Dieses Kapitel beginnt mit einer kurzen Darstellung des Status quo der Ausbildung von Primarlehrpersonen in der SchweizFootnote 1 und den entsprechenden Zulassungsbedingungen. Anschließend folgt mit Blick auf die erste Fragestellung nach dem Institutionalisierungsprozess der FMS Pädagogik der aktuelle Stand der empirischen Forschung zur historischen Entwicklung der FMS und des Gymnasiums als Zugangswege zur tertiarisierten Lehrpersonenbildung. Danach werden die beiden untersuchten Profile – die FMS Pädagogik und das musisch-pädagogische Gymnasialprofil – in ihren Grundzügen erläutert und ein aktueller Forschungsüberblick präsentiert.

Für das Verständnis der nachfolgenden Ausführungen ist wichtig zu wissen, dass im bildungsföderalistischen System der Schweiz die Kantone die Hauptverantwortung für ihr jeweiliges Bildungssystem tragen. Die kantonalen Erziehungsdirektionen (im Ausland oft Bildungsminister*innen genannt) koordinieren ihre Arbeit auf interkantonaler Ebene im Rahmen der Schweizerischen Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK).Footnote 2 Weitere Erläuterungen zum Entstehungszusammenhang, der Funktionsweise und den Rechtsgrundlagen der EDK finden sich in Abschn. 5.1.

2.1 Zugang zur Ausbildung von Primarlehrpersonen in der Schweiz

In der Schweiz findet die Ausbildung von Lehrpersonen für die Primarstufe – mit Ausnahme des Kantons Genf – an Pädagogischen Hochschulen (PH) statt. Der Bachelorabschluss ist berufsbefähigend und berechtigt zum Unterricht auf der entsprechenden Schulstufe. Der Begriff Primarstufe meint hierbei meist die ersten acht Jahre der obligatorischen Schulzeit (ISCED-Stufen 02 und 1), schließt also die üblicherweise als Kindergarten bezeichnete Vorschulstufe von zwei Jahren Dauer ein. Der Begriff Vorschulstufe wird in der vorliegenden Studie dementsprechend verwendet.

Das Studienangebot der Pädagogischen Hochschulen in der Schweiz umfasst im Bereich der Primarstufe unterschiedliche Ausbildungsgänge mit verschiedenen Unterrichtsberechtigungen (Tab. 2.1):

Tab. 2.1 Angebot Studiengänge Primarstufe an PH in der Schweiz

In Deutschland und Österreich ist ein allgemeiner Hochschulzulassungsausweis (Abitur, Matura) zwingende Voraussetzung für die Zulassung zur Ausbildung als Primarlehrperson bzw. Grund- oder Volksschullehrperson. Zusätzlich müssen Studienbewerbende aufgrund von Zulassungsbeschränkungen elektronische Selbsttests, computergestützte Eignungstests und/oder face-to-face-Eignungsabklärungen absolvieren.Footnote 3

In der Schweiz herrscht bezüglich Zulassung zur Lehrpersonenbildung in zweierlei Hinsicht eine spezielle Situation. Erstens werden an den meisten PH zwar im Verlauf des ersten Studienjahres Eignungsabklärungen durchgeführt,Footnote 4 grundsätzlich berechtigt aber das gymnasiale Maturitätszeugnis (allgemeiner Hochschulzulassungsausweis) ohne weitere Auflagen oder Tests zur direkten Zulassung zu den Studiengängen der Primarstufe, Sekundarstufe I, Logopädie und Psychomotoriktherapie an PH und Universitäten.

Zweites Spezifikum ist, dass für den Studiengang Primarstufe zusätzlich auch die Fachmaturität Pädagogik zur direkten, prüfungsfreien Zulassung zum Studium berechtigt.Footnote 5 Die PH sind seit Inkrafttreten des Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetzes (HFKG) seit 2015 bundesrechtlich dazu verpflichtet, die Fachmaturität Pädagogik als Zulassungsausweis zum Bachelorstudiengang Primarstufe anzuerkennen. Seit 2020 sind die PH neben bundesrechtlicher auch auf der Ebene der interkantonalen Koordination per EDK-Anerkennungsreglement zur Zulassung von Personen mit Fachmaturität Pädagogik verpflichtet, wenn sie ein schweizweit anerkanntes Lehrdiplom ausstellen möchten (EDK 2019). Damit stellen sowohl das Gymnasium mit der gymnasialen Maturität als auch die Fachmittelschule mit der Fachmaturität Pädagogik heute zwei funktional äquivalente Zugangswege in die Ausbildung von Primarlehrpersonen darFootnote 6, wie sie im Folgenden grafisch dargestellt ist (Abb. 2.1):

