Zusammenfassung
Journalistische, linguistische und naturwissenschaftlich-technische Sprachkritik liegen ganz überwiegend falsch, was ihre Einschätzung sprachlicher Phänomene in der öffentlichen Diskussion angeht. Dies ist m. E. ein wesentliches Ergebnis, das sich in der gesamten ‚diskursgeschichtlichen‘ Untersuchung der Atomenergie-Debatte immer wieder herausstellte und in Kapitel 10 noch einmal zusammenfassend dargelegt wurde. Über den Einzelfall hinaus stellt sich die Frage, ob der Topos von der Lenkbarkeit der Sprache bzw. der Manipulation der Meinungsbildung, der den kritischen Thematisierungen sprachlicher Erscheinungen in der nuklearen Kontroverse letztlich immer zugrundelag, nicht einen prinzipiellen Denkfehler enthält. Dies soll im folgenden diskutiert werden, wobei sowohl sprachwandeltheoretische Fragen wie Gesetzmäßigkeiten der öffentlichen Kommunikation allgemein zur Sprache kommen.
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Literatur
Ein ähnliches Schicksal erleiden in der Regel auch die Wortfindungswettbewerbe der Gesellschaft für deutsche Sprache (zum Beispiel IVF-Kind für Retortenbaby).
Koelzer 1990. Zum Vokabular dieses Buches vgl. Übersicht 6, S. 246.
Eppler 1989, S. 173; Schäuble 1990, S. 46. Vgl. allgemein Keller 1987, S. 116.
Fleischer 1989, S. 46.
Haß 1989a, S. 171; Fleischer 1982, S. 13.
Pörksen 1986, S. 36; Heringer 1990, S. 57.
So kann man beispielsweise jede positive Personenbezeichnungen wie Star, Heldin, Retter in Verbindung mit dem Wörtchen Du zu einem beleidigenden Ausruf machen.
Zit. nach Gladitz 1976, S. 36 bzw. S. 143.
Vgl. Okologiegruppe 1977, S. 136; DAAD-MITTEILUNGEN 3/1990, S. 5; ZEIT 8.2.92, S. 9; Anzeigenkampagne der Elektrizitätswerke zum Beispiel in ZEIT 18.10.91, S. 11.
Pörksen 1991, S. 7; Ileringer 1990, S. 57f.; BT 15.6.77, S. 2307. Vgl. oben Kap 9.1, S. 123.
Zitat: der prominente Kernkraftbefürworter Maier-Leibnitz in: Kafka/Maier-Leibnitz 1982, S. 255. 2 11.-Ch. Röglin 28.8.91, vgl. auch Röglin 1977, S. 21. Diese Umfragen sind allerdings m.W. nie veröffentlicht worden.
Hannappel/Melenk 1979, S. 260.
Luger 1983, S. IO bzw. 9; dort auch weitere Kritikpunkte an der simplistischen „monokausalen Erklärungshypothese“.
Zit. nach Wolf 1985, S. 95; WELT 22.1.76, S. 2; zit. nach 11aß 1989, S. 460; Haß 1989, S. 457; Radkau 1983, S. 289; Born/Manthey 1977, S. 7; Waas 1978, S. 34; folgendes Zitat: 1 lossner 18.12.1991.
BT 10.12.81, S. 4214; ATW 1975, S. 603; vgl. Gerwin 1978, S. 122; vgl. Renn 1984, S. 292; FRANKFURTER HEFTE 11/1979, S. 14.
Auf die Bedeutung derartiger Untersuchungen für die Sprachwandeltheorie weist auch Fritz 1988, S. 1626f. hin.
Röthlein 1979, S. I50.
Kuhn 1991, S. 97; vgl. im folgenden außerdem Kuhn 1991, S. 95f
Kuhn 1991, S. 96; zu den Multiplikatoren der Nukleardebatte vgl. Schmitt 1985, S. 183ff.
Zum soziolinguistisch wichtigen Begriff der Kollusion, der es erlaubt, sprachpolitische Auswirkungen als evolutionär im Sinne Kellers und nicht als gesteuert zu begreifen vgl. v. Polenz 1991, S. 275 (in Anlehnung an Maas 1989, S. 352ff).
