1 Das Projekt SOdA: Digitale Transformation von der Selbstständigkeit der Beschäftigten aus denken

1.1 Ausgangspunkt: Digitalisierung im Kontext betrieblicher Entwicklungspfade der Reorganisation

Die öffentliche Auseinandersetzung mit dem digitalen Wandel von Arbeit schwankt zwischen Über- und Unterbetonung der Transformationskraft digitaler Technologien sowie zwischen Über- und Unterschätzung der Technik als Gestaltgeber von Arbeit. Ein Blick in die empirische Realität offenbart hingegen einen recht nüchternen Pragmatismus der betrieblichen Akteure und der Beschäftigten im Umgang mit digitalen Veränderungsprozessen. Für sie ist die Digitalisierung kein Bruch, keine Disruption, sondern sie verorten sie in schon längeren Entwicklungen, die durch die Verschärfung des Konkurrenzdrucks infolge der Globalisierung und Finanzialisierung der Ökonomie ausgelöst worden sind und die die Unternehmen zu erhöhter Flexibilität und zur Beschleunigung ihres Wertschöpfungsprozesses zwingen. In diesen Kontext betten sie die Digitalisierung ein und sie beurteilen die digitalen Technologien nach ihrem Nutzen für die aktuellen ökonomischen Herausforderungen. Dabei tut sich für nicht wenige Unternehmen eine Kluft auf zwischen den Digitalisierungsversprechen (liquid factory) und der sperrigen betrieblichen Realität. Empirische Beispiele von eher holprigen Umsetzungen von Digitalisierungszielen häufen sich. Sie sind ein Beleg dafür, dass digitale Technologien keine einfachen oder gar automatischen Lösungen für betriebliche und unternehmerische Probleme bieten, wohl aber einen Gelegenheitsraum, Arbeits- und Produktionsprozesse neu zu strukturieren.

Über die letzten Jahrzehnte haben vor allem zwei Reorganisationsbewegungen an Bedeutung gewonnen, auf denen die Digitalisierung aufsetzt: die Vermarktlichung und Dezentralisierung von Unternehmen. Die Grenzen zwischen Betrieb und Markt wurden durchlässiger und Kompetenzen zentraler Instanzen auf ausführende Stellen verlagert (vgl. [3, 13]). Im Inneren des Unternehmens haben sich diese Trends in einer indirekten, marktorientierten Steuerung von Arbeit niedergeschlagen: in einem Kontrollmodus, der über die Gewährung von Freiräumen und die unternehmerische Nutzung der Selbstständigkeit von Beschäftigten funktioniert [10]. Die Erweiterung von Autonomie war damit inhärenter Bestandteil der Reorganisationsprozesse und der Bewältigung von Marktanforderungen. Mit dem Einsatz intelligenter Technologien wird die Gestaltung von Organisation und Arbeit nun neu verhandelt: digitalen Formen der Kontrolle und Durchsteuerung des Arbeitsprozesses stehen neue Anforderungen an selbstständiges Arbeiten, Kooperation und Vernetzung gegenüber. Digitaler Taylorismus oder neue Selbstständigkeit in der Arbeit – zwischen diesen Polen bewegt sich die aktuelle (arbeits-)wissenschaftliche Debatte.

Das Projekt SOdA setzt auf der Annahme auf, dass die Potenziale der digitalen Technologien nur dann sinnvoll und nachhaltig genutzt werden können, wenn die Selbstständigkeit der Beschäftigten ins Zentrum der Veränderungsprozesse gestellt, systematisch gefördert und durch entsprechende Rahmenbedingungen abgesichert wird.

1.2 SOdA – Ein Projekt zur Förderung und Gestaltung von Beschäftigtenautonomie

SOdA setzt sich mit der Frage auseinander, wie digitale Technologien für eine innovative und nachhaltige Gestaltung von Arbeitsorganisation und Produktionsprozessen genutzt werden können. Dreh- und Angelpunkt ist dabei der Fokus auf die Autonomie der Beschäftigten. Die Schlüsselstellung der Autonomie ergibt sich in funktionaler und normativer Hinsicht: Das Projekt zielt nicht nur auf unternehmerisch erfolgreiche, sondern auch auf eine menschengerechte und nachhaltige Gestaltung digitaler Arbeit. Unsere Hypothese ist, dass die Potenziale von Industrie 4.0 in funktionaler und normativer Hinsicht am wirkungsvollsten in kooperativen Arbeitsstrukturen mit selbstständig arbeitenden Beschäftigten verwirklicht werden können. Vor diesem Hintergrund wurden in den betrieblichen Projekten Leitlinien und Maßnahmen entwickelt,

  • um Autonomiespielräume von Beschäftigten zu erhöhen und nachhaltige Rahmenbedingungen für selbstständiges Arbeiten zu schaffen

  • um Organisationsstrukturen so fortzuentwickeln, dass sie übergreifende Zusammenarbeit fördern

  • um bereits die Implementationsmaßnahmen von Technikanwendungen in Zusammenarbeit mit Technikanbietern unter sozio-sensiblen Gesichtspunkten zu gestalten.

