1 Das Projekt InAsPro

1.1 Ausgangssituation

Digitale Technologien, die informationstechnische Vernetzung von Produkten und Prozessen und die damit einhergehenden Veränderungen der Geschäftsmodelle machen in nahezu allen industriellen Branchen grundlegende Veränderungen der Arbeitssystemgestaltung erforderlich, um für den Wettbewerb von morgen gerüstet zu sein. Zielgerichtete und unternehmensindividuell geeignete Digitalisierungsinitiativen können die Erschließung neuer und die erfolgreiche Weiterführung bestehender Geschäftsfelder unterstützen, z. B. durch optimierte Produkte, effizientere Prozesse und erweiterte Wertschöpfungsbeiträge [1, 14, 17].

Durch die enorme Vielfalt von Digitalisierungsmöglichkeiten sind Unternehmen häufig nicht oder nur bedingt in der Lage, sich zu orientieren und dabei systematisch vorzugehen. Die weitreichenden Veränderungen, die z. B. durch eine digitale Transformation einzelner analoger Arbeitsprozesse entstehen, sind meist nicht abzusehen und bergen oftmals unvorhersehbare Risiken [12]. Darüber hinaus muss die Rolle des Menschen im Umgang mit der Technik, z. B. hinsichtlich der Einhaltung ergonomischer Standards, berücksichtigt werden. Dabei sind unternehmensindividuelle Anforderungen und Randbedingungen (z. B. bestehende Technologien und Arbeitssysteme) unmittelbar relevant für eine zielgerichtete Auswahl, Konfiguration, Einführung und Nutzung neuer, digitaler Technologien [2, 6]. Besonders für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) ist die Entscheidung, welche der oftmals investitionsintensiven Digitalisierungstechnologien den individuellen Bedürfnissen am besten gerecht werden, äußerst schwierig [3, 12].

Ziel des Projekts InAsPro (Integrierte Arbeitssystemgestaltung in digitalisierten Produktionsunternehmen) ist es, einen Beitrag zur Verbesserung dieser Situation durch eine methodische und informationstechnische Unterstützung bei der digitalen Arbeitssystemgestaltung in produzierenden Unternehmen zu leisten. Das in dem Projekt entwickelte modulare Transformationskonzept unterstützt Industrieunternehmen daher, eigenständig bedürfnisgerechte Strategien und Implementierungsansätze für Digitalisierungstechnologien zu entwickeln und umzusetzen. Dabei wird ein partizipativer Ansatz verfolgt, der auch organisatorische und menschbezogene Faktoren berücksichtigt [7, 10].

1.2 InAsPro-Ansatz

Zur Adressierung dieser Zielstellung wurde in dem Forschungsprojekt InAsPro im Verbund von Forschungsinstituten und Industrieunternehmen ein integrierter Ansatz, bestehend aus aufeinander abgestimmten Methoden entwickelt und informationstechnisch implementiert.

Den Kern bildet hierbei ein modular aufgebautes Transformationskonzept zur Integration von Digitalisierungstechnologien entlang des kompletten Produktlebenszyklus [7, 10, 20]. Das Transformationskonzept berücksichtigt transdisziplinäre Aspekte (Wechselwirkungen zwischen Mensch, Technik und Organisation) und basiert auf der Partizipation der betrieblichen Akteure (Mitarbeiter und Führungskräfte). Es setzt an der unternehmensindividuellen Ist-Situation an und unterstützt dabei, den Zielzustand der Digitalisierung von Arbeitssystemen unternehmensspezifisch zu beschreiben. Darauf aufbauend wurde ein systematischer Handlungsleitfaden zur Umsetzung von digitalisierten Arbeitssystemen entlang des Produktlebenszyklus entwickelt. Dieser berücksichtigt soziale, technische und organisatorische Aspekte.

Die Bestandteile des Transformationskonzepts wurden zunächst separat voneinander und allgemeingültig entwickelt und validiert [23]. Anschließend wurde die Anwendung zur Sicherstellung des Praxisbezugs und der industriellen Anwendbarkeit anhand von vier Pilotanwendungen der Anwendungspartner exemplarisch umgesetzt. Diese durchgeführten Pilotanwendungen sind in Abschn. 14.1.3 näher beschrieben. Die einzelnen Elemente des Transformationskonzepts münden in einem Softwaredemonstrator, welcher eine strukturierte Anwendung der entwickelten Methoden bezüglich spezifischer Produktlebenszyklusphasen ermöglicht [20].

