Zusammenfassung
Emile Durkheim wird meistens als konservativer Soziologe gehandelt, zumal er selbst über seine Methode bemerkt, sie sei „konservativ“. Konservativ meint in diesem Fall: er ist ein Soziologe der Moderne und seine Theorie richtet sich gegen soziale Veränderungen. Die Revolution, wie sie fast zeitgleich Marx vorschwebte, lehnte er ab. Statt dessen spricht er sich für den Bestand von Institutionen durch Regeln und Normen aus. Sie sollen durch Sozialisation vermittelt und lebenslang vertieft werden, denn sie sind stärker als individuelles Verlangen nach Veränderung, nach Unkontrolliertheit. Dieses Subjekt, das er damit anspricht, beschäftigt ihn sein ganzes wissenschaftliches Leben lang. Es läßt ihm keine Ruhe.
Durkheim ist als Sohn und Enkel von Rabbinern im Jahre 1858 in Epinas/Vogesen geboren, er starb 1917 in Paris, wo er seit 1902 eine Professur für Pädagogik und Soziologie an der Sorbonne innehatte. Das war die erste Professur für Soziologie.
Als Kind bereits mußte er den Talmud studieren und in der Schule beste Noten aufweisen, um Stipendien für weitergehende Schulen zu erhalten, die seine Eltern nicht bezahlen konnten. Er besuchte u.a. eine Schule, die von Nonnen geleitet wurde, was wohl sein Frauenbild mitgeprägt haben mag. Schließlich bestand er als schlechtester Schüler die Aufnahme in Frankreichs Elite-Schule „Ecole Normale Superieure“. Damit war seine Karriere gesichert. Er traf hier mit bedeutenden Intellektuellen zusammen wie Jean Jaures, dem späteren Sozialistenführer, Henri Bergson, Levy-Bruhl u.a. mehr.
Was hat ihn außerdem beeinflußt, was hat er gelesen? Er setzt sich mit den frühen Soziologen wie Saint-Simon und Comte auseinander, mit Adam Smith, Spencer, Hegel, Spengler, Tönnies, Max Weber, Freud, mit Renouvier, seinem Lehrer, den er ehrfurchtsvoll als „Meister“ ansprach. Renouvier war Aristoteliker und behauptete: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, eine Ansicht, die für Durkheim bedeutsam werden sollte. Er studierte zudem Boutroux, der ein Werk über „Die Kontingenz der Naturgesetze“ vorgelegt hatte. Bei einem Studienaufenthalt in Leipzig soll er die Schriften von Karl Marx gelesen haben.
Seine Vorbilder und Lehrer waren durchaus kritische Denker, er selbst verstand sich als „kritischer Rationalist“, obwohl ich aufzeigen will, daß seine Theorie gleichwohl mystisches, metaphysisches und mythisches Denken durchscheinen läßt. Er wollte den Naturbegriff von Descartes überwinden und über die induktive Methode Bacons hinausgehen. Seine Gesellschaftsanalyse richtet sich zwar gegen den Mythos, er schafft indessen selbst einen Mythos Gesellschaft. Seine Vorbilder waren, wie schon erwähnt, Wissenschaftler, Männer. Gesellschaftstheorien von Frauen nimmt er, ganz zeitgemäß, nicht zur Kenntnis. Zu nennen sind u.a. für Frankreich: Christine de Pizan, Olympe de Gouges oder Madame de Staël.
1887 hält er seine erste Vorlesung in Bordeaux, mit der er zum Begründer der Soziologie avanciert. Soziologie konstituiert er durch Abgrenzung von der Ökonomie, der Psychologie, Philosophie und dem Recht.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Bourdieu, Pierre: Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a.M. 1974
Breuer, Stefan: Die Gesellschaft des Verschwindens. Von der Selbstauflösung der technischen Zivilisation, Hamburg 1992
Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a.M. 1991
Cramer, Friedrich: Das Chaos der Künste und die Ordnung der Zeit, Frankfurt a.M. 1993
Douglas, Mary: Wie Institutionen denken, Frankfurt a.M. 1991
Fleck, Ludwik: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, Frankfurt a.M. 1980 Foucault, Michel: Von der Subversion des Wissens, München 1974
Hofmann, Inge: Bürgerliches Denken. Zur Soziologie Emilie Durkheims, Frankfurt a.M. 1973
Horkheimer, Max/Adorno Theodor W.: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a.M. 1973
Leclerc, Gerard: Anthropologie und Kolonialismus, Frankfurt a.M. 1976
Lyotard, Jean François: Das postmoderne Wissen, Graz/Wien 1986
Simmel, Georg: Das Individuum und die Freiheit, Berlin 1984
Die Hauptwerke Emile Durkheims
Über die Teilung der sozialen Arbeit (1893), Frankfurt a.M. 1977
Die Regeln der soziologischen Methode (1895) (Hg.: René König), Neuwied und Berlin 1970“
Der Selbstmord (1897), Neuwied und Berlin 1973
Die elementaren Formen religiösen Lebens (1912), Frankfurt a.M. 1984
Soziologie und Philosophie (1924), Frankfurt a.M. 1967
Frühe Schriften zur Begründung der Sozialwissenschaften (Hg.: Lore Heisterberg), Darmstadt und Neuwied 1981
Schriften zur Soziologie der Erkenntnis, (Hg. Hans Joas ), Frankfurt a.M. 1987
Wichtige Sekundärliteratur zu Emile Durkheim
Adorno, Theodor W.: Einleitung, in: Durkheim, Soziologie und Philosophie, Frankfurt a.M. 1967, S. 7–45
Dörner, Klaus: Einleitung, in: Durkheim: Der Selbstmord, Neuwied und Berlin 1973, S. IX-XVII
Heisterberg, Lore: Einleitung: Durkheims Weg zu einer echten Wissenschaft von der Gesellschaft, in: Durkheim: Frühe Schriften zur Begründung der Sozialwissenschaft, Darmstadt und Neuwied 1981, S. 11–25
Hofmann, Inge: Bürgerliches Denken. Zur Soziologie Emilie Durkheims, Frankfurt a.M. 1973
Joas, Hans: Durkheim und der Pragmatismus. Bewußtseinspsychologie und die soziale Konstitution der Kategorien, in: Durkheim: Schriften zur Soziologie der Erkenntnis, Frankfurt a.M. 1987, S. 257–289
König, René: Einleitung, in: Durkheim: Die Regeln der soziologischen Methode, Neuwied und Berlin 19703’, S. 21–83
Luhmann, Niklas: Arbeitsteilung und Moral. Durkheims Theorie. in: Durkheim, Über die Teilung der sozialen Arbeit. Frankfurt 1977, S. 17–39
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2002 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Modelmog, I. (2002). Regeln statt Revolution. In: Der soziologische Blick. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09629-0_6
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-09629-0_6
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-3281-2
Online ISBN: 978-3-663-09629-0
eBook Packages: Springer Book Archive