Zusammenfassung
Die Frage der Sukzession oder Nachfolge in der Herrschaft gehört zu den grundlegenden Problemen jeder politischen Ordnung. Es ist dies ein Problem, das sich unweigerlich stellt; denn alle Menschen sind sterblich. Die komplizierten Riten, die nach dem Tod eines Königs oder Hohepriesters zur Anwendung kommen, bringen die Bedeutsamkeit dieser Frage ebenso zum Ausdruck wie die besorgte Frage in modernen politischen Gemeinschaften unserer Zeit: „Was wird nach Nehru, Adenauer oder de Gaulle? “ In gewissem Sinne ist es nicht übertrieben zu sagen, daß sich die Geschichte der Politik um dieses Problem gedreht hat. Es sind verschiedene Möglichkeiten entwickelt worden, um die Lücke, die durch den Tod eines Herrschers entsteht, zu schließen. Der moderne Konstitutionalismus hat das Problem dadurch zu beseitigen unternommen, daß die Parteien einander in regelmäßigen Abständen abwechseln; aber wie die obigen Fragen zeigen, hat er damit nur in beschränktem Maße Erfolg gehabt. Die zu diesem Zweck vorgesehenen regelmäßigen Wahlen haben zur Entwicklung politischer Parteien beigetragen. Aber die Frage der Sukzession stellt sich für sie ebenfalls. Auch in totalitären Einparteisystemen ist es die Partei, die den Fortbestand des Regimes sichert; sie muß daher die Frage der Sukzession in ihren eigenen Reihen zu lösen suchen. Die beschränkten Erfahrçingen, die man bis heute gemacht hat, lassen darauf schließen, daß bisher nur Teillösungen gefunden worden sind, und diese sind nur beschränkt oder gar nicht institutionalisiert worden. Es läßt sich aber kaum bezweifeln, daß sowohl im demokratischen Verfassungsstaat wie in der totalitären Diktatur die Partei bei der Sukzession die entscheidende Rolle spielt, und es wird zu zeigen sein, daß nur in diesem Rahmen eine befriedigende allgemeine Theorie der politischen Partei möglich ist. Viele Parteitheorien der Vergangenheit haben diesen Aspekt vernachlässigt und sich zu ausschließlich auf den Gebrauch der Macht konzentriert 1.
There is no perfection of government, where the disposing of the Succession is not in the present Sovereign.
Hobbes
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Literatur
Diese Bemerkung trifft zu auf Weber, V. O. Key, Jr., und Neumann wie auch auf meine eigene frühere Auffassung.
Wir schließen hier die komplizierten Rechtsprobleme der Staatensukzession im Völkerrecht aus. Siehe D. P. ’Connell, 1956, und W. Gould, 1957, Kap. 14.
J. Burckhardt, 1853, Kap. 2; siehe auch den Artikel von Hocart über „deification“ in der Encyclopaedia of Social Sciences.
Wittfogcl, 1957, S. 87 ff., 128 ff.
Frazer (hrsg. von Gaster), 1959, S. 126; Hocart, op. cit., und 1927.
Frazer (hrsg. von Gaster), 1959, S. 225. Unter der Überschrift „The succession of Kings and seasons“ hat Frazer auf S. 223–249 (Par. 189–200) sehr verschiedene Arten dieser Form charismatischer Sukzession beschrieben. Es handelt sich immer darum, einen Herrscher zu beseitigen, der sein Charisma zu verlieren im Begriff ist.
Gaster in einer „additional note“, 1959, S. 126.
Über charismatische Macht vgl. man Friedrich, A, 1961 I.
Schapera, 1930.
Nadel, 1942, S. 33 und 88; für ähnliche Einrichtungen bei den Ashanti siehe Busia, 1951, S. 97–98; bei den Hausa, M. G. Smith, 1960. S. 83; bei den Beduinen, A. Musil, 1928, S. 50.
