Zusammenfassung
Die Geschwindigkeit der politischen „Wende“ auf dem Boden der ehemaligen DDR hat alle Akteure in Ost wie West überrascht und überwältigt. In kürzester Zeit brachen Institutionen zusammen, deren Verfasstheit auf Dauer gestellt schien, und selbst die auf gesellschaftliche Entwicklungen zielenden Sozialwissenschaften kündeten weder vom Advent einer neuen politischen Ordnung, noch begleiteten sie diesen von Beginn an kritisch-systematisch. Eher hielten am Anfang Intellektuelle, Künstler und Literaten die Reflexion über den Weg von „Wir sind das Volk” hin zu „Wir sind ein Volk“ aufrecht. Dabei sahen die „realistischen” unter ihnen keine Alternative zum bundesdeutschen Verfassungsstaat, verbaten sich aber schnell die Vorstellung, alles müsse auf dem Boden der ehemaligen DDR selbstverständlich dem Muster in der alten Bundesrepublik folgen. Ein Beitrag Monika Marons im Nachrichtenmagazin Der Spiegel aus dem Februar 1990 kann dafür gleichsam paradigmatisch herangezogen werden. In ihm kritisiert sie westliche wie östliche Romantiker, die der Nischengesellschaft in der DDR nachtrauerten und beschreibt „die Arroganz des Satten, der sich vor den Tischmanieren eines Ausgehungerten ekelt“ (1990). Damit zielte sie u.a. auf die von Stefan Heym vorgetragene Kritik an den Noch-DDR-Bürgern, die gänzlich dem Konsumrausch verfallen schienen. Sehrwohl konnte auch Maron nicht bedingungslos mit den neu gewonnenen Freiheiten konform gehen, doch sah sie dies als ein Übergangsphänomen, das auch durch neu wachsendes Selbstbewusstsein in andere Bahnen zu lenken wäre (vgl. Maron 1992).
Schulstrukturen und Lehrpläne lassen sich erheblich leichter ändern als der Unterricht selbst — habitualisiertes Lehrerverhalten und die damit verbundenen Alltagstheorien sind gegenüber noch so überzeugend vorgetragenen Konzepten nicht selten resistent.
Klaus-Jürgen Tillmann, 1993
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Gehrmann, A. (2002). Gewandelte Lehrerrolle in Ost und West?. In: Döbert, H., Fuchs, HW., Weishaupt, H. (eds) Transformation in der ostdeutschen Bildungslandschaft. Schriften der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE). VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11654-7_6
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