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Zivilgesellschaft im politischen Kontext

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Der Diskurs der Zivilgesellschaft

Part of the book series: Bürgerschaftliches Engagement und Nonprofit-Sektor ((BENPS,volume 4))

  • 275 Accesses

Zusammenfassung

Für die Debatte über die Zivilgesellschaft, die die komplexen Bedeutungen des Begriffs der „bürgerlichen Gesellschaft“ aufnimmt und reinterpretiert, gilt die Einsicht der politischen Ideengeschichte in besonderem Maße, daß die Geschichte der politischen Theorien einen nicht abschließbaren Deutungs-prozeß darstellt, der überkommene Gedanken aufgreift und fortentwickelt. Die Diskussionen über die „Zivilgesellschaft“ oder die „Bürgergesellschaft“ im ausklingenden 20. Jahrhundert, in die die besonderen politischen, sozialen und kulturellen Zeitverhältnisse hineinspielen und in der sich die Bedeutung des Begriffes wandelt, erschließen sich im Rahmen einer zeitgenössischen Rezeptionsgeschichte des Begriffes der „bürgerlichen Gesellschaft“. Diesen komplexen Sachverhalt hat Helmut Dubiel pointiert zusammengefaßt: „Dieser aus dem Englischen ins Deutsche rückübersetzte Begriff griechisch-lateinischer Herkunft ist auch deshalb so verwirrend, weil es für das Phänomen, das er vordergründig bezeichnet, durchaus einen eingeführten deutschen Begriff gibt, nämlich den der »bürgerlichen Gesellschaft‘,, (Dubiel 1994a: 67).

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Referenzen

  1. Von daher rekonstruiert die ideengeschichtliche Analyse zwar die Verwendung dieses Begriffes als Interpretationsrahmen verschiedener sozialer Bewegungen, ohne aber kausalanalytische Erklärungsansprüche für Mobilisierungsprozesse damit zu verbinden, wie sie in diesem Zusammenhang für eine vergleichende Bewegungsforschung etwa von Herbert Kitschelt gefordert werden (Kitschelt 1999: 11f.). Anschlüsse ergeben sich hier zwar auch für einen Blick auf Funktionsformen der Zivilgesellschaft als strategischer Deutungsrahmen sozialer Bewegungen — deutlich etwa im Fall der ostmitteleuropäischen „antitotalitären“ Konzeptbildung -, aber der ideengeschichtliche Zugriff gilt dem Zusammenhang strategischer und normativer Reflexionen, aus denen sich zugleich Rückschlüsse auf Selbstverständnis und Werthorizonte sozialer Bewegungen ergeben, die auf die Interessenartikulation und die Ausbildung von Interpretationsrahmen — im Sinne der Projekthaftigkeit normativer Desiderate (Arato 1994a: 6) — einwirken.

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  2. Die begriffsgeschichtlichen Ursprünge von „Zivilisation“ knüpfen in der römischen Antike an das griechische Polis-Denken an. Das lateinische „civis“, von dem das Adjektiv „civilis“ abgeleitet wird (hierzu und zum folgenden Fisch 1992), bezeichnet die Lenkung des Gemeinwesens. Positiv besetzt geht das antike Begriffsverständnis vom Menschen als Gemeinschaftswesen in einem politischen Sinne aus. Auch im Mittelalter hält sich dieses Verständnis, sind die „bestialischen oder barbarischen Menschen ... immer schon von der civilitas ausgeschlossen“ (ebd.: 694), der der Humanismus noch die Bedeutungen der auf das städtische Leben begrenzten „Höflichkeit“ und des „guten Benehmens“ hinzufügt. Letztere sind dann später immer mehr in den Vordergrund getreten. Seit dem 18. Jahrhundert entfalten sich „Zivilisation“ und „Kultur“ als eng aufeinander bezogene Begriffe eines europäischen Selbstbewußtseins; es lassen sich jedoch bereits nationalsprachliche Differenzen feststellen: „Seit den 1760er Jahren ... erfährt ‚Kultur‘ in Deutschland eine umfassende Ausweitung und zugleich Popularisierung, während in Frankreich, Großbritannien und den USA die Neubildung ‚civilisation‘ die gleichen Funktionen übernimmt“ (ebd.: 705). Eine nationalistische Aufladung hat im 20. Jahrhundert in Deutschland — in den sogenannten „Ideen von 1914“ — zu einer Entgegensetzung einer auf das Äußerliche und Nützliche beschränkten Zivilisation und der auf die wahren geistigen Werte, das Innere und Moralische bezogenen Kultur geführt. Die beiden Begriffe wurden „zu Verkörperungen von Nationaleigenschaften“ (ebd.: 760), wobei sich Deutschland als das eigentliche Land der Kultur insbesondere von England und Frankreich mit ihrer bloßen Zivilisation abgrenzte. In prominenter, wenngleich begriffsgeschichtlich unzutreffender, Weise wurde etwa von Thomas Mann der Kultur als Inbegriff von „Geschlossenheit, Stil, Form, Haltung, Geschmack,... geistige Organisation der Welt“ die Zivilisation entgegengestellt, die mit Begriffen wie Politik, Demokratie, Vernunft und Aufklärung in Verbindung gebracht wurde (ebd.: 760). Prominent wurde in diesem Zusammenhang auch ein an Oswald Spengler angelehnter „organischer“ Kulturbegriff in Entgegensetzung zum „mechanischen“ Zivilisationsbegriff (ebd.: 762). Zwar nicht in direkter Auseinandersetzung mit diesen Thesen, aber durchaus als inhaltliche Kritik an diesem früheren antidemokratischen Begriffsverständnis, beinhaltet der Neologismus der Ziseilschaft eine explizit positive Deutung des Zivilisationsbegriffes, die zudem auch die politischen Bedeutungskomponenten in einem positiven Bezug zur Demokratie hervorhebt.