1.3 Der wissenschaftliche Ansatz

Vier analytische Zugänge sind für den Ansatz von SOdA zentral:

Erstens beziehen wir uns auf den Ansatz sozio-technischer Systeme [14], der darauf verweist, dass nicht technische Innovation allein, sondern das Zusammenwirken von sozialen und technologischen Faktoren für die Produktivität von Arbeitsprozessen verantwortlich ist. Für unser Vorgehen bedeutete das, Veränderungen des technologischen Systems von vorneherein gemeinsam mit arbeitsorganisatorischen Veränderungen zu denken.

Zweitens ist der Ansatz inspiriert von einer praxeologischen Perspektive (vgl. [9]). In diesem Sinne begreifen wir Technik nicht einfach als ein äußeres Artefakt mit festgeschriebenen objektiven Funktionen, sondern wir beziehen in die Analyse ein, wie einerseits Technik selbst aus sozialen Praktiken hervorgeht und wie sie andererseits in der Praxis angeeignet und auch verändert wird. Für das Vorgehen in SOdA bedeutete dies, dass wir beide Ebenen in den Blick genommen haben: die mit Technik transportierten (Vor-)Strukturierungen und Handlungsoptionen und die Aneignungspraxis von Technik im Arbeitsprozess. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, waren die Projektarbeiten partizipativ angelegt und es wurden kooperierende Unternehmen (Softwareentwicklung und Robotikanbieter) in die gemeinsame Arbeit integriert.

Drittens stellt der SOdA-Ansatz nicht isolierte Technikanwendungen, sondern unternehmerische Zielsetzungen der Digitalisierung ins Zentrum. Anknüpfend an den Ansatz „betrieblicher Strategien“ [2] richtet sich der Blick darauf, mit welchen Problemen Unternehmen in ihrem Handeln konfrontiert sind und mit welchen unterschiedlichen Strategien sie diesen begegnen. Auf Basis der empirischen Ausgangsanalyse in unserem Projekt haben wir eine vorläufige Typologie solcher unterschiedlichen Digitalisierungsstrategien entwickelt [7]: (a) arbeitskraftbezogenen Strategien des Personaleinsatzes und der Leistungssteuerung, (b) Strategien der prozessbezogenen und systemischen Rationalisierung und (c) Geschäfts-, Markt- und Marketingstrategien.

Viertens: Die Forschung zu Vermarktlichung, indirekter Steuerung und Subjektivierung von Arbeit (u. a. [13, 6]) verweist auf einen neuen Typus der Leistungssteuerung, der statt auf direkte Anweisung darauf setzt, Beschäftigte auf (markt- und ergebnisbezogene) Ziele zu verpflichten, die diese unter den gesetzten Rahmenbedingung dann selbstständig verfolgen sollen. Steuerung von Arbeit und Leistung beruht hier also nicht auf der gezielten Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten, sondern auf der gezielten Nutzung der Selbstständigkeit von Beschäftigten, ihrer subjektiven Potenziale und Ressourcen; die Selbstständigkeit der Beschäftigten wird in den Dienst der Unternehmensziele genommen. Vorliegende Untersuchungen zeigen, dass in diesem Kontext

die Steigerung von Autonomie nicht automatisch zu besseren Arbeitsbedingungen führt, sondern neue Belastungen und Risiken für die Beschäftigten nach sich ziehen kann. Anknüpfend an diese Erkenntnisse richtet SOdA die Aufmerksamkeit auch auf neue Typen von arbeitsbezogenen Belastungen, die hieraus erwachsen können.

Der Gestaltungsansatz von SOdA richtet sich so auf das Zusammenwirken von Unternehmensstrategien, Technikeinsatz und der Steuerung von Arbeit. Dazu gehörte es auch, die Bedingungen der Leistungssteuerung als inhärentes Element eines sozio-technischen Gestaltungsansatzes zu berücksichtigen.

