenreihe, Heft 3, Köln — Berlin — Bonn — München 1962; etwas zurückhaltender kritisiert Oswald von Nell-Breuning, Gemeinsames und Trennendes in den Hauptrichtungen der Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftspolitik, in: Grundsatzfragen der Wirtschaftsordnung, Wirtschaftswissenschaftliche Abhandlungen der FU Berlin, Heft 2, Berlin 1954, S. 215–231; den., Neoliberalismus und katholische Soziallehre, in: Patrick M. Boarmann (Hrsg.), Der Christ und die Soziale Marktwirtschaft, Stuttgart 1955, S. 101–122. Vgl. auch die strenger ökonomisch formulierte Grundsatzkritik von Hans Peter, Freiheit der Wirtschaft. Kritik des Neoliberalismus, Köln 1953
Alexander Rüstow, Sozialpolitik diesseits und jenseits des Klassenkampfes (Erstveröffentlichung 1959), in: Bernhard Külp/Wilfrid Schreiber (Hrsg.), Soziale Sicherheit, Köln — Berlin 1971, S. 17–26, hier S. 26
Vgl. Karl-Heinz Roth, Klienten des Leviathan: Die Mont Pèlerin Society und das Bundeswirtschaftsministerium in den fünfziger Jahren, in: 1999, Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 16. Jg., Heft 2, 2001, S. 13–41
Vgl. Andreas Renner, Die zwei,Neoliberalismen`, in: Fragen der Freiheit, Folge 256, Oktober-Dezember 2000, S. 48–64
Gerade, weil der Neoliberalismus „eher als eine Ideologie der Befreiung des Kapitalismus zu verstehen (ist)“, ist es kaum möglich, „den Neoliberalismus als Theorie zusammenzufassen.“ Herbert Schui/Stephanie Blankenburg, Neoliberalismus: Theorie, Gegner, Praxis, Hamburg 2002, S. 10
Friedrich August von Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, (britische Originalausgabe: The Road to Serfdom, London 1944), Mit einer Einleitung von Milton Friedman, München 1971, S. 36; ähnlich schon Ludwig von Mises, Liberalismus, Jena 1927, S. 7
Neben der genannten Untersuchung von Schui und Blankenburg, in der in erster Linie die verschiedenen Schulen des us-amerikanischen Neoliberalismus diskutiert werden (Fn. 20), siehe für einen historisch eingebetteten Gesamtüberblick: Bernhard Walpen, Von Igeln und Hasen oder: Ein Blick auf den Neoliberalismus, in: UTOPIE kreativ, Heft 121/122, 2000, S. 1066–1079
Zur Einordnung der verschiedenen Strömungen des Neoliberalismus in der Nachkriegszeit vgl. Reinhard Behlke, Der Neoliberalismus und die Gestaltung der Wirtschaftsverfassung in der Bundesrepublik, Berlin 1961, S. 37–47; Egon Edgar Nawroth, Die Sozial-und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, a.a.O., S. 5–12; Helmut Paul Becker, Die soziale Frage im Neoliberalismus. Analyse und Kritik, Sammlung Politeia, Bd. XX, Heidelberg 1965, S. 35–41
Egon Edgar Nawroth, Die Sozial-und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, a.a.O., S. 12
Darauf verweist auch Eucken hinsichtlich der konkreten Durchsetzungsbedingungen der universalistisch angestrebten,freien Verkehrswirtschaft`: „In jedem Lande sind andere Ausgangssituationen, andere Machtkonstellationen, andere Möglichkeiten der Wirtschaftspolitik und andere Einzelaufgaben gegeben. Die Wirtschaftspolitik kann nicht von der jeweiligen geschichtlichen Situation der einzelnen Länder gelöst werden. Man kann nicht ein umfassendes wirtschaftspolitisches Gesetzbuch aufstellen, das für alle Länder Geltung gewinnen könnte.“ Walter Eucken, Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, in: ORDO, Bd. 2, 1949, S. 199, hier S. 29; identisch in: den., Grundsätze der Wirtschaftspolitik (1. Auflage 1952), hrsg. von Edith Eucken und K. Paul Hensel, 6. durchgesehene Auflage mit einem Vorwort von Ernst Joachim Mestmäker, Tübingen 1990, S. 251
Vgl. Reinhard Kühnl, Deutschland seit der Französischen Revolution, Heilbronn 1996
Vgl. hierzu das Organgramm personeller Verbindungen bei Heinz Grossekettler, Die Wirtschaftsordnung als Gestaltungsaufgabe. Entstehungsgeschichte und Entstehungsperspektiven des Ordoliberalismus nach 50 Jahren Sozialer Marktwirtschaft, Münster — Hamburg 1997, S. 14
Neben einer Reihe von späteren Schülern, wie beispielsweise Hans-Otto Lenel oder Kurt Biedenkopf, können Friedrich A. Lutz, Hans Gestrich, Bernhard Pfister, Fritz W. Meyer, Karl Friedrich Maier, K. Paul Hensel und Constantin von Dietze zum engeren Kreis der Freiburger Schule gezählt werden.