Für die Sukzession durch Wahl, z. B. bei den Comanchen, siehe Wallace und Hoebel, 1952, 24 und 210–211; für erbliche Sukzession Burrows, 1949, S. 98; Malinowski, 1922, S. 12 66. 1935, S. 39–40; Fortes und Evans—Pritchard, 1940, S. 101–102; Leinhardt, A, 1959.
Watkins in seinem Beitrag über „Succession“ in der Encyclopaedia of the Social Sciences.
Redslob, 1918, 1924, passim,ist vielleicht der bekannteste Exponent dieser Ansicht.
Die hier folgenden Ausführungen basieren auf Friedrich, 1968 I, Kap. X X.
Zur Funktion von Ideologien in der Politik siehe Friedrich, 1967 I, Kap. 5.
Diese Formulierung findet sich bei Friedrich, 1950, Kap. XX, und war eine Abwandlung und Fortentwicklung der von Max Weber, 1922; Teil I, Kap. III entwickelten Theorie. Webers Theorie war, wie so oft bei ihm, im Sinne seiner psychologischen Auffassungen formuliert. Es scheint mir richtiger und für die politische Theorie angemessener, die Partei im Hinblick auf die Funktionen, die sie in einer politischen Ordnung hat, zu definieren. Aber die beiden Auffassungen ergänzen sich gegenseitig.
Dieser entscheidende Punkt ist der wesentliche Unterschied zwischen der hier gebotenen und Max Webers Theorie, obwohl auch die Frage der freien Werbung wichtig ist. Für die Unterscheidung zwischen Macht und Herrschaft vgl. oben, Kap. 9 und 10.
Es ist mit Recht bemerkt worden, daß es nicht eine Funktion der politischen Ordnung als solcher ist, eine Gemeinschaft im Ablauf ihrer Entwicklung zu integrieren und ihren ver- schiedenen Phasen anzupassen. Man vgl. Almond, in Almond und Coleman, 1959, S. 5, aber die Kritik geht dort nicht weit genug.
Haas, 1958, Kap. 11; Schierwater, 1960, Teil II, Kap. 2.
Vgl. Michels, 1911; zu Lenin siehe unten, S. 520 f. Lenin hat das Argument von Michels vorwegnehmend entkräftet. Siehe auch A. G. Meyer, 1957, Kap. 1–5.
Key 1958, Kap. 14–16 und 18; Heard, 1960.
Die Frage ist 1966 durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtshofs zur Frage der Parteifinanzierung (BVerfGE 14 — 19. 7. 1966) in Fluß geraten, und im Juli 1967 ist dann das Parteiengesetz verabschiedet worden (BGBl., Teil I, Nr. 44 vom 27. 7. 1967). Zur
Literatur über Partei-und Wahlfinanzierung siehe Breitling, A, 1968. Final Report of Committee an Electoral Law Reform,Cmd. 7286, 1947. Vgl. auch Representation of the Peoples Act,1948, deren Bestimmungen das Resultat einer langen Entwicklung sind.
Man vgl. die Hatch Act von 1939, die man 1940 auf alle örtlichen Beamten ausgedehnt hat, soweit sie ein mit Bundesmitteln finanziertes Programm verwalten. Diese allgemein gehaltenen Vorschriften des Gesetzes sind von der Civil Service Commission ausgelegt worden. Diese hat im Laufe der Jahre eine Reihe von Grundregeln entwickelt; sie bilden einen Teil eines umfassenden Kodex, der die Teilnahme von Beamten an Parteibetätigung auf passive Mitgliedschaft beschränkt.
Almond und Coleman, 1959, S. 109–114, 185–208, 286–313, 391–415, 479–511, die das Parteisystem in Südostasien, im schwarzen Afrika, in Südasien, im Nahen Osten und in Lateinamerika beschreiben, und zwar im Hinblick auf die richtige Unterscheidung zwischen autokratischen und nicht-autokratischen Einparteisystemen. Vgl. oben, Kap. 1 und 2.
