Angesichts des seit Längerem erhöhten Lehrpersonenbedarfs bzw. Lehrpersonenmangels auf der PrimarstufeFootnote 1 (SKBF 2018) ist neben der Untersuchung von Quereinstiegsprogrammen auch ein Blick auf die reguläre Rekrutierungsbasis der Primarlehrpersonenbildung von zentraler Bedeutung. Hierbei besteht in der Schweiz die spezielle Situation, dass auf der nachobligatorischen Sekundarstufe II nicht nur die gymnasiale Maturität als allgemeiner Hochschulzulassungsausweis formal prüfungsfreien Zugang zum Bachelorstudiengang Primarstufe an Pädagogischen Hochschulen (PH) ermöglicht, sondern auch die von der Fachmittelschule (FMS) verliehene Fachmaturität Pädagogik als fachgebundene Fachhochschulreife.

Das Gymnasium und insbesondere der Weg über die Schwerpunktfächer Musik, Bildnerisches Gestalten und Philosophie/Pädagogik/Psychologie (musisch-pädagogisches Gymnasialprofil) galt lange als «Königsweg» (EDK 2005) in die Primarlehrpersonenbildung. Diese Fächer wurden als funktionaler Ersatz der ehemaligen Lehrer*innenseminare auf Sekundarstufe II eingeführt, und noch heute treten aus dem musisch-pädagogischen Gymnasialprofil im Vergleich zu anderen Schwerpunktfächern am meisten Jugendliche in eine PH über. Aus diesem Grund lag der Fokus der vorliegenden Studie auf diesem Profil. Trotz dessen historischer Bedeutung für die Lehrpersonenbildung trägt das Gymnasium aktuell nicht mehr zum Wachstum der PH-Studierendenzahlen bei (Denzler 2018).

Die Fachmittelschule (FMS) mit Fachmaturität Pädagogik als zweiter allgemeinbildender Schultyp der nachobligatorischen Sekundarstufe II in der Schweiz tut dies in hohem Masse (ebd.) und ist nicht nur zu einer beliebten Ausbildungsoption für am Lehrberuf interessierte Jugendliche, sondern auch zu einer gesamtschweizerisch institutionalisierten und bedeutsamen Zubringerin für das Studium der Primarstufe an PH geworden. Dies ist insbesondere deshalb erstaunlich, weil die FMS Pädagogik während ihres Institutionalisierungsprozesses im Kontext der Tertiarisierungsreform der Lehrpersonenbildung in den 1990-er Jahren als Zubringerin zur Primarlehrpersonen höchst umstritten war.

In der vorliegenden Studie wurde dieser unterschiedlichen, sich historisch verändernden Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils für die Ausbildung von Primarlehrpersonen entlang folgender Fragestellungen nachgegangen:

  1. 1.

    Wie konnte sich die FMS Pädagogik trotz wiederholter Kritik und in Anbetracht des gymnasialen «Königswegs» als Zugangsweg in die Ausbildung von Primarlehrpersonen an PH institutionalisieren?

  2. 2.

    Welche Übertrittsquoten in den Studiengang Primarstufe weisen die beiden untersuchten Profile auf und in welche Studiengänge auf Tertiärstufe treten ihre Absolvierenden über?

  3. 3.

    Durch welche Charakteristika und Spezifika konstituieren sich die FMS Pädagogik und das musisch-pädagogische Gymnasialprofil? Wie kann auf dieser Basis ihre unterschiedliche Bedeutung für die Primarlehrpersonenbildung erklärt werden?

Die Untersuchung stützte sich auf das theoretische Instrumentarium der Soziologie der Konventionen bzw. die «Économie des Conventions» (EC) (Boltanski und Thévenot 2007; Diaz-Bone 2018). Die Beantwortung der Forschungsfragen erfolgte über eine multimethodische Herangehensweise. Sie umfasst historische Dokumentenanalysen, Expert*inneninterviews, deskriptiv-quantitative Bildungsverlaufsanalysen sowie eine multiple Fallstudie (Case Study Design) in zwei deutschsprachigen und einem französischsprachigen Kanton der Schweiz. Hierfür wurden neben Dokumentenanalysen problemzentrierte Interviews mit Lehrpersonen, Schüler*innen und Schulleitungen der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils geführt sowie Unterrichtsbeobachtungen durchgeführt. Die Datenanalyse erfolgte vor dem erkenntnistheoretischen Hintergrund der Soziologie der Konventionen in Anlehnung an das Kodiervorgehen der Grounded Theory.

Die vorliegende StudieFootnote 2 liefert Antworten auf die Frage, wie die unterschiedliche und sich historisch verändernde Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils für die Primarlehrpersonenbildung erklärt werden kann.

Im Folgenden wird erstens die historische Bedeutung der beiden Profile (Abschn. 8.1.1), zweitens ihre aktuelle quantitative Bedeutung (Abschn. 8.1.2) sowie drittens ihre Bedeutung aus einer qualitativen Perspektive im Rahmen der drei kantonalen Fallstudien (Abschn. 8.1.3) zusammenfassend und mit Blick auf die formulierten Arbeitshypothesen präsentiert. Im Anschluss werden die Ergebnisse in bestehende empirische Forschung eingeordnet (Abschn. 8.2.1) und der konventionentheoretische Rahmen der Studie reflektiert (Abschn. 8.2.2). Ebenso werden die Grenzen der Studie (Abschn. 8.2.3) sowie ihre wissenschaftliche und praktische Relevanz diskutiert (Abschn. 8.3). Abschließend erfolgt ein Ausblick und die Formulierung weiterer Forschungsdesiderata.

8.1 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse

8.1.1 Die Institutionalisierung der FMS Pädagogik – ein umkämpfter Prozess

In vielen Kantonen der Schweiz war die Lehrpersonenbildung lange Zeit seminaristisch auf Sekundarstufe II organisiert. Im Rahmen der TertiarisierungFootnote 3 der Lehrpersonenbildung in den 1990-er Jahren sollten die an den Gymnasien neu eingeführten, musisch-pädagogischen Schwerpunktfächer Musik, Bildnerisches Gestalten und Philosophie/Pädagogik/Psychologie (PPP) die in Auflösung befindlichen Lehrer*innenseminare funktional ersetzen. In der Folge wurde das Gymnasium der Tradition der meisten Kantone entsprechend als «Königsweg» in die tertiarisierte Lehrpersonenbildung positioniert.

Ausgangslage der vorliegenden Studie war die Feststellung, dass sich heute trotz des gymnasialen «Königswegs» erstaunlicherweise die Fachmittelschule (FMS) mit Profil und Fachmaturität Pädagogik als dem Gymnasium funktional äquivalente Zubringerin zum Bachelorstudium Primarstufe an Pädagogischen Hochschulen institutionalisiert hat. Ebenso erstaunlicherweise sind die Pädagogischen Hochschulen seit 2015 bundesrechtlich dazu verpflichtet, Absolvierende der Fachmaturität Pädagogik zum Studium der Primarstufe zuzulassen.

Historisch betrachtet hatte die FMS bzw. ihre Vorgängerinstitution DMSFootnote 4 zwar traditionell auf erzieherisch-pädagogische Berufe vorbereitet und bot vielerorts Zugang zur Ausbildung von Lehrpersonen des Kindergartens, der Hausarbeit und der Handwirtschaft. Dieser Zugang wurde aber im Kontext der Tertiarisierung der Lehrpersonenbildung wiederholt kritisiert (Kiener 2004, S. 31; Capaul und Keller 2014, S. 29), erheblich in Frage gestellt, und die Position und Zugangsberechtigung der FMS in die neu tertiarisierte Lehrpersonenbildung bedurfte einer Klärung (Criblez 2010, S. 44).

Diesem Prozess der Infragestellung und der anschließenden umkämpften Institutionalisierung der FMS Pädagogik, der schließlich zur heutigen funktionalen Gleichwertigkeit gegenüber dem gymnasialen Bildungsweg beim Zugang zur Ausbildung von Primarlehrpersonen führte, widmete sich der erste Teil der vorliegenden Studie (Kap. 5). Es wurde der Frage nachgegangen, wie sich die Fachmittelschule mit Profil und Fachmaturität Pädagogik trotz wiederholter Kritik und in Anbetracht des gymnasialen «Königswegs» als Zugangsweg in die Ausbildung von Primarlehrpersonen an PH institutionalisieren konnte, und welche Prozesse und Dynamiken im bildungspolitischen Koordinationsprozess der Institutionalisierung der FMS Pädagogik ausschlaggebend waren.

Für die Analyse wurden drei historisch «kritische Momente» (Boltanski und Thévenot 2011, S. 43) ausgewählt, in denen der Zugang von der FMS in die tertiarisierte Lehrpersonenbildung zur Debatte stand und aufgelöst hätte werden können. Anhand dieser drei Momente als historische Situationen der (interkantonalen) Handlungskoordination wurde aufgezeigt und erklärt, wie sich die FMS Pädagogik trotz Kritik als Zubringerin zur hochschulischen Ausbildung von Primarlehrpersonen institutionalisieren konnte.

Es bestätigte sich die Arbeitshypothese, dass dafür in der interkantonalen Handlungskoordination und Steuerung der Lehrpersonenbildung Kompromisse zwischen verschiedenen Gemeinwohlorientierungen gefunden werden mussten, welche die der FMS entgegengebrachte Kritik einzuschließen vermochten. Dabei erwiesen sich die häuslich-regionalistische (kantonale Autonomie und traditionell-regional gepflegte Zugänge in die Lehrpersonenbildung), die industrielle (Harmonisierung, Standardisierung, Nachwuchssicherung, Professionalisierung, Fachkompetenz Wissenschaftlichkeit) und punktuell auch die staatsbürgerliche Konvention (Partizipation, Chancengleichheit, Bildungsaufstieg, rechtliche Gültigkeit) als zentral.

Die Analyse legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) in Situationen der Handlungskoordination jeweils Wertigkeiten aller drei Gemeinwohlorientierungen integrieren musste, um zu einer Übereinkunft zu kommen und beschlussfähige Kompromisse zu finden. Es zeigte sich allerdings auch, wie die gefundenen Kompromisse immer nur eine vorübergehende Lösung darstellten, welche im Nachgang zu Folgeproblemen und -konflikten führten. Dies erforderte eine erneute Koordination der beteiligten Akteur*innen und setzte die Zulassung von Absolvierenden der FMS in die Ausbildung von Primarlehrpersonen neuen Infragestellungen aus.Footnote 5 Trotzdem lassen sich im Rahmen der Analysen der vorliegenden Studie einige zentrale Mechanismen identifizieren, welche den (erfolgreichen) Institutionalisierungsprozess der FMS Pädagogik zu erklären vermögen.

Aufgrund des föderalistischen Prinzips der Bildungssteuerung in der Lehrpersonenbildung musste im Rahmen der interkantonalen Koordination erstens immer wieder ein Minimalkonsens zwischen den verschiedenen kantonalen Forderungen und Ansprüchen hergestellt und Kompromisse zwischen der häuslich-regionalistischen (regionale Traditionen der Lehrpersonenbildung), der industriellen (Standardisierung, Professionalisierung) und der staatsbürgerlichen (Kohärenz mit (quasi-)rechtlichen Grundlagen; Durchlässigkeit und gleiche Bildungschancen) Konvention geschlossen werden. Obwohl der EDK-Vorstand und das EDK-Generalsekretariat sich mit seinen Bestrebungen zur Harmonisierung, Standardisierung und Professionalisierung der Lehrpersonenbildung ausgeprägt an Wertigkeiten der industriellen Konvention orientierte, erschien aufgrund der traditionell kantonalen Hoheit über die Lehrpersonenbildung (häuslich-regionalistische Konvention) eine zentralstaatliche, einheitliche Regelung der Zulassungsbestimmungen zur Lehrpersonenbildung als Schreckgespenst, das es um jeden Preis zu vermeiden galt.

So führte die ausgeprägte Valorisierung kantonaler Autonomie in der Lehrpersonenbildung dazu, dass selbst bei grundlegenden Disputen innerhalb der EDK das ‘kleinere Übel’ eines Kompromisses einer zentralstaatlichen top-down-Regelung vorgezogen wurde. Wie gezeigt wurde, ermöglichten diese Kompromisse letztendlich die Etablierung der Fachmittelschule als Zubringerin zu tertiarisierten Lehrpersonenbildung. Dabei bestätigte sich die Arbeitshypothese, dass diese Kompromisse genug vage im Sinne einer «deliberate vagueness» (Thévenot 1984) formuliert werden mussten, so dass die höchst unterschiedlichen kantonalen Interessen integriert werden konnten.

In diesem Zusammenhang erwies sich zweitens die sogenannte «kann-Formulierung» als eine bedeutende Kompromissformel, welche als kognitives Format der häuslich-regionalistischen Konvention interpretiert werden kann. Diese «kann-Formulierung» ermöglichte als Kompromissformel sowohl bei der Ausarbeitung des PH-Anerkennungsreglements von 1999 (kritischer Moment I, Abschn. 5.2) als auch bei seiner Revision 2005 (kritischer Moment III, Abschn. 5.4) das Aufrechterhalten unterschiedlicher kantonaler Zulassungslogiken. Dies erlaubte Kritiker*innen der FMS zwar, den Zugang zur Primarlehrpersonenbildung nur auf Inhaber*innen einer gymnasialen Maturität zu beschränken – ebenso ermöglichte es aber den Befürworter*innen eines Zugangs von Absolvierenden der FMS in die Primarlehrpersonenbildung ein Aufrechterhalten dieser Tradition. Dadurch blieb die FMS Pädagogik als kantonal gepflegter Zugangsweg in die Lehrpersonenbildung jeweils erhalten.

Hierbei können drittens auch unintendierte Effekte der Handlungskoordination als ausschlaggebend interpretiert werden, wie sie als Arbeitshypothese formuliert wurden. Bei der Ausarbeitung des PH-Anerkennungsreglements 1999 setzten sich im erbitterten Kampf um die seminaristische Ausbildungstradition deren Vertreter*innen für kantonale Autonomie in der Lehrpersonenbildung ein, um die Lehrer*innenseminare zu retten. Damit valorisierten sie – unabsichtlich – genau die gleichen häuslich-regionalistischen Wertigkeiten wie die FMS-Akteur*innen. Sie unterstützten dieselbe Gemeinwohlorientierung der kantonalen Autonomie und verliehen dieser Logik in der interkantonalen Handlungskoordination erhebliches Gewicht. Die Analysen legen nahe, dass dies ein wichtiger Beitrag zur für die FMS Pädagogik bedeutsamen Kompromissschließung (siehe oben) war. Ebenso war die Einführung der Fachmaturität Pädagogik (kritischer Moment II, Abschn. 5.3) ein von EDK-Akteuren unerwartetes Ereignis, welches sie im Rahmen der Überarbeitung des PH-Anerkennungsreglements im Jahr 2005 vor Koordinationsherausforderungen stellte.

