Zusammenfassung
„Sowohl zu Anfang wie auch am Ende des berühmtesten Rechtssystems, das die Menschheit kennt, steht ein Gesetzbuch.“ Mit diesen Worten beginnt Henry Maine sein berühmtes Werk The Ancient Law. Gemeint sind damit natürlich die Gesetzbücher der Römer. Unter einem Gesetzbuch wird hier eine Sammlung von geschriebenen Regeln verstanden. Wie wir bereits vorher bei der Erörterung von Recht und Gesetz ausgeführt haben (Kapitel 7), sind Entscheidungen (actions), die allgemeine Befehle enthalten, wenn sie durchgesetzt werden können, von ganz besonderer Bedeutung, vorausgesetzt, daß Herrschaft mit Autorität legitim ausgeübt wird. Denn da jeder solche Befehl für viele Menschen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten gültig ist, enthält er im Grunde eine Vielzahl von Befehlen, die immer von neuem wiederholt werden müßten, wenn kein solch allgemeiner Befehl möglich wäre. Aber wir haben auch oben bereits darauf hingewiesen, daß diese herkömmliche „Befehlstheorie“ des Rechts deshalb sehr problematisch ist, weil sie die Rolle der Vernunft nicht hinreichend berücksichtigt. Wir hatten deshalb das Recht mit der Autorität als der Fähigkeit zu vernünftiger Erläuterung und Begründung verknüpft, um damit ein rationales Element in diese Befehlstheorie einzubauen, das ihr eine existentielle Dimension verleiht. Ohne solche Autorität ist, wie gesagt, der in der Form einer Rechtsnorm erlassene Befehl existentiell unvollkommen und daher nur in begrenztem Umfang verbindlich. Wir haben außerdem gezeigt, daß eine solche Betrachtungsweise dazu beiträgt, die Schwierigkeiten zu vermeiden, die sich durch eine Antithese zwischen einer normativen und einer „realistischen“ oder behavioralistischen Rechtsauffassung ergeben, die allein an Sitte und Brauchtum orientiert ist. Diese von uns vertretene Rechtsauffassung, nach der das Recht aus allgemeinen Befehlen oder verbindlichen Regeln besteht, die von einem legitimen Machthaber, der Autorität besitzt, erlassen werden, bildet die Grundlage für eine allgemeine Theorie des Aufstellens (making) von Regeln. Es ist offensichtlich, daß solches Aufstellen von Regeln über die traditionelle Vorstellung von der Legislative, die als die gesetzgebende Gewalt gilt und die von der ausführenden und der richterlichen Gewalt getrennt ist, hinausgeht. In Wirklichkeit haben alle drei Gewalten Anteil an dem Aufstellen von Regeln, wie sie ja auch alle an der Schlichtung von Streitigkeiten mitwirken, was im vorigen Kapitel gezeigt wurde.
The golden rule is that
there are no golden rules.
Shaw
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Literatur
Für eine sehr andere Ansicht vgl. man Barker, 1951, S. 89 ff., der so weit geht, Recht und Staat zu identifizieren (S. 89 ).
Siehe Friedrich, 1967 I, Kap. 4.
Es handelt sich hier um eine konkrete Seite der Beziehungen zwischen Wert-und za Existenzurteilen. Siehe hierzu Friedrich, 1967 I, Kap. 3.
Für eine Erörterung dieser Gegebenheiten siehe Friedrich, 1967 I.
Für Beispiele siehe Stubbs (9. Aufl., neubearbeitet von Davis), 1921, S. 257 ff.; für Frankreich siehe Oliver—Martin, 1951, S. 221 ff.
Theodore W. Dwight in seiner Introduction zu Henry S. Maine’s Ancient Law, 1861, 1871, S. X V.
Siehe Labor Party,1949, S. 119 ff.; an dieser Stelle wird darüber berichtet, daß eine Reihe von Mitgliedern der Partei Änderungen in den Regeln verlangt haben. Für ähnliche Vorgänge siehe Reports der Labour-Party von 1959 und 1960.
Generallnstruction No. 2.35 vom 18. November 1946.
Friedrich, 1968 I, Kap. XXI; Haas, 1958,. Kap. 9 und 10; daneben Art. 193–198 des EWG-Vertrages.
Haas, 1958, S. 475; das nächste Zitat ibid.
Siehe z. B. Kenyatta, 1938; Nyerere, A, 1962.
Linton, 1939, S. 161; ähnlich Warner, 1958, S. 585.
Wallace und Hoebel, 1952.
