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Modernisierung als Prozeß der Enträumlichung

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Grenzen der Enträumlichung

Part of the book series: Forschung Soziologie ((FS,volume 127))

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Zusammenfassung

Eine soziologische Ausarbeitung über die Rolle des Raumes für Vergesellschaftungsprozesse führt zu Simmels Aufsatz „Der Raum und die räumlichen Ordnungen der Gesellschaft“ (1908). Simmel fragt nach der „Bedeutung, die die Raumbedingungen einer Vergesellschaftung für ihre sonstige Bestimmtheit und Entwicklungen in soziologischer Hinsicht besitzen“ (Simmel 1908:222). In seiner historischen Entwicklungsgeschichte der Emanzipation vorn Raum richtet Simmel sein Interesse jedoch in erster Linie auf die Art und Weise der Anordnung der Dinge und Personen im Raum, denn nach Simmel sind der Wechselwirkungs- und Gegenseitigkeitscharakter sozialer Beziehungen sowie die Formen, in denen soziale Wechselwirkungen stattfinden, Gegenstand der Soziologie. Als „conditio sine qua non“ (Simmel 1903:221) wird der Raum den Sozialverhältnisssen untergeordnet. Zwar gibt der Raum dem Sozialen eine Form, „aber die Inhalte dieser Formen erfahren doch nur durch andere Inhalte die Besonderheit ihrer Schicksale, der Raum bleibt immer die an sich wirkungslose Form“ (ebd.). Der Raum erhält danach eine Funktion innerhalb des Vergesellschaftungsprozesses in der Form, daß sich gesellschaftliche Entwicklungsstufen in bestimmten räumlichen Aggregatzuständen äußern, die ihrerseits den erreichten sozialen Wandel festschreiben. Simmel betont, daß dem Raum als formale Bedingung, nicht aber als Ursache von Vergesellschaftungsprozessen Bedeutung zukommt. So dient die Beschäftigung mit dem Raum dem Ziel, die sozialen Wirkfaktoren aufzudecken. Der Raum selbst verhält sich gegenüber dem Sozialen indifferent, d.h. nur ein von sozialen Wechselbeziehungen „erfüllter“ Raum ist als sozialer Raum zu verstehen. Handelt es sich um ein bloßes Nebeinander von Personen, spricht Simmel von einem „unerfüllten“ Raum. Jede soziale Wechselwirkung kann demzufolge als „Raumerfüllung“ (Simmel 1908:689) verstanden werden.

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Literatur

  1. Dieses Prinzip der Ausschließung korrespondiert mit Luhmanns Bemerkung, daß der Raum als Grundmodell für die Entwicklung der Logik zu fungieren scheint. Danach lernt man am Raum Logik (vgl. Luhmann 1984: 525 ).

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  2. In diesem Zusammenhang sind auch Simmels Arbeiten über die Stadt und deren Geistesleben zu verstehen. Gerade in der Stadt konzentriert sich der Geldverkehr und provoziert zunehmende Individualisierung und Anonymität. Als Sitz der Geldwirtschaft verkörpert die Stadt emblematisch gesellschaftliche Modernisierung.

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  3. Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang auch die sogenannten „Traumpfade“ bzw. „Songlines“, die als Wegenetz der australischen Ureinwohner bekannt wurden. Danach orientierten sich die Aborigines an signifikanten Orten, Gebirgen, Baumgruppen, Wegkreuzungen und anderen Fixpunkten, die für das westliche moderne Auge keinerlei besonderen Merkmale aufweisen. Die Aborigines schreiben jedem dieser Orte bestimmte mythische Bedeutungen zu, die die Träume der Ahnen widerspiegeln. Das Wissen um diese Träume wird in Gesängen tradiert, wobei die Gesänge in ihrer Strophenabfolge an realen Wanderungen durch die Landschaft orientiert sind (vgl. Bruce 1992).

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  4. Derartige raumzentrierte Deutungen von Kulturen und Gesellschaften bilde(te)n u.a. den Nährboden für völkische Blut-und Bodenideologien.