Max Weber, Teil III, Kap. IV, 1922, wie oben zitiert. Weber hat seinen Gedanken dadurch abgeschwächt, daß er die Freiheit der Werbung als „formal“ frei qualifiziert. Wie so oft, zieht er sich gegenüber Einwänden hinter eine legalistische Fassade zurück. Für eine politische Realanalyse ist aber eine Werbung, die nur „formal” frei ist, eben in der Tat nicht frei.
Vgl. die autobiographische Darstellung von Zilliacus, 1949. Siehe auch Labour Party, 1949 25a und 1950.
Siehe dazu Friedrich, 1967 I, Kap. 3 und 7.
Siehe Friedrich, 1968, Kap. XXI; ähnlich auch Lipset, 1961, Kap. XXXII.
Gervais, Servolin und Weil, 1965; und Cassadio, 1967.
S. Neumann, A, 1954; siehe vom gleichen Autor, 1956, S. 403–405. Das Zitat findet sich auf S. 560.
Lipson, A, 1956; A, 1959; Eckstein, in Beer—Ulam, 1958, 2. Aufl. 1962, Kap. 12.
Ein erheblicher Teil des Schrifttums über politische Parteien ist in diesen Rahmen gestellt; das gilt von Ostrogorski bis in die neueste Zeit. Auch übt diese Auffassung bis heute einen erheblichen praktischen Einfluß aus, und zwar trotz der Erfahrung in vielen Ländern. Vgl. S. Neumann (Hrsg.), 1956, für eine ausgeglichenere Darstellung.
Zugegebenermaßen ist die Frage des Ursprungs der englischen Parteien sehr kontrovers geblieben; man vgl. W. C. Abbott, A, 1919; Trevelyan, 1926, und Hexter, 1941, bes. Kap. I II.
Hexter, 1940, Kap. I. Duverger, ganz im Sinne seiner Betonung der Organisation für das Parteiwesen, leugnet das Vorhandensein von Parteien vor 1850 (Duverger, 1954, S. 23 f.).
Bolingbroke, 1734; Hume, 1741, Kap. VIII; Burke, 1770. Man beachte den ersten Satz in Burkes „Observations,…“ von 1769: „Party divisions, whether on the whole operating for good or evil, are inseparable from free government.” Hume dagegen lehnt Parteien noch ab, obwohl er ihre Rolle erkannt hat.
Gilbert, 1961, zeigt klar, daß dies die Auffassung von Washington selber war, obwohl natürlich von Alexander Hamilton gebilligt und daher von diesem bei seiner Revision des Entwurfs berücksichtigt. Man vgl. insbes. Gilbert, S. 123 ff.
L. D. White, 1948, bes. S. 271 ff.
Die umfangreiche Literatur über Wahlsysteme und insbesondere das Schrifttum der Gegner des Proporzes enthält eine empirische Grundlage für diese Aussage. Man vgl. insbes. Hermens, 1941, und Friedrich, 1968 I, Kap. XV, für weitere Literaturhinweise.
Goetz Roth, 1954, bietet eine interessante allgemeine Analyse des Arbeitens des deutschen Systems von Koalitionsregierung, und zwar auf Grundlage der Gegebenheiten in einem einzelnen Lande. Siehe bes. S. 82 ff. Eine kürzere Behandlung des Problems findet sich bei Sternberger, 1956, S. 101 ff.
Adenauers erste Regierung 1949–1953 widerspricht dieser Regel nicht, denn nach der Verfassungsvorschrift, die das konstruktive Mißtrauensvotum regelt, war der Sturz eines Kanzlers sehr erschwert, aber nicht ausgeschaltet. Vgl. auch Adenauers eigene Erinnerungen, Bd. 1.
Duverger, 1954, S. 24.
Ibid.,Kap. 1.
Die Lage in Amerika ist überzeugend analysiert bei Grodzins, 1966.
Für die Frage der Bedeutung der Regierungs-im Gegensatz zur Sozialstruktur vgl. Lipson, A, 1953, und S. Neumann (Hrsg.), 1956, insbesondere das Kapitel von Schattschneider.