Zu diesem Material vgl. Röthlein 1979, S. 84ff., und Schmitt 1985, S. 188.
Zum Beispiel ZEIT 23.10.87, S. 43 (Hervorhebung MJ). Zu Ausstieg bzw. regenerierbare/additive Energien vgl. Kap. 9.3, S. 132f.
Köppers 28.3.1992.
Als Beispiel für die simplistischc Sprachkritik an Abkürzungen (hier im Umweltbereich allgemein): Blühdorn 1991, S. 350. Folgendes Zitat: R. Hossner 18.12.91.
Rucht 1988, S. 301; das Ballett-Beispiel ist Keller 1987, S. 116, entnommen; Beispiel fìlr PR-Anzeigen der Elektrizitätsindustrie: ZEIT 26.9.91, S. 22.
Hannappel/Melenk 1979, S. 323; R. llossner 18.12.91.
Burkhardt 1984, S. 67; Jürgens 1984, S. 24. Einen ähnlichen Sprachausgleich bemerkt Böke 1991, S. 216, wenn die Abzeichenfunktion von werdendes gegenüber ungeborenes Leben sich wieder verliert. Zur,Dämonisierung’ des Mediums Sprache in historischer Sicht vgl. Kap. 8.3, S. 115ff.
Große/Neubert 1982, S. 6; Keller 1987, S. 114 u. S. 116.
Renn 1984, S. 324; v. Polenz 1986, S. 10.
Cherubim 1983, S. 28. Cherubini interessiert an der Analyse des subjektiven Moments allerdings nicht die Rückwirkung auf den Sprachwandel, sondern vielmehr wie Individuen Veränderung „erfahren, wahrnehmen und in die Praxis sprachlichen Handelns einbeziehen“ (S. 42).
Fritz 1985, S. 750. Mattheier 1985, S. 728, betont dagegen die prinzipielle Einheitlichkeit des Phänomens,Sprachwandel`.
Vgl. zum Beispiel Scherfer 1983, S. 22, Cherubim 1979, S. 326 und 1985, S. 809 und Fischer 1988, S. 30E Diese Begriffe wären allerdings zunächst einmal in ihrer Abgrenzung zu klären. Eine grundsätzlichen Kritik der Mehrdeutigkeit von bewußt, intentional etc., die in der Sprachwandeltheorie eine große Rolle spielen, leistet Keller 1990, S. 21 ff.
DER SPRACIIDIENST 1977, S. 32. Zur Bewußtwerdung des Bedeutungswandels vgl. Busse 1986, speziell S. 63.
R. I lossner 18.12.91. Vgl. zu Verseuchung in diesem Zusammenhang Kap. 11, S. 176ff.
Wilss 1989, S. 195.
Vgl. Fischer 1988, S. 23 bzw. Schafer 1983.
Cherubim 1983 (Titel); Saussure 1974, S. 22; Ferguson 1968, S. 375. Vgl. auch Sehlieben-Lange 1982.
Fleischer 1989, S. 25; Stickel 1987, S. 312; Dieckmann 1988, S. I (I lervorhebung im Text); Beck in ZEIT 26.4.91, S. 59.
Stickel 1987, S. 312. Zum Zcitgeistcharakter linguistischer Sprachkritik: vgl. Kap. 8.3, 10.3 und 13.2.
Zimmer 1986, S. 9.
Genaueres hierzu bei Dieckmann 1975.
Belege: DER SPRACIIDIENST 1986, S. 2, bzw. Haß 1989, S. 520f.
Belege nach Haß 1989, S. 475 u. 531 bzw. DER SPRACIIDIENST 1987, S. 2 (dort auch zahlreiche weitere Beispiele). Außerdem WIRTSCHAFTSWOCHE 17.5.86, Radkau 1987, S. 329, Traube 1988, S. 25.
Belege: RHEINISCHER MERKUR 17.5.86, S. 4; SZ 14.5.86, S. 3; ZEIT 9.5.86, S. 1; DER SPRACH-DIENST 1987, S. 2 u.v.a.m. Für die Metaphorisierung von Fallout hatte Schmitt 1985, S. 197, noch keinen Beleg gefunden, obwohl im Englischen/Amerikanischen diese Art der Metaphorisierung schon länger üblich ist.