Abb. 2.1
figure 1

(Vereinfachte Darstellung des Schweizer Bildungssystems mit Fokus auf Sekundarstufe II und Tertiärstufe. Die dargestellten Zugänge beziehen sich auf das FMS-Profil Pädagogik mit Fachmaturität Pädagogik sowie das Gymnasium (unabhängig vom Schwerpunktfach) im Hinblick auf den Studiengang Primarstufe an PH. Die anderen FMS-Profile und Fachmaturitäten (z. B. Gesundheit, Soziale Arbeit etc.) ermöglichen andere Zugänge als die dargestellten. Ebenso haben andere PH-Studiengänge (z. B. Sekundarstufe I) andere Zulassungsvoraussetzungen. Quelle: eigene Darstellung)

Wege in die Primarlehrpersonenbildung an PH.

2.2 Zugang zur Ausbildung von Primarlehrpersonen aus historischer Perspektive

Diese Äquivalenz von FMS Pädagogik und Gymnasium hinsichtlich der prüfungsfreien Zulassung zum Bachelorstudium Primarstufe ist jedoch keineswegs selbstverständlich. Historisch betrachtet war die Bedeutung der beiden Schultypen für die (Primar-)lehrpersonenbildung höchst unterschiedlich.

2.2.1 Das Gymnasium als Königsweg im Kontext der Reform der Lehrpersonenbildung

Die historische Entwicklung der Lehrpersonenbildung sowie der Bedeutung und Entwicklung der Gymnasien in diesem Kontext erforschten insbesondere Lucien Criblez und seine Mitarbeitenden Flavian Imlig, Regula Weniger und Christina Huber im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten Projekts «Kantonale Lehrerbildungsreform und gesamtschweizerische Diplomanerkennung» (2008–2001). Sie beschäftigten sich mit dem Wandel der schweizerischen Lehrpersonenbildung und analysierten die Reformprozesse mit Fokus auf Fragen der Bildungsgovernance. Einen spezifischen Fokus auf die Genese und Entwicklung des Schwerpunktfachs Philosophie/Pädagogik/Psychologie (PPP) legte Dominik Mombelli-Matthys (2011) und bezog sich dabei teilweise auf Vorarbeiten durch Gérald Robin (2002), welcher sich der Untersuchung der Fächer Psychologie und Pädagogik als neue Schwerpunktfächer der Maturitätsausbildung widmete. Ergebnisse dieser Arbeiten, die für den Kontext des Institutionalisierungsprozesses der FMS Pädagogik angesichts des gymnasialen «Königswegs» relevant sind, sind direkt in die Analyse in Kap. 5 einbezogen. Der nächste Abschnitt fasst die wichtigsten Forschungsergebnisse zur Bedeutung des Gymnasiums bzw. des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils für die Lehrpersonenbildung zusammen.

Seit circa 1830 bis in die 1990-er Jahre hinein dominierte in der Schweiz für die Ausbildung von Lehrpersonen der Volksschule das seminaristische Ausbildungsmodell auf der nachobligatorischen Sekundarstufe II im Anschluss an die Volksschule.Footnote 7 Als Stärken des sogenannten Lehrer*innenseminars wurden die frühe Rekrutierung pädagogisch interessierter Jugendlicher, eine für den Lehrberuf entsprechende Bildung der Persönlichkeit und die dafür dienliche Überschaubarkeit der Institutionen, die Einheit von Allgemein- und Berufsbildung mit Fokus auf den später zu unterrichtenden Lehrplan sowie der frühe Kontakt mit der Berufspraxis hervorgehoben (Criblez 2010, S. 37, 44). Ein hoher Stellenwert wurde den pädagogischen, musisch-kreativen und handwerklichen Fächern zugeschrieben (Müller 1975, S. 76 f.) – Pädagogik und Psychologie etwa galten als «berufsbildende Fächer der Primarlehrerinnen- und Primarlehrerausbildung» (Mombelli-Matthys 2011, S. 67).

