Zusammenfassung
Das Zusammenwirken, besser das Ineinandergreifen von Industriekapitalismus und Geschlechterverhältnis ist in den europäischen Industriegesellschaften — und hier vor allem auch in Deutschland — durch das spezifische Prinzip des Sozialpolitischen und seiner institutionellen Form, dem Sozialstaat, strukturiert und entsprechend transformiert. Im Sozial- und Geschlechterkompromiss des Sozialstaats vermittelt sich der Druck der industriekapitalistischen Ökonomie auf die Durchsetzung einer geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung genauso wie die sozialen und kulturellen Praktiken aus den Lebenswelten von Frauen und Männern, die auf eine Egalisierung der Geschlechterverhältnisse zustreben. Aus dieser strategischen Konstellation heraus hat der Sozialstaat in Deutschland vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine eigene Gestaltungsperspektive entwickelt, ist zu jenem he-gemonialen Projekt geworden, in dessen Kontext sich Männlichkeit und Weiblichkeit im Industriekapitalismus neu verorten und aufeinander beziehen konnten. In dieser zivilgesellschaftlich wirksamen Hegemonialkultur des Sozialpolitischen konnten sich weibliche Emanzipation und männliches Entgegenkommen entfalten und — in der Logik von sozialstaatlicher Interessenbefriedung und daraus resultierender Artikulation neuer Interessen — weiterentwickeln. Bei all dem ist jedoch nicht außer Acht zu lassen, dass der Sozialstaat genauso Regulationsform des modernen Industriekapitalismus ist wie er die soziale Integration der Gesellschaft — eben über den Geschlechterkompromiss — fördert.
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Literatur
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Böhnisch, L. (2004). Der „männliche“ Sozialstaat. In: Hering, S., Urban, U. (eds) „Liebe allein genügt nicht“. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10670-8_12
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