1 Darstellung des Vorgehens und der Zielsetzungen

1.1 Digitalisierung von Arbeitsprozessen

Gestaltungsfragen der Digitalisierung spiegeln sich für Unternehmen insbesondere auf der Ebene von Arbeitsprozessen wider. Neue Technologien ermöglichen in Verbindung mit veränderten Kundenbedürfnissen neue Geschäftsmodelle, die mit anderen Erlösströmen und transformierten Wertschöpfungsketten einhergehen. Entscheidend für die Leistungserstellung ist jedoch die Frage, ob und wie die dafür erforderlichen Arbeits- und Ablaufprozesse gestaltet werden und inwiefern Teile der Prozesse durch neue Technologien unterstützt und damit effektiver und effizienter organisiert werden können. Neben kundenbezogenen Prozessen, die zunehmend als End-to-End-Prozesse gestaltet werden, können auch interne Leistungsprozesse (z. B. im Personalwesen oder der Kostenrechnung) durch Digitalisierung effizienter und effektiver organisiert werden. Dabei ermöglichen es digitale Technologien Arbeitsschritte automatisiert miteinander zu verknüpfen, die bis dato in unterschiedlichen Organisationsbereichen analog bzw. manuell bearbeitet wurden.

Im Rahmen der Digitalisierung beider Prozesstypen ergeben sich für kommunale Unternehmen besondere Anforderungen. Denn im Gegensatz zu konventionellen Betrieben bietet die Kommunalwirtschaft gesellschaftlich notwendige Dienstleistungen, deren Verfügbarkeit auch in Krisenzeiten und unter erschwerten Bedingungen gewährleistet werden muss, was z. B. eine hohe Daten- und Prozesssicherheit voraussetzt. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Kommunalwirtschaft im Spannungsfeld zwischen einer marktwirtschaftlichen Liberalisierung von Aufgaben und einem öffentlichen Versorgungsauftrag operiert. Daraus resultieren spezifische Anforderungen an die Prozessgestaltung, aber auch an die Arbeitsorganisation und die Einbeziehung der Beschäftigten.

Zielsetzung war somit, einen branchen- und unternehmensspezifischen Ansatz für die Digitalisierung von Arbeitsprozessen zu erarbeiten, der den besonderen Anforderungen kommunaler Unternehmen Rechnung trägt. Des Weiteren war zu erforschen, inwieweit sich ein solcher unternehmensspezifischer Ansatz auf andere Bereiche gesellschaftlich notwendiger Dienstleistungen oder gar darüber hinaus übertragen lässt.

Im Rahmen von AKTIV-kommunal erarbeitete das Fraunhofer IAO gemeinsam mit den Stadtwerken Konstanz und der badenova AG Vorgehensweisen zur Gestaltung, Umsetzung und Evaluation digitalisierter Arbeits- und Leistungsprozesse in digital vernetzten Strukturen. Begleitend zu den oben beschriebenen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten wurde von Fraunhofer IAO in Zusammenarbeit mit den Partnern ein Rahmenkonzept für eine Toolbox zur Prozessdigitalisierung entworfen, das im Projektverlauf ausdifferenziert und in iterativen Entwicklungszyklen inhaltlich gefüllt wurde. Im Fokus der Toolbox stehen ein generisches Vorgehensmodell sowie spezielle Methoden und Instrumente zur Digitalisierung interner Arbeits- und Leistungsprozesse. Mit der Toolbox liegt damit ein Instrumentarium vor, welches die digitale Transformation der kommunalen Unternehmenspartner in einer Schritt-für-Schritt Vorgehensweise unterstützt. Darüber hinaus wurden bei der Konzeption und Ausarbeitung der Toolbox deren Übertragbarkeitspotenziale auf andere Unternehmen der Kommunalwirtschaft – insbesondere für kleine und mittelständische – berücksichtigt und überprüft.