Die Fachmaturität Pädagogik verwirklichte zudem Vorstellungen (imagined futures, Beckert 2016) einer «ergänzten Allgemeinbildung», wie sie bereits 1993 im Rahmen der Thesen zur Entwicklung Pädagogischer Hochschulen (EDK 1993a) für Absolvierende der FMS als Voraussetzung für den Zugang zur Primarlehrpersonenbildung gefordert worden war. Heute umfasst die Fachmaturität Pädagogik gemäß EDK-Richtlinien die Fächer Erstsprache, eine zweite Landessprache oder Englisch, Naturwissenschaften, Geistes- und Sozialwissenschaften, das Verfassen einer Fachmaturitätsarbeit zu einem frei gewählten Thema sowie ein Examen in den genannten Fächern (EDK 2018). Diese Inhalte werden explizit als diejenigen Fachbereiche valorisiert, «die für die weiterführende pädagogische Ausbildung relevant sind» (ebd., S. 18).

Mit dieser inhaltlichen Ausgestaltung kann die Fachmaturität Pädagogik viertens letztlich als Kompromiss und wichtige Forminvestition interpretiert werden. Durch den inhaltlichen Fokus auf Fächer, welche in funktionaler Weise die PH-Studierfähigkeit im Sinne von für die Ausbildung nötigen und als «relevant» erachteten Fachkompetenzen sicherstellen soll, werden einerseits Wertigkeiten der industriellen Konvention verwirklicht. Mit dem Aufrechterhalten eines traditionellen, kantonal oder regional gepflegten und wertgeschätzten Zugangs integriert dieser Kompromiss aber auch Wertigkeiten der häuslich-regionalistischen Konvention.

An dieser Stelle kann die Arbeitshypothese bestätigt werden, dass aufgrund der traditionell kantonalen Hoheit in der Lehrpersonenbildung der häuslich-regionalistischen Konvention eine hohe Bedeutung im Institutionalisierungsprozess der FMS Pädagogik zukam. Ebenso erwies sich wie vermutet die industrielle Konvention als wichtiges Handlungs- und Bewertungsprinzip, auch wenn eher mit Fokus auf die für die Lehrpersonenbildung nötigen Fachkompetenzen als in der Form des Arguments der langfristigen Sicherung von Lehrkräftenachwuchs. Letzteres erwies sich dennoch immer wieder als Argument in der interkantonalen Handlungskoordination.

Die Bedeutung der Fachmaturität Pädagogik verweist fünftens auf einen weiteren, als zentral identifizierten Mechanismus im Institutionalisierungsprozess der FMS Pädagogik: die bildungspolitische Bedeutung von Forminvestitionen im Sinne der Pfadabhängigkeit. Die Analyse bestätigte die Arbeitshypothese, dass in der Vergangenheit getätigte Investitionen in materielle und immaterielle (bildungspolitische) Formen immer wieder für zukünftige Entwicklungen von Relevanz sein würden (Thévenot 1984). So stellten die – teilweise rechtlich nicht (!) bindenden – Thesen zur Entwicklung Pädagogischer Hochschulen 1993, die Empfehlungen zur Lehrerbildung und Pädagogischen Hochschulen 1995, das PH-Anerkennungsreglement für Lehrkräfte der Vorschul- und Primarstufe 1999 sowie das FMS-Anerkennungsreglement FMS wichtige Forminvestitionen und bildungspolitische Objekte dar, auf welche sich sowohl Kritiker*innen als auch Befürworter*innen der FMS Pädagogik in ihrer Argumentation im Sinne eines ‘Sachzwangs’ immer wieder argumentierend beriefen.

Wie die Analyse zeigte, stützten sie sich dabei teilweise auf unterschiedliche Konventionen zur Interpretation dieser (quasi-)rechtlichen Grundlagen. Damit bestätigte sich die konventionentheoretische Annahme, dass Institutionen im Sinne von Regeln einer (konventionenbasierten) Interpretation durch die Akteur*innen bedürfen.

Die situative und handlungspraktische Relevanz von Objekten in der Handlungskoordination zeigte sich eindrücklich in der unerwarteten (Wieder-)einführung der Fachmaturität (kritischer Moment II). Die initiierende Erziehungsdirektion, welche für diese (Wieder-)einführung plädierte, integrierte sowohl häuslich-regionalistische, industrielle als auch staatsbürgerliche Begründungen in ihr Argumentarium. Damit konnte sie potenzieller, auf diesen drei für die Handlungskoordination der EDK als zentral rekonstruierten Gemeinwohlorientierungen beruhender Kritik begegnen. Dadurch, dass sie ihr Plädoyer nicht nur vorab in schriftlich-materialisierter Form an die übrigen Erziehungsdirektionen versandte, sondern das Plädoyer als Objekt auch physisch in der Plenarversammlung anwesend war, erwies sich – so die Interpretation – die Koordinationssituation der EDK-Plenarversammlung als kognitiv vorformatiert und ermöglichte die Wiedereinführung der Fachmaturität nach deren initialer Ablehnung.

Abgesehen von diesem kritischen Moment der (Wieder-)einführung der Fachmaturität erwiesen sich staatsbürgerliche Wertigkeiten der Chancengleichheit, Durchlässigkeit und Fairness als nicht so bedeutende Wertigkeiten, wie dies im Rahmen der Arbeitshypothesen vermutet worden war. Mit der Argumentation des ‘Sachzwangs’ bereits getätigter Forminvestitionen und damit der Berufung auf quasi-rechtliche Grundlagen (EDK-Empfehlungen, Konkordate, Reglemente) erweist sich zwar das staatsbürgerliche Gemeinwohl als bedeutend. Argumente der Chancengleichheit – wie etwa, dass die FMS eine Möglichkeit des Bildungsaufstiegs für junge Frauen und Jugendliche mit Migrationshintergrund darstelle – erwiesen sich in den analysierten Situationen der Handlungskoordination abgesehen vom kritischen Moment II aber nur selten als vorgebrachte Begründungsmuster.

Die Analysen lassen zusammenfassend schlussfolgern, dass sowohl a) die jeweils situative Kompromissfindung zwischen Wertigkeiten der drei für die interkantonale Koordination der EDK als bedeutend rekonstruierten Konventionen als auch b) die Verknüpfung mit bereits existierenden Form(investition)en die Institutionalisierung der FMS Pädagogik ermöglichten. Insbesondere die Bedeutung der häuslich-regionalistischen Konvention behinderte bis 2015 aber auch eine gesamtschweizerisch einheitlich geregelte und für alle Pädagogischen Hochschulen verpflichtende Zulassung von Absolvierenden der Fachmaturität Pädagogik zum Bachelorstudiengang Primarstufe. Dafür spricht auch ein Blick auf das bildungspolitische Argumentarium im Kontext des Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetzes (HFKG 2011). Erst das auf Bundesebene anders gelagerte und gewichtete Arrangement von Konventionen und ihren Wertigkeiten ermöglichte eine gesamtschweizerisch rechtlich verpflichtende Zulassung von Inhaber*innen einer Fachmaturität Pädagogik zum PH-Studiengang Primarstufe.

8.1.2 Die Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils für die Primarlehrpersonenbildung aus quantitativer Perspektive

Im Anschluss an die Rekonstruktion des Institutionalisierungsprozesses der FMS Pädagogik aus historischer Perspektive beschäftigte sich die zweite in der vorliegenden Studie adressierte Forschungsfrage mit der aktuellen, quantitativen Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils (Kap. 6).

Auf Basis aktueller Studierendendaten des BFS wurde gezeigt, dass der Anteil PH-Studierender mit einer Fachmaturität als Zulassungsausweis im Studiengang Primarstufe (inklusive Vorschulstufe) seit Einführung der Fachmaturität Pädagogik im Jahr 2007 kontinuierlich auf 28 %Footnote 6 zugenommen hat (Abschn. 6.1). Der Anteil Studierender mit gymnasialer Maturität hingegen ist im gesamtschweizerischen Durchschnitt von 58 % im Jahr 2010 auf 40 % im Jahr 2019 gesunken. Diese Entwicklungen können als Folge und Ausdruck des erfolgreichen Institutionalisierungsprozesses der FMS Pädagogik interpretiert werden. Denn in absoluten Zahlen ist die Anzahl Studierender mit gymnasialer Maturität zwar nur leicht gesunken (da sie nicht unmittelbar von der Institutionalisierung der FMS Pädagogik tangiert wird), die Anzahl Absolvierender mit einer FachmaturitätFootnote 7 haben an PH aber stark zugenommen und tragen wesentlich zum Wachstum der PH-Studierendenzahlen bei.

Ebenso zeigten sich ausgeprägte kantonale respektive PH-spezifische Unterschiede in den jeweiligen Anteilen Studierender des Studiengangs Primarstufe mit unterschiedlichen Zulassungsausweisen. Diese kantonalen Unterschiede können als Ausdruck der in Kap. 5 rekonstruierten, sehr unterschiedlichen Haltungen der Kantone gegenüber der Zulassung von Absolvierenden der Fachmaturität Pädagogik in die Ausbildung von Primarlehrpersonen gedeutet werden.

Die größten Anteile Studierender des Studiengangs Primarstufe mit einer Fachmaturität als Zulassungsausweis verzeichnen u. a. diejenigen PH, deren Trägerkantone eine längere Tradition der Zulassung von FMS-Absolvierenden in die (Primar-)lehrpersonenbildung aufweisen. So beträgt der Anteil Fachmaturand*innen an der PH der FHNW über 50 %, der PH Waadt fast 40 %. Die geringsten Anteile an Fachmaturand*innen – welche dennoch jeweils über zehn Prozent liegen – lassen sich an denjenigen PH nachweisen, die den Zugang zum Studium Primarstufe erst auf bundesrechtliche Verpflichtung durch das Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetz (HFKG 2011) hin geöffnet haben (PH Bern, PH Zürich) oder in deren Kantone eine Zulassungsbeschränkung in Form eines Numerus Clausus für die Fachmaturität Pädagogik eingeführt wurde (Wallis, Thurgau). Trotz ausgeprägter kantonaler Unterschiede verzeichnen jedoch fast alle PH in den letzten Jahren eine Zunahme an Studierenden mit einer Fachmaturität als Zulassungsausweis, was auf deren hohe Bedeutung für die Ausbildung von Primarlehrpersonen verweist.

Die quantitative Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils zeigte sich insbesondere in den Bildungsverläufen der betreffenden Jugendlichen und deren Übertrittsquoten in die Tertiärstufe, welche auf der Basis von Längsschnittdaten des BFS berechnet wurden (Abschn. 6.2).Footnote 8

Es wurde gezeigt, dass in der Schweiz innerhalb von 54 Monaten nach Erstabschluss der Sekundarstufe II 20 % aller Absolvierenden einer Fachmittelschule in die Primarlehrpersonenbildung eintraten, wobei die Quote nach einem anschließenden Erwerb einer Fachmaturität noch höher lag, nämlich bei 25 %. Bei den Absolvierenden einer gymnasialen Maturität betrugt die Übertrittsquote in die Primarlehrpersonenbildung lediglich 8 % – wovon fast ein Fünftel zuerst eine andere Ausbildung auf Tertiärstufe begann und ggf. abbrach, bevor der Einstieg in die Primarlehrpersonenbildung erfolgte. Dennoch stellen Gymnasiast*innen mehr als die Hälfte aller im Beobachtungszeitraum (2012–2016) in die Primarlehrpersonenbildung eingetretenen Personen, FMS-Absolvierende (mit oder ohne Fachmaturität) rund ein Viertel (siehe auch Tab. 6.2).

Nach der allgemeinen Betrachtung der FMS und des Gymnasiums als Zubringer zur Primarlehrpersonenbildung erfolgte ein Fokus spezifisch auf die FMS Pädagogik und das musisch-pädagogische Gymnasialprofil. Die Übertrittsquote von Absolvierenden eines Fachmittelschulausweises im Profil Pädagogik der Kohorte 2012 in den PH-Studiengang Primarstufe betrug im Beobachtungszeitraum im gesamtschweizerischen Durchschnitt 37 %, diejenige aus der Fachmaturität Pädagogik gar 88 %. Aus dem musisch-pädagogischen Gymnasialprofil traten im Beobachtungszeitraum 15 % der Absolvierenden in den PH-Studiengang Primarstufe über (siehe auch Tab. 6.4).

Bei der der FMS Pädagogik ließen sich hierbei große sprachregionale Unterschiede nachweisen. In der deutschsprachigen Schweiz traten im Beobachtungszeitraum 63 % aller Absolvierenden mit Fachmittelschulausweis Pädagogik in die Fachmaturität Pädagogik über und insgesamt 70 % der Absolvierenden in das PH-Studium Primarstufe. In der französischsprachigen Schweiz traten nur 17 % der Absolvierenden eines pädagogischen FMS-Profils in die Fachmaturität Pädagogik über und insgesamt lediglich 18 % in die Primarlehrpersonenbildung.

Die beiden untersuchten Sprachregionen unterscheiden sich also ganz wesentlich im Anteil der Absolvierenden des pädagogischen Fachmittelschulausweises, der sich für die Fachmaturität Pädagogik entscheidet. Nach Abschluss der Fachmaturität Pädagogik trat in beiden Sprachregionen der Großteil (88 %) der Absolvierenden in die PH über. Diese Ergebnisse verweisen darauf, dass die sprachregional unterschiedlichen Übertrittsquoten in die PH bei der Entscheidung für die Fachmaturität Pädagogik vorstrukturiert werden. Damit kann geschlussfolgert werden, dass sich die Fachmaturität Pädagogik gesamtschweizerisch als bedeutender Zulassungsausweis für die Ausbildung von Primarlehrpersonen erweist. Für den Fachmittelschulausweis in einem pädagogischen Profil scheint dies aber nur in der deutschsprachigen Schweiz der Fall zu sein. Es kann folglich die Hypothese formuliert werden, dass die Entscheidung für eine Ausbildung zur Primarlehrperson in der deutschsprachigen Schweiz tendenziell bereits mit der Wahl des Fachmittelschulprofils, in der französischsprachigen Schweiz erst mit der Wahl der Fachmaturität Pädagogik fällt.

Diese ausgeprägten sprachregionalen Unterschiede lassen sich einerseits vor dem Hintergrund der Erkenntnisse von Cortesi (2017) sowie Cattaneo und Wolter (2016) verstehen, wonach beruflicher Bildung in der französischsprachigen Schweiz weniger Wertigkeit zugesprochen wird als einer allgemeinbildenden Ausrichtung. Damit kann angenommen werden, dass auch das pädagogische FMS-Profil weniger als Berufs- und PH-Vorbereitung denn als allgemeinbildender Bildungsgang der Sekundarstufe II wahrgenommen und valorisiert wird.