1.4 Das Vorgehen in SOdA: fallbezogen, partizipativ und reflexiv

Als praxisbezogenes Projekt verschränkt SOdA wissenschaftliche Analyse und Gestaltung. Es geht weniger um die nachträgliche Evaluation betrieblicher Gestaltungsmaßnahmen, sondern um die Verknüpfung von Forschung und Erkenntnisgewinn durch Gestaltung. Im Projekt verbinden sich die Expertise der Arbeitsforschung (ISF und COGITO) und reflexive Methoden der Philosophie (COGITO) mit dem Wissen betrieblicher und technischer Experten aus mittelständischen Entwickler- und Anwenderbetrieben (Maschinenbau, Elektrotechnik, Manufacturing Services, Softwareentwicklung, Robotik) und den Erfahrungen von Beschäftigten.

Das Vorgehen im Projekt ist so angelegt, dass die verschiedenen Arbeitspakete – Ausgangsanalyse, Maßnahmenentwicklung, Implementation, Evaluation, Verstetigung – ineinandergreifen und rekursiv aufeinander bezogen werden. Startpunkt des Projektes war die wissenschaftliche Analyse der Ausgangssituation in den Unternehmen auf Basis von Interviews und Dokumentenanalyse. Dabei kam die Fallstudienmethodik (siehe [12]) zum Einsatz. Kennzeichnend für sie ist es, verschiedene Perspektiven zu integrieren, die Interessenlagen, Blickwinkel und Erfahrungen unterschiedlicher Akteure einzubeziehen. Die Integration der Beschäftigtenperspektive und die partizipative Einbindung der Beschäftigten in Gestaltungsmaßnahmen war für das Vorgehen im Projekt essenziell. Inhaltlich zielten die Interviews auf den Stand technischer Innovation, auf praktizierte Steuerungsformen und betriebliche Digitalisierungsstrategien (Experteninterviews) sowie auf die Wahrnehmung digitaler Arbeitsbedingungen und Spielräume der Selbstständigkeit (Subjektinterviews). Überdies wurden Interviews mit kooperierenden Unternehmen aus der Softwareentwicklung und Robotik zum Technikdesign, zur Implementation digitaler Technologie sowie zu den impliziten Annahmen und Bildern über die Arbeitsprozesse durchgeführt. Insgesamt wurden in der Ausgangsanalyse 53, in der späteren Evaluation 23 Interviews durchgeführt.

Die Ausgangsanalyse bildete den Grundstein für die Entwicklung spezifischer Maßnahmen in den Unternehmen. Im Rahmen der jeweiligen betrieblich verfolgten Digitalisierungsstrategien fokussierte das ISF auf Leitlinien zur Umsetzung autonomieförderlicher Arbeitsgestaltung, COGITO auf kollaborationsförderliche Organisationsstrukturen. Eine Besonderheit im Projekt stellte die Nutzung reflexiver Methoden dar. Hier kam das von COGITO entwickelte Workshop-Format der „Denkwerkstätten“ in Form von „Leitbildwerkstätten“ und „Innovationslaboren“ zum Einsatz. „Denkwerkstätten“ stellen ein Instrument dar, das über die Partizipation und die Integration verschiedener Perspektiven hinausweist. In ihnen geht es nicht in erster Linie um die Vermittlung von Wissen und Informationen, sondern um das Anstoßen eigener Denkprozesse, um eine eigenständige Auseinandersetzung mit neuen Formen der Unternehmenssteuerung und ihre Auswirkungen auf die Arbeitssituation und das Verhalten. Sie waren ein wichtiges Element, um nicht nur gemeinsam Maßnahmen zu entwickeln, sondern um Veränderungsprozesse im Unternehmen anzustoßen, die langfristig über einzelne Technikanwendungen hinauswirken.

Im Rahmen der Umsetzung setzte eine zweite Welle von Interviews zur Evaluation der Maßnahmen ein, wobei es gleichermaßen um den Prozess der Umsetzung wie die ersten Erfahrungen mit umgesetzten Maßnahmen ging. Im Zentrum standen Fragen nach der Passung der Maßnahmen zu den formulierten Zielsetzungen, nach den hemmenden und fördernden Faktoren und nach der Übertragbarkeit auf andere Bereiche des Unternehmens. In den dazu gehörenden Workshops wurden Ziellinien zur Weiterentwicklung, Korrektur bzw. Verstetigung der Maßnahmen definiert.

2 Auf dem Weg zu mehr Selbstständigkeit: Forschungsergebnisse anhand von Anwendungsbeispielen

Der SOdA-Ansatz wurde im Rahmen betrieblicher Anwendungsfälle in den Verbundunternehmen sowie in einem weiteren kooperierenden Unternehmen erprobt und weiterentwickelt. Über die spezifischen Fälle hinweg haben sich dabei das Echtzeit-/Transparenz-Thema (Digitale Steuerung) und die sozio-sensible Technikimplementation als Gestaltungsfelder herauskristallisiert, in denen übergreifende Synergien und Lernprozesse angestoßen werden konnten.