1.2 Digitale Arbeitsmodelle

Digitalisierung und die Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ermöglicht eine örtliche, zeitliche und organisatorische Flexibilisierung von Arbeit. Durch re-organisatorische Maßnahmen können auch Beschäftigte vom Angebot mobiler und flexibler Arbeit profitieren, die bislang zur Erfüllung ihrer Aufgaben an ihre jeweiligen Arbeitsplätze gebunden waren. Innovative Arbeitsmodelle, die sich an individuellen Bedürfnissen und Tätigkeiten ausrichten, steigern Arbeitgeberattraktivität – gerade in Zeiten eines anvisierten Fachkräftemangels. Flexible Modelle tragen zu einer verbesserten Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf bei und ermöglichen darüber hinaus innovative Geschäftsmodelle. In Stadtwerken muss die Arbeitsgestaltung den spezifischen Bedingungen kommunaler Energieversorgung genügen. Zudem muss der Ausgleich geschafft werden zwischen den Bedürfnissen der Beschäftigten, den Anforderungen kritischer Infrastruktur und Kundenansprüchen. Dieser Ausgleich kann am besten durch partizipative Prozesse und eine kontinuierliche Einbindung aller Stakeholder des Veränderungsprozesses von Beginn an erreicht werden. Im Rahmen von AKTIV-kommunal gestaltete INPUT Consulting deshalb einen partizipativen Prozess zur Entwicklung, Umsetzung und Evaluation innovativer Modelle orts- und zeitflexiblen Arbeitens in digital vernetzten Strukturen. Im Zentrum des Forschungs- und Entwicklungsprojektes standen die Umsetzung und Erprobung der Modelle bei den Stadtwerken Heidelberg.

Alle Prozessschritte – von der Ideengenerierung über die Modellentwicklung bis hin zu Umsetzung und Evaluierung – wurden in kollaborativer Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler*innen und dem Unternehmen gestaltet. Die Erforschung und Entwicklung innovativer Arbeitsmodelle erfolgte im Rahmen eines Design Thinking-Prozesses, der gemeinsam mit den Stadtwerken Heidelberg durchgeführt wurde. Verstehen und beobachten, Ideen generieren und Prototypen bauen, ausprobieren, evaluieren und kontinuierlich verbessern: Diese zentralen Phasen des kreativen Prozesses wurden von Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen gemeinsam durchlaufen. Betriebsräte, Beschäftigte, Führungskräfte, Personaler und alle weiteren Stakeholder wurden dabei als Mitgestalter*innen und Mitbestimmer*innen in die Verantwortung genommen.

Den Ausgangspunkt für die Entwicklung innovativer Arbeitsmodelle bildeten die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Anforderungsanalyse. Hierfür wurden Interviews mit Beschäftigten und Führungskräften geführt sowie teilnehmende Beobachtungen und Fokusgruppen realisiert. Zudem wurden sogenannte „Dialogforen“ eingerichtet, bei denen Beschäftigte, Führungskräfte und Betriebsräte miteinander die Möglichkeiten, Grenzen und Notwendigkeiten orts- und zeitflexibler Arbeit diskutierten. Durch eine quantitative Beschäftigtenbefragung bei drei Stadtwerken wurden zudem mehrere hundert Beschäftigte zu ihren Erfahrungen und Wünschen bezüglich flexibler Arbeit befragt.

Aufbauend auf den Ergebnissen der Anforderungsanalyse wurden dann, unter Einsatz kreativer Methoden, Ideen für orts- und zeitflexibles Arbeiten generiert. Hierfür wurden vier Pilotabteilungen ausgewählt, deren Tätigkeiten die Bandbreite der Aufgaben kommunaler Energieversorgung umfassen: Kundenmanagement, Netzinformation, Zentrales Projektmanagement und Abrechnung/Forderungsmanagement. Ziel war die Ermöglichung orts- und zeitflexibler Arbeit für Beschäftigte in allen Berufen und Tätigkeiten. In einer 1,5-jährigen Experimentier- bzw. Pilotphase wurden die Modelle auf ihre Praxistauglichkeit getestet und kontinuierlich verbessert. Die Pilotphase wurde durch Wissenschaftlerinnen evaluiert und von Betriebsrat und Personalabteilung eng begleitet. Öffnungs- bzw. Experimentierklauseln für bestehende Betriebsvereinbarungen bildeten den regulatorischen Rahmen.

