Zusammenfassung
Wohl kaum ein anderer Begriff in der sozialwissenschaftlichen Diskussion und in der politischen Rhetorik bietet eine solche Projektionsfläche für unterschiedliche, teils widersprüchliche Bestimmungsversuche wie Öffentlichkeit. Sie erscheint zum einen als Kennzeichnung gesellschaftlicher Handlungszusammenhänge und als Inbegriff spezifischer Legitimations- und Darstellungsweisen, zum anderen als Verweisungszusammenhang politisch-institutionellen Handelns. Öffentlichkeit als Handlungsraum und öffentliche Meinung als dessen ‚Filtrat‘ erweisen sich als nicht immer erbetene soziale Kontrollmechanismen und zugleich als originärer Humus bürgerschaftlicher Willensbildung. Gleichwohl Öffentlichkeit nur noch unter medialen Vorzeichen denkbar ist und sie damit unausweichlich dem selektiven, oftmals ‚wirklichkeits‘-verzerrenden Diktat der Nachrichtenwert-Produktion unterworfen ist, erscheint sie dennoch als sozialintegrativer Mechanismus sui generis, der eine Bestimmung gemeinwohlorientierter politischer Gestaltungsmaximen erlauben soll. Dabei beinhaltet der Rekurs auf Öffentlichkeit, wie vage auch immer, die Vorstellung einer ‚vernünftigen‘ Allgemeinheit. Obschon die Realität des Öffentlichen in all seinen Facetten nicht selten eine andere Sprache spricht, erweist sich der mit Öffentlichkeit verbundene, normativ-kritische Anspruch als eine stets zu beachtende Bezugsgröße politischer und gesellschaftlicher Praxis. Insoweit ist die Beschäftigung mit und das Reden über Öffentlichkeit apriori mit normativen Prämissen verknüpft, die im Kontrast zur gleichsam unausweichlich ‚schlechten‘ Realität umso markanter den emphatischen Gehalt des Begriffs konturieren.
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Literatur
So Welcker, der mit diesem Diktum in der 1848 erschienenden zweiten Auflage des ‘Staats-Lexikons’ seinen Beitrag über Öffentlichkeit ergânzt, zitiert nach: Blesenkemper, Klaus: “Public age” - Studien zum Öffentlichkeitsbegriff bei Kant, Frankfurt/M. 1987, S. 45.
Ebbighausen, Rolf: Inszenierte Öffentlichkeit und politischer Skandal - Arkanpolitik und ihre Grenzen unter den Bedingungen von bürgerlichem Verfassungsstaat und Parteiendemokratie, in: G6hler, Gerhard (Hrsg): Macht der Öffentlichkeit - Öffentlichkeit der Macht, Baden-Baden 1995, S. 231–240, hier S. 231.
Vgl. Schmalz-Bruns, Rainer: Reflexive Demokratie - Die demokratische Transformation moderner Politik, Baden-Baden 1995, S. 90.
Vgl. Peters, Bernhard: Der Sinn von Öffentlichkeit, in: Neidhardt, Friedhelm (Hrsg.): Öffentlichkeit, Öffentliche Meinung, Soziale Bewegungen, Opladen 1994, S. 42–76, hier S. 45f.
Gerhards, Jürgen/Neidhardt, Friedhelm: Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit - Fragestellungen und Ansätze, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Paper FS III 90–101, Berlin 1990, S. 5.
Vgl. etwa Giegel, Hans-Joachim: Einleitung, in: Ders. (Hrsg): Kommunikation und Konsens in modernen Gesellschaften, Frankfurt/M. 1992, S. 7–17, hier S. B.
Beispielhaft seien genannt: Müller-Doohm/Neumann-Braun, Klaus (Hrsg): Öffentlichkeit, Kultur, Massenkommunikation, Oldenburg 1991; Bentele, Günter/Rühl, Manfred (Hrsg): Theorien öffentlicher Kommunikation, München 1993; Faulstich, Werner (Hrsg): Konzepte von Öffentlichkeit, Bardowick 1993; Neidhardt, Friedhelm (Hrsg): Öffentlichkeit, Öffentliche Meinung, Soziale Bewegungen, Opladen 1994; Göhlert, Gerhard (Hrsg): Macht der Öffentlichkeit - Öffentlichkeit der Macht, Baden-Baden 1995, van den Daele, Wolfgang/Neidhardt, Friedhelm: Kommunikation und Entscheidung - Politische Funktionen öffentlicher Meinungsbildung und diskursiver Verfahren, Berlin 1996.
Vgl. Schmalz-Bruns, Rainer: Selbstorganisation, Selbstregierung, Selbstverwirklichung: Die Idee der Öffentlichkeit im Spiegel moderner Demokratietheorie, in: GUi ter, Gerhard: Macht der Öffentlichkeit - Öffentlichkeit der Macht, Baden-Baden 1995, S. 39–74, hier S. 40.
