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Die Entdeckung der Bevölkerung durch die Wissenschaft

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Der Bevölkerungsdiskurs

Part of the book series: Forschung ((FPOLIT,volume 108))

  • 159 Accesses

Zusammenfassung

Die Bevölkerungswissenschaft kann auf eine bis in die Antike zurückreichende Tradition verweisen. In dieser Tradition taucht die Bevölkerung nach und nach in der Doppelgestalt einer politischen und einer wissenschaftlichen Kategorie auf. Zunächst ist sie unauflösbar eingebunden in spezifische politische Diskurse, soziale Praktiken und Denkweisen. Darin entfaltet sie ihre Wirkung, und darin bekommen bevölkerungswissenschaftliche Begriffe und Aussagen ihre Bedeutung. Historisch wesentlich später wird sie zu einer wissenschaftlichen Kategorie in der Biologie, muß dort ihren Platz aber erst finden. Zusammen mit der Darwinschen Revolution der biologischen Denkweisen rückt die Population immer stärker ins Zentrum der Biologie vor und entfaltet sich, evolutionstheoretisch geprägt, vorwiegend innerhalb der Ökologie und in der Genetik. In der nach-darwinschen Epoche besitzt sie für die gesamte theoretische Biologie eine zentrale Funktion. Während der historischen Parallelentwicklung von sozialwissenschaftlicher und biologischer Demographie gibt es immer wieder Verbindungen und Übertragungen von Konzepten, Methoden und Techniken. Trotzdem bleiben die Felder getrennt25.

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Literatur

  1. Diese Trennung soll auch durch eine terminologische Konvention deutlich gemacht werden, welche die deutsche Sprache erlaubt: Wenn es um Menschen als Gegenstand der Bevölkerungswissenschaft geht, also um Humandemographie, dann verwende ich das Wort Bevölkerung,geht es um Bakterien, Pflanzen oder Tiere, dann spreche ich von Population. Die Unterscheidung läßt sich allerdings nicht immer streng durchhalten: Es gibt z.B. mathematische Modelle, mit denen die Dynamik einer Bevölkerung beschrieben wird, die in beiden Bereichen völlig identisch ist. Da sie auf einer naturwissenschaftlichen Denkweise beruhen, spreche ich in diesem Fall auch bei Menschen von einer Populationsdynamik.

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  2. Eine geistes-und ideengeschichtliche Darstellung des Bevölkerungsdenkens und eine umfassende Berücksichtigung all jener sozialen und politischen Faktoren, die zur Entwicklung bevölkerungswissenschaftlicher Theorien, Modelle und Modelle beitrugen, kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht geleistet werden. Ich beschränke mich daher auf einige m.E. wesentliche Momente.

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  3. Mit dem Begriff der Figuration lassen sich die Ordnung und der Zusammenhang von Merkmalen einer bestimmten Epoche bezeichnen, ohne diese gleich zu determinieren. Der Terminus „läßt offen, welche Merkmale einer Epoche herangezogen werden und in welcher Weise sie miteinander in Verbindung stehen. Er erlaubt uns, sämtliche Aspekte zu betrachten: Menschen, Ideen, Orte, Produktionsverhältnisse, Institutionen, Gefühle, Nationen, Weltanschauungen und sämtliche andere Faktoren, die als Grundlage einer historischen Darstellung taugen” (Albrow 1998: 45 ).

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  4. Die Demographie war insofern ein Moment der neuzeitlichen Wissenschaft, als sie bei ihrer Gegenstandskonstitution der Suche nach dem Elementaren folgte, das sie im Individuum entdeckte, und sich zugleich an der Suche nach überindividuellen Einheiten beteiligte, die sie in der Population fand. Ähnliche Bewegungen gibt es in der Physik, Chemie und Biologie (dazu später mehr in Kap. 7. 3 ).