Da die beabsichtigte Nutzung des Transformationskonzepts im Vordergrund steht, wurden abschließend die Projektinhalte auf das Entwicklungsziel von InAsPro, also die Unterstützung von Produktionsunternehmen in den konkreten Anwendungen, validiert und anschließend optimiert. Anhand der Anwendung des Transformationskonzepts im Rahmen der Pilotanwendungen sowie der Implementierung in Form des Softwaredemonstrators wurde eine Validierung in Unternehmen verschiedener Branchen und Größen durchgeführt und dadurch die allgemeingültige Einsetzbarkeit bestätigt. Darüber hinaus wurden bei der Validierung des Transformationskonzepts die Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Begleitung und aus den Pilotanwendungen genutzt, um die Inhalte und deren Anwendung zu optimieren. Dies umfasste die Überprüfung der konzeptionellen Ansätze, deren Beschreibung und Dokumentation sowie die Erprobung der Anwendbarkeit des entwickelten Vorgehens [23].

1.3 Projektpartner und Pilotanwendungen

An dem Verbundforschungsprojekt InAsPro waren acht Partner beteiligt, darunter drei Forschungspartner, ein Beratungsunternehmen und vier industrielle Pilotanwender mit individuellen Zielen und Schwerpunkten.

Das Transformationskonzept wurde in enger Zusammenarbeit durch die drei Forschungspartner interdisziplinär entwickelt. Der Lehrstuhl für Fertigungstechnik und Betriebsorganisation (FBK) nutzte Methoden und Technologien der Produktionssystemplanung zur Unterstützung von Unternehmen bei der zielgerichteten Errichtung von „Fabriken der Zukunft“. Weiterhin wurden wissenschaftliche Forschungsergebnisse unternehmensindividuell in die vier Pilotanwendungen überführt und zur Erstellung des Demonstrators sowie für die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Verbundvorhaben genutzt. Weitere Kompetenzen, die im Projekt genutzt wurden, sind im Bereich cyber-physische Produktionssysteme (CPPS), virtuelle Produktion sowie Produkt-Service Systeme (PSS).

Durch den Lehrstuhl für Virtuelle Produktentwicklung (VPE) der TU Kaiserslautern wurden die Kompetenzen im Bereich der Prozesse, Methoden und IT-Werkzeuge für die digitale Produktentwicklung in das Projekt eingebracht. In Bezug auf die im Projekt entwickelten Digitalisierungslösungen standen besonders die verbesserte phasenübergreifende Integration der Daten von Autorenwerkzeugen über alle Produktlebenszyklusphasen hinweg, das Management von Engineering-Wissen aus allen Phasen der Produktentstehung sowie die Bereitstellung und Nutzung dieses Engineering-Wissens zur Verbesserung von Prozessen und Produkten im Fokus.

Das Institut für Technologie und Arbeit e. V. (ITA) legt den Fokus auf die partizipative Gestaltung des Veränderungsprozesses, insbesondere auf die mensch- und organisationsbezogene Dimensionen des zugrunde liegenden Mensch-Technik-Organisations- (MTO) Ansatzes. Im Projekt wurde das zugrunde liegende Arbeitssystem sowie die Organisationsgestaltung der beteiligten Unternehmen aus soziotechnischer Sicht analysiert und entsprechend der Anforderungen aus dem Digitalisierungsvorhaben neu strukturiert. Dabei lag ein besonderes Augenmerk auf der aktiven Einbindung der Mitarbeiter in die Planung und Umsetzung der Pilotanwendungen und der Entwicklung des Transformationskonzepts.

Das Beratungsunternehmen Enbiz fungierte als Integrator, indem es bei der Definition und Umsetzung der Digitalisierungsstrategien unterstützte und das gesamte Transformationskonzept in der zuvor bereits genannten softwaretechnischen Umsetzung (Digitalisierungsplaner) zusammenführte. Die Pilotanwender Grimme, Seibel, Wirtgen und Braun lieferten die folgenden individuellen Anwendungsfälle.

Der Schwerpunkt der Pilotanwendung von Grimme lag im Bereich der Organisation von Aftersales-Prozessen mit Fokus auf dem Kompetenzaufbau von Mitarbeitenden. Der Aftersalesbereich bildet die Schnittstelle zwischen dem Hersteller und dem Endanwender von Anbaugeräten für die Landwirtschaft. Daraus entstand ein Weiterbildungskonzept für Personalkompetenzen in digitalisierten Arbeitssystemen. Das Weiterbildungskonzept wurde zusätzlich durch Schulungsmodule ergänzt, die eine Sensibilisierung der Menschen im Bereich der Digitalisierung von Sach- und Dienstleistungen fördern [3].