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  5. Analog dazu symbolisiert die Uhr die Ausbildung einer abstrakten Weltzeit. Ebenso wie alle Uhren gleich gehen, sind alle Meter gleich lang.

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  6. Dieser Prozeß der Standardisierung korrespondiert mit der Ausbildung der Weltzeit und der Erfindung der mechanischen Uhr beobachten: „The global map, in which there is no privileging of place (a universal projection), is the correlate symbol to the clock in the ‘emptying’ of space. It is not just a mode of portraying ’what has always been there.

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  7. In flächenräumlicher Hinsicht kann die Aufklärung als eine vertikale Stauchung und horizontale Dehnung der Welt gelesen werden.

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  8. Der Raum wird so der Zeit untergeordnet bzw. temporalisiert, indem räumliche Differenzen durch Unterscheidungen in der Zeit ausgedrückt werden. Im linearen Zeitverständnis wird die Zeit als kontinuierlich und irreversibel fortschreitende Bewegung begriffen und mit den Metaphern des Bandes, der Kette oder des Flusses beschrieben. In diesem Verständnis dient der Raum als Interpretationsfolie, auf der vorher/nachher unterschieden, Veränderungen abgelesen werden können.

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  9. Auf die besondere Rolle der Technik bzw. des Technisierungsprozesses für die Herauslösung und Überwindung räumlicher Beschränkungen wird in einem gesonderten Kapitel Bezug genommen. Giddens selbst nimmt keinen expliziten Bezug auf Technik.

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  10. So verlassen wir uns beispielsweise auf verschiedene Expertensysteme sobald wir uns in unser Auto setzen, denn „von der technischen Seite des Straßenbaus, der Wartung der Straßendecke oder den zur Verkehrsüberwachung eingesetzten Computern habe ich kaum eine Ahnung“ (Giddens 1995:42).

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  11. Als konstitutives Merkmal der Moderne drückt sich die Reflexivität darin aus, daß sich Begriffe und Wissensansprüche in den Alltag „hinein-und wieder hinausschrauben“, wobei sich im Verlauf dieses Prozesses der Ein-und wieder Ausspeisung sowohl das Wissen selbst als auch der Alltag umgestaltet (vgl. Giddens 1995:26).

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  12. Auf den Aspekt der Temporalisierung von Raum komme ich weiter unten noch zurück.

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  13. Großklaus periodisiert die sich wandelnde räumliche Wahrnehmung anhand technologischer Entwicklungen: Erstens die panoramatische Wahrnehmung; zweitens die daguerreotypische Wahrnehmung; drittens die kinematographische Wahrnehmung; viertens die televisionale und fünftens die computerielle Wahrnehmung (vgl. Großklaus 1995 ).

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  14. Die ersten Panoramen traten in England (1794) und in Frankreich (1799) auf. Von dort verbreiteten sie sich als erste visuelle ‘Massenmedien’ in die europäischen Metropolen.

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  15. So entstanden in den 60er Jahren die großen Schalterhallen zur „Abfertigung“ der Passagiere.

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  16. In diesem Zusammenhang geht es gleichermaßen um geographische und soziale Mobilität.

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  17. Um die enge Verflochtenheit zwischen der Einführung des Autos und modernen Orientierungsmustern zu verdeutlichen, spricht Burkart von einem „Automobilismus“ (1994:220).

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  18. Es mutet schon erstaunlich an, daß das Automobil zwar wie kaum eine andere technische Erfindung die Gesellschaft geprägt hat, jedoch kaum soziologische Untersuchungen darüber existieren. Die reichhaltige und verzweigte Literatur über das Auto entspringt vielmehr den Bereichen der Verkehrs-und Stadtplanung, der Ökologie, Verkehrspsychologie und der Ökonomie. Burkart vermutet gar, daß es wahrscheinlich mehr Bücher über Henry Ford gibt als soziologische Arbeiten über das Automobil (vgl. Burkart 1994 ).

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  19. Im Zuge gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse nehmen entfernungsintensive Lebensstile zu, wobei das damit verbundene Mehr an Autofahrten keineswegs automatisch auf eine entsprechend gewachsene Attraktivität des Autos schließen läßt, sondern zunehmend notwendig wird: „Mehr Autofahrten sagen daher eher etwas über den Grad des entfernungsintensiven Lebensstils aus und bedeuten statt mehr Lebensqualität lediglich einen höheren Zwangsverkehr“ (Projektgruppe Mobilität 1999:11).