2.1 Vom Infotainment zum Shopfloormanagment bei der Limtronik GmbH

Im Kontext der Ausgangsanalyse beim Verbundpartner Limtronik sind zunächst die zentralen Herausforderungen des Unternehmens herausgearbeitet worden. Als mittelständischer Fertigungsdienstleister, als „Fabrik, die man auf Zeit mieten kann“, ist das Unternehmen in besonderem Maße einer instabilen Auftragslage sowie heftigen Schwankungen unterworfen. Entsprechend hohe Flexibilität ist auch im Arbeitseinsatz und der Arbeitsorganisation gefordert: auftragsabhängiger Auf- und Abbau von Leiharbeit, Überstunden und Samstagsarbeit, um knappe Termine zu halten oder neue Kunden zu gewinnen, Minusarbeit bei Materialengpässen, Arbeitsplatzwechsel, wenn es zu Engpässen kommt. Das Unternehmen hatte zur Bewältigung dieser Herausforderungen bislang vor allem technische Lösungen der Digitalisierung und Automatisierung im Blick. Durch die Verknüpfung von MES und ERP-Systemen und den Einsatz von Robotik sollten Effizienzsteigerungen erzielt werden. Tatsächlich aber führen die prekäre ökonomische Situation, der unstete Geschäftsverlauf und die häufig wechselnden Kundenauflagen dazu, dass Automatisierung und Digitalisierung an Grenzen stoßen, die zu verschieben die Mitarbeiter gebraucht werden. Im konkreten Arbeitsprozess stoßen wir daher auf sehr verbreitete, gleichzeitig weitgehend informelle Praktiken selbstständigen Arbeitshandelns der Beschäftigten: So stimmen sich die Beschäftigten etwa untereinander notwendige Änderungen in verschränkten Abläufen oder veränderte Priorisierungen ab, behalten selbst die Materialentwicklung im Blick, um frühzeitig intervenieren zu können, springen wechselseitig ein, planen vorausschauend und abgestimmt die Arbeitsabläufe über verschiedene Bereiche hinweg, um auch kritische Termine halten zu können etc. Obwohl das Unternehmen die Aktivitäten der Beschäftigten durchaus wahrnimmt und honoriert, sind diesem selbstständigen und vorausschauenden Arbeiten oftmals strukturelle oder formelle Grenzen gesetzt.

Ziel der Maßnahmenentwicklung von SOdA war es von daher, die bislang aus der Not heraus entwickelte Selbstständigkeit der Beschäftigten systematischer zu fördern und gleichzeitig Selbstständigkeit hemmende Bedingungen und Belastungsfaktoren aus widersprüchlichen Zielsetzungen abzubauen. Der Ansatzpunkt hierfür war die Implementation von Terminals in den Kostenstellen, die für mehr Transparenz und für umfassende Informationen der Mitarbeiter sorgen sollten. Nachdem sie ursprünglich eingerichtet wurden, um trotz häufigem Arbeitsplatzwechsel eine bessere Arbeitsplanung und Kalkulation zu ermöglichen, sollten die Terminals im weiteren Verlauf Schritt für Schritt zu einem Infotainment für die Beschäftigten ausgebaut werden, das die laufenden Prozesse in Echtzeit abbildet und Transparenz über den aktuellen Produktionsstand sowie die eigene Arbeit und Leistung herstellt sowie durch die Anbindung von Dashboards an das MES-System eine Echtzeit-Fehleranalyse von Störungen im Arbeitsablauf ermöglicht. Langfristig sollten so eine realistischere Planung und Evaluation der Arbeitsprozesse ermöglicht und Fehlerursachen von Störungen im Arbeitsablauf frühzeitig erkannt werden. Von den Beschäftigten werden die Planungen und ersten Schritte der Weiterentwicklung bislang sehr positiv aufgenommen, insbesondere besteht die Hoffnung, auch mangelnde Ressourcen sichtbar machen zu können.

