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Zur Einführung: Das Strafrecht und die Mütterlichkeit

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Leiden als Mutterpflicht
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Zusammenfassung

Wenn man, wie es dem Soziologen gut ansteht, das Strafrecht aus der Froschperspektive betrachtet, geht da etwas ziemlich Absurdes vor sich: Ernsthafte, mit ziemlich großem Aufwand in den Feinheiten eines ausgeklügelten Denksystems ausgebildete Damen und Herren (meist Herren), häufig Sprosse einer Dynastie von Staatsdienern, ausgerüstet mit einem standesgemäßen Einkommen, Unkündbarkeit und einem sicheren Pensionsanspruch, bemühen sich um manchmal tragische, gelegentlich lächerliche, fast immer aber armselige und schäbige Ereignisse des Alltags überwiegend von Leuten, die wenig Schulbildung und gar keinen „Stand“ haben, der ihrem Einkommen „gemäß“ sein könnte, von irgendeiner Sicherheit dieses Einkommens ganz zu schweigen, deren Zukunft sich nicht in Vorrükken, Verwendungsgruppen und Gehaltsstufen bemißt, sondern die allen Schwankungen und bedauerlichen Härten des Wirtschaftslebens und seiner Entwicklung sehr unmittelbar ausgesetzt sind. Jene besseren Damen und Herren bemühen sich, im Rahmen eines großartigen und weitverzweigten Behördenapparats diesen tragischen, lächerlichen, armseligen und schäbigen Ereignissen in einer Welt, mit der sie sonst wenig zu tun haben möchten, „gerecht“ zu werden, indem sie sie an der Schablone eines Kodex’ messen, dessen Vokabular und Ausdrucksweise denen, die da gemessen werden, so unverständlich ist, daß sie einen ebenfalls hochgebildeten und mit dem Behördenapparat vertrauten Übersetzer und Vertreter brauchen, um an dem Vorgang, der für sie vergleichsweise folgenreich sein kann, auch nur halbwegs kompetent teilnehmen zu können. Organisierte Selbstgerechtigkeit, versehen mit der Monopol-Lizenz, das „ethische Minimum“, einen angenommenen „Minimalkonsens“ über schutzbedürftige Werte und Güter auch mit staatlicher Gewalt zu verteidigen, im Namen dieser schönen, wenn auch unklaren Dinge „ein Strafübel zu verhängen“, sitzt im Talar und auf dem Podest zu Gericht über die Heillosigkeit eines Alltags, der sich hartnäckig jenen staatsfrommen Ordnungsvorstellungen nicht unterwerfen will und kann, die ihm da überzustülpen versucht werden.

„Die Leidensfähigkeit einer Frau ist unbegrenzt. Leiden um ein geliebtes Wesen kann zur Form ihrer Existenz werden. Beim Mann scheint es anders zu sein. Er bemüht sich um Ablenkung. Sein Gesetz ist die Leistung. Der Weg der Frau führt mitten durch die Hölle. Entweder wird sie darin zu Asche, oder aber sie ringt sich durch zu neuem Werden in Entsagung und Einsamkeit.“

Marianne Weber, Lebenserinnerungen, Bremen 1948, 115

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© 1980 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen

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Steinert, H. (1980). Zur Einführung: Das Strafrecht und die Mütterlichkeit. In: Leiden als Mutterpflicht. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01703-5_1

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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