1.3 Digital Leadership

Neben der Einführung von innovativen Technologien und Anwendungssoftware am Arbeitsplatz bedeutet die Digitalisierung häufig auch, dass neue abteilungsinterne und abteilungsübergreifende Arbeitsabläufe und Arbeitsmodelle erforderlich werden. Eine wichtige Rolle für das Gelingen digitaler Transformationsprozesse spielt ein lösungsorientierter Umgang mit den häufig damit einhergehenden Ängsten und den zu erwarteten Widerständen bei den Beschäftigten. Eine große Gefahr liegt insbesondere darin, dass Beharrungstendenzen und befürchtete Machtverluste aufseiten der Führungskräfte nicht beachtet werden, erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen und digitale Transformationsprozesse dadurch ins Stocken geraten. Insofern ist es notwendig, die Digitalisierungsbereitschaft aller Beschäftigten als zentralen Erfolgsfaktor der Gestaltung von digitalen Transformationsprozessen zu berücksichtigen. Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Analysen der Universität Duisburg-Essen standen daher zunächst solche Analysen, mit denen ein konkretes und im Praxiskontext tragfähiges inhaltliches Verständnis von Digitalisierungsbereitschaft ausfindig gemacht wurde. Anschließend bestand ein weiteres Ziel darin, wesentliche Einflussfaktoren der Digitalisierungsbereitschaft in kommunalen Unternehmen zu identifizieren. Mit Hilfe von zahlreichen Experteninterviews mit Beschäftigten kommunaler Unternehmen und ausführlichen Literaturrecherchen wurden zunächst die drei inhaltlichen Teilfacetten der kognitiven, der intentionalen sowie der emotionalen Digitalisierungsbereitschaft sowie verschiedene Einflussfaktoren der Digitalisierungsbereitschaft ermittelt. Im Rahmen von drei quantitativen empirischen Studien wurden die ermittelten Einflussfaktoren der Digitalisierungsbereitschaft auf ihre tatsächliche Relevanz empirisch geprüft:

  • Die erste quantitative Studie wurde bei den drei Projektunternehmen durchgeführt. Dabei konnten 402 Datensätze generiert werden. Der Fokus dieser Studie lag auf mitarbeiter- und unternehmensbezogenen Einflussfaktoren der Digitalisierungsbereitschaft.

  • An der zweiten Studie nahmen 318 Befragte von 23 Stadtwerken aus ganz Deutschland teil. Der Schwerpunkt lag hier darin zu analysieren, ob und inwiefern das Führungsverhalten die Digitalisierungsbereitschaft von Mitarbeitern unter Berücksichtigung von unternehmensinternen Kontextfaktoren beeinflusst. Hier stand der Einfluss von Empowering Leadership im Sinne der Förderung der Autonomie und Selbstentwicklung von Mitarbeitern im Fokus.

  • In der dritten Studie wurde die zweite Studie bei einem privaten Energiedienstleister repliziert. An dieser Studie nahmen insgesamt 1307 Beschäftigte von drei verschiedenen Standorten teil.

Die wissenschaftlichen Befunde dieser Studien, in Kombination mit der praktischen Umsetzung der bei den Stadtwerken Heidelberg eingeführten neuen Arbeitsmodelle, legten schließlich nahe, organisierte Lernprozesse zur Vermittlung und Aneignung der geänderten Rollen von Führungskräften in digitalen Transformationsprozessen zu konzipieren und durchzuführen. Das zentrale Ziel des Teilprojektes „Digital Leadership“ der Stadtwerke Heidelberg bestand folglich darin, für solche organisierten Lernprozesse geeignete Formate zu entwickeln und pilotmäßig zu testen. Dabei sollte es den Führungskräften ermöglicht werden, sich mit den Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt in Bezug zur eigenen Rollendefinition auseinander zu setzen. Darüber hinaus sollten den Führungskräften und ihren Mitarbeitern Möglichkeiten der Reifung und Entwicklung der eigenen Persönlichkeit im Sinne einer stärkeren Selbstführung gegeben werden. Eine besondere Rolle kam dabei dem Personalwesen und hier speziell der Personalentwicklung bei den Stadtwerken Heidelberg zu. Hier wurde die Konzeption, Realisation und Begleitung entsprechender Formate organisierter Lernprozesse für Führungskräfte im Digitalisierungskontext organisatorisch verankert. Darüber hinaus wurde bei der Gestaltung der entwickelten Formate besonderer Wert darauf gelegt, deren Übertragbarkeit auf kleine und mittelständische (kommunale) Unternehmen zu gewährleisten.