Helmut Paul Becker (Die soziale Frage im Neoliberalismus, a.a.O., S. 44 f.) spricht in Anlehnung an Röpke vorn „soziologischen Neoliberalismus“ innerhalb des Ordoliberalismus.
Rainer Klump spricht in ähnlicher Weise — allerdings mit Blick auf die Wege zur Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft — von drei Strömen (der Freiburger Schuh, der Wirtschaftsstillehre Müller-Armacks und der politischen Gestaltung durch Erhard), die „in vielfältiger Weise miteinander in Beziehung getreten (sind); sie repräsentieren grob gesagt eine ordnungstheoretische, eine ordnungspolitische und eine politische Konzeption von Sozialer Marktwirtschaft.“ Rainer Klump, Wege zur Sozialen Marktwirtschaft — Die Entwicklung ordnungspolitischer Konzeptionen in Deutschland vor der Währungsreform, in: Erich Streissler (Hrsg.), Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie XVI, Berlin 1997, S. 129–160, hier S. 132; unverständlich bleibt, warum Klump die maßgeblichen Vertreter des soziologischen Neoliberalismus, Röpke und Rüstow, die zudem als Exilanten eine herausragende Rolle für die Implementierung der Sozialen Marktwirtschaft spielten, unberücksichtigt läßt.
Vgl. Egon Tuchtfeldt, Soziale Marktwirtschaft als offenes System, in: Fritz Windhager (Hrsg.), Soziale Marktwirtschaft, Sonderheft 4 der Schriftenreihe,Sicherheit und Demokratie, Wien 1982, S. 17–32, hier S. 22 f.
„Es dürfte richtig sein, die Abgrenzung allein in zwei wesentlichen Programmpunkten des Ordoliberalismus zu sehen. Der erste und wesentlichste Unterschied zwischen Ordoliberalismus und Neoliberalismus ist der, daß der Neoliberalismus eine,competitive order’ oder,workable competition’ zu fördern sucht, während der kontinentale (deutsche) Ordoliberalismus eine lückenlose,ordered competition’ zu,veranstalten` strebt. Zweitens haben die Maßnahmen zur Besitz-und Einkommensverteilung einen verstärkt sozialliberalen Charakter.“ Ernst-Wolfram Dürr, Wesen und Ziele des Ordoliberalismus, Winterthur 1954, S. 7
„Wir verdanken den Amerikanern eine große Bereicherung der Sprache durch den bezeichnenden Ausdruck,weasel-word`. So wie das kleine Raubtier, das auch wir Wiesel nennen, angeblich aus einem Ei allen Inhalt heraussaugen kann, ohne daß man dies nachher der leeren Schale anmerkt, so sind die Wiesel-Wörter jene, die, wenn man sie einem Wort hinzufügt, dieses Wort jedes Inhalts und jeder Bedeutung berauben. Ich glaube, das Wiesel-Wort par excel-lance ist das Wort,sozial`. Was es eigentlich heißt, weiß niemand. Wahr ist nur, daß eine soziale Marktwirtschaft keine Marktwirtschaft, ein sozialer Rechtsstaat kein Rechtsstaat, ein soziales Gewissen kein Gewissen, soziale Gerechtigkeit keine Gerechtigkeit — und ich fürchte auch, soziale Demokratie keine Demokratie ist.“ Friedrich August von Hayek, Wissenschaft und Sozialismus, Vorträge und Aufsätze des Walter-Eucken-Instituts, Heft 71, Tübingen 1979, S. 16. Es muß beachtet werden, daß dieser Vortrag Hayeks Ende der siebziger Jahre verfaßt wurde, in einer Zeit also, als der Marktradikalismus des Neoliberalismus den keynesianisch geprägten Wohlfahrtsstaat international abzulösen begann — Hayek selbst beriet zu diesem Zeitpunkt Margret Thatcher bei ihrem neoliberalen Umbau von Wirtschaft und Staat in Großbritannien. Es handelt sich hier insofern mehr um eine Abrechnung mit den sozialen Zugeständnissen des bis dahin gültigen kapitalistischen Gesellschaftsmodells als um eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft.