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  20. Die bei Schulze (1994) im Vordergrund stehende Frage der Milieubildung wird hier vernachlässigt zugunsten einer stärkeren Hinwendung zu den sich ausdifferenzierenden Raumkonstruktionen. Es geht um das Zusammenspiel sozialer Aggregate und sich wandelnden Raumbezügen.

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  21. Das Verhältnis zwischen Habitus und Feld kennzeichnet sich durch eine wechselseitige Ermöglichung, d.h. soziale Felder bilden sich nicht ohne Habitus aus, und gleichzeitig ist der Habitus selbst das Produkt der Relation mit den jeweiligen sozialen Feldern. Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang von einer „ontologischen Komplizenschaft“. Eine ausformulierte Feldtheorie liegt nicht vor (vgl. Bohn 1991 ).

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  22. Bourdieu unterscheidet das ökonomische Kapital, kulturelle und soziale Kapital bei der Ausbildung eines Habitus (vgl. Bourdieu 1983).

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  23. Bourdieu wechselt zwischen den Begriffen Feld und Raum. So wird an einer Stelle das soziale Feld „als mehrdimensionaler Raum von Positionen“ (1985:11) beschrieben und andererseits der soziale Raum als das Nebeneinander unterschiedlicher Felder.

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  24. Wie Bourdieus Konzept des sozialen Raumes in das Theoriegebäude sozialer Ungleichheitsforschung und Lebensstilisierungen in Großstädten eingebaut werden kann, wird bei Dangschat deutlich (Dangschat 1994). Dangschats These ist, daß bei der Aneignung von Raum einerseits sozialer Sinn, andererseits Ungleichheit produziert wird (ebd.:349). In seiner Debatte um Gentrification wird gezeigt, inwiefern der städtische Raum als Ort für Lebensstilinszenierungen fungiert. Danach spielen innenstadtnahe Wohnstandorte eine entscheidende Bedeutung in der Auseinandersetzung der Lebensstile. Es kommt zu einem Verdrängungswettbewerb, wonach Einkommensstärkere — die Gentrifier — in Wohngebiete niedrigerer sozialer Lagen einwandern, Verdrängungsprozesse einleiten zugunsten einer für sie lebensstilgemäßen Festschreibung des Raumes. Vgl. hierzu auch die empirsche Studie von zum Felde (1993), in der die Konflikte zwischen Alteingesessenen und Hinzugezogenen im Rahmen einer raumbezogenen Lebensstiltypologie analysiert wurden.

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  25. So verschaffen exklusive Räume zusätzliches symbolisches Kapital mittels des „Klub-Effektes“. Das Gegenteil hiervon ist der „Ghetto-Effekt“, durch den die Bewohner symbolisch degradiert werden im Sinne sozialer und räumlicher Stigmatisierung.

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  26. Als paradigmatisch können hier jene Fälle bezeichnet werden, in denen Einwanderer bestimmte „Plätze“ zugewiesen bekommen, ohne jedoch über das kulturelle Kapital zu verfügen, daß die soziale Aneignung des Raumes — und damit die Eintrittskarte — ermöglicht. Die Folge hiervon sind Erfahrungen des „Ausgestoßenseins“ und des „Deplaziert-seins“.

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  27. Während die Vertikalbewegung keine Veränderung der sozialen Lage impliziert, geht die Verlagerung des Übergangs in ein anderes Feld auch mit der Umstellung in der Anordnung der Kapitalsorten und damit der sozialen Lage einher, etwa der Wechsel von Grundbesitz auf Industriekapital oder von „schöngeistiger“ auf ökonomische Bildung (Bourdieu 1989:220).

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Ahrens, D. (2001). Modernisierung als Prozeß der Enträumlichung. In: Grenzen der Enträumlichung. Forschung Soziologie, vol 127. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10194-9_2

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-10194-9_2

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-8100-3080-1

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