Um die Weiterentwicklung des Instruments im Einklang mit einem übergreifenden Shopfloormanagement zu ermöglichen, erfolgte im Rahmen der Maßnahmenentwicklung zunächst eine Systematisierung und Klärung unterschiedlicher Zielsetzungen verschiedener betrieblicher Akteure. Zentral war es hierbei, die übergeordneten prozessbezogene Rationalisierungsstrategien mit einer Ausrichtung von Steuerungsformen in Einklang zu bringen, die das eigenverantwortliche Agieren der Beschäftigten nicht wieder durch engmaschige (Echtzeit-)Kontrolle einschränken. Nicht „Kontrolle durch Überwachung“, sondern „aktivierende Transparenz“ lautet die Losung. In Abstimmung mit dem Betriebsrat sind Regelungen getroffen worden, die es ausschließen, die Echtzeitdaten für eine individuelle Leistungs- und Verhaltenskontrolle zu nutzen.

Im Rahmen von SOdA ist in Workshops mit den Betroffenen an einem Framework für die Weiterentwicklung gearbeitet worden. Hierzu konnten im Projekt Synergien mit einem kooperierenden Projektpartner gewonnen werden, der im Rahmen des Projektes – schon weiter fortentwickelt – mit hauseigener Software ebenfalls ein System der Echtzeit-Fehleranalyse implementiert hat und dieses derzeit in ein werkübergreifendes Shopfloormanagement überführt (s.a. [8]). Das von den Workshop-Teilnehmer*innen erarbeitete Framework, das die weitere Arbeit mit dem Transparenz- und Echtzeit-Thema orientieren wird, beinhaltet unter anderem die folgenden Aspekte:

  • Zusammenführung der technischen Maßnahme mit einer sozialen Innovation – der Gewährung von Autonomie und der Einführung echter Gruppenarbeit; Integration in ein Shop Floor Management, das Kommunikationsprozesse über Probleme in der Produktion, über Ziele und Rahmenbedingungen des Arbeitens ermöglicht.

  • Verzicht auf Kontrolle des individuellen Leistungsverhaltens und Anonymisierung der von den Mitarbeitern eingegebenen Daten.

  • Beteiligung der Mitarbeiter an der Auswahl der im Terminal abrufbaren Kennzahlen und Informationen.

  • Nutzung der durch die Terminals hergestellten Transparenz, um auftretende Probleme im Team zu lösen, um zu einer fairen Berechnung der Produktivität zu kommen und um mehr Realismus in die Aufwands- und Kostenschätzung bei der Erstellung von Angeboten zu bringen.

2.2 Gelenkwellenwerk Stadtilm GmbH (GEWES): Vom Analogen zum Digitalen

Bei der GEWES sind die Kernprobleme in der Abteilung, auf die sich die SOdA-Aktivitäten gerichtet haben, zum einen die Forderungen des Hauptkunden nach einer Preissenkung und zum anderen die Bewältigung eines Produktmix aus Groß- und Kleinserien. GEWES hat sich zunächst die Frage gestellt, welchen Beitrag die digitalen Technologien zur Lösung dieser Steuerungsprobleme leisten, sich dann aber dafür entschieden, in einem ersten Schritt das Produktions-Layout zu verändern, in einem zweiten die Organisation anzupassen und erst in einem dritten Schritt die geeigneten digitalen Lösungen einzuführen. Dieses Vorgehen unterscheidet sich stark vom derzeit vorherrschenden Ansatz, demzufolge digitalisiert wird, was digitalisiert werden kann – die Digitalisierung sozusagen als Wundermittel für die Lösung aller betrieblichen Probleme. Die Überlegung der Verantwortlichen bei GEWES war, dass zum einen die Trias aus einem neuen Produktionslayout, einer veränderten Arbeitsorganisation und der digitalen Transformation eine Überforderung der Beschäftigten darstellen würde und dass zum anderen erst im Verlauf des Umbaus der Produktions- und Organisationsstrukturen die Bedarfe sichtbar werden, die mit der Digitalisierung befriedigt werden können.

Der Clou des neuen Produktionslayouts besteht darin, die bisher ineinander verwobenen Fertigungsarten Serie und Projekt zu trennen und ihnen einen jeweils eigenen Maschinenpark zuzuweisen. Die Serienfertigung wurde um eine große Neuinvestition herum – ein teilautonomes Bearbeitungszentrum – aufgebaut und in ihr wird ausschließlich für den Hauptkunden produziert. Der damit verbundene Produktivitätszuwachs ermöglicht es der Firma mittelfristig, das gefertigte Produkt günstiger anzubieten und damit der Kundenforderung entgegenzukommen. Im Prozess der Implementation des Bearbeitungszentrums wurde insbesondere auf eine sozio-sensible Technikgestaltung geachtet und die Beschäftigten von Anfang an aktiv miteinbezogen. So hatten die Beschäftigten die Möglichkeit, direkt beim Maschinenbauer die neue Anlag zu testen und Vorschläge zur Modifikation oder Ergänzung der Anlage einzubringen (die auch berücksichtigt wurden). Einen ebenso eigenständigen Charakter hat die Projektfertigung, in der Komponenten in geringer Stückzahl hergestellt werden.