2 Präsentation der Forschungsergebnisse anhand von Use Cases

2.1 Digitalisierung von Arbeitsprozessen

Während der Projektlaufzeit haben Fraunhofer IAO und die betrieblichen Partner Stadtwerke Konstanz und die badenova AG in einem engen Austausch an wissenschaftlichen und praxisrelevanten Fragestellungen der Prozessdigitalisierung gearbeitet. Innerhalb von mehreren Workshops mit Stakeholdern aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen wurde zunächst eine Analyse vorliegender Prozesse vorgenommen, die anschließend unterschiedlicher Typen von Prozessen zugeordnet wurden. Dabei lag der Fokus bei den Stadtwerken Konstanz auf Inhouse-Ablaufprozessen, wie sie z. B. im Personalwesen anfallen, während die Arbeiten mit der badenova AG auf die Transformation von räumlich verteilten Arbeitsprozessen fokussiert haben, wie sie im Umfeld des Technischen Service zu beobachten sind. Anhand von exemplarisch ausgewählten Abläufen wurden die Prozesse mittels der Service Blueprint Methode detailliert aufgenommen. Die dokumentierten Prozessabläufe konnten in einem weiteren Schritt hinsichtlich ihrer Digitalisierungspotenziale überprüft und in ein Soll-Bild übertragen werden. Dabei zeigte sich u. a., dass in selbst vermeintlich „einfachen“ Prozessen eine Vielzahl von Personen, Übergabepunkten und Medienbrüchen enthalten sind und dass bei den in die Prozesse involvierten Beschäftigten nicht immer Konsens über deren formal oder informal festgelegten und der tatsächlich gelebten Unternehmenspraxis bestand. Eine weitere wichtige Erkenntnis in diesem Zusammenhang ist die Prozessdigitalisierung mit anspruchsvollen, aber nicht zu komplexen und keinesfalls mit Prozessen zu starten, die für die Leistungserbringung als kritisch einzustufen sind. Mit dem aus der Analysephase vorliegenden Wissen und Erfahrungen erfolgte in den Unternehmen eine Umsetzungsphase, in welcher die dokumentierten und modellierten Prozesse sukzessive optimiert, digitalisiert und schließlich evaluiert wurden. Wesentliche Projekterkenntnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Erstens ist es von zentraler Bedeutung, dass die Prozessdigitalisierung Teil einer unternehmensübergreifenden Strategie ist, da die Prozessdigitalisierung zugleich mit veränderten Abläufen und Zuständigkeiten einhergeht, was eine abteilungsübergreifende Einbettung erfordert. Zweitens kann eine systematische Vorbereitung der Prozessdigitalisierung kaum überschätzt werden. Dazu zählen Instrumente und Methoden zur Planung und Abschätzung von Digitalisierungseffekten, aber auch zur Schulung von Multiplikatoren und zur internen Kommunikation von Digitalisierungsmaßnahmen. Und drittens stellt sich insbesondere für die Kommunalwirtschaft die Frage, ob IT-technische Maßnahmen und Entwicklungen selbst realisiert, oder ob diese Leistungen über externe Dienstleister bezogen werden, wobei das Vertrauensverhältnis zu externen Partnern aufgrund der besonderen Anforderungen von Unternehmen der Daseinsvorsorge eine besondere Bedeutung erfährt.

Zusammenfassend kann für die Stadtwerke Konstanz festgehalten werden, dass die Prozessdigitalisierung als Bestandteil einer fortlaufenden Unternehmenstransformation verstanden werden kann, was sich unter anderem dadurch zeigt, dass über den Projektverlauf im Unternehmen zahlreiche organisatorische Veränderungsprozesse eingeleitet wurden, die in ihrer Tragweite weit über die Automatisierung einzelner Arbeitsabläufe hinausreichen. Wie stark die Digitalisierung von Leistungsprozessen mit unternehmensweiten Transformationsprozessen korreliert, bestätigten auch Projektarbeiten mit der badenova AG. Am Beispiel des Technischen Service konnte im Rahmen eines systematischen Szenario-Prozesses aufgezeigt werden, in welchem Verhältnis die Digitalisierung von kundenbezogenen Prozessen zu neuen Arbeitsformen, aber auch zu digitalen Geschäftsmodellen und zu völlig neuen Organisationskonzepten steht. Dabei reicht das Spektrum der Möglichkeiten für die Entwicklung technischer Dienstleistungsarbeit von einer punktuellen Aufwertung mobiler Service-Arbeit bis zum vollständigen Outsourcing eigener Dienstleistungsfunktionen im Rahmen einer serviceorientierten Plattformökonomie. Indem sich das Management bereits heute mit der möglichen Zukunft digitalisierter Arbeitsprozesse in systematischer Weise auseinandersetzt, kann die Sensibilisierung des Unternehmens für neue Entwicklungen und die Qualität für anstehende Entscheidungen bereits im Hier und Jetzt signifikant gesteigert werden.