C. H. Moore, A, 1960. Siehe auch unten Fn 45.
Allgemein für die Auffassungen von Nyerere siehe sein Buch von 1967. Das Zitat findet sich in einem älteren Artikel von 1962, S. 185–186.
Siehe Friedrich und Brzezinski, Kap. IV.
Siehe Friedrich, 1967 I, Kap. 5.
C. H. Moore, A, 1960; Safran, 1961; siehe auch Almond und Coleman, 1959. Man vgl. außerdem J. Lapalombara (Hrsg.), 1966; R. Tiholt und J. E. Turner, 1966; 46 J. D. Montgomery und W. J. Siffin (Hrsg.), 1966; und Plank, 1969.
Fainsod, 1963, S. 212.
Fainsod, 1963, und A, 1961; das Zitat findet sich auf S. 187. Siehe auch Schapiro, 1960.
Lenin spricht in Was tun? von „beruflichen Revolutionären“,bei denen es unwichtig ist, ob sie Arbeiter sind oder nicht. Das im Text gegebene Zitat findet sich im Abschnitt e. Diese Schrift ist enthalten in Lenins Selected Works,1943, Bd. II, bes. S. 152, wo sich dieser Satz findet. Lenin selbst fügt das Prinzip einer „sorgfältigen Auswahl” hinzu. In dem darauffolgenden Paragraph umreißt Lenin die Arbeitsweise der deutschen Sozialdemokratischen Partei in einem „Lande der politischen Freiheit“ und gibt in diesem Zusammenhang eine klassische Beschreibung einer wirklich demokratischen Partei mit ihrer Publizität, ihren freien Wahlen und ihrer freien Werbung. Die Schrift Lenins ist zugleich eine Antwort auf Michels, und zwar bevor dieser selber darüber schrieb, denn Lenin macht hier (Abschn. c) diejenigen lächerlich, die glauben, eine kleine Führungsgruppe verletze das demokratische Prinzip. Siehe hierzu W. I. Lenin, Über den Parteiaufbau,1958; darin finden
sich auch Auszüge aus Was tun?. Siehe die in der vorigen Fn zitierte Sammlung von 1958 auf S. 112 und S. 139 ff., wo sich Lenins Entwurf von Parteistatuten findet. Das gleiche Thema beherrscht die Schrift „Einen Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“, insbesondere S. 185 ff.
Webb und Webb, 1897 (1902), Kap. 1. Lenin, 1958, S. 335 ff. Die gleichen Themen erscheinen erneut in Lenins Appell für eine Umorganisation der Partei von 1905; siehe ibid., S. 422 ff. und später.
Friedrich und Brzezinski, 1965, Kap. 4.
All dies ist a.a.O. näher geschildert. Man vgl. auch Fainsod, 1963, Kap. 7 und 8; diese Beschreibungen sollte man ergänzen durch die allgemeine Analyse des Alltags in der
Sowjetunion in Werken wie dem von Inkeles und Bauer, 1959, bes. Kap. 4–6 und 9–11. Hierzu insbesondere Fainsod, 1958, ein sehr aufschlußreiches Werk, das auf der sorgfältigen Durchforschung der Parteiarchive von Smolensk 1917–1938 beruht. Es enthält natürlich keine Beschreibung der heutigen Lage, aber wohl eine Art Maßstab für die spätere Entwicklung. Der X XII. Parteikongreß bestätigt im allgemeinen diesen Bericht. Man vgl.
dazu Fainsod, A, 1961. Daß dies ein in Organisationen der verschiedensten Typen vorkommendes Phänomen ist, ist in Friedrich, 1967 I, Kap. 8, nachgewiesen. Die Wechselwirkung zwischen persönlichem Stil und der Ausrichtung einer Organisation ist aber bisher nur sehr ungenügend untersucht worden. Man vgl. auch Spiro, 1959, Kap. 13.
Germino, 1959, bes. S. 26 ff.
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Friedrich, C.J. (1970). Das Problem der Sukzession und die Funktion der politischen Parteien. In: Politik als Prozeß der Gemeinschaftsbildung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-02720-1_21
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