Friedrich August von Hayek, Was ist und was heißt sozial?, in: Albert Hunold (Hrsg.), Masse und Demokratie, Erlenbach-Zürich — Stuttgart 1957; S. 71–84, hier S. 72
So bekundete Mises 1961 in einem Brief an Müller-Armack als Staatssekretär im BMWi, „daß politische Machtverhältnisse auch einen überzeugten folgerichtigen Vertreter des Liberalismus (…) nötigen können, sich mit interventionistischen Maßnahmen (etwa Schutzzöllen) abzufinden. In der praktischen Politik kann man nur selten das Vollkommene erreichen. Man muß sich in der Regel damit begnügen, daß kleinere Übe] zu wählen. Was Sie und Erhard für die Wiederaufrichtung der deutschen Wirtschaft vollbracht haben, wird ungeachtet mancher Prinzipien abgehoben, ihre,Schönheitsfehler`, mit Recht überall als eine große Tat des Liberalismus angesehen. Was Deutschland geleistet hat, ist,a lesson for the U.S.“`. Ludwig von Mises, Im Namen des Staates oder Die Gefahren des Kollektivismus (Wiederabdruck der Erstveröffentlichung von 1939). Mit einem Vorwort von Alfred Müller-Armack, Stuttgart 1978, S. 16 f.
Vgl. Knut Borchardt, Die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft in heutiger Sicht, in: Otmar Issing (Hrsg.), Zukunftsprobleme der sozialen Marktwirtschaft, Schriften des Vereins für Socialpolitik, NF 116, Berlin 1981, S. 33–53, hier Fn. 5, S. 36
Patrick Welter, Das Walter Eucken Institut und die Rolle des Staates. Freiburger Forschung auf den Spuren Walter Euckens und F.A. Hayeks, Handelsblatt 28.01.1997
Alfred Müller-Armack, Soziale Marktwirtschaft, in: Erwin von Beckerath/Carl Brinkmann u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 9, Stuttgart — Tübingen — Göttingen 1956, S. 390–392, hier S. 390; Herv. im Original
„Viel radikaler als die,Frankfurter Schule` war die,Freiburger Schule’. Während die einen Wirtschaftsmacht irgendwie demokratisieren wollten, wollten die anderen konkret Wirtschaftsmacht überhaupt abschaffen.“ Walter Oswalt, Machtfreie Marktwirtschaft, TAZ 20.06.1995. Zur Diskussion der Kirchen über die Soziale Marktwirtschaft aus theologisch-ethischer Sicht vgl. Franz Segbers, Die Hausordnung der Tora. Biblische Impulse für eine theologische Wirtschaftsethik, 3. durchgesehene Auflage, Luzern 2002, S. 226 ff. Zum Verhältnis der extremen Rechten in der Bundesrepublik zum Konzept der Sozialen Marktwirtschaft im Rahmen ihrer wirtschafts-und sozialpolitischen Debatte vgl. Ralf Ptak, Die soziale Frage als Politikfeld der extremen Rechten. Zwischen marktwirtschaftlichen Grundsätzen, vormodemem Antikapitalismus und Sozialismus-Demagogie, in: Jens Mecklenburg (Hrsg.), Braune Gefahr. DVU, NPD, REP — Geschichte und Zukunft, Berlin 1999, S. 97–145, hier besonders S. 135 f.