2.2 Digitale Arbeitsmodelle

Im Rahmen einer 1,5-jährigen Experimentierphase mit vier Abteilungen und über 80 Beschäftigten und Führungskräften der Stadtwerke Heidelberg wurden folgende Modelle entwickelt, umgesetzt und formativ evaluiert:

  • Arbeiten AZ/flex (Zeitflexibles Arbeiten; Samstag als alternativer Arbeitstag)

  • Flexibles und selbstreguliertes Homeoffice

  • Mobiles Arbeiten auf dem Werksgelände

  • Mobiles Arbeiten unterwegs

Alle Beschäftigten wurden durch die Stadtwerke Heidelberg mit mobilen Arbeitsmitteln ausgestattet und notwendige IT-Infrastrukturen geschaffen. Es wurde ein Steuerungsteam eingesetzt, das aus Führungskräften, Betriebsrat, Personal- und IT-Abteilung bestand und die Umsetzung gestaltete. Das Konzept für die wissenschaftliche Evaluation durch INPUT Consulting sah einen Methoden-Mix aus qualitativen und quantitativen Ansätzen vor und verband persönliche Gespräche mit online verfügbaren, anonymen Befragungstools.

Die Ergebnisse der Anforderungsanalyse zeigten einen klaren Bedarf nach einer freieren Arbeitszeitgestaltung und mehr Mitbestimmung am Arbeitsplatz. Die Anforderungsanalyse verdeutlicht auch, dass Flexibilität in komplexe bestehende Systeme integriert werden muss – weshalb neben einer regulatorisch-organisatorischen Flankierung durch Betriebsvereinbarungen auch arbeitsorganisatorische Aspekte als zentrale Stellschraube bearbeitet werden mussten. Die Evaluation hat ergeben, dass die Beschäftigten die angebotene Flexibilität umfassend nutzen – oftmals auch gewissermaßen als „Baukasten“, aus dem sie sich in enger Absprache mit Führungskräften und Kolleg*innen für die Gestaltung ihrer individuellen Arbeitsmodelle bedienen. Dabei entstehen neue, individuelle Regelmäßigkeiten, die sich an den Bedürfnissen der Beschäftigten ausrichten. Die Vorteile der Flexibilität werden von den Beschäftigten insbesondere in einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben gesehen. So können Termine, Kinderbetreuung, Zeit für pflegebedürftige Familienangehörige und Hobbies konfliktfreier mit der Arbeit vereinbart werden. Auch Zeiteinsparungen durch den Wegfall von Pendelstrecken und die Vermeidung überfüllter Nahverkehrsmittel werden als sehr positiv hervorgehoben. Es zeigt sich zudem, dass die Flexibilität im Sinne der Beschäftigten auch positive Effekte für das Sozialgefüge und die Produktivität in den Abteilungen entfaltet. Die Beschäftigten bringen sich insgesamt mehr ein und übernehmen auch selbst mehr Verantwortung. Durch die Möglichkeit, selbstbestimmter zu arbeiten, steigt das Gefühl der persönlichen Wertschätzung und Arbeitszufriedenheit.

