Zusammenfassung
Im Prozeß der geburtshilflichen Professionalisierung verweben sich zwei Entwicklungsstränge miteinander: 1. die Medikalisierung, Objektivierung und Pathologisierung des weiblichen Körpers und 2. die Verdrängung der Frauen aus der Heilkunde bzw. aus der Geburtshilfe aufgrund der Marginalisierung der Laienheilkunde allgemein. Es stellt sich nun die Frage, wie die beiden Linien zusammenhängen und welche Rolle Machtmechanismen dabei spielen.
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Literatur
Siehe auch Kap. II., 3.1. in vorliegender Arbeit.
Duden bedient sich der Ergebnisse einer Studie von Yvonne Verdier, die im Laufe von 10 Jahren in Gesprächen mit Frauen des Dorfes Minot deren kulturelle Vorstellungen von Leib und Leben sammelte, welche sie in dem Buch Façon de dire, façon de faire: La laveuse, la couturière, la cuisinière (Paris 1979) niederschrieb (Dt.: Drei Frauen. Das Leben auf dem Dorf. Stuttgard 1982). Die Autorin bewegt sich mit ihrer Untersuchung im 20. Jh., die Leibvorstellungen, denen sie begegnet, lassen sich laut Duden jedoch problemlos neben die humoralpathologisch geprägten Leiberlebnisse der Eisenacher Patientinnen des Dr. Storch im 18. Jahrhundert stellen.
Duden 1987, S. 146. Die in gesonderten Zeichen befindlichen Textstücke stammen aus dem Werk Johann Storchs Von den Weiberkranckheiten, achter und letzter Band. Gotha 1752
Was dabei z. T. »mitbereinigt« wurde, läßt aus heutiger Sicht die Vermutung zu, daß es einige einer Abtreibung ähnliche Maßnahmen gab, die aber nicht als solche betrachtet wurden (vgl. Duden 1987, S. 186 ).
Über diesen Körperteil ist sich Storch („ebenso wie seine gelehrten Zeitgenossen“) nicht sicher, d. h., er kann nicht mit Bestimmtheit sagen, woher das monatliche Blut bei den Frauen ausfließt (Duden 1987, S. 140).
Haemorrhiden wurden „Goldader“ genannt, weil man sich den Aderlaß und damit das Arzthonorar sparen konnte, da die notwendige Erleichterung des Körpers durch sie bereits sichergestellt war (Duden 1987, S. 240, Anm. 12). Vor allem diese „goldene Ader” wurde analog zum Monatlichen der Frauen verstanden (ebd., S. 136).
Lorenz 1996, S. 241, zitiert aus: J. G. Hasenest, Der medicinische Richter oder Acta Physico-Medico forensia collegii Medici Onoldini. Bd. 4, S. X (1755).
Mit einer Erfahrungsstruktur ist die den Erkennenden und das zu erkennende Objekt gleichermaßen umgreifende kulturelle Situation bezeichnet, die ein bestimmtes Phänomen als so oder so erfahrenen Gegenstand des Wissens bildet (…).“ (Kögler 1994, S. 37)
zwar lebten sie [die Frauen bis ins 18. Jahrhundert] in einer von einem bestimmten Körperbild geprägten Zeit, doch konnten die gleichen Symptome so unterschiedlich erfaßt und interpretiert werden, daß eine Frau nur ihrem eigenen Körper lauschen konnte, um sich wenigstens eine gewisse Sicherheit über ihren Zustand zuverschaffen. Auch war es stets eine persönliche Kombination von Zeichen, die nur in diesem Zusammenhang überzeugte. “ (Lorenz 1996, S. 119 )
Duden 1987, S. 184, gesondert mit Zeichen versehene Textstücke werden von der Autorin zitiert aus Storchs Von Weiberkranckheiten, Bd. 3. Gotha 1748.
Siegemundin als frühneuzeitliche protestantische Hebamme: ihre Bemühungen um Abgrenzung gegenüber der magieverwobenen Geburtshilfe sollten sie von bereits geächteten Praktiken unterscheiden, die sie auch selbst als „Unwissenheit“ bezeichnet, wobei sie jedoch einen anderen Begriff von Unwissenheit hatte als die Anatomen. Dies ist ein Hinweis, daß Siegemund genau zwischen zwei unterschiedlichen Erfahrungszusammenhängen platziert war: sie war keine »abergläubische« Hebamme aber auch keine Wissenschaftlerin, zwei Ausrichtungen, von denen sie sich selbst mit eigenen Worten abgrenzt (Putz 1994, S. 69 u. 102).