Die Pilotanwendung von der Firma Seibel zielte auf die digitale Informationsbereitstellung für die Qualitätssicherung ab. Durch die Umsetzung sollte das Qualitätssicherungspersonal mithilfe eines IT-basierten Assistenzsystems durch Prüfpläne bzw. -prozesse geführt werden. Der Durchlauf durch den bauteilabhängig vorgeschriebenen Prüfplan wurde mit Hilfe von Augmented Reality (AR)-Technologien umgesetzt [15].

Das Unternehmen Wirtgen beschäftigte sich mit der bestehenden Produktdokumentation, die individuell um spezifische maschinenbezogene Inhalte und die komplette Maschinenhistorie erweitert wurde. Die Informationen wurden dabei so aufbereitet und verteilt, dass der Serviceorganisation und der Kundschaft nur die jeweils für sie relevanten Informationen elektronisch zur Verfügung gestellt werden. Im Rahmen der Pilotanwendung lag der Schwerpunkt nicht nur auf der technischen Implementierung, sondern vor allem auf der Einbindung aller Beteiligten in und außerhalb der Wirtgen GmbH für die Anforderungsentwicklung und den Ausrollprozess [13].

In der Pilotanwendung der Firma Braun wurde durch Einführung von Digitalisierungslösungen die Verbesserung der Produktionssteuerung, der Materialversorgung und der Transparenz bei der Fertigung und Montage angestrebt. Die Technologien, die den Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt wurden, stellen Informationen über die zu bearbeitenden Teile, deren Lagerort und die Bearbeitungsschritte sowie die für die Bearbeitung notwendigen Maschinen bereit. Dafür mussten nicht nur Anpassungen in der Organisation des Produktionsprozesses und der Auftragsabwicklung vorgenommen werden, sondern auch das bestehende IT-System angepasst werden [4].

2 Das Transformationskonzept zur Digitalisierung des Arbeitssystems

Der in Abschn. 14.1 aufgezeigte Bedarf an einer methodischen Lösung für das organisationale Veränderungsmanagement stellte den Ausgangspunkt für die Entwicklung des Transformationskonzepts in InAsPro dar. Mithilfe dieses Transformationskonzepts soll die zielgerichtete und bedarfsgerechte Digitalisierung von Arbeitssystemen produzierender Unternehmen durch eine detaillierte Modellierung und Antizipation des Veränderungsprozesses vom aktuellen Ist-Zustand bis hin zur Realisierung eines zu definierenden Soll-Zustands unterstützt werden. Durch diesen modular aufgebauten und im Hinblick auf die Anwendungsszenarien generischen Ansatz soll die Gestaltung unterschiedlicher Arbeitssysteme in den verschiedenen Produktlebenszyklusphasen unterstützt werden [7]. Der modulare Aufbau unterstützt die Komplexitätsbeherrschung und somit die Übersicht über Gestaltungsalternativen und ihre Handhabbarkeit [3].

Die konkreten Anwendungsziele des Transformationskonzepts liegen in der Erfassung des aktuellen Digitalisierungsgrads (Ist-Zustand der Digitalisierung) im Unternehmen, der Analyse der strategischen Digitalisierungspotenziale, in der Festlegung unternehmensspezifischer prioritärer Digitalisierungslösungen und in der Planung konkreter Digitalisierungsmaßnahmen [22]. Der Aufbau des Transformationskonzepts wird nachfolgend erläutert und in Abschn. 14.3 anhand des im Projekt einwickelten Softwaretools (Digitalisierungsplaner) mit praktischen Beispielen beleuchtet.

Das entwickelte Transformationskonzept erstreckt sich auf die Digitalisierung in den Produktlebenszyklusphasen Entwicklung, Fertigung, Montage und Aftersales, wobei jeweils die Dimensionen Mensch, Technologie und Organisation betrachtet werden [7]. Das Transformationskonzept umfasst dabei die vier integrierten Konzeptbausteine Reifegradmodell, Digitalisierungsstrategie, Technologieatlas und Digitalisierung des Arbeitssystems, die Unternehmen Hilfestellungen zu relevanten Transformationsprozessen bieten und spezifisch erarbeiten lassen. Die Konzeptbausteine bauen sequenziell aufeinander auf und konkretisieren die Teilergebnisse der jeweils vorherigen Bausteine [10]. Außerdem sind sie den vier Phasen des allgemeinen strategischen und operativen Veränderungsprozesses (Orientierung, Analyse, Planung, Umsetzung und Auswertung) zugeordnet [18].