Auch wenn die positiven Erfahrungen im Erprobungszeitraum die negativen Erfahrungen deutlich überwogen haben, dürfen mögliche Risiken nicht aus dem Blick geraten. Die Erfahrungen zeigen, dass es aus arbeitswissenschaftlicher Sicht eine Reihe an möglichen Stressoren gibt, die durch die Flexibilisierung des Arbeitsorts auftreten können. In Einzelfällen wurde ein mangelhafter Informationsfluss zwischen den Beschäftigten im Betrieb und ihren Kolleg*innen im Homeoffice und ein erhöhter Leistungsdruck durch das Gefühl, dass die Arbeit ansonsten nicht ausreichend wahrgenommen wird und/oder um zu zeigen, dass im Homeoffice wirklich gearbeitet wird. Hinzu kam in Einzelfällen die Gefahr von Präsentismus durch die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten, obwohl der/die Beschäftigte gesundheitlich beeinträchtigt war. Hinzu kommen mögliche ergonomische Unzulänglichkeiten mobiler Arbeit, die allerdings nicht erfasst werden konnten. Nach zeitflexibler Arbeit am Samstag berichteten einige Beschäftigten davon, dass sie sich dadurch am Wochenende nicht richtig erholen konnten. In Einzelfällen verschwammen zudem die Grenzen von freiwilliger und angeordneter, zuschlagspflichtiger Mehrarbeit am Samstag.

2.3 Digital Leadership

Die Befunde der drei empirisch-quantitativen Studien legen nahe, dass Unternehmen in digitalen Transformationsprozessen die Digitalisierungsbereitschaft von Beschäftigten über den Ausbau und die Stärkung individueller Ressourcen fördern können.

In der ersten Studie wurde der Einfluss mitarbeiter- und unternehmensbezogener Einflussfaktoren auf die Digitalisierungsbereitschaft untersucht. Die Ergebnisse der Analyse sind ein Beleg dafür, dass mitarbeiterbezogene und damit individuelle Faktoren wesentliche Schlüsselfaktoren für die Förderung der Digitalisierungsbereitschaft sind. Darüber hinaus wurde ermittelt, dass unternehmensbezogene Einflussfaktoren als interne Kontextfaktoren, die unmittelbar mit Veränderungsprozessen verbunden sind, z. B. Partizipationsmöglichkeiten für Beschäftigte, sich positiv auf die Digitalisierungsbereitschaft auswirken. Ferner wurde deutlich, dass auch nicht unmittelbar mit Veränderungsprozessen assoziierte, unternehmensbezogene Einflussfaktoren, wie z. B. eine entwicklungsförderliche Unternehmenskultur, indirekt über die Stärkung individueller Einflussfaktoren zur Förderung der Digitalisierungsbereitschaft beitragen (Abb. 25.1).

Abb. 25.1
figure 1

Untersuchungsmodell der Studie 1

In der zweiten und dritten Studie wurde der Einfluss von Empowering Leadership auf die Digitalisierungsbereitschaft von Mitarbeitern unter Berücksichtigung von internen Kontextfaktoren untersucht. Die Ergebnisse der beiden Studien zeigen, dass Empowering Leadership einen signifikanten direkten Einfluss auf die Digitalisierungsbereitschaft von Mitarbeitern hat. Zudem zeigen die Analyseergebnisse, dass der Zusammenhang zwischen Empowering Leadership und der Digitalisierungsbereitschaft maßgeblich durch Leader-Member-Exchange und Mikropolitik moderiert wird. Aber auch Zeitdruck, die Benutzerfreundlichkeit von digitalen Arbeitsmitteln und die Angst vor digitalen Arbeitsmitteln weisen signifikante Effekte auf die Digitalisierungsbereitschaft auf (Abb. 25.2).