In diesem Sinne wird hier auch einer Großschreibung der Sozialen Marktwirtschaft ohne Anführungszeichen gefolgt. Die häufig mit der Großschreibung verbundene Präferenz zugunsten des Konzepts soll damit allerdings nicht zum Ausdruck gebracht werden. Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Struktur und Bedeutung der Sozialen Marktwirtschaft ist der ideologische Streit um die Frage, ob die Soziale Marktwirtschaft groß oder klein geschrieben wird, allerdings zu vernachlässigen.
In Bezug auf die Wahrnehmung der Sozialen Marktwirtschaft im öffentlichen Raum vgl. den späteren Regierungssprecher der Kohl-Regierung Friedhelm Ost, Die Soziale Marktwirtschaft im Bewußtsein der Öffentlichkeit, irr Wirtschaftspolitische Chronik, 28. Jg., Heft 1, 1979, S. 41–63; Elisabeth Noelle-Neumann, Soziale Marktwirtschaft im Bewußtsein der Öffentlichkeit, in: Ludwig-Erhard-Stiftung e.V. (Hrsg.), Soziale Marktwirtschaft als historische Weichenstellung. Bewertungen und Ausblick. Eine Festschrift zum hundertsten Geburtstag von Ludwig Erhard, Bonn — Düsseldorf 1997, S. 607–627
Bernd Ziesemer, Volk ohne Symbol, Wirtschaftswoche 18.06.1998, S. 28–36, hier S. 29
Dieter Haselbach, Autoritärer Liberalismus und Soziale Marktwirtschaft: Gesellschaft und Politik im Ordoliberalismus, Baden-Baden 1991, S. 12
Oswald von Nell-Breuning verdeutlicht dies in der Bemerkung zu einer Begegnung mit Eucken während der Vorbereitungen für das,Leitsätzegesetz’ im Frühjahr 1948 (Neoliberalismus und katholische Soziallehre, a.a.O., 104; Herv. im Original): „In lebhafter Erinnerung steht mir, wie Eucken sich einem Vorschlag widersetzte, der mit Berufung auf marktwirtschaftliche Prinzipien ein lebenswichtiges Bedarfsgut seiner Meinung nach verfrüht aus Bewirtschaftung und Preisbildung entlassen wollte. Ich sehe Eucken noch vor mir, wie er erregt den Redner mit dem Zwischenruf unterbrach: ja, wenn sie 20 Millionen Menschen zugrunde gehen lassen wollen!’ Die Theoreme Eucken’scher Bücher mögen anders lauten; dies war der wirkliche, der lebendige Eucken (man möchte anfügen, der realistische Eucken; Anm. R.P.) (…) — Marktwirtschaft, freie Verkehrswirtschaft, wo immer möglich. Diese Möglichkeit ist aber an Voraussetzungen gebunden. Auch diese Voraussetzungen soll man schaffen, wo immer es möglich ist. Aber: ob diese Voraussetzungen gegeben sind oder sich schaffen lassen und inwieweit sie gegeben sind und inwieweit sie sich schaffen lassen, das sind Tatfragen, keine Grundsatzfragen.“
Für Horst Siebert, lange Jahre Präsident des Instituts für Weitairtschaft in Kiel und Mitglied des Sachverständigenrats, liegt die Gefährdung der Sozialen Marktwirtschaft im Sinne einer freien Wettbewerbswirtschaft in erster Linie in diesem Einfluß der Politik begründet: „Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft muß mit einer grundsätzlichen Schwierigkeit klar werden. Die Politik ist bei ihren Entscheidungen an kurzfristigen Resultaten interessiert; die öffentliche Meinung will handfeste Aktivitäten sehen, die Medien transportieren nur einfache Bilder. Dagegen sind institutionelle Regelungen, Regelwerke oder Rahmenordnungen für eine Volkswirtschaft durch komplexe Interdependenzen und langfristige Wirkungsketten gekennzeichnet, die schwer vermittelbar sind. Die Zeithorizonte sind unterschiedlich (…). Zu groß erscheint die Versuchung der Politik, im Interesse eines schnell erzielten Ergebnisses — eines Quick Fix — auf langfristige Wirkungen nicht zu achten.“ Marktkräfte für mehr Wohlstand und Beschäftigung freisetzen, Handelsblatt 23.01.1997
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Ptak, R. (2004). Einführung. In: Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11779-7_1
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