Cube u.a. 1987, S. 234 bzw. ZEIT 27.2.87, S. 22.
Belege: DER SPRACIIDIENST 1987, S. 2, DER SPRACHDIENST 1989, S. 67 bzw. S. 70 sowie Haß 1989, S. 475. Außerdem: SPIEGEL 9.11.87, S. 142, ZEIT 15.4.88, S. 28, SPIEGEL 30.6.86, S. 59, GENERALANZEIGER 11.10.89; ZEIT 28.8.92, S. 32; ZEIT 27.2.87.
Belege Haß 1989, S. 475 u. S. 531; außerdem FR 3.6.88, S. 28.
Peter Handke, Die Geschichte des Bleistifts, Salzburg 1982, S. 90; Wolf 1987, S. 98; SZ 17.02.89; DER SPRACHDIENST 1987, S. 2.
Belege (von 1986) nach DER SPRACHDIENST 1987, S. 2. Lediglich bei Becquerel-Geschichten (Ehmke 1987) als Titel einer literarischen Anthologie im Sinne von,Atom-Erzählungen` deutet sich ein Metaphorisierungsprozeß (hier als Metynomie) an.
Große/Neubert 1982, S. 9. Zu Mikro-und Makrodynamik allgemein vgl. Nerlich/Clarke 1988.
Michael Ende, Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch, Basel u. Wien 1989, S. 90.
Mattheier 1985, S. 725 (Ausführlicher dazu Mattheier 1988, S. 1441ff., der intentionale Veränderungen als 6. Variationstyp der Sprache sieht); Pörksen 1991, S. 6.
Keller 1990 leitet für den Bereich des Sprachwandels detailliert diesen in den Sozialwissenschaften schon lange bekannte Erklärungsansatz her. Vgl. außerdem Beringer 1982.
Bechert/Wildgen 1991, S. 92. In diesem Sinne äußert sich etwa Mattheier 1988, S. 1444 u.ö., bzw. Fritz 1988, bes. S. 1628, der als ein Ansatz zur forschungsmethodischen Konkretisierung dieser Theorie angesehen werden kann. Folgendes Zitat: Heringer 1993, S. 17.
So Stickel 1987, S. 312. Zu dieser Diskussion vgl. Keller 1990, S. 124E und Keller 1987, S. 116f, bzw. ausführlich aus Sicht der historischen Soziolinguistik Mattheier 1988, S. 1441–1447. Die These von der Steuerbarkeit der Sprache versucht dagegen schon Beier 1960 — allerdings unter Bezug auf die nebulöse Muttersprachenideologie Weisgerbers — am Beispiel der Terminologienormung zu widerlegen.
Altehenger-Smith 1990, S. 145–158, fordert in diesem Zusammenhang, echte Sprachwandelstudien zu aktuellen Beispielen staatlicher Sprachplanung (meist mit dem Ziel, moderne Schriftsprachen zu entwickeln) durchzuführen, da es bisher nur Darstellungen des Sprachplanungsprozesses selbst gebe. In der Realitüt komme es aber zu zahlreichen Überlagerungen von „natürlichem“ und „intentionalem” sprachlichen Wandel bzw. zu zahlreichen nicht intendierten Entwicklungen und Gegenbewegungen. Eher skeptisch beurteilt auch Glunk 1966ff. den Erfolg der NS-Sprachlenkung.
Vgl. Keller 1990, S. 100–102.
Fleischer 1989, S. 94; vgl. zu diesem Komplex außerdem Clyne 1984, S. 157. Nuklear ist typisch für Texte, die im weitesten Sinne auf anglo-amerikanischen Sprachäußerungen beruhen. So wird im Bericht eines USA-Korrespondenten konsequent nur Nuklear verwendet (WELT 10.7.86, S. 20).
Die vordere Linie gibt den Prozentsatz aller Fälle an, in denen Kernenergie-und seine Synonyme mit friedlich kombiniert waren, die hintere Linie den Anteil der Formel friedliche Nutzung der Kernenergie an der Menge aller synonymer Formeln. (Genaueres bei Tabelle 10, S. 245).
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Jung, M. (1994). Öffentlicher Sprachwandel. In: Öffentlichkeit und Sprachwandel. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10933-4_12
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