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Die Konstruktion von Minderheiten als gesellschaftliches Bedrohungspotential

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Fundamentalismusverdacht

Part of the book series: Interkulturelle Studien ((IKS,volume 4))

Zusammenfassung

Ethnische Minderheiten werden von der sozialwissenschaftlichen Literatur durchgehend wohlwollend behandelt: Man beschreibt und beklagt ihre Diskriminierung und untersucht die Möglichkeiten, wie diese überwunden werden könnte (vgl. Francis 1965; Veiter 1966; Ders. 1977; Kloss 1969; Heckmann 1992). Dabei werden in der Regel unausgesprochen zwei Prämissen vorausgesetzt. Erstens wird angenommen, daß sich die Diskriminierung irgendwie aus den Merkmalen ergibt, durch die Minderheiten von der Mehrheit abweichen. Zweitens wird unterstellt, daß diese Kausalität nicht unabänderlich ist, die Diskriminierung also ausgeräumt werden könnte, ohne daß die Minderheiten ihre abweichenden Merkmale aufgeben müßten.

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Literatur

  1. Man könnte die nachfolgenden Ausführungen auch als Versuch lesen, das Phänomen des Rassismus zu erklären. Gleichwohl wird hier auf diesen Terminus verzichtet, weil er in der Literatur häufig eher dazu dient, Sachverhalte dadurch zu kritisieren, daß sie als “rassistisch” bezeichnet werden, als daß sie einer gründlichen Analyse unterzogen werden.

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  2. Die seit Anfang der achtziger Jahre in der BRD zu beobachtende Ethnisierung bedeutet daher nicht, daß die Zuwanderer vorher keine italienische, türkische, jugoslawische etc. Ethnizität gehabt hätten, sondern daß das Ethnische zu einer ausschlaggebenden Bedeutung aufgerückt ist (vgl. Hoffmann/Even 1987), die darauf hinausläuft, “die Struktur der Gesellschaft unter ethnischen Gesichtspunkten zu reorganisieren ” (Bukow 1996, S. 142 ).

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  3. Voegelin sieht darin ein Motiv des Antisemitismus. Dessen “Bemühungen werden nicht vom Willen zum Verständnis des Judentums getragen, sondern vom Willen zur Ausarbeitung der eigenen Gemeinschafts-und Persönlichkeitsidee” (Voegelin 1933, S. 207; vgl. auch L. Hoffmann 1997 ).

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  4. Daher kann eine we it ausholende historische Perspektive nicht mehr trennen zwischen Mehrheiten, die nur Subjekt, und Minderheiten, die nur Objekt der Unterscheidung sind. Die nachfolgend zu treffenden Aussagen haben in der Vergangenheit auch für heutige Mehrheiten gegolten, so wie sie in Zukunft auch für heutige Minderheiten gelten können. Allenfalls im Nationalismus der Französischen Revolution kann man so etwas wie einen “Urknall” dieser dynamischen Entwicklung erkennen.

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  5. Zur Bedeutung kollektiver Identitäten tar Angehörige moderner Gesellschaften vgl. L. Hoffmann 1991, S. 197–199; Richter 1996, S. 143–147.

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  6. Deswegen beschränkt Bluntschli - wie fast alle Vertreter des Nationalitätsprinzips — dessen Geltung retrospektiv auf diejenigen Nationen, auf die sich bereits bestehende Staaten berufen: “Nicht jede Nation ist fähig, einen Staat zu erzeugen und zu behaupten (…). Die unfähigen bedürfen der Leitung durch andere, begabtere Völker” (Bluntschli 1886, S. 111). Und Friedrich Engels spricht mit ähnlicher Intention von “geschichtslosen Völkern” (zit. bei Richter 1996, S. 27).

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  7. Es wirft kein gutes Licht auf das akademische Staatsrecht in der BRD, daß es die vernichtende und vielleicht bis heute gründlichste Kritik an diesem völkischen Mythos, die aus der Feder des Sozialisten und Emigranten Hermann Heller stammt (Heller 1934, S. 258–267, vgl. auch Ziegler 1931, S. 31–33), praktisch nicht zur Kenntnis nimmt, aber keine Skrupel hat, in die Fußstapfen von Carl Schmitt zu treten.