Dies ließ sich im Rahmen der kantonalen Fallstudien (Kap. 7) bestätigen. Dort zeigte sich, dass in der untersuchten FMS der französischsprachigen Schweiz eine breite Allgemeinbildung einerseits als «das Pädagogische» konstruiert wird, welches der Vorbereitung auf ein PH-Studium und die Tätigkeit der Primarlehrperson als Generalistin dient. Gleichzeitig erlaubt es mit seiner allgemeinbildenden, beruflich unspezifischen Ausrichtung auch die Integration staatsbürgerlicher Wertigkeiten der zweckfreien Allgemeinbildung und bietet auch solchen Jugendlichen einen Bildungsweg, welche sich allgemein bilden und beruflich noch nicht festlegen möchten. Ebenso wurde das Bildungsziel einer expliziten Vorbereitung auf die PH und den Primarlehrberuf bisweilen sogar kritisiert und die PH lediglich als eine Abnehmerinstitution unter vielen positioniert. Folglich ließ sich auch eine inhaltliche pädagogische Profilierung bzw. spezifische Ausrichtung auf die PH im Fall C erst in der Fachmaturität Pädagogik nachweisen (siehe Abschn. 7.3.2.2).

Auch in der gymnasialen Ausbildung erwiesen sich im Beobachtungszeitraum das musisch-pädagogische Gymnasialprofil in der deutschsprachigen Schweiz als quantitativ bedeutsameres Zubringerprofil für die Ausbildung von Primarlehrpersonen als in der französischsprachigen Schweiz. Traten in der deutschsprachigen Schweiz 16 % aller Absolvierenden dieses Profils in die Ausbildung zur Primarlehrperson über, waren es in der französischsprachigen Schweiz mit 11 % ein noch geringerer Anteil.

Für die Erklärung dieser sprachregionalen Unterschiede in den Übertrittsquoten vom musisch-pädagogischen Gymnasialprofil in die Primarlehrpersonenbildung liefern die kantonalen Fallstudien der vorliegenden Studie weniger Hinweise als im Falle der FMS Pädagogik. Auch hier könnte ausschlaggebend sein, dass beruflicher Bildung in der französischsprachigen Schweiz weniger Wertigkeit zugesprochen wird als einer allgemeinbildenden Ausbildung (Cortesi 2017; Cattaneo und Wolter 2016). Damit ließe sich erklären, warum der PH als Professionshochschule in der französischsprachigen Schweiz weniger Bedeutung als Ausbildungsoption für Gymnasiast*innen zukommt als in der deutschsprachigen Schweiz.

Als Ausdruck dieser allgemeinbildenden Ausrichtung kann auch das fehlende dritte «P» (Pädagogik) im Schwerpunkfach Philosophie/Pädagogik/Psychologie des französischsprachigen Falls C gewertet werden. Auf dieser Basis lässt sich die Vermutung anstellen, dass die Abwesenheit des Fachbereichs «Pädagogik» im Schwerpunktfach PPP die Entwicklung lehrberufsspezifischer Interessen bzw. Interesse an einer Berufsausbildung zur Primarlehrperson zusätzlich unwahrscheinlicher macht als in der deutschsprachigen Schweiz.Footnote 9

Unabhängig von den sprachregionalen Unterschieden erweist sich die quantitative Bedeutung der FMS Pädagogik für die Primarlehrpersonenbildung aber dennoch als bemerkenswert im Vergleich zum musisch-pädagogischen Gymnasialprofil.

So traten im Beobachtungszeitraum (2012–2106) aus der FMS Pädagogik in absoluten Zahlen mehr Personen (N = 511) in den Studiengang Primarstufe über als aus dem musisch-pädagogischen Gymnasialprofil (N = 433). Dies ist insbesondere angesichts der durchschnittlichen gymnasialen Maturitätsquote von 20,3 % und der Fachmaturitätsquote von 2,6 % im Beobachtungszeitraum (BFS 2020b) eindrücklich.Footnote 10

Wie eingangs erläutert, lässt sich dies auch damit begründen, dass die gymnasiale Maturität ein allgemeiner Hochschulzulassungsausweis und die Fachmaturität Pädagogik eine fachgebundene Fachhochschulreife darstellt, welche lediglich den prüfungsfreien Übergang den Studiengang Primarstufe an PH erlaubt. Mit Blick auf die im Rahmen der vorliegenden Studie durchgeführten Fallstudien wird aber die These vertreten, dass sich diese Unterschiede auch ganz wesentlich auf Charakteristika und Spezifika der der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils zurückführen lassen. Die qualitativen Fallstudien (siehe nächstes Kapitel) bieten Erklärungen dafür, warum sich die quantitative Bedeutung der FMS Pädagogik für die Ausbildung von Primarlehrpersonen an PH im Vergleich zum musisch-pädagogischen Gymnasialprofil als bemerkenswert hoch erweist, aber in der französischsprachigen Schweiz geringer ist als in der deutschsprachigen Schweiz.

8.1.3 Die Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils aus qualitativer Perspektive: kantonale Fallstudien

Der dritten in der vorliegenden Studie adressierten Forschungsfrage nach den Charakteristika und Spezifika der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils sowie der darauf basierenden (unterschiedlichen) Bedeutung der beiden Profile für die Ausbildung von Primarlehrpersonen wurde im Rahmen der kantonalen Fallstudien nachgegangen (Kap. 7). Ein fallübergreifender Vergleich der Ergebnisse und deren Interpretation wurde in Abschn. 7.6 vorgenommen. Im Folgenden wird eine kondensierte Zusammenfassung der Ergebnisse und ihrer Interpretation mit Rückbezug auf die in Abschn. 3.4 formulierten Arbeitshypothesen präsentiert.

Auf den ersten Blick handelt es sich bei der FMS Pädagogik und beim musisch-pädagogischen Gymnasialprofil um durchaus ähnliche Profile. Sie sind allgemeinbildende, vollzeitschulische Bildungsangebote der Sekundarstufe II und ähneln sich in ihrem Fokus auf musisch-pädagogische Inhalte.

Die Ergebnisse der Fallstudien machen jedoch deutlich, dass sie sich in den mit Wertigkeit versehenen Bildungszielen und -inhalten, Wissensformen und Strategien der Wissensvermittlung sowie in den pädagogischen Beziehungen zwischen Schüler*innen und Lehrpersonen wesentlich unterscheiden. Die FMS Pädagogik zeichnet sich durch eine funktionale Logik der Vorbereitung auf den (Primar-)lehrberuf sowie das gezielte Herstellen von PH-Studierfähigkeit aus, was mit dem Fokus auf Funktionalität und Effizienz auf das zugrundeliegende Handlungs- und Bewertungsprinzip der industriellen Konvention verweist.

Die PH-Vorbereitung umfasst vor allem Kompetenzen und Fähigkeiten im Bereich Erst- und Fremdsprache, Allgemeinbildung sowie in der Methodik des wissenschaftlichen Arbeitens, welche die schulischen Akteur*innen im Hinblick auf deren Funktionalität für die PH-Ausbildung valorisieren. Durch diese funktionale Vorbereitungslogik wird die PH über die gesamte Mittelschulzeit als selbstverständliche Abnehmerin positioniert und valorisiert, was ihre Bedeutung für dieses Profil stärkt und dadurch – so die Hypothese – eine entsprechende Studienwahl der Fachmittelschüler*innen wahrscheinlicher macht.

Wie stark dieses Bildungsziel der Vorbereitung auf die PH und den Primarlehrberuf jedoch ausgeprägt ist, unterscheidet sich in den drei untersuchten Fällen. Die geringste Ausrichtung auf die PH als Abnehmerinstitution lässt sich im französischsprachigen Fall C nachweisen und als Erklärung dafür heranziehen, warum dort die Übertrittsquoten aus dem pädagogischen FMS-Profil in die PH geringer sind als in der deutschsprachigen Schweiz. Auch im Fall B wird durch die Kombination der Profile Pädagogik und Kunst die PH von der einzigen (wie im Fall A) zu einer möglichen Abnehmerin im Anschluss an das pädagogische FMS-Profil.

Insbesondere in den Fällen B und C erweist sich die Fachmaturität Pädagogik daher als zentrales Bildungsformat, da sie die Ausrichtung auf die PH in hohem Masse formatiert. Ihr Ziel ist einerseits das Herstellen von Studierfähigkeit in allgemeinbildenden Fächern, wie es bereits im Institutionalisierungsprozess der FMS Pädagogik (siehe Kap. 5) anvisiert worden war. Andererseits integriert die Fachmaturität Pädagogik auch in funktionaler Weise direkt Anforderungen der PH in ihr Format, so etwa im Fall C obligatorische Sprachaufenthalte oder Fachbereiche, welche an der PH und den Primarschulen des Kantons unterrichtet werden.

Im Fall B formatiert die Fachmaturität Pädagogik im Lehrplan explizit die Vorbereitung auf den Primarlehrberuf, indem sie die als Teil des «Pädagogischen» wahrgenommenen Fächer Musik, Bildnerisches Gestalten und Sport integriert, und dort explizite Bezüge zum Primarlehrberuf herstellt. In der FMS A, wo diese spezifisch auf die PH oder den Primarlehrberuf verweisenden Elemente bereits im pädagogischen FMS-Profil in den drei Jahren bis zum Fachmittelschulausweis rekonstruiert werden konnten, fällt die Fachmaturität Pädagogik weitgehend allgemeinbildend entsprechend den EDK-Richtlinien (EDK 2018) aus.

Im Anschluss an diese Ergebnisse wird die These vertreten, dass dort wo das Profil Pädagogik bis zum Fachmittelschulausweis weniger stark auf die PH und den Primarlehrberuf ausgerichtet ist, die Fachmaturität Pädagogik diese Funktion in hohem Masse übernimmt und sie somit – wie auch die gesamtschweizerischen Übertrittzahlen von der Fachmaturität Pädagogik in die PH zeigen – eine ausgesprochen hohe Bedeutung für die Ausbildung zur Primarlehrperson erhält.

Neben der Vorbereitung auf die PH ließ sich an der FMS Pädagogik auch die Vorbereitung auf den (Primar-)lehrberuf als zentrales Bildungsziel rekonstruieren. Mit Blick auf das Ziel der funktionalen Vorbereitung sind hier einerseits erneut industrielle Wertigkeiten von Bedeutung. Mit der Ausrichtung auf den zukünftigen Beruf als Primarlehrperson konstituiert sich diese Vorbereitungslogik inhaltlich aber vor allem durch Aspekte der häuslichen Konvention wie Erziehung und Sozialisation, pädagogisch-soziale Werte, Charakter- und Persönlichkeitsbildung sowie praktisch-handwerkliche und musisch-kreative Tätigkeiten.

Es lässt sich daher die Arbeitshypothese bestätigen, dass sowohl die industrielle als auch die häusliche Konvention für die FMS Pädagogik von Bedeutung sind. Mit der Valorisierung industrieller und häuslicher Wertigkeiten weist die FMS Pädagogik in ihrem zugrundeliegenden Arrangement von Konventionen Ähnlichkeit zu den ehemaligen Lehrer*innenseminaren auf, als deren Ersatz sie in den Fällen A und B explizit wahrgenommen und valorisiert wird. Zurückzuführen ist dies sowohl auf ihre (industrielle) Funktion der Sicherung von Lehrkräftenachwuchs als auch die hohe Bedeutung häuslicher Wertigkeiten wie pädagogisch-sozialen Interessen, Persönlichkeitsbildung, familiärer Gemeinschaft, Berufssozialisation und -praxis in der Ausbildung – wie sie den ehemaligen Lehrer*innenseminaren zugeschrieben werden (Criblez und Hofstetter 2000; Criblez 2010, S. 37; Diebold 2000, S. 231 f.). Diese Wahrnehmung und Valorisierung der FMS als ‘Seminarersatz’ durch die schulischen Akteur*innen kann als weiterer Aspekt interpretiert werden, der die höhere Bedeutung der FMS Pädagogik für die Ausbildung von Primarlehrpersonen erklärt.

Auch die Arbeitshypothese, dass die Wahrnehmung der FMS Pädagogik als ‘Seminarersatz’ ausgeprägter und unter Vorrangstellung häuslicher Wertigkeiten dort eher der Fall ist, wo eine ausgeprägte seminaristische Tradition herrscht, lässt sich mit Blick auf die Fallstudien und die hohe Bedeutung der häuslichen Konvention im Fall A bestätigen. Dies zeigt sich u. a. in einer besonders engen, sowohl auf industriellen («Verzahnung»; «kommunizierende Röhren») als auch häuslichen Wertigkeiten beruhenden Beziehung zwischen der FMS Pädagogik und der kantonalen PH. In den Fällen B und C wurden die Lehrer*innenseminare bereits vor der gesamtschweizerischen Tertiarisierungsreform aufgelöst und die Lehrpersonenbildung auf Hochschulstufe angehoben. Dies wurde in Abschn. 4.2.3.1 als Hinweis auf eine geringe Bedeutung der seminaristischen Tradition gedeutet. Einhergehend mit der formulierten Annahme lässt sich in den Fällen B und C eine weniger (oder im Fall C gar kaum) ausgeprägte Beziehung zur kantonalen oder regionalen PH rekonstruieren. Ebenso erhalten Wertigkeiten der häuslichen Konvention in den FMS der Fälle B und C wesentlich weniger Bedeutung als im Fall A, wo der Kanton eine ausgeprägte seminaristische Tradition besitzt.

Im Weiteren wurde die Annahme formuliert, dass das Vorhandensein oder das Fehlen eines Angebots des Schwerpunktfachs PPP die Bedeutung der FMS Pädagogik beeinflusst. Auch wenn – wie gezeigt wurde – aktuell eine berufspropädeutische Funktion dieses Schwerpunktfachs abgelehnt wird, liegen seine Wurzeln in der (Auflösung der) seminaristischen Lehrpersonenbildung (siehe Abschn. 2.2.1). Mit Blick auf die Ergebnisse und im Anschluss an die obigen Ausführungen kann die Hypothese bestätigt werden, dass der FMS Pädagogik in Kantonen, welche das Schwerpunktfach PPP nicht anbieten (wie der Fall A), ausgeprägter eine ‘Ersatzfunktion’ der Lehrer*innenseminare zugesprochen wird als in Kantonen mit Schwerpunktfach PPP (Fälle B und C).

Als weiterer Teilaspekt der hohen Bedeutung der FMS Pädagogik für die Ausbildung von Primarlehrpersonen lässt sich die inhaltliche ‘Formatierung’ dieses Profils bezeichnen. Die Fachmittelschüler*innen entscheiden sich nicht für ein bestimmtes Schwerpunktfach, sondern für ein Profil mit mehreren profilspezifischen Fächern. Dies entspricht im Gegensatz zu einer rein monofachlichen Orientierung im gymnasialen Schwerpunktfach stärker der multi-disziplinären PH-Ausbildung und der Berufstätigkeit der Primarlehrperson als Generalist*in.Footnote 11 Eine PH-Ausbildung kann daher von ihrer inhaltlichen Struktur her als eher anschlussfähig zum pädagogischen FMS-Profil charakterisiert werden.

Dabei zeigen die Fallstudien, dass die profilspezifischen Fächer der FMS Pädagogik jeweils Ausdruck «des Pädagogischen» sind, mit dem sich die FMS Pädagogik laut Akteur*innen von den anderen FMS-Profilen sowie der gymnasialen Ausbildung abgrenzt und profiliert. «Das Pädagogische» stellt nicht nur ein rein kognitives Format dar, sondern ist auch in der Rahmenstundentafel der jeweiligen FMS in Form der profilspezifischen Fächer formatiert.