Serien- und Projektfertigung funktionieren nach verschiedenen Logiken und bedürfen daher auch unterschiedlicher Arbeitssysteme. In der Serienfertigung herrscht die Logik der großen Stückzahl, der Effizienz, der Optimierung, der Kostenreduzierung, der Rationalisierung und Automatisierung. Sie birgt die Tendenz in sich, die Arbeit zu vereinseitigen und zu vereinfachen, den Maschinenbediener von komplexen Tätigkeiten (Rüsten/Programmieren/Warten) zu entlasten. GEWES hat dieser Tendenz widerstanden: Die Arbeit ist nicht dequalifiziert worden, die Werker programmieren, richten ein und erledigen Mess- und Wartungsarbeiten, haben also einen recht breiten Arbeitsinhalt. Der Plan ist, dass die Serienmannschaft hochgradig autonom arbeitet, die Material-, Rüst- und Wartungshoheit hat und selbst in die Auftragsreihenfolgeplanung eingreifen kann. In der Projektfertigung hingegen herrscht die Logik der kleinen Stückzahl, der Flexibilität, des breiten Arbeitseinsatzes (Rüsten). Die Arbeit ist stark kundenorientiert und sperrt sich gegen Rationalisierung. Sie birgt die Tendenz, nur eine vergleichsweise geringe Produktivität hervorzubringen sowie ungute Gefühle bei den Mitarbeitern hervorzurufen (Rüsten als ‚unproduktive‘ Zeit). In der Projektfertigung geht es weniger um eine Autonomiesteigerung, sondern eher um die Einhegung der Autonomie durch eine größere Strukturierung der Abläufe und Prozesse. Bislang herrschen dort das Zuruf-System und ein kreatives Produktionschaos. Gleichermaßen ist dort das Lohnsystem zu hinterfragen, das die kreative Arbeit (Rüsten) bestraft und die einfach (Knöpfchen drücken) belohnt.

Die Ausformung des Arbeitssystems ist derzeit im Gange. Die Verteilung der Mitarbeiter auf die Bereiche ist erfolgt, die Anlernprozesse am Bearbeitungszentrum sind abgeschlossen, die Teambildungsprozesse beginnen. Sie werden im Rahmen von SOdA begleitet durch Workshops, in denen die zukünftige Arbeitsorganisation, die geeigneten Lohnsysteme, die Kompetenzen der Gruppen verhandelt werden. Erst wenn diese Fragen geklärt sind, will die Firma das Digitalisierungsthema fruchtbar machen, das sie zwar schon aufgegriffen hat, aber noch zurückhält. Es ist schon jetzt Gegenstand der SOdA-Workshops. Ansatzpunkte sind die Predictive Maintenance, die Visualisierung von Produktions- und Leistungsdaten, die Entbürokratisierung durch Abschaffung der ‚Zettelwirtschaft‘, die Auswertung von Maschinendaten, um Fehlern und Stillstandzeiten auf die Spur zu kommen, die Echtzeitsteuerung etc. GEWES will erst wissen, was es wissen muss, um die Produktion zu optimieren, ehe die digitalen Lösungen zum Zuge kommen.

2.3 Auf dem Weg zur sozio-sensiblen Technikgestaltung: Pilotierung eines Leichtbauroboters bei der Limtronik GmbH

Ein zentrales weiteres Gestaltungsfeld im Projekt ist die sozio-sensible Technikimplementation. Für dieses Gestaltungsfeld war es Ziel des Projektes, Hersteller- und Anwenderperspektiven miteinander zu verschränken. Hierzu wurden in die Ausgangsanalyse und Maßnahmenentwicklung Unternehmen der Softwareentwicklung und der Robotik miteinbezogen, die mit dem Verbundpartner Limtronik zur Einführung des Dashboards (s. o.) und zur Implementation eines Leichtbauroboters kooperieren. Ziel war es dabei Gestaltungsanforderungen bereits im Prozess der Technikimplementation einzubringen, um unintendierten Einflüssen des Technikeinsatzes auf die Arbeitsprozesse vorzubeugen und sicher zu gehen, dass Arbeitsorganisation und Technikgestaltung aufeinander abgestimmt sind. Die Implementation des Leichtbauroboters musste allerdings nach einer ersten gescheiterten Implementation kürzlich neu aufgesetzt werden. Hintergrund waren zum einen technische Probleme des kooperierenden Robotikanbieters, aber auch systematische Probleme im Implementationsprozess. Trotzdem oder gerade deswegen konnten im ersten gescheiterten Implementationsversuch entscheidende Lernprozesse angestoßen werden, die in Form eines „lessons learned“-Verfahrens aufgearbeitet und in den laufenden neuen Prozess einbezogen werden. In die lessons learned aufgenommen werden dabei auch Erfahrungsprozesse aus einem weiteren Untersuchungsunternehmen.