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  3. Auch Norbert Elias hat in seiner Analyse des Zivilisationsprozesses und der Rolle des Staates vor einer normativen Verwendung des Zivilisationsbegriffes gewarnt und auf dessen ideologische Verwendung als Ausdruck europäischer Superiorität hingewiesen (Elias 1976, Bd.l: 63f.). Für Elias ist der Prozeß der Zivilisation ein Prozeß der Individualisierung. An die Stelle einer außengeleiteten Kontrolle tritt der Vorrang von Selbstkontrolle und Selbststeuerung des Individuums, der durch ein hohes Maß an Affektkontrolle und Selbstregulierung gekennzeichnet ist. Scham- und Peinlichkeitsgefühle kontrollieren die „triebhaften Augenblicksimpulse“ (ebd., Bd. 2: 395) zugunsten einer „leidenschaftsfreieren Kooperation“ (ebd.: 336) der Individuen und ermöglichen die Durchsetzung und Verfestigung von Verhaltensstandards und Umgangsformen. Motoren des Zivilisationsprozesses sind für Elias zum einen die „Ausbildung von Monopolinstituten der körperlichen Gewalttat“ und die „wachsende Stabilität der gesellschaftlichen Zentralorgane“, zum anderen die zunehmende „Verflechtung der einzelnen menschlichen Pläne und Handlungen“ (ebd.: 314): „Gesellschaften mit stabileren Gewaltmonopolen, verkörpert zunächst stets durch einen größeren Fürsten- oder Königshof, sind Gesellschaften, in denen die Funktionsteilung mehr oder weniger weit gediehen ist, in denen die Handlungsketten, die den Einzelnen binden, länger und die funktionellen Abhängigkeiten des einen Menschen von anderen größer sind“ (ebd.: 321). Die auf die ritterlich-höfische Welt ausgeübte zivilisatorische Wirkung des höfischen Absolutismus mündet in der „civilisation“ des Nationalstaates.

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  4. Die von Dahrendorf favorisierte „Bürgergesellschaft“ hebt die Kontinuität von „Civil Society in der großen Tradition des politischen Denkens, als bürgerliche Gesellschaft, die »allgemein das Recht verwaltende bürgerliche Gesellschaft‘ im Sinne von Kant“ hervor (Dahrendorf 1992: 76f.). Diese Terminologie leistet die sprachliche Abgrenzung zur „bürgerlichen Gesellschaft“ nicht im gleichen Maße wie „Zivilgesellschaft“ und findet daher in politischen Kontexten der deutschen Debatte auch weniger Resonanz (dagegen aber: van den Brink 1995: 24). Hier stößt der Begriff der Zivilgesellschaft auch bei den Beteiligten auf Vorbehalte, die sich von den politischen Implikationen des neueren Begriffsgebrauches abzugrenzen bemüht sind.

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  5. Es wäre jedoch unzutreffend, diese Sicht auf alle Teilnehmer der neueren Konzeptdebatte auszudehnen. Hier finden sich ebenso zahlreiche Autoren, die an der Fortentwicklung des politischen Liberalismus arbeiten und an den Bedeutungsgehalt der „bürgerlichen Gesellschaft“ anknüpfen (Hall 1995b).