Abb. 25.2
figure 2

Untersuchungsmodell der Studien 2 und 3

Die zentralen Ergebnisse der drei Studien zeigen, dass insbesondere die Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung und der Lern- und Entwicklungsorientierung von Beschäftigten relevant für die Förderung der Digitalisierungsbereitschaft ist. Mitarbeiter, die davon überzeugt sind, die Herausforderungen der Digitalisierung bewältigen zu können und eine hohe Bereitschaft haben, sich fort- und weiterzubilden, sind gegenüber der Digitalisierung tendenziell positiv eingestellt. Zudem ist eine wertschätzende und transparente Unternehmenskultur ein wichtiger Faktor, um die Digitalisierungsbereitschaft zu stärken. Besteht zwischen Führungskräften und Mitarbeitern ein starkes Vertrauensverhältnis und sind Entscheidungsprozesse im Unternehmen für Mitarbeiter nachvollziehbar, fördert dies den Einfluss von Führungskräften auf ihre Mitarbeiter. Dieser Einfluss zeigt sich auch hinsichtlich digitaler Arbeitsmittel. Mit der Bereitstellung intuitiv nutzbarer digitaler Arbeitsmittel und den entsprechenden Schulungen kann die unterstützende Rolle von Führungskräften im Rahmen der Digitalisierung unterstützt werden. Dass sich Empowering Leadership positiv auf die Digitalisierungsbereitschaft von Mitarbeitern auswirkt, ist ein weiterer zentraler empirischer Befund der beiden Studien. Fördern Führungskräfte die Selbstführungsfähigkeiten ihrer Mitarbeiter, können sich diese in den Digitalisierungsprozess einbringen, was sich wiederum positiv auf die Digitalisierungsbereitschaft auswirkt.

Die auf wissenschaftlicher Basis gewonnenen Erkenntnisse wurden bei den Stadtwerken Heidelberg in praktische Maßnahmen zur Führungskräfteentwicklung transferiert. Bei der Konzeption und Umsetzung organisierter Lernprozesse wurde eine multiinvasive Vorgehensweise gewählt. Diese fokussiert auf die zwei zentralen Ziele, das Vertrauen in die kooperative Zusammenarbeit zwischen Teammitgliedern und Führungskräften zu stärken sowie die eigenen (Selbstorganisations-) Fähigkeiten aller Beteiligten zu entwickeln. Um entsprechende Lernprozesse zu ermöglichen, hat es sich als nützlich erwiesen, den Austausch der Beteiligten im Rahmen von Führungswerkstätten untereinander zu fördern, auch über die rein fachliche Auseinandersetzung hinaus. Vor allem stand hier die eigenständige Vernetzung im Fokus, aus der bei Bedarf kurzfristig Anregungen, Lösungsansätze und Motivation gezogen werden konnten. Darüber hinaus wurde ein 2-tägiges Trainingsseminar für Führungskräfte entwickelt, welches bei den Stadtwerken Heidelberg pilotiert und wissenschaftlich evaluiert wurde. Hauptbestandteile dieses Seminars sind die Auseinandersetzung mit den zukünftigen Herausforderungen der digitalen Arbeitswelt, die Reflexion und praktische Umsetzung von stärkerer Selbstführung, deren Förderung eine wichtige Aufgabe von Führungskräften zur Stärkung der Digitalisierungsbereitschaft im Sinne von Empowering Leadership ist. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Änderung des Mindsets zu. Diesbezüglich wurde über die Vermittlung agiler Methoden, die Schaffung von Austauschformaten und die Unterstützung dienlicher Rollen ein Setting kreiert, das Führungskräften die Mitgestaltung an digitalen Transformationsprozessen aus einer förderlichen Haltung heraus ermöglicht.

3 Forschungslücken und Ausblick auf fortlaufende Forschungsarbeiten

3.1 Digitalisierung von Arbeitsprozessen

Mit den in den kommunalen Unternehmen vorliegenden Ergebnissen zeigt sich weiterer Forschungs- und Entwicklungsbedarf u. a. im Hinblick darauf, ob spezifische Prozesse, wie bspw. Innovationsprozesse digitalisiert werden können. Weiterhin besteht Forschungsbedarf in Bezug auf eine genauere Definition und Beschreibung von System- und Prozessgrenzen, hinsichtlich der Unterschiede zwischen internen und kundenbezogenen Prozessen sowie weiterer Datenpunkte und der Virtualisierung von Prozessen als digitaler Zwilling.

3.2 Digitale Arbeitsmodelle

Nach Ende der Experimentierphase wurden alle Modelle erneut auf ihre Vereinbarkeit mit tarifvertraglichen Regelungen geprüft. Zudem wurde zum Beispiel der Rahmen der Arbeitszeit an die tatsächlichen Bedürfnisse der Beschäftigten und den tatsächlich genutzten Arbeitszeitrahmen angepasst. Gemeinsam mit ihrem Betriebsrat verabschiedeten die Stadtwerke Heidelberg eine Betriebsvereinbarung, die nun als Grundlage für die Übertragung der innovativen Arbeitsmodelle auf weitere Abteilungen der Stadtwerke Heidelberg dient. Partizipativer Prozess und Modelle sollen nach Ende des Forschungs- und Entwicklungsprojektes AKTIV-kommunal im April 2020 ausgerollt werden, um möglichst vielen Beschäftigten orts- und zeitflexibles Arbeiten zu ermöglichen.