Im Folgenden geht es weniger um eine detaillierte Aufarbeitung der Schwierigkeiten der Implementation im konkreten Fall als um zentrale Einsichten, die in diesem Prozess in gewonnen worden und für Implementationsprozesse der Leichtbaurobotik im Allgemeinen genutzt werden können.

Zielsetzung: Die Implementation der Robotik bedarf wie jede Digitalisierungsmaßnahme einer systematischen Klärung kurz-, mittel- und langfristige Ziele (s. o.). Für die Limtronik GmbH stand hier vor allem eine mit der Robotik anvisierte Umstrukturierung der Arbeitsplätze im Zentrum, die einen qualifikationsadäquaten Personaleinsatz ermöglichen sollte. Zusammen mit der durch den Roboter anvisierten Entlastung einer äußert monotonen und unangenehmen Arbeitsaufgabe (das Kleben von Baugruppen) war dies mittelfristig auch als eine Strategie zur Bewältigung von Problemen der Anwerbung von Fachkräften geplant. Die Implementation des gewählten Leichtbauroboters an dem Klebearbeitsplatz ist dabei als Pilot geplant, der die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine unter eigenständiger Verantwortlichkeit der Mitarbeiter*innen mit „Patenschaften“ erproben soll.

Passung und Erwartungsmanagement: In Abhängigkeit der Ziele ist im Zuge einer realistischen Auseinandersetzung mit den Grenzen der Robotik systematisch zu evaluieren, welche Funktion der Leichtbauroboter hierbei übernehmen und wo er eingesetzt werden kann. Die Limtronik GmbH hat sich für diesen Prozess im Rahmen des Projekts viel Zeit genommen und gemeinsam mit Technologen, dem Anbieterunternehmen und Beschäftigten selbst eine prinzipiell geeignete Arbeitsaufgabe ausgewählt. Hierbei war es auch wichtig, die Arbeitstätigkeit in neuen Zusammenhängen zu denken:

„Die Logik der Automatisierung ist ja nicht zu sagen, ich mache genau den manuellen Prozess oder ich decke den manuellen Prozess so genau automatisch ab – macht einfach gar keinen Sinn.“ (Interview Robotikanbieter).

Beteiligung: Wesentlich ist, dass für die konkrete Planung der Arbeitsaufgabe umfassende Kenntnisse über den konkreten Arbeitsprozess vorhanden sind, weil sich auch vermeintlich einfache Tätigkeiten (wie hier das Kleben von Bauteilen) als sehr komplex erweisen können. Notwendig ist es daher, die Mitarbeiter von an allen Schritten der Planung und Umsetzung systematisch zu beteiligen und auch den direkten Kontakt zwischen Produktionsmitarbeiter*innen und Anbieter herzustellen. Die Beteiligung der Mitarbeiter ist in mehrfacher Hinsicht zentral: erstens aus Akzeptanzgründen, sowohl was eine mögliche Verunsicherung im Vorfeld, aber auch was die spätere Arbeitsteilung mit dem Roboter betrifft: je früher die Beschäftigten involviert werden, desto verantwortlicher fühlen sie sich auch. Zweitens, um Qualifikationsbedarf und gezielte Förderung der Beschäftigten zu ermöglichen. Drittens, weil Digitalisierungslösungen ohne Beteiligung scheitern können, da ohne Beteiligung das (Erfahrungs-)Wissen der Beschäftigten unberücksichtigt bleibt. Gerade im Bezug auf Fragen des Materialflusses, von Materialeigenschaften, auftretender Produktionsprobleme etc. sind theoretische Kenntnisse über die Anforderungen nicht ausreichend. Keiner kennt die Herausforderungen und „Fallstricke“ des Arbeitsplatzes so gut, wie die Beschäftigten vor Ort, gerade Beschäftigte mit jahrelanger Erfahrung wissen am besten, auf was zu achten ist – mit der Beteiligung können frühzeitig Fehler identifiziert oder vermieden werden.