«Das Pädagogische» an der FMS Pädagogik umfasst in den beiden deutschsprachigen Fällen A und B musisch-gestalterische Fächer wie Musik, Gestalten, Werken und Instrumentalunterricht, welche als für den Primarlehrberuf konstitutiver Komplex von Fähigkeiten und Wertigkeiten sowie als profilierendes Element des pädagogischen FMS-Profils wahrgenommen und valorisiert werden. «Das Pädagogische» integriert in den deutschsprachigen Fällen sowohl industrielle Wertigkeiten der funktionalen Vorbereitung auf den Primarlehrberuf als auch häusliche Wertigkeiten der Erziehung, Anleitung und pädagogischen Begleitung von Kindern durch musisch-gestalterische Tätigkeiten. Auch hier erweisen sich wiederum häusliche und industrielle, dem ehemaligen Lehrer*innenseminar zugeschriebene Handlungs- und Bewertungsprinzipien als bedeutsam.

Anders stellt sich dies im französischsprachigen Fall C dar, wo sich «das Pädagogische» ebenfalls im Format der profilspezifischen Fächer materiell niederschlägt – sich dort aber aus einer breiten Palette allgemeinbildender Fächer konstituiert. Diese profilspezifischen Fächer werden einerseits auf der Bewertungsgrundlage der industriellen Konvention als funktional und nützlich für die generalistisch unterrichtende Primarlehrperson valorisiert, andererseits schreiben die Akteur*innen des Falls C der breiten Palette profilspezifischer Fächer auch aus einer staatsbürgerlichen Perspektive der breiten, zweckfreien Allgemeinbildung Wertigkeit zu. Dies mit der Begründung, dass das (sozial-)pädagogische Profil durch seine inhaltliche Breite den Fachmittelschüler*innen alle möglichen hochschulischen Anschlusslösungen eröffnet.

Damit integriert «das Pädagogische» im Fall C nicht wie in der deutschsprachigen Schweiz Wertigkeiten der industriellen (funktionale Vorbereitung auf den Lehrberuf) und häuslichen (erzieherisch-pädagogische Funktion musisch-gestalterischer Fächer), sondern der industriellen und der staatsbürgerlichen (breite, zweckfreie Allgemeinbildung) Konvention. Somit bestätigt sich – auch mit Blick auf andere untersuchte Dimensionen der Fallstudien – die Arbeitshypothese, dass der FMS Pädagogik in der französischsprachigen Schweiz eine eher allgemeinbildende Funktion zugesprochen wird als in der deutschsprachigen Schweiz, wo berufsvorbereitende Aspekte stärker valorisiert werden.

Nicht nur eine multi-disziplinäre Ausbildung in mehreren, profilspezifischen Fächern weist Nähe zur PH-Ausbildung und zur Tätigkeit der Primarlehrperson als Generalist*in auf. Auch die an der FMS präferierten Wissensformen des savoir-être (soziale Fähigkeiten, Charakterbildung) und savoir-faire (technisches, in Arbeitsschritte heruntergebrochenes Anwendungswissen) können als Wissensformen interpretiert werden, die beim Unterrichten von Kindern auf Primarstufe relevant sind.

Dies gilt in ähnlicher Weise für die Strategien der Wissensvermittlung. Die Vermittlung von Bildungsinhalten geschieht an der FMS Pädagogik anschaulich-illustrativ, anwendungs- und problemlösungsbezogen, objekt- und körpergestützt sowie mit Bezug zur Lebenswelt der Jugendlichen im Allgemeinen und – in fallspezifisch unterschiedlichem Ausmaß – zum (Primar-)lehrberuf im Besonderen. Es wird die Hypothese formuliert, dass damit bei den Fachmittelschüler*innen ggf. pädagogische Interessen geweckt oder ausgeprägt werden und – selbst ohne expliziten Bezug zum Lehrberuf – häusliche sowie industrielle Bildungsstrategien Wertigkeit erhalten, welche zu einer Unterrichtstätigkeit auf Primarstufe anschlussfähig sind.

Die hohe Bedeutung häuslicher Wertigkeiten in der Wissensvermittlung widerspiegelt sich auch in den schulischen Beziehungslogiken. Die Rolle der Lehrperson an den untersuchten FMS lässt sich zusammenfassend als väterliche oder mütterliche Erziehungsinstanz mit pädagogischen Interessen an der Unterstützung und Begleitung Jugendlicher rekonstruieren. Sie drückt Autorität, aber auch eine Beziehungslogik der gegenseitigen Wertschätzung, des Wohlwollens, des zwischenmenschlichen Interesses, der persönlichen Nähe und des Vertrauens aus. Sie verweist auf das häusliche Gemeinwohl der schulisch-familiären Gemeinschaft und entspricht im Gegensatz zu den gymnasialen Beziehungslogiken eher denjenigen zwischen Lehrperson und Schüler*innen auf Primarstufe. Dies kann daher ebenfalls als Aspekt interpretiert werden, der bei den Fachmittelschüler*innen möglicherweise pädagogische Interessen und Interesse am (Primar-)lehrberuf handlungspraktisch befördert. Auf diesen Zusammenhang verweist insbesondere die Erkenntnis, dass die Fachmittelschüler*innen der Fälle A und C ihre Lehrpersonen tendenziell als Modelle oder Rollenvorbilder für ihre eigene spätere Unterrichtstätigkeit wahrnehmen und valorisieren.

Die FMS Pädagogik kann in der Gesamtschau als schulisches Dispositiv aus Bildungszielen, Wissensformen und -inhalten, Vermittlungslogiken und Beziehungen bezeichnet werden, welches den Fachmittelschüler*innen die Verwirklichung ihrer pädagogisch-sozialen Interessen und des Berufswunschs Lehrperson ermöglicht, und diese Orientierung dabei weiter stärkt und ausprägt. Hierbei erweist sich das häusliche Bildungsformat des obligatorischen Berufsfeldpraktikums als zentral. Es verstärkt bei den befragten Fachmittelschüler*innen den meist bereits vorhandenen Berufswunsch Lehrperson und führt teilweise sogar zur Klärung der Zielstufe, auf der sie später unterrichten möchten (Kindergarten, Primarstufe, Sekundarstufe I).

Die FMS Pädagogik erhält zusätzlich dadurch an Bedeutung für die Ausbildung von Primarlehrpersonen, dass das Arrangement der ihr zugrundeliegenden Konventionen mit Wertigkeiten der industriellen und häuslichen Konvention einerseits deutliche Nähe sowohl zur PH-Ausbildung als auch zur Tätigkeit der Primarlehrperson aufweist, darin andererseits auch den ehemaligen Lehrer*innenseminaren ähnelt, als deren Ersatz sie wahrgenommen und valorisiert wird.

Die Interpretation der FMS Pädagogik als schulisches Dispositiv, das den Schüler*innen die Verwirklichung entsprechender Interessen und Berufsziele erlaubt, kann auch für den französischsprachigen Fall C mit seiner stark allgemeinbildenden Ausrichtung als zutreffend bezeichnet werden. Denn mit der Konstruktion der Allgemeinbildung als «das Pädagogische» bietet dieses FMS-Profil nicht nur beruflich noch unentschlossenen, sondern auch pädagogisch-sozial interessierten Jugendlichen mit Berufswunsch Lehrperson einen Weg zur generalistisch ausgebildeten Primarlehrperson respektive zur entsprechenden Ausbildung an der PH.

Das musisch-pädagogische Gymnasialprofil unterscheidet sich in seinem Arrangement der zugrundeliegenden Konventionen wesentlich von der FMS Pädagogik. Statt einer funktional-industriellen Vorbereitung wird eine staatsbürgerliche Logik der inhaltlichen Entkopplung von Schwerpunktfach und Studien- oder Berufswahl valorisiert. Dies kann unter anderem als Erklärung für die hohen Übertrittsquoten in Studiengänge auf Tertiärstufe herangezogen werden, die dem Schwerpunkfach inhaltlich ‘fachfremd’ sind (Abschn. 6.2.3).

Selbst dort wo eine industriell-zweckfunktionale Vorbereitungslogik im Rahmen der Schwerpunktfächer Wertigkeit erhält, bezieht sie sich im Fall der Schwerpunktfächer Musik und Bildnerisches Gestalten auf die Vorbereitung für Aufnahmeprüfungen an Musik- und Kunsthochschulen sowie im Fach PPP auf das Erlernen der jeweils disziplinenspezifischen wissenschaftlichen Methoden und Techniken der Philosophie oder Psychologie – nicht aber auf eine Ausbildung an der PH.

Ebenso wird eine zweckfreie, extensive, abstrakt-analytische (musische) Allgemeinbildung als Wertigkeit der staatsbürgerlichen Konvention sowie die dafür erforderliche schulisch-kognitive Leistungsfähigkeit und Anstrengungsbereitschaft valorisiert. Hohe Bedeutung wird in der gymnasialen Ausbildung auch Wertigkeiten der inspirierten Konvention wie Kreativität, Neugier und Leidenschaft zugeschrieben.

Diese Aspekte lassen eine Berufsausbildung zur Primarlehrperson in verschiedener Hinsicht als weniger anschlussfähig erscheinen. Die Wahl eines Schwerpunktfachs erfordert und fördert Interesse und Leidenschaft für eine ganz spezifische Fachdisziplin, was der multi-disziplinären Ausbildung zur Primarlehrperson als Generalist*in entgegensteht. Im Schwerpunktfach werden die Interessen der Gymnasiast*innen bereits durch die obligatorische Wahl eines Schwerpunktfachs statt eines Bündels profilspezifischer Fächer in eine monofachlich-disziplinäre Richtung gelenkt bzw. eine monofachliche Orientierung gestärkt.

Die Arbeitshypothese, wonach eine monofachlich-disziplinäre Ausrichtung als Wertigkeit der staatsbürgerlichen Konvention (extensiver Überblick über den disziplinären Wissenskanon, savoir) nicht nur valorisiert, sondern im Verlauf der gymnasialen Ausbildung bei den Gymnasiast*innen verstärkt wird und entsprechende fachliche Interessen befördert, konnte auf Basis der erhobenen Daten bestätigt werden. Die Fallanalysen legen nahe, dass diese monofachlich-disziplinäre Orientierung als Grund dafür interpretiert werden kann, dass selbst am Lehrberuf interessierte Gymnasiast*innen nicht den Primarlehrberuf, sondern eher eine Unterrichtstätigkeit auf Sekundarstufe I, II oder gar auf Tertiärstufe im Anschluss an ein universitäres Fachstudium in Betracht ziehen.

Im Weiteren konnte gezeigt und die Arbeitshypothese bestätigt werden, dass mit der Entkopplung von Schwerpunkt- und Studienfachwahl und dem Fokus auf zweckfreie Allgemeinbildung als Ausdruck staatsbürgerlicher Handlungs- und Bewertungslogiken die konkrete Berufswahl und Berufspropädeutik in den Hintergrund tritt. Dadurch erscheint – so kann vermutet werden – die PH als Professionshochschule mit Vorbereitung auf einen klar umrissenen Beruf weniger anschlussfähig als universitäre Studiengänge mit offeneren Berufsoptionen.

Im Weiteren entspricht der primär kognitionsbasierte Unterricht am Gymnasium im Format des Lehrvortrags, über Melodiediktate, qua präziser Analyse und Deskription oder unter Rückgriff auf wissenschaftliche Texte und disziplinäres Fachvokabular eher Lehr-Lernformen, wie sie an Universitäten praktiziert werden und kann daher auch dort als anschlussfähiger interpretiert werden.

Diese als staatsbürgerlich interpretierten Strategien der Wissensvermittlung widerspiegeln sich auch in der rekonstruierten Rolle und Funktion der Lehrperson im Gymnasium. Sie integriert sowohl staatsbürgerliche (disziplinäre Fachverkörperung) als auch inspirierte Wertigkeiten (Leidenschaft, Begeisterung). Trotz einer gewissen «Wärme» durch die Bewunderung der Lehrperson als Meister*in ihrer Disziplin erweist sich die Beziehungslogik zwischen Schüler*innen und Lehrpersonen als eher distanziert-neutral.

Es kann die Hypothese formuliert werden, dass die Wahrnehmung und Valorisierung einer Lehrperson auf Basis staatsbürgerlicher Wertigkeiten (Fachverkörperung, Neutralität, emotionale Distanz) auch bei vorhandenen pädagogischen Interessen der Gymnasiast*innen stärker fachlich-disziplinäre, auf staatsbürgerlichen Wertigkeiten beruhende Motive befördern, welche eher Interessen an einer Lehrtätigkeit auf höheren Schulstufen als der Primarstufe befördern.

Nicht nur die praktizierten Modi der Wissensvermittlung und die pädagogischen Beziehungen entsprechen eher denjenigen einer Universität, sondern diese wird durch explizite Verweise auf universitär-wissenschaftliche Logiken und Arbeitsweisen (wissenschaftliche Publikationen, wissenschaftliche Quellenangaben, Analyse und Gegenüberstellung von Theorien und Modellen, wissenschaftliche Experimente als Beispiele zur Illustration von Inhalten) während der gesamten gymnasialen Ausbildungszeit als selbstverständliche Abnehmerin präsentiert und valorisiert.

Es kann geschlussfolgert werden, dass Gymnasiast*innen die Universität dadurch eher als mit Wertigkeit versehene Anschlusslösung wahrnehmen. Für die Fälle A und B konnte im Rahmen der vorliegenden Studie zudem gezeigt werden, dass die ausgeprägte Valorisierung schulisch-kognitiver Leistungsfähigkeit und -bereitschaft am Gymnasium dazu führt, dass Gymnasiast*innen eher ein Studium an einer Universität als eine Ausbildung an der PH anstreben. Denn wie gezeigt wurde, devalorisieren Gymnasiast*innen eine PH-Ausbildung auf Basis des industriellen Bewertungskriteriums der schulischen Leistung als zu wenig anspruchsvoll und kognitiv zu wenig herausfordernd.

Die Gymnasiast*innen schreiben der PH-Ausbildung praktisch-handwerkliche und bildhafte Vermittlungspraktiken der häuslichen Konvention («Bastelsachen», «Mandala malen») zu und devalorisieren diese auf dem industriellen Wertigkeitsmaßstab der schulisch-kognitiven Leistung. Dies kann als Grund dafür gedeutet werden, dass Gymnasiast*innen auch bei vorhandenen pädagogisch-sozialen Interessen eher entsprechende universitäre Studiengänge wie etwa Psychologie anstreben. Dies erlaubt ihnen – so die Vermutung – ihre disziplinär-monofachliche Orientierung und ihren durch Leidenschaft und Faszination (inspirierte Konvention) begründeten Wissensdurst in einem universitären Fachstudium fortzusetzen.