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  8. Auch gegenüber der Diskriminierung der Arbeitsmigranten wird seit Jahrzehnten mit Recht, bezeichnenderweise aber erfolglos vorgerechnet, daß es nicht zutrifft, daß diese “den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen”.

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  9. Dirk Richter untermauert die Kritik an diesem Erklärungsansatz mit dem Hinweis auf “die dem Ethno-Nationalismus eigentümliche Emotionalität und Irrationalität” (Richter 1996, S. 63).

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  10. Anders Wilhelm Heitmeyer, der gesellschaftliche Integration letztlich aus Interaktionszusammenhangen ableitet. Wenn er die vorgebliche “Auflösung stabiler Zugehörigkeiten und Beziehungen” als “Desintegrationserscheinungen” interpretiert (Heitmeyer u.a. 1997, S. 24 f.), so ist das nichts anderes als ein melancholischer Rückblick auf den längst stattgefundenen Übergang von der vormodemen zur modernen Gesellschaftsform, ohne aber deren spezifischen Integrationsmodus überhaupt in den Blick zu bekommen.

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  11. Die Literatur unterscheidet zwei vormoderne Gesellschaftsformen, nämlich die segmentare und die stratifizierte Gesellschaft (vgl. L. Hoffmann 19966, S. 158 ff.; ausführlich und mit Literaturübersicht Richter 1996, S. 152–249). Da es hier aber nur um die Verdeutlichung der Kontingenz moderner Gesellschaften geht, wird deren Form wie bei Durkheim und Parsons vereinfachend im Kontrast zur Form segmentärer Gesellschaften beschrieben. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser “Großen Dichotomie”, wie sie insbesondere in den Modernisierungstheorien üblich ist, findet sich bei Hans-Ulrich Wehler (Wehler 1975 ).

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  12. Dieses Verständnis von Nation ist auch der deutschen Staatsgeschichte nicht unbekannt. Auf eindrucksvolle Weise wurde es 1848 in der Paulskirche von dem Berliner Abgeordneten Jordan zum Ausdruck gebracht: “Jeder ist ein Deutscher, der auf dem deutschen Gebiete wohnt… Die Nationalität ist nicht mehr begrenzt durch die Abstammung und die Sprache, sondern ganz einfach bestimmt durch den politischen Organismus, den Staat” (Wiegard 1848, S. 737). Auch die Weimarer Reichsverfassung gibt ihm Raum, wenn sie in Art. 113 “die fremdsprachigen Volksteile des Reichs” in Schutz nimmt (ZÖphel 1920, S. 127 ).

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  13. Seither ist es üblich geworden, zwischen einem unpolitischen Begriff `Volk’ und einem politischen Begriff ‘Nation’ zu unterscheiden, wobei die ‘Nation’ entstehen soll, wenn beim ’Volk’ der Wille zur eigenen Staatlichkeit ’erwacht’. Auch die wissenschaftliche Befassung ist bis heute fast durchgehend dieser geneanologischen Begrifflichkeit verhaftet (so auch noch Richter 1996, S. 99 f.), obwohl der Zusammenhang aus konstruktivistischer Perspektive nur umgekehrt gelesen werden kann: Primär ist der Wille, eine eigenständige Nation zu sein. Erst daraus ergibt sich die Notwendigkeit, für diese ein ethnisches Fundament zu “erfinden”.

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  14. Dieser Umstand wird deutlich herausgehoben in der sog. Freund-Feind-Theorie von Carl Schmitt. Im Unterschied zum vorliegenden Text erfaßt Schmitt den Sachverhalt jedoch nicht deskriptiv, sondern normativ als unabdingbare Voraussetzung des Politischen: “Hat es (d.h. das Volk, L.H.) nicht mehr die Fähigkeit oder den Willen zu dieser Unterscheidung (d.h. von Freund und Feind, L.H.), so hört es auf, politisch zu existieren” (Carl Schmitt 1932, S. 50 ).

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  15. Die Rolle, die dieser Zusammenhang im 19. Jahrhundert bei der Entstehung des Antisemitismus in Deutschland gespielt hat, untersucht C. Hoffmann 1990.