Während sich die Konzeptbausteine Reifegradmodell, Digitalisierungsstrategie und Technologieatlas auf die strategische Betrachtungsebene der Digitalisierung konzentrieren, wird im Konzeptbaustein Digitalisierung des Arbeitssystems der Fokus auf die operative Umsetzung der Digitalisierung gelegt [18]. Diese wissenschaftlich entwickelten Konzeptbausteine wurden softwaretechnisch in eine webbasierte Anwendung, den Digitalisierungsplaner, implementiert [25] und sind über die Projektlaufzeit hinaus für weitere interessierte Unternehmen kostenfrei zugänglich und anwendbar.

Mithilfe des Digitalisierungsplaners können Unternehmen die vier Konzeptbausteine Schritt-für-Schritt durchlaufen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Anwender über die notwendigen Kenntnisse und Informationen verfügen, um die unternehmensspezifischen Eingaben (in Bezug auf die strategischen und operativen Sachverhalte) tätigen zu können. Daher werden als Anwender interdisziplinäre Teams aus dem bestehenden Unternehmen benötigt, die die Inhalte des Transformationskonzepts gemeinsam be- und unternehmensindividuell erarbeiten [9].

Der grundsätzliche Aufbau des Transformationskonzepts ist in Abb. 14.1 visualisiert. Im Folgenden werden die Konzeptbausteine sowie ihre Zusammenhänge kurz vorgestellt.

Abb. 14.1
figure 1

Schritte und Konzeptbausteine des Transformationskonzepts, basierend auf [20]

Mithilfe des Reifegradmodells wird zunächst der Digitalisierungsgrad des Unternehmens ermittelt. Die Einordnung erfolgt auf Basis von Kriterien, die für die Bewertung der unternehmensübergreifenden Ebene sowie die Produktlebenszyklusphasen Entwicklung, Fertigung, Montage und Aftersales ausgelegt sind. Die Kriterien sind in den jeweiligen Bereichen den Dimensionen Strategie, Technologie, Organisation und Mensch zugeordnet. Der resultierende Digitalisierungsgrad wird auf Grundlage einer vierstufigen Skala beschrieben, die die Werte Erkunder, Anfänger, Fortgeschrittener und Experte umfasst [21] und dem Anwender im Digitalisierungsplaner in diversen Aggregationsformen (z. B. produktlebenszyklusphasen- oder dimensionsspezifisch) als Spinnennetzdiagramm angezeigt wird. Die individuelle Bewertung des Digitalisierungsgrads kann als Ansatzpunkt für Digitalisierungsvorhaben sowie für einen unternehmensinternen und branchenweiten Digitalisierungsbenchmark genutzt werden [19, 21].

Der nächste Konzeptbaustein hilft die unternehmensindividuelle Digitalisierungsstrategie zu definieren [9]. Hierfür wird zunächst die zugrunde liegende Unternehmensstrategie einer der Ausrichtungen »Kostenführerschaft«, »Differenzierung« oder »Fokussierung« [16] zugeordnet, um damit Zielkonflikte zur Unternehmensstrategie auszuschließen. Anschließend werden auf Basis der Ergebnisse des Reifegradmodells geeignete Handlungsfelder und ein strategisches Digitalisierungsziel empfohlen. Aufbauend auf dieser Auswahl können Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken formuliert werden (SWOT-Analyse), woraus wiederum strategische Optionen abgeleitet werden können. Diese werden hinsichtlich Aufwand und Nutzen sowie der Auswirkungen auf MTO-Faktoren bewertet. Auf dieser Grundlage kann das Unternehmen eine Entscheidung treffen, welche Option zukünftig verfolgt werden soll [9, 10]. Im letzten Schritt werden für die gewählte strategische Option konkrete Zielwerte mit Umsetzungszeiträumen und notwendige Investitionen definiert.