Zusammenfassend lassen sich die beiden untersuchten Profile der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils aus konventionentheoretischer Perspektive jeweils als ‘Situation’ in Form eines schulischen Dispositivs aus Bildungszielen, Bildungsinhalten, Wissensformen, Strategien der Wissensvermittlung und pädagogischen Beziehungen sowie kognitiven sowie materiellen Formen wie etwa Rahmenstundentafeln, Lehrplänen, Broschüren und Objekten interpretieren. Dieses Dispositiv wird von Schüler*innen aufgrund bereits vorhandener Interessen gewählt, es verstärkt und prägt diese Interessen im Verlauf der schulischen Sozialisation aber auch weiter.

Die Ergebnisse legen die Schlussfolgerung nahe, dass die hohe Bedeutung der FMS Pädagogik für die Ausbildung von Primarlehrpersonen unter anderem darauf zurückgeführt werden kann, dass sie mit ihrem stark auf Wertigkeiten der häuslichen und industriellen Konvention beruhenden Profil in hohem Masse demjenigen der PH als Ausbildungsinstitution für den konkreten, pädagogisch-soziale Interessen erfordernden Beruf der Primarlehrperson als Generalistin entspricht. Es lässt sich vermuten, dass sich dadurch eine Ausbildung an der PH für Fachmittelschüler*innen des Profils Pädagogik anschlussfähiger darstellt als für Gymnasiast*innen.

Ebenso fällt die Ähnlichkeit des zugrundeliegenden Arrangements von Konventionen der FMS Pädagogik zu demjenigen der ehemaligen Lehrer*innenseminare auf, wie es in der Literatur charakterisiert wird (Criblez 2010, S. 37; Diebold 2000, S. 231 f.). Wurde das musisch-pädagogische Gymnasialprofil ursprünglich als funktionales Äquivalent zu den ehemaligen Lehrer*innenseminaren institutionalisiert (Criblez und Lehmann 2016, S. 55) und deshalb als «Königsweg» positioniert (Lehmann 2013, S. 123; EDK 2005), lässt sich auf Basis der vorliegenden Studie schlussfolgern, dass mit der FMS Pädagogik ein stärker inhaltliches Äquivalent zu den Lehrer*innenseminaren auf Sekundarstufe II entstand.

Die gymnasiale Schwerpunktfachausbildung valorisiert hingegen mit zweckfreier Bildung und der Leidenschaft für ein ganz spezifisches Fach primär Wertigkeiten, Wissensformen und Beziehungslogiken der staatsbürgerlichen und der inspirierten Konvention, welche die Ausbildung zur Primarlehrperson als multi-fachliche und praxisbezogene Berufsausbildung weniger anschlussfähig als ein Universitätsstudium erscheinen lassen.

Ebenso konnte nachgewiesen werden, wie in der FMS valorisierte häuslich-praktische Vermittlungslogiken von den Gymnasiast*innen devalorisiert und der PH zugeschrieben werden und sie die PH-Ausbildung auf dem industriellen Wertigkeitsmaßstab der schulisch-kognitiven Leistung als zu wenig anspruchsvoll kritisieren. Damit lässt sich in der Zusammenschau die quantitativ festgestellte Zunahme von Studierenden mit einer Fachmaturität und der Rückgang an Studierenden mit einer gymnasialen Maturität im PH-Studiengang Primarstufe ebenso wie die unterschiedlich hohen Übertrittsquoten nicht nur mit einer unterschiedlichen Hochschulzulassungsberechtigung, sondern auch den rekonstruierten Charakteristika und Spezifika der beiden untersuchten Profile erklären.

8.2 Einordnung und Bewertung der Ergebnisse

8.2.1 Empirische Reflexion: Einordnung in die Studienlage

Wie der Forschungsüberblick in Kap. 2 zeigte, fehlte bislang empirische Forschung zum historischen Prozess der Institutionalisierung der FMS Pädagogik als Zubringerin zu den Pädagogischen Hochschulen. Bisherige Forschung zeigte insbesondere, inwiefern die Einführung des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils 1995 mit der Auflösung der seminaristischen Lehrpersonenbildung zusammenhing und die Überführung materieller und personeller Ressourcen ehemaliger Lehrer*innenseminare in Gymnasien mit musisch-pädagogischen Schwerpunktfächern erlaubte (Criblez 2010; Criblez und Lehmann 2016; Mombelli-Matthys 2011). Vor diesem Hintergrund ließ sich die Positionierung des Gymnasiums als «Königsweg» in die Lehrpersonenbildung im Kontext der Tertiarisierungsreform in der Lehrpersonenbildung verstehen (Criblez und Lehmann 2016; Lehmann 2013).

Ebenso existieren empirische Hinweise auf die ehemalige Funktion der FMSFootnote 12 als Zubringerin zur Ausbildung von Lehrpersonen des Kindergartens, der Handarbeit und Hauswirtschaft (Badertscher 1993; Criblez und Lehmann 2016) und ihrer Infragestellung und Kritik als Zubringerin zur Primarlehrpersonenbildung im Prozess deren Tertiarisierung Ende der 1990-er Jahre (Kiener 2004, S. 31; Capaul und Keller 2014, S. 29; Criblez und Lehmann 2016, S. 57).

Die vorliegende Studie ergänzt diese historische Forschung um einerseits die Rekonstruktion des Institutionalisierungsprozesses der FMS Pädagogik an sich, und bietet zusätzlich eine Erklärung für den – angesichts der Kritik – unerwartet erfolgreichen Verlauf dieses Prozesses. So kann die historische Forschung zur Auflösung der seminaristischen Lehrpersonenbildung und die dadurch ausgelöste Transformation der gymnasialen Bildung auf Sekundarstufe II um die Entwicklung der FMS Pädagogik in diesem Kontext ergänzt werden.

Es wird eine Erklärung dafür präsentiert, wie und warum sich die Fachmittelschule trotz Kritik und Infragestellung, trotz der Wahrnehmung des Gymnasiums als «Königsweg» in die Lehrpersonenbildung und trotz der Einführung des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils als funktionaler Ersatz der Lehrer*innenseminare als Zubringerin zur PH institutionalisieren und zu einer heute anerkannten, bedeutenden, und zum Gymnasium funktional äquivalenten Zubringerin für die Ausbildung von Primarlehrpersonen entwickeln konnte.

Als zweites leistet die vorliegende Studie auch einen Beitrag zur Klärung der Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils für die Primarlehrpersonenbildung aus quantitativer Perspektive. Hier war bisher bekannt, dass der Anteil Fachmaturand*innen im PH-Studiengang Primarstufe zwischen 2008 und 2016 auf ca. 30 % zugenommen hat, der Anteil Studierender mit gymnasialer Maturität von 60 % auf rund 40 % gesunken ist, sowie dass bezüglich dieser Anteile große kantonale Unterschiede herrschen (SKBF 2018, S. 259). Diese Ergebnisse konnten im Rahmen der vorliegenden Studie in verschiedener Hinsicht bestätigt, ergänzt und vertieft werden.

Es konnte gezeigt werden, dass die Anzahl Studierender mit gymnasialer Maturität nur leicht sinkt und ihr Rückgang in absoluten Zahlen nicht derart dramatisch erscheint, wie es die vom SKBF (ebd.) veröffentlichten prozentualen Anteile implizieren. Ebenso konnte die Entwicklung der Anzahl PH-Studierender mit Fachmaturität oder gymnasialer Maturität im Zeitverlauf dargestellt und der kontinuierliche Anstieg an Absolvierenden einer Fachmaturität an Pädagogischen Hochschulen aufgezeigt werden. Im Weiteren konnten die kantonalen bzw. PH-spezifischen Unterschiede in der Zusammensetzung der Studierendenpopulation bezüglich Zulassungsausweis nicht nur auf Basis aktueller Daten dargestellt, sondern auch hier deren Entwicklung im Zeitverlauf aufgezeigt werden. So konnte nachgewiesen werden, dass fast alle Pädagogischen Hochschulen seit Inkrafttreten des Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetzes (HFKG) im Jahr 2015 eine Zunahme an Studierenden mit einer Fachmaturität als Zulassungsausweis verzeichnen. Dies verweist ebenfalls auf deren gestiegene und immer noch steigende Bedeutung für die Ausbildung von Primarlehrpersonen an PH.

Eine weitere adressierte Forschungslücke betrifft die Übertrittsquoten von der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils in die Primarlehrpersonenbildung. Hier war bisher lediglich bekannt, dass 21 % aller Absolvierenden einer FMS (alle Richtungen) innerhalb von 54 Monaten in eine PH eintreten (Kriesi und Leemann 2020, S. 15), dass 70 % aller Absolvierenden des FMS-Profils Pädagogik eine Fachmaturität (alle Richtungen) absolvieren (Babel et al. 2018, S. 23) und dass 85 % aller Absolvierenden einer Fachmaturität Pädagogik innerhalb von 42 Monaten in eine PH übertreten (ebd., S. 29). Diese Zahlen konnten bisher aber nicht in Beziehung zueinander gesetzt werden bzw. es war nicht bekannt, welcher Anteil Absolvierender des FMS-Profils Pädagogik a) auch eine Fachmaturität Pädagogik absolviert und b) sowohl mit als auch ohne Fachmaturität Pädagogik in die Primarlehrpersonenbildung übertritt.

Für das Gymnasium ist empirisch erwiesen, dass in den 42 Monaten nach Erhalt eines gymnasialen Maturitätszeugnisses im Jahr 2012 19 % der Schüler*innen aus dem Schwerpunkfach Musik, 18 % der Schüler*innen aus dem Schwerpunkfach PPP und 13 % der Schüler*innen des Schwerpunktfachs Bildnerisches Gestalten in eine PH übertraten (Babel et al. 2018, S. 28) – wie viele davon in den Studiengang Primarstufe, war allerdings bisher unklar.

Angesichts dieser Forschungslücken kann die vorliegende Studie auf Basis von Längsschnittdaten des BFSFootnote 13 zur wesentlich differenzierteren Betrachtung der Übertrittsquoten beider untersuchter Profile in die Tertiärstufe im Allgemeinen und in den Bachelorstudiengang Primarstufe im Besonderen beitragen und die beiden Profile direkt ins Verhältnis zueinander setzen. So konnte gezeigt werden, dass nicht nur die Übertrittsquoten aus der Fachmaturität Pädagogik in die Primarlehrpersonenbildung wesentlich höher sind als aus dem musisch-pädagogischen Gymnasialprofil. Es konnte auch nachgewiesen werden, dass in absoluten Zahlen im Beobachtungszeitraum aus dem pädagogischen FMS-Profil sogar mehr Schüler*innen in eine Ausbildung zur Primarlehrperson übertraten als aus dem musisch-pädagogischen Gymnasialprofil. Dennoch wurde auch sichtbar, dass Gymnasiast*innen immer noch über die Hälfte aller Studierenden ausmachen, die in den Studiengang Primarstufe eintreten.

Ebenso konnten differenzierte Aussagen dazu getroffen werden, wie viele Absolvierende eines pädagogischen FMS-Profils ohne Fachmaturität Pädagogik in die PH eintreten, und ob Gymnasiast*innen des musisch-pädagogischen Profils sich an Universitäten eher für dem Schwerpunktfach fachlich verwandte oder ‘fachfremde’ Studiengänge entscheiden.

Eine bedeutende Forschungslücke konnte auch mit dem sprachregionalen Vergleich dieser Übertrittsquoten adressiert werden. So zeigte sich insbesondere für die FMS Pädagogik, dass gesamtschweizerische Übertrittsquoten in die PH wenig aussagekräftig erscheinen und bei genauerer Betrachtung die hohe Bedeutung des pädagogischen FMS-Profils für die PH-Ausbildung zwar für die deutschsprachige, nicht aber für die französischsprachige Schweiz behauptet werden kann. Lediglich die Fachmaturität Pädagogik weist in beiden Sprachregionen eine außerordentlich hohe Übertrittsquote in die Primarlehrpersonenbildung auf. Dies verweist umso stärker auf ihre nicht nur historische, sondern auch aktuell hohe Bedeutung für die Ausbildung von Primarlehrpersonen.

Als Letztes konnten mit den drei kantonalen Fallstudien einige bedeutende Forschungslücken adressiert werden. Erstens existierten spezifisch zur FMS Pädagogik bisher abgesehen von Erwähnungen in der FMS-Evaluationsstudie von Capaul und Keller (2014) sowie der Evaluation der Fachmaturität Pädagogik von Quesel et al. (2010) keine empirischen Studien. Zum musisch-pädagogischen Gymnasialprofil existierten lediglich die Studien von Mombelli-Matthys (2011) und Robin (2002) zum Schwerpunktfach PPP.

Hier konnte der explorative Anspruch der vorliegenden Studie erfüllt werden, erstes empirisch gestütztes Wissen spezifisch zur FMS Pädagogik zu generieren sowie auch das musisch-pädagogische Gymnasialprofil fernab von Evaluations- und Leistungsstudien aus qualitativer Perspektive zu beforschen.

Zweitens wurde in bisherigen Studien zu lehrberufsspezifischen Interessen und zu Berufswahlmotiven für den Lehrberuf mehrfach darauf verwiesen, dass die Vorbildung und die schulische Sozialisation in der Jugendzeit ein bedeutender Faktor für die Formung lehrberufsspezifischer Interessen ist (Denzler und Wolter 2008a, b; Brühwiler und Spychiger 1997; Brühwiler 2001; Treptow 2006; Ingrisani 2014; Affolter et al. 2015). Welche schulischen Spezifika und Mechanismen aber hierbei ausschlaggebend sein könnten, wurde bisher nicht erforscht. Dazu leistet die vorliegende Studie einen empirischen Beitrag.

Hierbei stehen nicht nur individuelle Faktoren wie Motivationen und Interessen der Schüler*innen und deren Ausbildung während der schulischen Laufbahn im Zentrum, sondern es wurden auch institutionelle Faktoren und Charakteristika herausgearbeitet, welche die unterschiedliche Bedeutung der beiden untersuchten Profile für die Primarlehrpersonenbildung erklären können. Die vorliegende Studie versteht sich hierbei nicht als umfassende Antwort auf die formulierte Forschungslücke, bietet aber eine erste explorative Untersuchung möglicher Faktoren und Charakteristika, die weiterführende Forschung in diesem Bereich anregen kann.

Im Rahmen der drei kantonalen Fallstudien konnten verschiedene Ergebnisse bisheriger empirischer Forschung belegt und erweitert werden. So zeigte die Evaluation der FMS im Kanton St. Gallen aus 2014, dass Lehrpersonen einen Berufsbezug im FMS-Unterricht sowohl durch profilgemischte Klassen als auch die Tatsache erschwert erachten, dass keine anwendungsorientierten Lehrmittel wie etwa «Mathematik für Pädagogen» existieren würden (Capaul und Keller 2014, S. 31). Die vorliegende Studie konnte zeigen, dass berufsbezogener Unterricht nicht nur in hohem Masse unterschiedlich bewertet und valorisiert, sondern von Lehrpersonen auch handlungspraktisch unterschiedlich umgesetzt wird.