3.3 Digital Leadership

Aufgrund der durchgeführten Querschnittsuntersuchungen sollten die erarbeiteten Modellansätze in weiteren Forschungsarbeiten zukünftig auch im Rahmen von Längsschnittdatenerhebungen überprüft werden. Insbesondere interessant ist dabei der Zusammenhang zwischen der Digitalisierungsbereitschaft und dem tatsächlichen Adaptionsverhalten. Zusätzlich ist es zukünftig sinnvoll zu prüfen, ob und inwieweit der Aufbau von Ressourcen im Zeitablauf zu einer tatsächlichen Erhöhung der Digitalisierungsbereitschaft in der Praxis führt. Mit Blick auf die praktische Anwendung ist insbesondere der Effekt organisationaler Maßnahmen durch ein quasi-experimentelles Design zu ermitteln. So sollte der Effekt der entwickelten Führungskräftetrainings auf die Ausprägungen von Digital Leadership und in der Folge auf die Digitalisierungsbereitschaft evaluiert werden. Hinsichtlich interner Kontextfaktoren sollten zudem vermehrt Faktoren im Rahmen der erarbeiteten Modellstruktur überprüft werden, welche mit der kontinuierlichen Veränderungsfähigkeit von Unternehmen assoziiert sind, wie bspw. die Ausprägung einer organisationalen Lernkultur oder aber ein organisches Organisationsdesign. Darüber hinaus gilt es, im Rahmen der praktischen Umsetzung weitere Module für das Training von Führungskräften zu entwickeln, mit denen ein „Blended Learning“ im Sinne einer Kombination von digitalen Selbstlernmodulen und von Präsenzphasen realisiert wird. Aktuell wird am Lehrstuhl für Personal und Unternehmensführung der Universität Duisburg-Essen diesbezüglich weiter geforscht.

4 Hinweis auf Transfermaterialien

Die Vorgehensweise bei der Durchführung des Projekts AKTIV-kommunal hat Modellcharakter und lässt sich auf weitere (kommunale) Unternehmen übertragen. Alle Werkzeuge, Instrumente und Ergebnisse werden deshalb in einer integrierten Toolbox bereitgestellt.

Die integrierte Toolbox ermöglicht es anderen Unternehmen, in den drei Themenfeldern von AKTIV-kommunal (Digitalisierung von Arbeitsprozessen, digitale Arbeitsmodelle und Digital Leadership) gemeinsam mit Beschäftigten, Führungskräften und Betriebsräten unternehmensspezifische Lösungsansätze zu entwickeln und umzusetzen.

Über die Projektwebseite https://www.aktiv-kommunal.de/steht diese Toolbox nunmehr für alle Unternehmen – auch außerhalb der Branche – zum freien Download zur Verfügung.

Zudem sind die zentralen Ergebnisse des Verbundvorhabens im Leitbild „Arbeitswelten der kommunalen Energieversorger 2025“ verarbeitet worden. Dieses Leitbild wurde ebenfalls auf der Projekthomepage veröffentlicht: https://www.aktiv-kommunal.de/.

Projektpartner und Aufgaben

  • Lehrstuhl für Personal und Unternehmensführung der Universität Duisburg-Essen

    Ansatz zu Digital Leadership unter kommunalen Bedingungen

  • Stadtwerke Heidelberg

    Betriebliche Lösungen zur Transformation von Führung und Arbeitsmodellen

  • Stadtwerke Konstanz

    Gestaltungsansätze zur Digitalisierung interner Abläufe und Informationsflüsse in der Kommunalwirtschaft

  • badenova

    Mensch-Technik-Interaktion in digital vernetzten Strukturen

  • INPUT Consulting

    Entwicklung der Grundlagen neuer digitaler Arbeitsmodelle in der Kommunalwirtschaft

  • Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation IAO

    Ansatz zur Digitalisierung von Arbeitsprozessen unter Bedingungen gesellschaftlich notwendiger Dienstleistungen