Im dritten Konzeptbaustein, dem Technologieatlas, werden die Digitalisierungslösungen, die für die individuellen technischen Ziele, das strategische Handlungsfeld, die Produktlebenszyklusphase und die Mitarbeiterziele am besten geeignet sind, ausgewählt [8]. Der Technologieatlas besteht aus praxisbezogenen Problemstellungen (Anwendungsszenarien), für die Lösungsalternativen aufgezeigt werden [24]. Die Digitalisierungslösungen sind strukturiert beschrieben und enthalten zusätzlich Angaben über benötigte Hard- und Softwarekomponenten, Informationen zur technischen Infrastruktur, den zugehörigen Einführungsmethoden und den unterstützenden Unternehmensprozessen. Es werden zudem auch Potenziale und Risiken für Mitarbeiter und Unternehmen aufgezeigt [8, 10].

Im letzten Konzeptbaustein wird die operative Umsetzung für die Digitalisierung des betrachteten Arbeitssystems fokussiert. Hierfür wurde ein fünfstufiges Vorgehen entwickelt, das sich an den Projektmanagementphasen: Analyse des Lösungsraums, Definition, Planung, Realisierung und Abschluss orientiert [5]. Für jede dieser Phasen werden auch hier die Dimensionen MTO betrachtet und konkrete Umsetzungsmaßnahmen vorgeschlagen. Mit der Auswahl von Maßnahmen, die für das betreffende Arbeitssystem passend sind, entsteht ein detaillierter Maßnahmenplan, welcher das Management und die Implementierung des Digitalisierungsvorhabens ganzheitlich unterstützt [6, 18].

3 Informationstechnische Umsetzung und Anwendung des InAsPro Transformationskonzepts

Um die Inhalte und die Nutzung der beschriebenen Konzeptbausteine exemplarisch und durchgängig zu veranschaulichen, wird im Folgenden die konkrete Anwendung der softwarebasierten Implementierung betrachtet. Der hier vorgestellte Digitalisierungsplaner ist auch unter www.inaspro.de im Internet verfügbar [25].

Der Digitalisierungsplaner beinhaltet ein dreistufiges Rollenkonzept, welches Anwender, Digitalisierungslösungsanbieter und Administratoren vorsieht [25]. Unternehmen, die an der Realisierung eines Digitalisierungsvorhabens interessiert sind, können sich zunächst als Anwender anmelden. Die Rolle des Digitalisierungslösungsanbieters soll gewährleisten, dass das System um neue Digitalisierungslösungen ergänzt werden kann und somit ständig wächst. Der Anbieter kann dabei sein Angebot bzw. seine Dienstleistung einer Digitalisierungslösung hinterlegen. Im Folgenden wird näher auf den Ablauf des Transformationskonzepts aus Anwendersicht im Rahmen eines Digitalisierungsvorhabens eingegangen.

Die Startseite des Digitalisierungsplaners gibt eine kurze Einführung und beinhaltet bei erster Nutzung eine Registrierung. Dies ermöglicht das Speichern von Arbeitsständen während der Bearbeitung, die Bearbeitung eines Projektes durch mehrere Benutzer und das Übernehmen der Eingaben für nachfolgende Projekte. Nach dem Anlegen eines neuen Projekts werden allgemeine Angaben über das Gesamtunternehmen wie Branche, Anzahl der Mitarbeiter und die Funktion im Unternehmen abgefragt. Im Anschluss beginnt das eigentliche Transformationskonzept mit dem in Abschn. 14.2 beschriebenen ersten Konzeptbaustein, dem Reifegradmodell. Neben 24 zu beantwortenden unternehmensübergreifenden, als Fragen formulierten Indikatoren entscheidet der Anwender eigenständig, welche Produktlebenszyklusphasen aus Entwicklung, Fertigung, Montage und Aftersales für das Digitalisierungsvorhaben von Bedeutung sind. Die Indikatoren sind in die Dimensionen Technologie, Organisation und Mensch gegliedert. Weitergehend untergliedern sich die Dimensionen wiederum in produktlebenszyklusphasenspezifische Kriterien.

In Abb. 14.2 wird beispielhaft ein Auszug aus den Kriterien und Indikatoren der Produktlebenszyklusphase Entwicklung aufgezeigt. Der Anwender hat die Dimension Technologie und Organisation bereits ausgefüllt und befindet sich bei den Kriterien und Indikatoren der Dimension Mensch. Nachdem die unternehmensübergreifenden Indikatoren und mindestens eine weitere Produktlebenszyklusphase ausgefüllt wurden, ist das Ergebnis des Reifegradmodells abrufbar. Die Ergebnisdarstellung zeigt den Digitalisierungsgrad des Unternehmens sowie detailliertere Informationen und Ansichten für die einzelnen Produktlebenszyklusphasen mit den zuvor beschriebenen Kriterien. Dieses Ergebnis dient dem Anwender zur Orientierung für weitere Entscheidungen bezüglich des möglichen Digitalisierungsvorhabens und gibt im Digitalisierungsplaner die Möglichkeit automatisch erstellter Empfehlungen.