Pelz 1994, S. 99, zit. aus Justine Siegemund: Die Chur-Brandenburgische Hoff-Wehe-Mutter…, Churft. Brandenb. Hofbuchdr. 1690, S. 84f. Eine ausführlichem Wiedergabe des Zitates gibt einen Einblick, wie sehr das Denken der Hebamme mit der praktischen Erfahrung verschmolzen war: „Jch wünsche, daß ich (…) alle denckoder merckwürdige Dinge zeigen, und zum Verstande bringen könte, die mir bekant worden, ich wolte nichts zurucke behalten. Allein ich habe viel aus der Acht gelassen. Wann es mir aber wieder unter die Hände kommt, so erinnere ich mich dann dessen wieder.“
Wie es dazu kam, daß sich ein »Normwissen« durchzusetzen begann, kann hier nicht erörtert werden. Im Rahmen dieser Arbeit kann ich lediglich darauf eingehen, daß eine Norm konstruiert wurde und weiterhin als Maßstab galt.
Eine zentrale These in Foucaults Der Wille zum Wissen ist, daß in der „Normalisierungsgesellschaft“ des 19. Jahrhunderts gerade das als pervers und abweichend Empfundene zur Zielscheibe ausufemder Diskurse wird.
Preußler 1985, S. 83, zitiert aus dem Jahresbericht (1847) der Münchner Gebäranstalt.
Mit „Kosten“ meint Foucault sowohl wirtschaftliche Kosten als auch solche, die entstehen, wenn ein politisches System durch starke Widerstände von Seiten der Bevölkerung geschwächt wird.
Das vollständige Zitat zeigt die „epistemische Verflechtung von Machtstrukturen und dadurch ermöglichten Erfahrungsformen“ (Kögler 1994, S. 120) in den Humanwissenschaften: „Die humanwissenschaftliche Objektivierung erlaubt der Macht, gerichtet zu handeln. (…) Statt Machtfreiheit regiert hier ein funktionales Verflochtensein von effektivitätssteigernder Verfügungsmacht und humanwissenschaftlicher Wissenszufuhr.” (Ebd., S. 122)
Foucault 1988, S. 102, zit. A. Gibral, Essai sur l’esprit de la clinique médicale de Montpellier. Montpellier 1858, S. 18.
Merchant (1994) weist diesen Paradigmenwechsel in der Naturerfahrung bereits im 17. Jahrhundert nach. War es ehemals eine lebendige Mutter, die alle Wesen der Erde gebiert und zu gegebener Zeit in ihren Leib zurückholt, so wird die Natur im Lichte der Wissenschaft zu einer toten, aber geordneten, materiellen Substanz, die Ressourcen produziert, die man ihr auf mehr oder weniger effiziente Weise entreißen kann.
Es handelt sich bei Messung, Ermittlung und Prüfung „um technologische Verfahrensschemata, die in bestimmten diskursiven Praktiken - auch simultan - zum Einsatz kommen können.“ (Kammler 1986, S. 175) Die Prüfung ist nach Foucault gerade das Verfahren, auf dessen Grundlage sich die Humanwissenschaften konstituieren; Norm, Regel, Teilung, Qualifikation und Ausschließung werden hier fixiert (ebd., S. 176 ).
Die edizinische Wissenschaft ist frei von der Vorstellung, Macht auf Menschen ausüben zu wollen, vielmehr gehört es zu ihrem Ehrenkodex, dem Menschen und seinem Wohlbefinden zu dienen; andererseits funktioniert ihr Produktionsapparat in der Weise, daß „jeder Objektivierungsmechanismus darin als Subjektivierungs/Unterwerfungsinstrument funktioniert (…).“ (Foucault 1992, S. 287)
Ein Ausdruck des Prof. Stein, Leiter der Bonner Entbindungsklinik Anfang des 19. Jh., zit. bei Metz-Becker 1994, S. 217 (siehe auch Kap. Il., 3.2.2. in vorlieg. Arbeit).
Bedenkt man, daß Foucault das Wort „le sexe“ im französischen Originaltext in zweierlei Bedeutungen verwendet, nämlich einmal für »Sexualität« und einmal für »Geschlecht« (Bührmann 1995, S. 37), so könnte man dies als Hinweis dafür betrachten, daß auch die Konsolidierung der Geschlechter und der Geschlechtcharaktere im 19. Jahrhundert mit der neuen Machtform in einem grundsätzlichen Zusammenhang steht.