Benhabib, Seyla: Über das zeitgenössische Unbehagen an der Demokratie, in: Frankfurter Rundschau, 12.10.1996, S. 6.
Vgl. Schmalz-Bruns, Rainer: Selbstorganisation, Selbsaegierung, Selbstverwirklichung: Die Idee der Öffentlichkeit im Spiegel moderner Demokratietheorie, a.a. 0. S. 43.
Vgl. dazu u.a. Kleger, Heinz: Lernfähige Demokratie und reflexiver Staat, in: Voigt, Rüdiger (Hrsg): Abschied vom Staat–Rückkehr zum Staat?, Baden-Baden 1993, S. 443–457.
Vgl. Schmalz-Bruns, Rainer: Selbstorganisation, Selbstregierung, Selbstverwirklichung: Die Idee der Öffentlichkeit im Spiegel moderner Demokratietheorie a.a.O., S. 43.
Siehe etwa Greven, Michael Th.: Ist die Demokratie modem?–Zur Rationalitätskrise der politischen Gesellschaft, in: Politische Vierteljahresschrift, Jg. 34, Heft 3, 1993, S. 399–413.
Vgl. Dietz, Simone: Die Legitimationsmacht der Öffentlichkeit: Die öffentliche Meinung der Mediendemokratie, in: Göhler, Gerhard (Hrsg.): Macht der Öffentlichkeit - Öffentlichkeit der Macht, Baden-Baden 1995, S. 115–132, hier S. 123.
Und dies bedeutet keineswegs, um gleich dem wahrscheinlichen Gegenargument einer normativen, letztlich lähmenden ’Überfrachtung’ von Wissenschaft zuvorzukommen, daß politische Theorie den Nachweis erbringen muß, daß sich das Postulat der Selbstbestimmung gleich bis auf die untersten gesellschaftlichen Handlungsebenen und bis in die letzten Spezifika institutioneller Praxis hinein deklinieren läßt. Vielmehr bildet ein normativer Bezugsrahmen einen Katalog von ‘Grenzwerten’, hinter die Wissenschaft nicht zurücktreten kann, ohne zum bloß deskriptiven und schließlich ‘blinden’ Instrument der Selbstbespiegelung des Faktischen zu werden. Vgl. an dieser Stelle dazu weiterführend, die Beiträge in Reese-Schäfer, Walter/Schuon, Karl Theodor (Hrsg): Ethik und Politik, Marburg 1991.
Dahrendorf, Ralf: Der Diskursrepublikaner - Jürgen Habermas über “Die Einbeziehung des Anderen”, in: Frankfurter Rundschau, 02.10. 1996, Beilage zur Frankfurter Buchmesse, S. 13.
Ebd.
Habennas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit - Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, 17. Aufl. Darmstadt und Neuwied 1987, S. 7.
Im besonderen gilt dies auch fuir den angelsächsischen Raum. Nach der erst 1989 erschienenden englischen Fassung folgte eine breite sozialwissenschaftliche Rezeption der Habermasschen Schrift. Der Kategorie der ’Öffentlichkeit’ gebührt fortan eine stärkere Beachtung in der angelsächsischen sozialwissenschaftlichen ‘scientific community’. Siehe weiterführend zur einschlägigen Diskussion Calhoun, Charles (ed.): Habermas and the Public Sphere, Cambridge (Mass.) and London 1992.
Vgl. Habermas, Jürgen: Vorwort zur Neuauflage 1990, in: Ders: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Frankfurt/M. 1990, S. 11–50.
Gerhards, Jürgen/Neidhardt, Friedhelm: Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit, a.a.O., S. 5.
Vgl. Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit, a.a.O., S. 7.
Vgl. Habennas, Jürgen: Technik und Wissenschaft als Ideologie, Frankfurt/M. 17. Aufl. 1989, S. 88 ff.
Vgl. Habermas, Jürgen: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt/M. 4. Aufl. 1977.
Schmalz-Bruns, Rainer: Selbstorganisation, Selbstregierung, Selbstverwirklichung: Die Idee der Öffentlichkeit im Spiegel moderner Demokratietheorie, a.a.O., S. 55.
Vgl. Habermas, Jürgen: Vorwort zur Neuausgabe, a.a.O., S. 33 ff.
Habermas, Jürgen: Entgegnung, in:Honneth, Axel/Joas, Hans (Hrsg): Kommunikatives Handeln - Beiträge zu Jürgen Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt/M. 1986, S. 396.
Dubiel, Helmut: Die Theorie des kommunikativen Handelns, in: Ders.: Kritische Theorie der Gesellschaft, Weinheim und München 1988, S. 85–127, hier S. 117.
Vgl. Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt/M. 1985, S. 423.
Vgl. Peters, Bernhard: Die Integration moderner Gesellschaften, Frankfurt/M. 1993, S. 340 ff.
Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung - Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates, Frankfurt/M. 1992, S. 170.
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Heming, R. (1997). Einleitung. In: Öffentlichkeit, Diskurs und Gesellschaft. DUV: Sozialwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-08796-0_1
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