Abb. 14.2
figure 2

Reifegradmodell im Digitalisierungsplaner, ausgefülltes Formular aus [11]

Die in Abb. 14.3 exemplarisch dargestellte Ergebnisaufstellung des Reifegradmodells zeigt neben dem Digitalisierungsgrad des gesamten Unternehmens ebenfalls das Ergebnis der Produktlebenszyklusphasen Entwicklung und Fertigung. In Bezug auf die Entwicklung ist ein relativ konstanter Digitalisierungsgrad erkennbar. Der stärkste Digitalisierungsbedarf besteht im hier betrachteten Beispiel in der Anforderungsdefinition. In diesem produktlebenszyklusphasenspezifischen Kriterium wurde mit 2,0 von 4,0 der geringste Digitalisierungsgrad erreicht.

Abb. 14.3
figure 3

Individuelles Gesamtergebnis der Digitalisierungsreifegradermittlung, ausgefülltes Formular aus [11]

Im zweiten Konzeptbaustein begleitet der Digitalisierungsplaner den Anwender bei der Entwicklung einer unternehmensindividuellen Digitalisierungsstrategie. Um dabei die bereits bestehende Unternehmensstrategie als Ausgangspunkt zu nutzen, ordnet der Anwender diese nach Porter [16] den Kategorien Kostenführerschaft, Differenzierung und Fokussierung zu [9].

Im nächsten Schritt muss aus den strategischen Handlungsfeldern Netzwerk, Daten, Prozesse, Mitarbeiter und Produkte/Services gewählt werden, welches dieser Handlungsfelder weiterverfolgt werden soll. Bei der Entscheidung wird der Anwender durch Vorschläge, die auf dem ausgefüllten Reifegradmodell basieren, unterstützt. Das strategische Handlungsfeld, bei dem andere Unternehmen vergleichsweise einen höheren Digitalisierungsgrad erreichen, wird automatisch als Folgerstrategie vorgeschlagen. Dementsprechend wird bei einem besseren Digitalisierungsgrad das strategische Handlungsfeld als Pionierstrategie benannt. Diesen strategischen Handlungsfeldern sind jeweils passende strategische Digitalisierungsziele hinterlegt, für die sich der Anwender entscheiden kann [9]. Wie im Beispiel der Abb. 14.4 ersichtlich, ist der Anwender in seiner Entscheidung frei und kann wie in diesem Fall das strategische Handlungsfeld Prozesse, das weder der Folger- noch der Pionierstrategie entspricht, wählen. Innerhalb des Punktes Prozesse sollen hier die bestehenden Prozesse optimiert werden.

Abb. 14.4
figure 4

Empfehlung für die Auswahl des strategischen Ziels, ausgefülltes Formular aus [11]

Anhand einer im Digitalisierungsplaner durchgeführten SWOT-Analyse, bei der systematisch nach Stärken (Strenght), Schwächen (Weaknesses), Chancen (Opportunities) und Risiken (Threats) abgewogen wird, werden individuelle strategische Optionen erarbeitet. Im Anschluss werden diese anhand unternehmensindividueller Kriterien hinsichtlich Aufwand und Nutzen sowie nach Einfluss auf Mitarbeiter, Technik und Organisation, bewertet, grafisch dargestellt und verglichen [9].

Durch bearbeiten der Bewertungsmatrix (siehe Abb. 14.5) und der folgenden visuellen Darstellung des Ergebnisses kann der Anwender die strategische Option mit dem optimalen Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen bei gleichzeitiger Beachtung von MTO-Faktoren wählen. Für Aufwand und Nutzen kann der Anwender jeweils zwei unternehmensindividuelle Bewertungskriterien festlegen.

Abb. 14.5
figure 5

Entwicklung und Bewertung von strategischen Optionen, ausgefülltes Formular aus [11]

In diesem Beispiel sind in Summe die strategischen Optionen a. Einführung modularer, besser kompatibler Softwarelösung und d. Automatisierung von Teilprozessen die mit der besten Bewertung. Diese Beurteilung soll lediglich unterstützend sein, die Entscheidung obliegt schlussendlich dem Anwender selbst.