Dabei ist je nach Fall und Lehrperson das ganze Spektrum von sehr ausgeprägtem Berufsbezug zur Tätigkeit der Primarlehrperson bis gar kein Berufsfeldbezug auszumachen. Auch hierbei führen Lehrpersonen profilgemischte Klassen teilweise als Begründung für den Verzicht auf einen expliziten Berufsfeldbezug an. Ebenso lassen sich Ergebnisse bestätigen, wonach die Fachmaturität Pädagogik als spezifische PH-Vorbereitung wahrgenommen wird (ebd., S. 34 f.). Zudem konnte diese Vorbereitungsfunktion auf Basis der fallspezifischen Lehrplananalysen konkret an den zu unterrichtenden Fächern und Fachinhalten empirisch festgemacht werden.

Ebenso konnte gezeigt werden, dass in der deutschsprachigen Schweiz musisch-gestalterische Fächer und Fähigkeiten «das Pädagogische» konstituieren, was die von Quesel et al. (2010, S. 14) berichtete Kritik am Fehlen musischer Fächer in der Fachmaturität Pädagogik versteh- und interpretierbar macht.

Die unterschiedlichen kognitiven Leistungen der Schüler*innen beider untersuchter Profile (SKBF 2018, S. 109) wurden in der vorliegenden Studie nicht gemessen. Vielmehr konnte rekonstruiert werden, inwiefern schulisch-kognitive Leistungen durch eine ganz bestimmte – die industrielle – Gemeinwohlorientierung als bedeutungsvoll konstruiert werden. Darauf basierend konnte gezeigt werden, inwiefern sowohl Fachmittelschüler*innen als auch Gymnasiast*innen am Maßstab der schulisch-kognitiven Leistungsfähigkeit gemessen und (de-)valorisiert werden. Dass die Fachmittelschüler*innen hierbei von den Lehrpersonen als schwächer beurteilt werden (Capaul und Keller 2014, S. 27), zeigte sich auch im Rahmen der kantonalen Fallstudien. Ebenso kamen die damit zusammenhängenden Abwertungsprozesse gegenüber Fachmittelschüler*innen an institutionell gemeinsam geführten Schulen zum Ausdruck (ebd.).

Mit den kantonalen Fallstudien und dem integrierten sprachregionalen Vergleich konnten auch die Ergebnisse Cortesis (2017) bezüglich der FMS als Schultyp nicht nur bestätigt und erweitert, sondern auch für das pädagogische Profil spezifiziert werden. Beispielsweise zeigte sich für den französischsprachigen Fall C, dass der breiten und berufs-unspezifischen Allgemeinbildung, wie sie in den profilspezifischen Fächern als «das Pädagogische» formatiert ist, zusätzlich zur industriellen Vorbereitungsfunktion auf den Primarlehrberuf (Generalist*in) von den Akteur*innen auch eine eigene, von der PH und vom Primarlehrberuf völlig unabhängige Wertigkeit auf Basis der staatsbürgerlichen Konvention zugesprochen wird. Dies deckt sich mit den Ergebnissen Cortesis (2017), wonach sich die FMS als Schultyp in der lateinischsprachigen Schweiz aufgrund der hohen Wertschätzung der Allgemeinbildung nicht wie in der deutschsprachigen Schweiz über eine beruflich-professionelle Komponente legitimieren muss, sondern die Orientierung an der Allgemeinbildung als Existenzberechtigung ausreicht. Durch die Konstruktion einer breiten Allgemeinbildung als «das Pädagogische» erfüllt die FMS Pädagogik im untersuchten französischsprachigen Fall sogar beide Ansprüche (berufsvorbereitend und allgemeinbildend).

Dennoch erwies sich die Schlussfolgerung Cortesis (2017), dass sich die berufliche Komponente an der FMS in der lateinischsprachigen Schweiz lediglich im Hinweis auf die tertiäre Berufsausbildung ausdrücke (ebd., S. 239), mit Blick auf die im Rahmen der Fallstudien erhobenen Daten nicht als vollständig zutreffend. So äußerten manche der interviewten Lehrpersonen durchaus das Ziel einer gezielten PH- und Berufsvorbereitung und setzten dies gemäß eigener Aussage auch handlungspraktisch im Unterricht um.

Ebenso muss im Falle der FMS Pädagogik das Ergebnis Cortesis (2017) relativiert werden, wonach sich die FMS in der deutschsprachigen Schweiz gegenüber der Gymnasialausbildung stärker durch eine berufsvorbereitende Ausprägung profiliert (ebd., S. 239, 244). Da im Gegensatz zu anderen Fachmaturitäten in der Fachmaturität Pädagogik kein Praktikum, sondern lediglich ein Lehrgang in allgemeinbildenden Fächern vorgesehen ist, fällt diese «praktische» Komponente der Profilierung abgesehen vom zweiwöchigen obligatorischen Berufsfeldpraktikum weg. Vielmehr zeigte sich, dass sich die FMS Pädagogik gegenüber dem Gymnasium erstens mit «dem Pädagogischen» als Komplex musisch-gestalterischer Fächer und zweitens auf Basis häuslicher und staatsbürgerliches Wertigkeiten als Schultyp für Jugendliche positioniert, welche sich an anderen Dingen als der gymnasialen Leistungslogik orientieren. Ihnen ermöglicht die FMS Pädagogik trotzdem die Verwirklichung ihres Berufswunschs, das Erreichen eines Maturitätszeugnisses sowie einen geschützterer Raum zur Persönlichkeitsentwicklung.

Mit Blick auf Forschung zur gymnasialen Ausbildung lassen sich die Ergebnisse Mombelli-Matthys (2011) bestätigen, wonach dem Fachbereich Pädagogik im Rahmen des Schwerpunktfachs PPP nur wenig Gewicht und Bedeutung zukommt. Dies zeigte sich insbesondere in den analysierten Lehrplänen und kann als Erklärung dafür herangezogen werden, dass sich das Schwerpunktfach PPP inhaltlich weniger als Vorbereitung auf eine PH-Ausbildung denn als Vorbildung für ein Universitätsstudium in Psychologie, Erziehungswissenschaft oder Philosophie erweist.

Ebenso konnten Ergebnisse der ersten Maturitätsevaluation EVAMAR I (Ramseier et al. 2005) sowie von Mombelli-Matthys (2011, S. 207) bestätigt werden, wonach das Interesse am gewählten Fach für die Schwerpunktfachwahl von hoher Bedeutung ist (ebd., S. 82 f.). Zusätzlich konnten im Rahmen der Fallstudien auch inspirierte Wertigkeiten der Faszination, Begeisterung oder Liebe als ausschlaggebend identifiziert werden – welche in den erwähnten Studien aber mit hoher Wahrscheinlichkeit als «Interesse» operationalisiert wurden.

Ebenso bestätigten sich die von Ramseier et al. (2005) auf quantitativer Methodik beruhenden Ergebnisse, wonach sich bei der Wahl der musisch-pädagogischen Schwerpunktfächer deren Nützlichkeit für die spätere Karriere und für spätere Ausbildungsmöglichkeiten als wenig relevante Motive erwiesen (ebd., S. 85). Dies wurde im Rahmen der vorliegenden Studie als Ausdruck einer Valorisierung staatsbürgerlicher Wertigkeiten wie einer zweckfreien Allgemeinbildung und der Entkopplung von Schwerpunktfach- und Studienwahl gedeutet. Auch die Feststellung, dass das fachliche Interesse im gewählten Schwerpunktfach im Verlauf der schulischen Sozialisation zunimmt (Mombelli-Matthys 2011, S. 207) konnte in der vorliegenden Studie auf qualitativer Basis zumindest für den Fall C bestätigt werden.

Ebenso bestätigten sich die bisher von der empirischen Forschung herausgearbeiteten Motive für die Ausbildung zur Lehrperson. Bei der Begründung ihres Berufswunschs Lehrperson äußerten die Fachmittelschüler*innen vor allem pädagogisch-soziale Interessen und das Berufsziel Primarlehrperson, die Gymnasiast*innen vorwiegend fachlich-inhaltliche Interessen und das Ziel der Unterrichtstätigkeit auf Sekundarstufe I, II oder Tertiärstufe. Damit lassen sich Befunde bestätigen, wonach mit ansteigender Unterrichtsstufe pädagogische Motive abnehmen und fachliche Motive bedeutsamer werden (Brühwiler und Spychiger 1997; Keck Frei et al. 2012; Affolter et al. 2015). Diese Differenzierung scheint sich hier zwischen dem musisch-pädagogischen Gymnasialprofil und der FMS Pädagogik zu reproduzieren.

Auf Basis der Fallstudien kann zudem geschlussfolgert werden, dass durch die Charakteristika und Spezifika der FMS Pädagogik die bisher von der empirischen Forschung herausgearbeiteten Faktoren wie soziale und pädagogische Interessen und Interessen an der Zusammenarbeit mit Kindern (siehe Forschungsüberblick Abschn. 2.4) auf verschiedenen Ebenen valorisiert und verstärkt werden. Ebenso ist aus der empirischen Forschung die Relevanz pädagogischer Praxiserfahrungen für die Berufswahl Lehrperson bekannt (Kersten 2001; Cramer 2012; Nieskens 2009). Nieskens spricht hier gar von einer «Prädiktorfunktion für den Berufswunsch Lehramt» (2009, S. 169). Diese Ergebnisse konnten in der vorliegenden Studie bestätigt werden – wobei die pädagogischen Praktika teilweise darüberhinausgehend auch noch zur Klärung der angestrebten Zielstufe führten. Da Praktika im Berufsfeld ein obligatorischer Teil der FMS-Ausbildung sind, kann auch dieses Charakteristikum der FMS-Ausbildung als bedeutender Aspekt der Erklärung der hohen Bedeutung der FMS Pädagogik für die Primarlehrpersonenbildung interpretiert werden.

Als Letztes sei das empirische Ergebnis von Ingrisani (2014) genannt, wonach PH-Studierende mit einer gymnasialen Maturität den «erwarteten Gewinn durch Studium und Beruf» im Vergleich zu Personen mit alternativer Zugangsberechtigung signifikant geringer einschätzen (Ingrisani 2014, S. 307). Dieser «erwartete Gewinn» umfasst das Erhoffen einer guten Allgemein- und Fachausbildung, eines guten gesellschaftlichen Status als Lehrperson sowie guter Entlöhnung (Ingrisani 2014, S. 413). Dies bedeutet, dass Gymnasiast*innen eine Ausbildung an der PH als fachlich und allgemeinbildend zu wenig gewinnbringend und den Lehrberuf als weniger attraktiv einschätzen. Ergänzend zu diesen Ergebnissen konnte in der vorliegenden Studie auf Basis qualitativer Daten gezeigt werden, warum Gymnasiast*innen – selbst wenn sie gegebenenfalls an einer Lehrtätigkeit interessiert sich – sich nicht für eine Ausbildung an der PH entscheiden.

8.2.2 Theoretische Reflexionen: Eine konventionentheoretische Perspektive auf bildungspolitische Handlungskoordination und Schulkultur

In der vorliegenden Studie wurde mit der Frage nach dem Institutionalisierungsprozess der FMS Pädagogik ein Transformationsprozess im Bildungssystem untersucht, wie er üblicherweise Gegenstand der Educational Governance-Forschung ist (Altrichter 2015; Maag Merki und Altrichter 2015; Altrichter und Maag Merki 2016). Ebenso ging es mit der Forschungsfrage nach den schulischen Spezifika der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils um eine qualitativ-empirische Erforschung schulischer Charakteristika als Teil eines Gesamtzusammenhangs respektive einer Gesamteinheit aus verschiedenen Elementen wie etwa der «Art des Lernens, Erziehens und der Organisation den unterschiedlichen Akteur*innen einer Schule und diversen Umwelteinflüssen» (Holtappels 1995, S. 12 f., zit. nach Fernandez, Janschitz und Schirgi 2019, S. 485), wie sie im deutschen Sprachraum häufig von der Schulkulturforschung (Helsper et al. 2001; Kramer 2015; Helsper 2008; Böhme et al. 2015) untersucht wird.

Sowohl an der Educational Governance-Perspektive als auch am Schulkulturansatz wurden in der Vergangenheit Lücken und Desiderata formuliert, welche das Heranziehen einer ergänzenden oder alternativen Theorieperspektive nahelegten. Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde das Ziel verfolgt, beide Fragestellungen unter einer gemeinsamen Theorieperspektive zu untersuchen – derjenigen der Économie des Conventions (EC).

Mit der Konzeption von Konventionen als Handlungs- und Koordinationslogiken diente sie einerseits der Untersuchung eines Institutionalisierungsprozesses sowie den damit zusammenhängenden Prozessen von Wandel und Steuerung im Bildungssystem (Leemann und Imdorf 2019a). Mit der Konzeption von Konventionen als Wertigkeitsordnungen wurde die Analyse der sozialen Konstruktion von Wertigkeiten und Bewertungen (ebd.) in der FMS Pädagogik und im musisch-pädagogischen Gymnasialprofil möglich. In diesen beiden Varianten wurden die Forschungsfragen der vorliegenden Studie unter der gleichen theoretisch-konzeptionellen Perspektive der EC beantwortet.

Die EC-Perspektive erlaubte, den Defiziten und Desiderata der Educational Governance-Forschung sowie dem Schulkulturansatz zu begegnen. So wird am Educational Governance-Ansatz etwa kritisiert, dass er sich zwar von der Vorstellung einer staatlichen top-down-Steuerung abgrenze, aber dafür blind sei für Fragen der Macht (Blumenthal 2014, S. 101). Hier erwies sich die konventionentheoretische Perspektive als fruchtbar, da beispielsweise aufgezeigt werden konnte, wie im Prozess der Institutionalisierung der FMS Pädagogik das EDK-Generalsekretariat durch gezielte Forminvestitionen in Studien, Berichte, Arbeitsgruppen oder Projekte (zum Beispiel Thesen zur Tertiarisierung der Lehrpersonenbildung, Studien zur Basis- oder Eingangsstufe, Projekt zur Regelung der Zulassung von Personen ohne gymnasiale Maturität zur PH und weitere) gewisse Fragestellungen oder Problematisierungen ins Zentrum rücken, gewisse Handlungs- oder Bewertungsprinzipien mit Wertigkeit versehen und bestimmte Entwicklungen zwar nicht steuern, aber zumindest vorantreiben und nahelegen konnte. Hierbei erwies sich das theoretische Konzept der Forminvestition (Thévenot 1984) als wertvoll, da es ohne direkt Machtmechanismen zu unterstellen die Beobachtung verschiedener Interessen der beteiligten Akteur*innen, der investierten Arbeit sowie der sich jeweils durchsetzenden Handlungs- und Bewertungslogiken erlaubt.

Ebenso konnte mit der EC-Perspektive gezeigt werden, dass bestimmte Akteur*innen im Bildungssystem nicht wie aus systemtheoretischer Betrachtungsweisen gewissen «Sinnlogiken verpflichtet» sind (Kussau und Brüsemeister 2007, S. 33). Denn die EC schreibt ein und denselben Akteur*innen die Kompetenz zu, zwischen verschiedenen Handlungs- oder Sinnlogiken (Konventionen) zu wechseln und ihre situative Angemessenheit zu prüfen.