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  16. Aus psychoanalytischer Sicht wird der Zusammenhang zwischen Zivilisierung von Gesellschaft und Produktion von Fremdheit untersucht bei Waldhoff 1995.

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  17. An diesen Punkt hat auch das ansonsten sehr lesenswerte Buch von Dirk Richter (1996) seine Schwäche. Feindsemantiken und Bedrohungsgefühle sind nämlich für ihn nur eine akzidentelle Zuspitzung der nationalen Unterscheidung von Innenseite und Außenseite, die sich in Krisensituationen vollzieht (S. 136–141). Der dort nicht gänzlich zuende gedachte Konstruktivismus kommt z.B. auch in der Meinung zum Ausdruck, es gäbe zunächst einen “vertrauten Lebensstil”, dann die irritierende Beobachtung eines unvertrauten Lebensstil und schließlich deren Bearbeitung durch eine nationale Semantik, “die das Vertraute vom Fremden unterscheidet und zugleich benennt” (S. 114 f.). Konsequenter ist es m.E, in der nationalen Semantik die Bedingung zu sehen, damit überhaupt ein “vertrauter Lebensstil” definiert und erfahren werden kann (so Nassehi 1997, S. 191 ).

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  18. Weitere Belege aus der deutschen Geschichte bei L. Hoffmann 1994, S 103–105, 139–145.

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  19. Eine Ausnahme bildet Kloss ( 1969, S. 65), der solche Definitionen als “im Ansatz verfehlt” bezeichnet. Für einen konsequenten Vertreter des Minderheitenrechts ist das nicht unlogisch, weil der hier eingangs angesprochene Widerspruch vermieden werden kann, wenn Diskriminierung kein essentielles Merkmal, sondern nur eine eher willkürliche Begleiterscheinung von Minderheiten ist.

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  20. So beobachtet z.B. Waldhoff ( 1995, S. 204–211) bei der deutschen Bevölkerung angesichts der türkischen Einwanderung einen aufïâlligen Widerspruch zwischen der eigenen gesellschaftlichen Überlegenheit und dem “Gefühl der kollektiven Bedrohung”. 1m Gegensatz zum hier vertretenen Erklärungsansatz wird dieser von ihm aber auf kulturelle Faktoren zurückgeführt und als Reaktion der stärker zivilisierten deutschen Gesellschaft auf Menschen aus der weniger entwickelten Türkei gedeutet.

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  21. So z.B. Carl Schmitt über die Juden: “Der Jude hat zu unserer geistigen Arbeit eineparasitäre, eine taktische und eine händlerische Beziehung. Durch seine händlerische Begabung hat er oft einen scharfen Sinn für das Echte; mit großer Findigkeit und schneller Witterung weiß er das Echte zu treffen. Das ist sein Instinkt als Parasit und als Handler. (…) Die große Anpassungsfähigkeit des Juden ist eben durch seine mehrtausendjährige Geschichte auf Grund bestimmter Rassenanlagen ins Ungeheure gesteigert und die Virtualität der Mimikry durch lange Übung noch geftirdert (Schmitt 1936, Sp. 1197 f.; vgl. auch Forsthoff 1933, S. 38 ).

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  22. Die fortschreitende “Desintegration”, “Auflösung”, “Paralysierung” der Gesellschaft ist nicht zufällig ein grundlegender Tenor aller Publikationen von Wilhelm Heitmeyer (vgl. Heitmeyer 1982; Heitmeyer 1983).

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  23. Dem Gegensatz dieser beiden Perspektiven entsprechen zwei idealtypische Begriffe von Nation, nämlich ein völkisches, rückwärtsgewandtes und ein republikanisches, zukunftsorientiertes Nationverständnis (Kohn 1950, S. 771 f.; Habermas 1990, S. 636–643 ).

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  24. Hier im Sinne Kants und nicht (wie Richter 1996, S. 120) als naive Überwindung von Vorurteilen verstanden.

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Wolf-Dietrich Bukow Markus Ottersbach

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Hoffmann, L. (1999). Die Konstruktion von Minderheiten als gesellschaftliches Bedrohungspotential. In: Bukow, WD., Ottersbach, M. (eds) Fundamentalismusverdacht. Interkulturelle Studien, vol 4. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10116-1_4

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