Vgl. L. H. Morgan, 1901; Noon, 1949; Middleton, 1958; M. Mead, 1930.
Friedrich, 1942, S. 121 ff. Diese Einrichtung ist lebendig geschildert in Gould, 1940.
Bryce, 1924, Bd. I, S. 626.
G. Hicks, 1946, hat seine eigenen Erfahrungen in einem solchen Ort sehr lebendig 8 geschildert.
Friedrich, 1968 I, Kap. XXIV, bes. S. 542–547.
Über diese Fragen ist im Zusammenhang mit der Reform des deutschen Aktienrechts viel gestritten worden. Bekanntlich ist der Aufsichtsrat im deutschen Aktienrecht gesetzlich viel stärker auf diese Funktionen festgelegt, als das im angelsächsischen Recht der Fall ist. Siehe hierzu Dülfer, 1962; Hueck, 1963, sowie Marburger Aussprache zur Aktienrechtsreform, 1959, und Zur großen Aktienrechtsreform, 1962.
Für den Hintergrund der Frage der „Freiheit der Debatte“ siehe Chafee, 1956, Kap. 1.
Ein bekannter Autor geht so weit, zu behaupten, das Parlament habe aufgehört, eine „thought organization“ zu sein (Finer, 1932, und spätere Auflagen). Seit zwei Generationen schon behaupten Kritiker, das Parlament sei ein „Gummistempel” und eine Abstimmungsmaschine geworden. Keeton, 1952, spricht sogar vom Dahinsterben des Parlaments („passing of Parliament“) im Zusammenhang mit der Gefahr, die die Delegation gesetzgebender Funktionen mit sich bringe. Eine Generation früher hatte Muir 1930, erklärt, „that the time-honoured description of Parliament as the effective legislative body has ceased to be in any valuable sense true” (S. 32–33). Etwas ausgeglichener die Darstellung bei Jennings, 1940, Kap. VII und VIII, und Morrison, 1954, Kap. X und XI.
Ich glaube, diese Probleme sind bei mir 1968 I, Kap. XVI und XVII, ausführlicher darge- stellt. Dort auch zusätzliche Literatur. Vgl. hierzu außerdem Cassinelli, 1961, Kap. 5.
Luce, 1922, Kap. IV—VIII. Siehe auch Young, 1943, 1958, bes. S. 129 ff., 140 ff., 159 f.
und 274 ff.; siehe auch Bailey und Samuel, 1952, passim.
In manchen Ländern, insbesondere auch in Deutschland, hat man diese Praxis so weit getrieben, daß Beamte bestimmter öffentlicher Dienste, so z. B. der Postverwaltung, an den Parlamentsausschüssen beteiligt sind, die das betreffende Sachgebiet beaufsichtigen sollen. Es ist offensichtlich, daß eine derartige Praxis die Funktionen des Parlaments gefährdet. Siehe Loewenberg, 1966, Kap. IV.
Jennings, 1940, erwähnt mehrere Fälle, in denen bedeutende Änderungen vorgenommen wurden oder wo der Vorschlag sogar zurückgezogen wurde (S. 224 ff., bes. S. 230). Siehe
auch Allen, 1927, 1958, Kap. 6.
Bentham, Works,Bd. II, S. 310 ff.
Luce, 1922, S. 150–151; das nächste Zitat ibid.
So stark war die Neigung zur Geheimhaltung im britischen Kabinettsystem, daß eine Zusammenfassung der Diskussionen schriftlich festgehalten wurde. In neuerer Zeit hat sich das etwas geändert. Siehe dazu Morrison, 1954, der auf Grund seiner langjährigen Kabinettserfahrung schreibt: „It is the summary of discussion that presents the most difficult task… judgment is needed in summarizing what the Ministers have said… the essentials of all points of view expressed are summarized with much accuracy and fairness“
S. 12–13). Das nächste Zitat ibid.
C. P. Snow, 1961, S. 1–2, hat den Begriff der Geheimpolitik insbesondere als Politik der Ausschüsse (im Gegensatz zu einer Politik der Bürokratie und des Hofes) hervorgehoben.
Siehe dazu Redlich, 1906, 1908, Bd. III.
Bracher, 1957.
Redlich, 1906, 1908, Bd. II, S. 168, wo Bentham, Essay on Political Tactics, zitiert wird.
Jennings, 1940, Kap. III, bes. S. 62.
Siehe Friedrich, 1967 I, Kap. 4.
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Friedrich, C.J. (1970). Das Aufstellen von Regeln. In: Politik als Prozeß der Gemeinschaftsbildung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-02720-1_18
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