So zeigte sich in den interkantonalen Verhandlungen der EDK beim Institutionalisierungsprozess der FMS Pädagogik, dass die Erziehungsdirektionen der einzelnen Kantone sich nicht nur sehr unterschiedlichen Sinn- und Handlungslogiken verschrieben. Der kritische Moment II der Wiedereinführung der Fachmaturität nach deren initialer Ablehnung zeigte auch eindrücklich, wie dieselben Akteur*innen sich durch eine entsprechend vorstrukturierte Situation (Plädoyer der Erziehungsdirektion schriftlich vorab versandt und physisch vorliegend) von anderen Handlungslogiken überzeugen ließen als noch in der Plenarversammlung ein paar Monate zuvor.

Ebenso konnte durch die Anwendung der EC als theoretischer Rahmen der Untersuchung gezeigt werden, dass Akteur*innen sich nicht wie in der Educational Governance-Forschung angenommen sich in ihrem Handeln auf Institutionen und «institutionalisierte Regelsysteme» stützen, welche ihnen «Erwartungs- und Entscheidungssicherheit» bieten (Maag Merki und Altrichter 2015, S. 400; Altrichter 2015, S. 28 f.) und lediglich einen «Handlungskontext» darstellen (Maag Merki und Altrichter 2015, S. 400). Mit der EC-Perspektive wurde deutlich, dass Institutionen im Sinne von Regeln durchaus unterschiedlich ausgelegt und umgesetzt werden können, bzw. dass sie jeweils einer konventionenbasierten Interpretation durch die Akteur*innen bedürfen.

Dies zeigte sich etwa bei der unterschiedlichen Auslegung der im PH-Anerkennungsreglement von 1999 festgehaltenen Zulassungsrichtlinien und der Interpretation der «kann-Formulierung» der im Aufbau befindlichen PH. Auch dass kantonale Erziehungsdirektionen jeweils auf Basis des gleichen Reglements bisweilen völlig unterschiedlich orientierte Forderungen äußerten, verweist auf die Interpretationsoffenheit von Regeln, wie sie sich aus einer EC-Perspektive darstellt.

Wie die Analyse des Institutionalisierungsprozesses der FMS Pädagogik zeigte, bietet die EC mit ihrem Fokus auf Situationen und Prozesse der Handlungskoordination, mit der Pluralität von Konventionen als mögliche Handlungslogiken sowie mit dem Konzept der Forminvestition fruchtbare theoretisch-konzeptionelle Instrumente für Analyse von Transformationsprozessen im Bildungssystem.

So ließen sich zum Beispiel auch unintendierte Effekte der Handlungskoordination besser erfassen und im Falle des kritischen Moments I (PH-Anerkennungsreglement 1999) dadurch erklären, dass sich verschiedene Interessengruppen (Befürworter*innen der seminaristischen Ausbildungstradition in der Lehrpersonenbildung, Vertreter*innen eines Zugangs von FMS-Absolvierenden zur Primarlehrpersonenbildung) auf die gleiche Konvention beriefen und diese dadurch stärkten, ohne dass sie inhaltlich die gleichen Interesse vertreten hätten. Damit lassen sich auch unintendierte Effekte in bildungspolitischen Prozessen besser verstehen und analysieren.

Ebenso erlaubte die Perspektive der EC in der Analyse des Institutionalisierungsprozesses der FMS Pädagogik zu erfassen, dass im bildungspolitischen Koordinationsprozess der EDK immer wieder die gleichen Handlungs- und Bewertungsprinzipien (die häuslich-regionalistische, die industrielle und punktuell die staatsbürgerliche) berücksichtigt und gegebenenfalls in Kompromisse oder Kompromissformeln integriert werden müssen, um zu einer Übereinkunft zu kommen. Dies erlaubt – selbstverständlich in begrenztem Rahmen – auch Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen, Argumente und Kritiken in der bildungsföderalistischen Handlungskoordination der EDK zu treffen.

Die EC-Perspektive erwies sich aber auch als fruchtbare Theorieperspektive für die Analyse von schulischen Profilen als Alternative zum Schulkulturansatz Helspers et al. (2001). Mit der EC wurden die schulischen Profile der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils jeweils als ‘Situation’ oder schulisches Dispositiv aus «Objekten, kognitiven Formaten, Koordinationserfordernissen (Problemen), […] Personen und Konzepten» (Diaz-Bone 2018, S. 328) konzeptualisiert. Es konnte aufgezeigt werden, wie die schulischen Akteur*innen der beiden untersuchten Profile in handlungspraktischer Auseinandersetzung mit ihrer materiellen Umwelt jeweils unterschiedliche Gemeinwohlorientierungen aktivieren, mobilisieren und entsprechende Wertigkeiten konstruieren.

Besonders eindrücklich zeigte sich dies am Beispiel von Lehrpersonen, welche in beiden Schultypen die gleichen Inhalte unterrichten – sowohl diskursiv als auch handlungspraktisch jedoch unterschiedliche Strategien der Wissensvermittlung und unterschiedliche Beziehungslogiken valorisierten und verwirklichten. Dies verweist auf die Bedeutung des Akteurskonzepts der EC, welches den Individuen die Kompetenz und Fähigkeit zuschreibt, zwischen Konventionen und Handlungslogiken zu wechseln und ihre situative Angemessenheit zu beurteilen.

Es erwies sich aber nicht nur der Einbezug von Praktiken – insbesondere im Rahmen der Unterrichtsbeobachtungen – aus einer EC-Perspektive als wertvoll. Auch die Analyse der Materialitäten (räumliche Settings, kognitive und materielle Formate) in Form von Bildungsgefäßen (Praktika, Fachmaturität Pädagogik, Lehrpläne, Rahmenstundentafeln, Vorlesungsbestuhlung, Unterrichtsobjekte etc.) erwies sich als aufschlussreich für die Rekonstruktion der jeweils zugrundeliegenden Konventionen der beiden untersuchten Profile.

Die Analyse zeigte auch, dass die jeweils bedeutendsten, das schulische Profil fundierenden Konventionen wie die industrielle und häusliche in der FMS Pädagogik und die staatsbürgerliche und die inspirierte im musisch-pädagogischen Gymnasialprofil jeweils sämtliche von der Schulkulturforschung differenzierten Ebenen (reale, imaginäre, symbolische Ebene) durchziehen. Selbiges kann über die klassisch soziologische Aufteilung in Mikro- Meso- und Makroebene gesagt werden. Die jeweils als bedeutungsvoll rekonstruierten Konventionen kamen sowohl in den untersuchten Materialitäten als auch den Handlungspraktiken und diskursiven Wertigkeitszuschreibungen von den Schüler*innen bis hin zur Schulleitung relativ kohärent zum Ausdruck. Auch dies legt den Verzicht auf ein soziologisches Ebenenkonzept zugunsten der Konzeption von Schulkultur als ‘Situation’ und schulisches Dispositiv nahe, wie es aus einer EC-Perspektive konzipiert wird.

An der Schulkulturforschung wurde zudem aus ihren eigenen Reihen kritisiert, dass aufgrund der Dominanz der strukturalistischen Perspektive und dem Fokus auf die prägende Wirkung von strukturellen Elementen den tatsächlichen schulischen Praktiken zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt werde (Kramer 2015, S. 38). Den «systematischen Einbezug einer Perspektive auf Praktiken» fordern sodann auch die Vertreter*innen der Schulkulturforschung selbst, um «die bisher noch immer bestehende Lücke in Bezug auf den systematischen Einbezug der Ebene des Unterrichts im Schulkulturansatz» zu schließen (ebd., S. 43) und sich verstärkt auch einer «Analyse des Unterrichts als Vermittlungsgeschehen» hinzuwenden (Idel und Stelmaszyk 2015, S. 63). Dafür sei «das Geschehen im Klassenzimmer stärker als gegenstandsbezogener Unterricht in seinen Arrangements» denn als bloße sozialisatorische, Inklusions- und Exklusionsprozesse produzierende Praxis in den Blick zu nehmen, und im Kontext eines erweiterten Kulturbegriffs auch «stärker körperliche Praktiken sowie Räume und Dinge in die Rekonstruktionen einzubeziehen», was laut Idel und Stelmaszyk (2015, S. 64) im Endeffekt zu einem stärker praxistheoretischen Verständnis von Schulkultur führen könnte.

Im Anschluss an die konventionentheoretischen Analysen der vorliegenden Studie und ihrem sich als aufschlussreich erweisenden Fokus auf Praktiken (Strategien der Wissensvermittlung, Beziehungslogiken), Materialitäten (Räume, Unterrichtsmaterialien, Lehrpläne, Rahmenstundentafeln) und der Konzeption der schulischen ‘Kultur’ der beiden untersuchten Profile als ‘Situation’ oder schulisches Dispositiv kann an dieser Stelle die EC als alternativer und gewinnbringender Ansatz zur qualitativen Analyse von Schulkulturen als Schulsituationen vorgeschlagen werden. Es konnte gezeigt werden, wie sich die schulische Kultur als Situation jeweils in gemeinsamer Konstruktion durch die Akteur*innen, Materialitäten und kognitiven Schemata konstituiert – diese schulische Kultur bzw. Situation die Kognitionen und Praktiken der entsprechenden Akteur*innen aber wiederum auch prägt und mitstrukturiert.

Dieser Fokus der EC auf Praktiken der Schüler*innen, Lehrpersonen und Schulleitungen sowie der untersuchten Materialitäten und kognitiven Formate bedeutet allerdings auch eine Abkehr vom bisherigen Fokus der Schulkulturforschung auf Prozesse der Inklusion, Exklusion und Distinktion vor dem Hintergrund der Bourdieuschen Habitustheorie. Wenn man aus einer Bourdieuschen Perspektive die Akteur*innen und ihr Handeln vorreflexiv durch gesellschaftliche Strukturen geprägt konzipiert sieht, steht dies im Widerspruch zum Ansatz der EC, auch Materialitäten und Räumlichkeiten in die Analyse mit einzubeziehen. Denn wenn man diese mit einbezieht, muss auch deren Rolle und Funktion im Gesamtzusammenhang der Schulkultur geklärt werden, und inwiefern sie (und nicht nur der individuelle Habitus) das Handeln der Akteur*innen mitstrukturieren.

Auch deshalb wird in der vorliegenden Studie vorgeschlagen, aus der Perspektive der Économie des Conventions (EC) die Kognition und das Handeln von Individuen nicht nur als Funktion ihres Habitus, sondern geknüpft an die jeweilige schulische Situation als Schulkultur und deren Ausstattung mit «Objekten, kognitiven Formaten, Koordinationserfordernissen (Problemen), […] Personen und Konzepten» (Diaz-Bone 2018, S. 328) zu konzeptualisieren.

Dieser Mehrwert soll an einem konkreten Beispiel aus der vorliegenden Studie aufgezeigt werden. Fachmittelschüler*innen des Profils Pädagogik bewerten Bildungsinhalte mehr oder weniger ausgeprägt am Maßstab der Nützlichkeit und Funktionalität. Aus einer Bourdieuschen Perspektive würde dies die Interpretation nahelegen, dass Fachmittelschüler*innen aus sozial weniger privilegierten respektive eher bildungsfernen Schichten stammen, weil die erforderlichen schulischen Leistungsanforderungen für den Eintritt in die FMS niedriger sind als diejenigen des Gymnasiums. Entsprechend könnte geschlussfolgert werden, dass Fachmittelschüler*innen eher einen Habitus aufweisen, welcher stärker die Funktion (Nützlichkeit) als die Form (Ästhetik, Genuss) fokussiert – wie es etwa Rahel Jünger (2010) für Primarschüler*innen nachweisen konnte. Dadurch würde sich die Bewertung von Bildungsinhalten am Maßstab der Nützlichkeit und Funktionalität erklären und diese mit dem Habitus der Schüler*innen begründen.

Aus einer EC-Perspektive kann diese Bewertung von Bildungsinhalten am Maßstab der Nützlichkeit als Hinweis auf die Bewertungsgrundlage der industriellen Konvention gedeutet werden, die durch verschiedenste kognitive und materielle Formen der schulischen Situation mitstrukturiert wird, welche nicht im Habitus der Schüler*innen zu suchen sind. So wird bereits durch die mit Wertigkeit versehenen Bildungsziele der PH- und Berufsvorbereitung eine funktionale Bewertungslogik der industriellen Konvention durch alle schulischen Akteur*innen ebenso wie durch Broschüren und Reglemente gestützt. So heißt es auch im Rahmenlehrplan für die Fachmaturität Pädagogik, dass diejenigen Bildungsinhalte zu vermitteln seien «die für die weiterführende pädagogische Ausbildung relevant sind» (EDK 2018, S. 18) – was ebenfalls auf die funktional-effiziente Bewertungsgrundlage der industriellen Konvention verweist. Auch die Bezeichnung der profilspezifischen Fächer des Profils als «Berufsfeldfächer» legt nahe, dass diese Fächer für die zukünftige Berufstätigkeit relevant sein sollen und nicht zum reinen Selbstzweck existieren. So lassen sich in vielen verschiedenen materiellen und immateriellen Aspekten der Schulkultur bzw. des schulischen Dispositivs Elemente finden, welche die industrielle Konvention mit ihrem Fokus auf Effizienz und Funktionalität stützen. Diese Handlungs- und Bewertungslogik ist somit im schulischen Dispositiv verankert und entfaltet sich in der handlungspraktischen Auseinandersetzung der Schüler*innen mit diesem Dispositiv – ist aber aus einer EC-Perspektive keinesfalls (lediglich) in deren Habitus zu suchen.Footnote 14

Einen wertvollen Beitrag zur Schulkulturforschung leistet die EC-Perspektive auch deshalb, da sie von den im Bildungswesen verbreitenden Evaluationen und Beurteilungen von «besser» oder «schlechter» Abstand nimmt und im Gegensatz dazu untersucht, wie Wertigkeiten und welche Wertigkeiten von den betreffenden Akteur*innen sozial konstruiert werden.

In der Folge lautet eines der Ergebnisse der vorliegenden Studie, dass aus konventionentheoretischer Perspektive die Fachmittelschüler*innen von vielen Akteur*innen auf Grundlage des industriellen Bewertungsprinzips der kognitiv-schulischen Leistungsfähigkeit devalorisiert werden und dieser Wertigkeitsmaßstab im Bildungssystem ein machtvolles Bewertungsprinzip darstellt – nicht aber, dass Fachmittelschüler*innen weniger intelligent oder kognitiv weniger leistungsfähig sind.

In dieser Hinsicht bietet die EC eine wertvolle Perspektive für die Untersuchung schulischer Profilen oder Kulturen, ohne diese normativ als besser oder schlechter zu beurteilen – sondern mit wissenschaftlicher Distanz die soziale Konstruktion von Wertigkeiten, ihre materielle und kognitive Formatierung sowie die Bewertung von Bildungszielen, -inhalten, Wissensformen oder Vermittlungsstrategien zu untersuchen und die entsprechenden zugrundeliegenden normativen Orientierungen als Konventionen zu rekonstruieren.