Kosten und Aufwand: Nicht zuletzt geht es um eine realistische Planung von Kosten und Aufwand. Gerade im Mittelstand wird über die Anschaffung von Leichtbaurobotik oftmals genau dann nachgedacht, wenn ein akutes Problem besteht, ein Roboter soll oftmals schnell für Entlastung sorgen, die Einführung erfolgt „on the go“ im laufenden Produktionsprozess. Aber die Einführung des Roboters kostet Ressourcen – nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Eine vorschnelle Einführung unter Produktivitätsdruck verhinderte die systematische Planung der Einführung, zu vermeidende Fehlerquellen werden nicht identifiziert und die Expertise der betroffenen Beschäftigten nicht genutzt.

Zentral bleibt festzuhalten: Beteiligung von Beschäftigten von Beginn an, eine flankierende Reorganisation des Arbeitsprozesses sowie umfassende Schulungsmaßnahmen sind kein optionales Add-on, sondern systematisch einzuplanende Ressourcen, damit die Leichtbaurobotik überhaupt zur Anwendung kommen kann und Vorteile bringt. Die eigentlichen produktiven Vorteile des Robotikeinsatzes liegen in den Möglichkeiten, die Arbeitsorganisation umzustellen, nicht in direkten Produktivitätsvorteilen des Roboters gegenüber der menschlichen Arbeit. Gerade im kurzfristigen Einsatz ergibt sich unter anderem aufgrund von Geschwindigkeitsbegrenzungen kein Produktivitätsvorteil – dieser entsteht nur durch Kontinuität und die Freisetzung der Mitarbeiter*innen für andere Tätigkeiten.

Begleitend durch lessons-learned Workshops im Rahmen von SOdA werden bei Limtronik nun neue Ausarbeitungen zum Einsatz der Robotik gestartet. Dabei werden die Mitarbeiter, welche den aktuellen manuellen Produktionsprozess betreuen und ausführen, beteiligt und in die Ausarbeitung einbezogen. Diese Mitarbeiter sollen nach erfolgreicher Einführung der Robotik auch die Betreuung und Patenschaft des Roboters übernehmen.

3 Forschungslücken, Ausblick auf möglicherweise fortlaufende Forschungsarbeit

Digitale Technologien in der Produktion so einzusetzen, dass sie ihr Potenzial auch wirklich entfalten können, ist voraussetzungsreich. Die Digitalisierung funktioniert nicht „auf Knopfdruck“ und nicht als Insellösung und schon gar nicht, wenn sie ohne Berücksichtigung des Erfahrungswissens der Beschäftigten durchgeführt wird und selbstständiges und kooperatives Arbeiten von Beschäftigten behindert. Die erfolgreiche Implementation digitaler Technologien setzt Beteiligung voraus, bedarf der Entwicklung von Kompetenzen, kostet Geld und braucht Zeit.

Gerade für KMU, das zeigen unsere Befunde, erwächst daraus ein Dilemma: Schnelle Lösungen sind gefragt, die Umsetzung braucht aber Zeit und führt erst in einer mittelfristigen Perspektive zur einer Steigerung der Produktivität. Die Implementation setzt Ressourcen (Analysen, Kompetenzen, Kapital, Zeit) voraus – und gerade die sind knapp in KMU. Umso wichtiger sind systematische Lernprozesse in den Betrieben selbst, aber auch in einer überbetrieblichen Perspektive. Mehr noch als große Unternehmen sind KMU darauf angewiesen, dass die Erfahrungen und Lernprozesse auch aus anderen Betrieben zugänglich sind.

Daraus erwächst eine zweifache Perspektive für zukünftige Forschungsvorhaben: Erstens sind Gestaltungsansätze weiterzuentwickeln, die die Implementation digitaler Technologien mit einer Förderung der Selbstständigkeit verbinden, die Steigerung von Innovativität und Produktivität mit – und durch – gute Arbeitsbedingungen zum Ziel haben. Zweitens sind, im Sinne eines kollektiven Lernprozesses, die Erfahrungen mit der Technikimplementation in einer überbetrieblichen Perspektive zu erheben und zu systematisieren, um für KMU eine breitere Kompetenzbasis zu schaffen.

Projektpartner und Aufgaben

  • Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e. V. – ISF München

    Referenzmodell autonomieorientierte Arbeitsgestaltung im digitalen Unternehmen

  • Cogito Institut für Autonomieforschung e. V.

    Integrationsmodell von indirekter Steuerung und kollaborativer Organisationsentwicklung

  • Limtronik GmbH

    Leitkonzept zur Organisationsentwicklung, Arbeitsgestaltung und sozio-sensiblen Technikentwicklung in der smarten Fabrik

  • Gelenkwellenwerke Stadtilm GmbH

    Kompetenzentwicklungsmodell zur sozio-technischen Gestaltung digitaler Fertigung