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  6. Arpad Sölter hat in seiner Auseinandersetzung mit der Zivilgesellschaft als westlichem demokratietheoretischen Konzept der Auffassung Nachdruck verliehen, daß sich hier die neuere Zivilgesellschaftsdebatte (Habermas, Frankenberg, Rödel, Dubiel) bei nüchterner Betrachtung und einer unverkürzten Rezeption des liberalen Traditionshorizontes des Konzepts der „offenen Gesellschaft“ — insbesondere bei Popper, aber auch bei Bell, Dahrendorf, Shils, Vollrath — nichts Neues bringe (Sölter 1993). Gegen die Liberalismuskritik der neueren Zivilgesellschaftsdiskussion, „derzufolge die repräsentative Demokratie als nur zweitklassiges Substitut im Vergleich zu einer wahren (identitären) Demokratie betrachtet wird“ (ebd.: 167), erinnert Sölter an den unverkürzten Gehalt liberaler Demokratie, in dem Öffentlichkeit, gewaltloser Kon-fliktaustrag und die Achtung von Persönlichkeitsrechten immer schon normativ im Zentrum standen. Die von Sölter beobachtete, wenngleich durchaus polemisch zugespitzte Liberalismuskritik der neueren Zivilgesellschaftsdebatte gibt jedoch auch einen Hinweis auf die nicht nur in den liberalen Demokratien mit der Zivilgesellschaft verbundene normative Spannung zwischen republikanischer und liberaler Demokratietheorie. Auch in den ostmitteleuropäischen Diskussionen läßt sich diese Spannung erkennen und die differierenden normativen Horizonte der Demokratietheorie sind Gegenstand der unterschiedlichen Deutungen der Umbrüche von 1989 aus westlicher Sicht. Eine von normativen Theorien und einer begrifflichen Scharnierfunktion der Zivilgesellschaft zu unterscheidende Frage ist die der Anschlußfähigkeit der auf den Begriff bezogenen theoretischen Konzepte an die sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Kritiker haben sich hier skeptisch gezeigt. Die Vorbehalte reichen von einer Neuauflage eines unterkomplexen alteuropäischen Denkens angesichts der Realitäten funktional differenzierter Gesellschaften (Luhmann 1996) über einen schlichten Ideologieverdacht (von Beyme 1994) bis hin zu der Meinung, bestehende Konzepte etwa des Konstitutionalismus, von Bürgerschaft oder Demokratie würden durch das Konzept der Zivilgesellschaft bloß in einer ihre analytische Tauglichkeit eher beschädigenden Weise amalgamiert: „Nothing but confusion can follow, though, from the attempt to bundle all these uses together into some supposedly neutral social-scientific category for everyday sociological analysis“ (Kumar 1993). Diffusität und gesellschaftstheoretische Unterkomplexität sind Einwände gegen die analytische Anschluß-fähigkeit von Konzeptionen der Zivilgesellschaft. Die rezeptionsgeschichtliche Analyse des Begriffs bietet zumindest schon erste Anhaltspunkte, um zu prüfen, ob diese Einwände zutreffen.

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  7. „Und jeder, der sich ernsthaft mit diesem Thema beschäftigte, wußte, daß viele der politischen Entscheidungen, die Anfang des 21. Jahrhunderts getroffen werden müß-ten, höchst unpopulär sein müßten ... Sofern das allgemeine Wahlrecht die Regel bleiben würde — was zu erwarten war -, schienen sich zwei Optionen abzuzeichnen. Wo EntScheidungsprozesse nicht bereits jetzt schon außerhalb der Politik stattfanden, könnten sie den Wahlprozeß — oder besser gesagt: die ständige Überwachung der Regierung, die untrennbar mit ihm verbunden ist — zukünftig immer weiträumiger umgehen ... Die andere Option war ... die plebiszitäre Demokratie ... Allerdings bot es (ein solches Regime, A.K.) keine ermutigenden Aussichten für die Zukunft der parlamentarischen Demokratie liberaler Ausprägung“ (Hobsbawm 1995: 718).

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Klein, A. (2001). Zivilgesellschaft im politischen Kontext. In: Der Diskurs der Zivilgesellschaft. Bürgerschaftliches Engagement und Nonprofit-Sektor, vol 4. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09597-2_1

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-09597-2_1

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-8100-2881-5

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