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  5. Um dem Argwohn und Widerstand im Volk gegen die Zählungen zu begegnen, bezogen sich die Organisatoren auf befürwortende Äußerungen in der Bibel wie z.B. dem 4. Buch Mose (Gottes Gebot an Mose, das Volk zu zählen) oder riefen das Beispiel des antiken Roms in Erinnerung (Burke 1996:44). Landesweite Volkszählungen fanden erst seit Ende des 17. Jahrhunderts statt. Als erste Volkszählung gilt der 1666 in Französisch-Kanada durchgeführte Zensus, bei dem nicht nur die Anzahl der Personen, sondern auch Merkmale wie Alter, Geschlecht, Familienstand und Beruf ermittelt wurden. In Europa wurden Zählungen zuerst in Island 1703, Dänemark und Norwegen 1769 durchgeführt, in den USA 1790. Aufgrund der kleinstaatlichen Zersplitterung gab es in Deutschland bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts abgesehen von lokalen Erhebungen keine umfassende Erfassung der Bevölkerungszahlen. Sie gewann erst mit der Herausbildung zentraler Landesverwaltungen Bedeutung (vgl. Glass 1973:12f.; Bähr et al. 1992: 14 ).

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  6. Bevölkerungspolitisches Kalkül ist jedoch nicht das einzige Motiv der Hexenverfolgung. Bauer und Matis (1988) betrachten insbesondere die im 16. Jahrhundert geradezu exzessiven Formen annehmende Hexenverfolgung im Zusammenhang mit der Unterdrückung der Volkskultur der unteren Schichten und deren Einbindung in den Zentralstaat. „Im Zuge der Reformation und Gegenreformation kommt es zu einer ‘Christianisierung’ der Volksmassen, die noch bis in die frühe Neuzeit durch heidnische Anschauungen geprägt sind. Die Durchsetzung einer ‘Massenkultur’ seit dem 17. Jahrhundert versetzt dem alten volkstümlichen Weltbild den entscheidenden Schlag, indem sie eine Ideologie der Unterwerfung und kulturellen Gleichschaltung vermittelt” (Bauer/ Matis 1988:127; vgl. Muchembled 1984:179ff.). Becker et al. (1977:80ff.) interpretieren die Verfolgung der autonomen, (natur-)heilkundigen Frauen auch als ein Resultat der sich etablierenden naturwissenschaftlich orientierten männlichen Arzteschaft, die sich gegen die Kirche zur Wehr setzen mußte, weil diese der neuen Wissenschaft ablehnend gegenüberstand und aus diesem Grund mit Hetzkampagnen den Druck an die Frauen weitergab.

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  7. Diese These kann im Rahmen dieser Arbeit leider nicht weiterverfolgt werden. Nur ein Beispiel: Die von william Harvey (1578-1657) entwickelte Lehre des Blutkreislaufs wurde auch von Descartes und Hobbes als epochale Wende beurteilt, weil sie den Weg freimachte zu einer neuen mechanischen Biologie. Das Kreislaufkonzept und die Entwicklung des Mikroskops durch Marcello Malpighi (1631-1691), einem Mitglied der Royal Society und Leeuwenhoek (1632-1723) trugen im 17. Jahrhundert zu einem Fortgang der Auseinandersetzungen über die Entstehung, Fortpflanzung und das Wachstum lebender Organismen bei wie z.B. die Präformationstheorie, Entdeckung der „Samentierchen” etc. (vgl. Rossi 1997:242ff;). Diese Entwicklungen waren begleitet von Diskussionen über den weiblichen und männlichen Anteil an der Fortpflanzung und bestimmten die Reflexionen über die —vornehmlich weibliche — „Natur”. In Studien wie z.B. von Ludmilla Jordanova (1989), Claudia Honegger (1991), Barbara Duden (1987) und Thomas Laqueur (1992) wurde die Historizität des Geschlechtskörpers und der Geschlechterdifferenz als Effekt der bürgerlichen Gesellschaft sowie politischer, medizinischer, biologischer, psychiartrischer und philosophischer Diskurse aufgezeigt. Für die feministische Wissenschaftsforschung wäre es m.E. lohnenswert, die Geschichte der demographischen Theoriebildung vor dieser Folie weiter zu untersuchen.

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  8. In seiner Schrift „Of the True Greatness of Kingdoms and Estates” (1612) schrieb Bacon ganz im Sinne der merkantilistischen Staatstheorie: „The greatness of an estate in bulk and territory doth fall under measure…the population may appear by musters”. In seinem Essay „Of Seditions and Troubles” (1625) warnte er allerdings: „Generally it is to be foreseen that the population of a Kingdom (especially if it be not mown down by wars) do not exceed the stock of the Kingdom which should maintain them” (zit. in: Lorimer 1966:125).

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  9. Neben Theologie hatte Süßmilch auch Naturwissenschaften studiert und in Physik promoviert (Birg 1986:12f.)