Zur Auswahl einer für den Anwender passenden Digitalisierungslösung wird nach dem Reifegradmodell und der Digitalisierungsstrategie die von der geplanten Umsetzungsmaßnahme betroffenen Produktlebenszyklusphase gewählt. Des Weiteren sind den Produktlebenszyklusphasen im Technologieatlas jeweils Aktivitäten und Sub-Prozesse zugeordnet, die zur weiteren Eingrenzung der passenden Anwendungsszenarien dienen [8]. Wenn der Anwender diese vollständig definiert hat, werden passende Anwendungsszenarien vorgeschlagen. Die Anwendungsszenarien beinhalten jeweils konkrete Digitalisierungslösungen, denen einheitlich aufgebaute Steckbriefe zugeordnet sind. Der Anwender erhält bezüglich der Digitalisierungstechnologie hierdurch eine Vielzahl nützlicher Informationen. Dazu gehört zunächst eine verständliche Beschreibung, die eine spezifische Erläuterung der Technologie beinhaltet [23]. Zudem werden Ziele des Technikeinsatzes, die Produktlebenszyklusphasen und mitarbeiterbezogene Ziele angegeben. Um das Unternehmen als Ganzes bei dem geplanten Digitalisierungsvorhaben zu unterstützen, werden umfassende Angaben über Potenziale und Risiken der Digitalisierungstechnologie aus mehreren Sichtweisen angegeben. Zum einen erfolgt eine auf das Unternehmen bezogene Abschätzung für die technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Potenziale und Risiken. Zum anderen werden die planenden bzw. ausführenden Personen begutachtet. Ergänzt werden diese Angaben durch mögliche hardware- und softwaretechnische Voraussetzungen zur Einführung. Damit soll eine optimale Ausnutzung der vorhandenen Ressourcen im Zusammenspiel mit der neuen Technologie ermöglicht und gleichzeitig die Investitionen möglichst niedrig gehalten werden [8].

Nachdem der Anwender des Digitalisierungsplaners sich für eine Digitalisierungslösung entschieden hat, beginnt durch die Digitalisierung des Arbeitssystems die operative Betrachtungsebene. Diese soll mit gezielten Umsetzungsmaßnahmen die Einführung der Digitalisierungstechnologie erleichtern. Die Umsetzungsmaßnahmen sind in die Projektmanagementphasen Analyse des Arbeitssystems, Definitionsphase, Planungsphase, Realisierungsphase und Abschlussphase gegliedert. Dabei ist jede dieser Phasen nochmals in die Dimensionen MTO unterteilt. Jeder Projektmanagementphase und Dimension werden Umsetzungsmaßnahmen, sogenannte MTO-Bausteine, zugeordnet. Diese beinhalten jeweils eine Beschreibung der Umsetzungsmaßnahme, Vorteile, Herausforderungen, ein Beispiel und Methoden zur Umsetzung [6, 18].

Der Anwender trifft seine Auswahl auf der Grundlage der Empfehlungen des Digitalisierungsplaners und vor dem Hintergrund seiner zusätzlichen, individuellen Beurteilung.

Abb. 14.6 zeigt einen Ausschnitt der MTO-Bausteine der Projektmanagementphase Analyse des Arbeitssystems aufgelistet. Am Beispiel „Kommunikation der Veränderung“ ist zusätzlich die Beschreibung des MTO-Bausteins auszugsweise dargestellt. Durch die gewählten MTO-Bausteine erfolgt eine Unterstützung bei der Implementierung und somit bei der Umsetzung der zuvor gewählten Digitalisierungslösung.

Abb. 14.6
figure 6

Auszug aus den MTO-Bausteinen der Projektmanagementphase: Analyse des Arbeitssystems

Zum Abschluss des Transformationskonzepts erfolgt die Überprüfung der gesetzten Ziele. Kontrolliert werden zunächst die in der Definitionsphase gewählten Umsetzungsziele, verglichen mit der tatsächlichen Digitalisierungslösung. Ergänzend dazu wird nochmals das Ergebnis der Digitalisierungsstrategie, also die strategischen Optionen, der durchgeführten Transformation gegenübergestellt. Die abschließende Beurteilung dieser Überprüfung obliegt dem Anwender [18].