8.2.3 Grenzen der Studie

Die vorliegende Studie leistete eine ausführliche Analyse der Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils für die Ausbildung von Primarlehrpersonen aus historischer, quantitativer, qualitativer und sprachregional vergleichender Perspektive. Sie bietet eine Erklärung dafür, wie sich die FMS Pädagogik trotz Kritik, trotz der Institutionalisierung des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils als funktionaler Ersatz des ehemaligen Lehrer*innenseminars und trotz der Konstruktion des Gymnasiums als «Königsweg» in die Lehrpersonenbildung erfolgreich institutionalisieren konnte.

Ebenso konnte gezeigt werden, wie sich die quantitativ nachgewiesene höchst unterschiedliche Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils für die Ausbildung von Primarlehrpersonen jenseits unterschiedlicher Hochschulzulassungsberechtigungen anhand verschiedener Charakteristika und Spezifika der beiden Profile erklären lässt.

Die Komplexität und der Umfang dieses Forschungsvorhabens bringen jedoch auch einige Einschränkungen mit sich. Aufgrund der großen Forschungslücke bezüglich der untersuchten Fragestellungen waren zu Beginn des Forschungsprozesses weder die «kritischen Momente» im Institutionalisierungsprozess der FMS Pädagogik noch die bedeutsamen Charakteristika und deren Dimensionen der FMS Pädagogik und des Gymnasiums bekannt. Ihre Identifikation erforderte viel Zeit, welche an anderen Stellen etwa für eine vertiefte Analyse oder theoretische Weiterentwicklungen fehlte.

Ebenfalls wäre es im Rahmen der Fallstudien aus konventionentheoretischer Perspektive gegebenenfalls sinnvoll gewesen, systematisch nach Bewertenden und Bewertetem zu trennen, um auf die zugrundeliegenden Gemeinwohlorientierungen zu schließen. Auch in welchem Verhältnis beispielsweise formulierte Bildungsziele, die dafür als sinnvoll erachteten Strategien und Inhalte, und die dann tatsächlich umgesetzten Handlungspraktiken stehen, blieb in der vorliegenden Studie unbeleuchtet. Ebenso blieb im Rahmen der Analyse weitgehend ungeklärt, wie und in welcher Weise sich Valorisierungen der Akteur*innen, Konventionen, Forminvestitionen und kognitive Formate gegenseitig beeinflussen.

Außerdem konnten letztendlich zwar zentrale Spezifika und Charakteristika der beiden untersuchten Profile herausgearbeitet werden – inwiefern sie aber tatsächlich entsprechende Studien- und Berufswahlmotive der Schüler*innen prägen und sich tatsächlich in unterschiedlichen Studien- und Hochschulwahlen ausdrücken, konnte mit dem für diese Studie umgesetzten Forschungsdesign empirisch nicht beantwortet und lediglich Vermutungen und Hypothesen geäußert werden.

In methodischer Hinsicht kann kritisch hinterfragt werden, inwiefern der große Umfang und die Verschiedenartigkeit der auszuwertenden Daten die Einhaltung der Gütekriterien qualitativer Sozialforschung beeinträchtigte. Aufgrund des hohen Datenvolumens und der verschiedenen Erhebungszugänge fiel die Dokumentation und Reflexion sowohl des Datenerhebungs- als auch Datenanalyseprozesses nicht so ausführlich, transparent und konsistent aus, wie es für die qualitative Sozialforschung wünschenswert wäre (Flick 2018).

Dennoch wurden durch die methodologische Triangulation (verschiedene Erhebungszugänge), die Datentriangulation (Interviewdaten, Beobachtungsdaten, Dokumente, quantitative Erhebungen) sowie eine möglichst ausführliche Verfahrensdokumentation Strategien verfolgt, die zur Qualitätssicherung beitragen (ebd.). Vor dem Hintergrund der Datentriangulation hätten die Ergebnisse der vorliegenden Studie sicherlich von einer stärkeren Verknüpfung der historischen, quantitativen und qualitativen Ergebnisse und Analysen profitiert.

Trotz dieser kritischen Einwände ist es gelungen, die unterschiedliche Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils für die Ausbildung von Primarlehrpersonen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und zu erklären sowie einen wesentlichen Beitrag zur Verringerung der großen Forschungslücke insbesondere zur FMS Pädagogik beizutragen.

8.3 Wissenschaftliche Relevanz, praktische Implikationen und Ausblick

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde untersucht und erklärt, wie sich die FMS Pädagogik als Zubringerin zur Ausbildung von Primarlehrpersonen an PH angesichts des gymnasialen «Königswegs» institutionalisieren konnte, durch welche Charakteristika und Spezifika sich die FMS Pädagogik und das musisch-pädagogische Gymnasialprofil auszeichnen und wie auf dieser Basis deren unterschiedliche Bedeutung für die PH-Ausbildung von Primarlehrpersonen erklärt werden kann.

Mit den gewonnenen Erkenntnissen konnten wesentliche Forschungslücken adressiert (siehe Abschn. 8.2.1) und empirisch fundierte Erkenntnisse zur FMS Pädagogik, zum musisch-pädagogischen Gymnasialprofil und zu ihrer Bedeutung für die Primarlehrpersonenbildung generiert werden. Ebenso wurde aufgezeigt, inwiefern die Économie des Conventions (EC) eine fruchtbare Theorieperspektive sowohl für Transformationsprozesse im Bildungssystem als auch die Untersuchung schulischer Profile darstellt und wichtige theoretisch-konzeptionelle Desiderata der Educational Governance-Forschung als auch der Schulkulturforschung adressieren kann.

Aus wissenschaftlicher Perspektive ergeben sich Erkenntnisse zur international zu beobachtenden Entwicklung einer ‘Hybridisierung’ (Verbindung von Allgemein- und Berufsbildung) nachobligatorischer Bildungsangebote sowie zur Entwicklung der Lehrpersonenbildung, ihrer Zugangswege und deren mögliche Bedeutung in Situationen des steigenden Lehrpersonenbedarfs. Ebenso trägt die Studie zur bestehenden Forschung zu Berufs- und Studienwahlmotiven im Lehrberuf bei. Hierbei existierten bisher keine Erkenntnisse zu Absolvierenden von Fachmittelschulen, ebenso wie bisherige Forschung zu Berufs- und Studienwahlmotiven vor allem auf individuelle Faktoren und Persönlichkeitsdispositionen fokussierte. Die vorliegende Studie ergänzt diese Forschung um institutionelle Charakteristika der jeweiligen untersuchten schulischen Profile, welche zu unterschiedlichen Studien- oder Berufswahlen führen können.

Die Ergebnisse sind auch für die Forschung zur Bedeutung der (Bildungs-)biografie für die Professionalisierung und Berufsausübung von Lehrpersonen bedeutsam. Bisherige empirische Forschung in diesem Feld verweist nämlich darauf, dass die Art und Ausgestaltung der Vorbildung – im vorliegenden Fall der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils – eine bedeutende Rolle für die Ausbildung von Lehrpersonen spielt.

So konstatierte bereits Andreas Dick (1997), dass in der Ausbildung von Lehrpersonen (bildungs-)biografischen Erfahrungen ein größerer Einflussfaktor als der rein formalen Lehrpersonenbildung zugesprochen werden muss: «Frühere Schuleindrücke, Lernorientierungen und Lehrerfahrungen korrigieren und transformieren die Ausbildungsbemühungen» (ebd., S. 29). Wenig später bestätigten auch Walter Herzog und Regula van Felten (2001), dass Studierende nicht als «unbeschriebenes Blatt» in die Ausbildung zur Lehrperson eintreten, sondern «Wissensbestände unterschiedlicher Art und Qualität» in die Ausbildung mitbringen (S. 19). Dazu gehört u. a. auch ein implizites, jedoch ausgeprägtes «Beobachtungswissen», welches sich Studierende durch die eigene langjährige Erfahrung mit und Beobachtung von Schule und Unterricht angeeignet haben und sich zu «schwer aufdeckbare[n] und nicht leicht beeinflussbare[n] Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster[n]» formieren (ebd., S. 20).

Die «Übervertrautheit» mit Schule habe zur Folge, dass neues, im Verlauf der Lehrpersonenausbildung erworbenes Wissen vom bestehenden Beobachtungswissen assimiliert werde. Es fungiere als eine Art Filter, durch welchen neue Lerninhalte in das System der bestehenden Überzeugungen integriert werde (ebd., S. 21). Auch gemäß Katharina Kunze (2011) prägen (bildungs-)biografische Erfahrungen als «sinnstiftende Wahrnehmungsfolien und Deutungsroutinen» die Ausbildung handlungsleitender professioneller Orientierungs- und Deutungsmuster (S. 347). Ebenso kam Cramer (2012) kam in einer Mixed-Methods-Studie exemplarisch für das Bundesland Baden-WürttembergFootnote 15 zum Schluss, dass der «Prägung aus der eigenen Schulzeit» mit hoher Wahrscheinlichkeit eine große Bedeutung für die (berufs-)biografische Entwicklung und das professionelle Handeln als Lehrperson zukomme (ebd., S. 206).

Mit Blick auf diese Forschung sind die Ergebnisse der vorliegenden Studie von hoher Relevanz für die Forschung zur Bedeutung der Bildungsbiografie und der Vorbildung für die Ausbildung von Lehrpersonen an PH. Sie können einen Beitrag dazu leisten, wesentliche Spezifika und Charakteristika zu erhellen, die möglicherweise für die weitere Professionalisierungsforschung im Bereich Lehrpersonenbildung von Bedeutung sein könnten.

Die Ergebnisse zu den Charakteristika und Spezifika der FMS Pädagogik sind auch in praktischer Hinsicht in für verschiedene Zielgruppen relevant. Dies sind erstens Pädagogische Hochschulen als Hauptabnehmerinnen von Absolvierenden der Fachmaturität Pädagogik. Für Ausbildungsverantwortliche, Studiengangsleitende und Dozierende können die vorliegenden Ergebnisse zur besseren Kenntnis der unterschiedlichen Studierendengruppen und der Einschätzung deren Bedürfnisse im PH-Studium beitragen. Ebenso können sie eine empirisch fundierte Grundlage etwa für die Gestaltung der Studieneingangsphase darstellen.

In Anbetracht der Tatsache, dass Lehrpersonen der Sekundarstufe I seit Einführung des Deutschschweizer Lehrplans 21 Unterricht in «beruflicher Orientierung» erteilenFootnote 16, können die Ergebnisse zu den Charakteristika und Spezifika der FMS Pädagogik und des Gymnasiums ebenso in der Ausbildung von Lehrpersonen der Sekundarstufe I eingesetzt werden. Zudem können sie auch bei bereits im Berufsfeld tätigen Lehrpersonen der Sekundarstufe I zur Aufklärung über die nachfolgenden Bildungsgänge der Sekundarstufe II beitragen und eine empirisch gestützte Grundlage für die Beratung von Sekundarschüler*innen bezüglich weiterer Bildungslaufbahnen darstellen.

Ebenso zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Studie, dass die FMS Pädagogik und der gymnasiale Bildungsweg sich in wesentlichen Punkten unterscheiden und die Schüler*innen teilweise sehr unterschiedliche Orientierungen und Bedürfnisse zum Ausdruck bringen. Diese Erkenntnisse können in die Ausbildung für Lehrpersonen der Sekundarstufe II einfließen, welche später nicht nur in Gymnasien, sondern auch in Fachmittelschulen unterrichten.

Dieser Punkt ist insbesondere deshalb von Relevanz, da aufgrund der entsprechenden Zulassungsrichtlinien weder Lehrpersonen der Sekundarstufe I noch der Sekundarstufe II in der Regel selbst eine Fachmittelschulausbildung durchlaufen haben. Sie kennen diesen Schultyp nicht aus eigener Erfahrung und haben – wie es die Ergebnisse der vorliegenden Studie nahelegen – möglicherweise entsprechende Vorbehalte gegenüber diesem Schultyp und seinen Absolvierenden, die sich in Abwertungsprozessen äußern.

Die Ergebnisse dieser Studie sind auch für die Vertretungen der Fachmittelschulen selbst von Interesse. Sie äußerten in Vorgesprächen zum SNF-Projekt, in dessen Rahmen die vorliegende Studie durchgeführt wurde, einen eklatanten Mangel an Forschungsergebnissen zur FMS. Auch für Berufs- und Studienberatungsstellen können die gewonnenen Erkenntnisse für eine empirisch fundierte Beratung von Schüler*innen in Schulwahlfragen von Relevanz sein.

In Zeiten des Lehrpersonenmangels können die Ergebnisse auch eine empirisch fundierte Grundlage zur Diskussion darüber bieten, wie mehr Gymnasiast*innen für eine Ausbildung zur Primarlehrperson gewonnen werden können. Ebenso verweist die Studie darauf, dass es unter der Prämisse einer evidenzbasierten (Bildungs-)politik nicht zielführend ist, Ausbildungsplätze an der FMS oder im Fachmaturitätskurs zu beschränken, wie das manche Kantone derzeit noch tun. Ebenso wenig sinnvoll ist es angesichts der Ergebnisse, das Gymnasium länger als Königsweg in die Primarlehrpersonenbildung zu positionieren und zu valorisieren.

Im Anschluss an die vorliegende Forschung wäre zukünftig insbesondere von Interesse, inwiefern sich die in der vorliegenden Studie lediglich vermuteten Zusammenhänge zwischen Spezifika und Charakteristika der beiden untersuchten Schultypen empirisch tatsächlich in unterschiedlichen Studien- und Berufswahlen zeigen, bzw. die Studien- und Berufswahlmotive von Schüler*innen der untersuchten Profile beeinflussen.

Hierfür wäre beispielsweise ein qualitativ-längsschnittliches Forschungsdesign mit einer längerfristigen Begleitung von Schüler*innen beider Profile bis ins PH-Studium hinein eine gewinnbringende Herangehensweise. Ebenso bietet die Studie Anknüpfungspunkte für Forschung zur Bewältigung des PH-Studiums und zum Verbleib im (Primar-)lehrberuf für Studierendengruppen mit verschiedenen Zulassungsausweisen. In diesem Zusammenhang wäre die Erforschung des immer häufiger werdenden Zugangs über die Berufsmaturität (siehe Abschn. 6.1) eine wünschenswerte Ergänzung, die zum besseren Verständnis der drei hauptsächlichen Studierendengruppen in der (Primar-)lehrpersonenbildung beitragen könnte.

Insbesondere die erstaunlich ausgeprägt ausfallenden sprachregionalen Unterschiede bieten Anlass zu weiterer Forschung einerseits zu den Charakteristika und Spezifika der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils, als auch zu deren wesentlich geringerer Bedeutung für die Ausbildung von Primarlehrpersonen in der französischsprachigen Schweiz. Hier wäre beispielsweise von Interesse, ob die Ausbildung zur Primarlehrperson in diesem Teil der Schweiz generell weniger Anerkennung erfährt und worin dies begründet liegt. Zudem eröffnet sich die Frage, ob in der französischsprachigen Schweiz Absolvierende anderer Profile (gymnasiale Schwerpunktfächer oder FMS-Profile) der Sekundarstufe II bedeutendere Zubringer zum PH-Studium sind – deren Spezifika und Charakteristika dann wiederum empirisch zu beforschen wären.