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  10. In den übrigen Bereichen der Produktion werden der physiokratischen Theorie zufolge nur stoffumwandelnde (Gewerbe und Industrie) bzw. ortsverändernde (Handel) Tätigkeiten entfaltet. Die Physiokratie unterscheidet drei gesellschaftliche Klassen, zwischen denen ein permanenter Einkommenstransfer und geschlossener Kreislauf existiert: I. Zur classe productive zählen als einzige jene, die neue Stoffe und Werte erzeugen, wie Landwirte und Pächter, Fischer und Bergleute. 2. Die classe propriétaire oder classe distributive,die Grundeigentümer (Kirche, Adel und alle mit Hoheitsrechten über Grund und Boden Ausgestattete, insbesondere der Souverän), stellt der produktiven Klasse in Form von Vorschüssen die Fonds zur Bearbeitung des Bodens zur Verfügung und stimuliert mit ihrem Konsum die Nachfrage nach landwirtschaftlichen und gewerblichen Erzeugnissen. 3. Gewerbe, Industrie, Handel und Dienstleistungen bilden die classe stérile,denn sie schaffen keine neuen Stoffe und Werte, sondern wandeln diese nur um (vgl. Bauer/ Matis I988:282ff).

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  11. Im Rahmen seiner historischen Analyse der Geschichte der Sexualität entwickelt Foucault eine Kritik der sogenannten Repressionshypothese. Mit ihr wird die Vorstellung bezeichnet, daß die Sexualität mit der sich entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft systematisch unterdrückt und verdrängt wurde, weil sie als unvereinbar mit der Arbeitsethik der kapitalistischen Produktionsweise galt. Als Folge etablierte sich in der Gesellschaft und im wissenschaftlichen Diskurs des 19. Jahrhunderts die Annahme, daß die Befreiung der Sexualität die Voraussetzung individueller Selbstbestimmung und damit jeglicher Herrschaftskritik überhaupt sei. Foucault weist demgegenüber nach, daß diese Befreiung der Sexualität nicht zur individuellen Freiheit beiträgt, sondern selbst wiederum in den Dienst einer subtilen Macht genommen wird. Hinter dem neugierigen „Willen zum Wissen” über die Natur der Sexualität verbirgt sich ein die „gesamte Kultur durchdringendes Prinzip” einer lebensbezogenen Bio-Macht, die sich in einer „historisch bislang einzigartigen Weise” (Kögler 1994:100) der Körperlichkeit und Sexualität bemächtigt, um die Lebensfunktionen der Individuen und der Bevölkerung zum Zwecke höherer Produktivität und Kontrolle zu formen und zu steigern.

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  12. Auf eine Diskussion der äußerst umfangreichen Literatur, die sich mit Malthus im Kontext der Aufklärung und den zeitgenössischen politisch-philosophischen Debatten auseinandersetzt, wird an dieser Stelle bewußt verzichtet. Eine hilfreiche Darstellung findet sich neben Sieferle (1990) und Birg (1991) auch bei Barth (1977) und Rao (1994). Heide Mertens hat anhand einer fiktiven Debatte zwischen Condorcet und Malthus auf sehr anschauliche Weise die fundamentalen Differenzen in den Grundhaltungen eines Exponenten des aufklärerischen Fortschrittsoptimismus und den Positionen eines Vertreters des frühbürgerlichen antirevolutionären Liberalismus aufgezeigt (Mertens 1991: 21 - 30 ).

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  13. Eine Renaissance erlebten die Wohlstandstheorie und mit ihr verwandte Ansätze in neueren ökonomischen Bevölkerungsmodellen, wie sie seit Ende der 60er Jahre v.a. von der Chicagoer Schule der „New Home Economics” um Becker (1960), Easterlin (1969) oder Leibenstein (1975) vertreten wurde. Hier wird davon ausgegangen, daß auch das generative Verhalten von persönlichen Kosten-Nutzen-Kalkülen bestimmt wird (vgl. Kap.8.3).

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Hummel, D. (2000). Die Entdeckung der Bevölkerung durch die Wissenschaft. In: Der Bevölkerungsdiskurs. Forschung Politikwissenschaft , vol 108. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09594-1_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-09594-1_6

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-8100-2963-8

  • Online ISBN: 978-3-663-09594-1

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