Die drei zentralen Postulate der „Repressionshypothese“ sind: 1. ein natürlicher Kern von Sex wird postuliert, dem neben subversiven auch emanzipative Qualitäten zugesprochen werden; 2. Macht funktioniert im wesent-lichen nach dem Modus der Unterdrückung; 3. es besteht ein struktureller Gegensatz zwischen Macht und Sexualität (Bührmann 1995, S. 36).
Es gibt insgesamt vier Grundelemente: die Hysterisierung des weiblichen Körpers, die Pädagogisierung des kindlichen Sexes, die Sozialisierung des Fortpflanzungsverhaltens, die Psychiatrisierung der perversen Lust (Foucault 1986, S. 126 f.).
Hysterie: gr. hysterikos, an der Gebärmutter leidend; hystera (gr.): Gebärmutter (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 1990, S. 756). Die Hysterie, eine Krankheit, die im 19. Jahrhundert »populär« wurde, galt bei Frauen weniger als eine solche, sondern eher als die Übersteigerung einer bereits angelegten, »normalen« Anlage, als „Hyperweiblichkeit“ (Honegger 1983, S. 207). Ich vermute, daß Foucault mit seiner Bezeichnung auf diesen Sachverhalt anspielt.
Gebärfahigkeit wird deshalb „postuliert“, weil aus der anatomischen Konstruktion eines »weiblichen Körpers«, dessen Fähigkeit und soziale Aufgabe zu gebären, abgeleitet wird.
Siehe z.B. Preußler 1985, Metz-Becker 1994, Grabrucker 1989, Duden 1980.
Der These Bührmanns, die besagt, daß Frauen in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts „widersprüchlichen Disziplinierungstechnologien“ (Btihrmann 1995, S. 66) unterlagen, da ihnen durch das polarisierende Geschlechtermodell einerseits eine besondere emotionale Potenz zugeschrieben wurde, sie aber andererseit in Haushalt und Kindererziehung rational handeln sollten, kann ich vor dem Hintergrund meiner eigenen Ergebnisse nicht folgen. Gerade die Tatsache, daß - gleichgültig ob erwerbstätig, in rationelle Haushaltsführung eingebunden oder nicht - Frauen in erster Linie als für die Fortpflanzung und allen damit zusammenhängenden Aufgabenbereichen zuständig erklärt wurden, macht doch ihre spezifische Disziplinierung aus. Möglicherweise liegt der Ansicht Bührmanns die Art und Weise, wie sie Produktion und Reproduktion voneinander trennt, zugrunde. Sie beschränkt die Ausdehnung der Produktionsapparate auf den industriellen bzw. volkswirtschaftlichen Sektor: „Denn Frauen sollten (…) nicht oder zumindest nicht ausschließlich in den Produk-tionsapparaten tätig werden, sondern ihnen wurde die alleinige Verantwortung für den Reproduktionsbereich übertragen (…).” (Ebd., S. 65) Foucault hat eine sehr viel weitreichendere Definition für den Begriff „Produktionsapparat“ gegeben, die ich in meiner Arbeit bereits angeführt habe (Kap. III., 3.1., S. 74 f.).
Ein Beispiel für diese Haltung ist die folgende Aussage eines amerikanischen Wissenschaftlers: „Es wird davon ausgegangen, daß die Mehrzahl der in Heil- und Pflegeanstalten untergebrachten Personen diejenigen sind, die als Folge einer unkontrollierten Geburt geistig oder körperlich behindert sind. Das Leiden einer geistigen oder körperlichen Behinderung ist sicher die größte Tragödie, die einem Menschen, einer Familie, Gesellschaft oder gar Volkswirtschaften dieser Erde widerfahren kann. Es kann keine schwererwiegende und tiefergehende Verletzung der Qualität des Lebens geben.“ (Pritchard, Jack A. u.a., Williams Obstetrics 17. Aufl., Norwalk, CT 1985, S. 299. Zit. nach Martin 1989, S. 180.)
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Beaufaÿs, S. (1997). Machtverhältnise im Prozeß geburtshilflicher Professionalisierung. In: Professionalisierung der Geburtshilfe. Zugänge zur Moderne. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-08879-0_3
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Publisher Name: Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden
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