4 Fazit und Ausblick

Das in InAsPro entwickelte Transformationskonzept unterstützt mit einem partizipativen Ansatz produzierende Unternehmen in ihrer unternehmensindividuellen Auswahl und Implementierung von Digitalisierungslösungen. Der Prozess zur Digitalisierung wird durch die vorgestellten Konzeptbestandteile, beginnend bei der Bewertung des Digitalisierungsgrads über die Festlegung von strategischen Optionen, die Auswahl von Digitalisierungslösungen bis hin zur operativen Umsetzung der Digitalisierung des Arbeitssystems, begleitet. Die gleichermaßen betrachteten Produktlebenszyklusphasen Entwicklung, Fertigung, Montage und Aftersales gewährleisten eine durchgängige Digitalisierung und vermeiden die Fokussierung auf lokale Insellösungen. Die nachhaltige Digitalisierung umfasst eine Transformation der Organisationsstrukturen und der Unternehmensprozesse, an der alle Mitarbeiter partizipieren können. In dem InAsPro-Ansatz werden hierfür die Dimensionen MTO in integrierter Weise berücksichtigt. Dieser ganzheitliche Ansatz verfolgt das Ziel einer bedarfsgerechten Implementierung von Digitalisierungslösungen zur nachhaltigen Stärkung des zukünftigen Geschäftserfolgs von Industrieunternehmen.

Der entwickelte Digitalisierungsplaner wurde während der Projektlaufzeit (2017 bis 2020) auf der Grundlage von vier industriellen Pilotanwendungen entwickelt, erprobt und validiert. Darüber hinaus ist geplant, dass das Transformationskonzept und dessen informationstechnische Umsetzung über die Projektlaufzeit hinaus bei weiteren Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen validiert wird. Aufgrund der Vielzahl an existierenden und sich rasant entwickelnden Digitalisierungstechnologien ist eine permanente Anpassung und Erweiterung des Technologieatlas erforderlich. Um dies leisten zu können, wurden im Digitalisierungsplaner Funktionalitäten implementiert, die es Digitalisierungslösungsanbietern erlauben, ihre Technologien eintragen bzw. aktualisieren zu können. Diese Eintragungen werden von einem Projektpartner regelmäßig geprüft und bei Bedarf angepasst.

Der Fokus in InAsPro lag auf der Auswahl und Implementierung einer konkreten Technologie und deren Umsetzung ausgehend von dem Ist- hin zu dem Soll-Zustand eines Arbeitssystems. Es besteht durch das Transformationskonzept die Möglichkeit, verschiedene Digitalisierungslösungen nacheinander und isoliert voneinander umzusetzen. Der über alle Produktlebenszyklusphasen hinweg sehr umfangreiche Gestaltungsrahmen von InAsPro erlaubt eine sehr hohe Anzahl theoretisch möglicher Kombinationen verschiedener Technologien und Gestaltungsmaßnahmen, die in sehr unterschiedlichen Gesamtkonstellationen unternehmensindividuelle Anforderungen adressieren. Methodische Ansätze für diese kombinatorischen Fragestellungen sowie branchen- und produktlebenszyklusphasen-spezifisch ausgestaltete Anwendungstemplates der einzelnen Konzeptbausteine könnten aus Sicht der InAsPro-Konsortialpartner wichtige Folgeaktivitäten in der Forschung sein, um die erfolgreiche industrielle Anwendung und Nutzung des entwickelten Ansatzes einem erweiterten Spektrum an Unternehmen zugänglich zu machen.

Projektpartner und Aufgaben

  • Grimme Landmaschinenfabrik GmbH & Co. KG

    Kompetenzaufbau von Mitarbeitern in der digitalen Arbeitswelt durch Transformationsprozesse zur Digitalisierung von Arbeitssystemen

  • Technische Universität Kaiserslautern

    Transformationskonzept von Arbeitssystemen mithilfe reifegradbasierter Digitalisierungsbausteine

  • Institut für Technologie und Arbeit e. V.

    Humanzentrierte Gestaltung digitalisierter Arbeitssysteme im Kontext von Transformationsprozessen

  • Braun Maschinenbau GmbH

    Unterstützung von Mitarbeitern in den Lebenszyklusphasen Fertigung und Montage durch ein digitalisiertes, intelligentes Logistikkonzept

  • enbiz engineering and business solutions gmbh

    Individualisierbare Digitalisierungsstrategien zur Implementierung von Digitalisierungslösungen in Arbeitssystemen und deren softwaretechnische Umsetzung

  • Seibel Kunststofftechnik GmbH

    Digitale Bereitstellung und mitarbeiterindividuelle Aufbereitung von Informationen für die Qualitätssicherung der Fertigung

  • Wirtgen GmbH

    Digitalisierte Informationsbereitstellung und -nutzung zur Unterstützung von Mitarbeitern in den Lebenszyklusphasen Montage und Aftersales