Mit der Tertiarisierungsreform der Lehrpersonenbildung ab Ende der 1990-er JahreFootnote 8 wurde das seminaristische Modell endgültig aufgelöst und die Ausbildung aller Lehrpersonen auf Tertiär- bzw. Hochschulstufe angehoben (ausführlich hierzu siehe Abschn. 5.1.4). In Kantonen mit bis anhin seminaristischer Ausbildung wurden die ehemaligen Lehrer*innenseminare in Gymnasien umgewandelt (Criblez und Lehmann 2016, S. 55). In diesem Kontext ermöglichte die Revision der Maturitätsanerkennungsvereinbarung von 1995 (EDK 1995b) durch die neu eingeführten Schwerpunktfächer Musik, Bildnerisches Gestalten und Philosophie/Pädagogik/Psychologie (PPP)Footnote 9 die Weiterführung musisch-pädagogischer Schwerpunkte auf der Sekundarstufe II und versah sie mit einer allgemeinen Hochschulzulassungsberechtigung.Footnote 10 Durch die Auflösung der Lehrer*innenseminare freiwerdende materielle und personelle Ressourcen wurden in die gymnasiale Schwerpunktfachausbildung überführt:

Die Mutter des Gedankens, Pädagogik und Psychologie zu einem Maturitäts-Fachbereich zu machen, war natürlich der Überlebensdrang der Strukturen der Lehrerbildung auf der Sekundarstufe II, also der Seminare und ihrer PP-Lehrer, in Hinsicht auf die Umwandlung der Lehrerbildung in eine postmaturitäre PH. Ohne PP als Maturabereich wären dutzende von PP-Lehrern arbeitslos geworden. (Strittmatter 2009; zit. nach Mombelli-Matthys 2011, S. 67 f.)

Für diejenigen Kantone, welche sich für das Angebot des Schwerpunktfachs PPP entschieden, war die Nutzung dieser bereits vorhandenen Ressourcen ein zentrales Motiv (Mombelli-Matthys 2011, S. 211; Robin 2002, S. 143). Mehrere Kantone wandelten ihre Lehrer*innenseminare direkt in Gymnasien mit Schwerpunktfach PPP um (Mombelli-Matthys 2011, S. 100). Zudem sollte durch die Einführung des Schwerpunktfachs PPP auch ein «berufspropädeutisches Angebot» geschaffen werden (ebd.). Andere Kantone lehnten diese berufspropädeutische Logik allerdings ab oder waren der Meinung, dass die Vorbereitung auf die Ausbildung zur Lehrperson bereits durch die Diplommittelschule (DMS), die Vorgängerinstitution der FMS, genügend abgedeckt sei (ebd.). Zudem könnten am Lehrberuf interessierte Schüler*innen das musisch-pädagogische Gymnasialprofil besuchen (ebd.).

Das neu eingeführte musisch-pädagogische Gymnasialprofil wurden im Rahmen der Tertiarisierung der Lehrpersonenbildung auf Sekundarstufe II als «neue Möglichkeit der Vorbereitung auf den berufsbildenden Teil der LLB» an Pädagogischen Hochschulen, als «bereichsspezifische Vorbildung für die tertiäre LLB» und als «funktionales […] Äquivalent» zu den ehemaligen Primarlehrer*innenseminaren (Criblez und Lehmann 2016, S. 55) institutionalisiert. Eine gymnasiale Maturität im musisch-pädagogischem Profil wurde in der Folge auch als «Lehramtsmatur» bezeichnet (Criblez 2018). Selbst die EDK betonte die Vorbereitungsfunktion dieses Profils für die Ausbildung von Lehrpersonen:

Unter der neuen Maturitäts-Anerkennungs-Verordnung werden die heutigen Seminare solche [zum allgemeinen Hochschulzugang führende, S.H.] Ausbildungsgänge anbieten und damit auf die Pädagogischen Hochschulen vorbereiten können als Maturitätsschulen mit besonderem Akzent im pädagogischen, sozialwissenschaftlichen und musischen Bereich. (EDK 1993a, S. 15, Herv. S.H.)

Im Kanton Fribourg wurde im Rahmen der Tertiarisierung der Lehrpersonenbildung empfohlen, dass Maturand*innen ohne besondere Kenntnisse im artistischen, sportlichen oder psychologischen Bereich entsprechende Fähigkeiten im Studium nachholen müssten (Robin 2002, S. 143). Damit wurde das Belegen eines der Schwerpunktfächer Musik, Bildnerisches Gestalten oder PPP zwar nicht zur Zulassungsbedingung, aber zur Empfehlung für den Eintritt in die PH (ebd). Vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklungen war die Bezeichnung und Wahrnehmung des Gymnasiums als «Königsweg» (EDK 2005) in die tertiarisierte Lehrpersonenbildung wenig verwunderlich.

Diese Studie fokussiert sich auf die Institutionalisierung der FMS Pädagogik im gesamtschweizerischen, bzw. interkantonalen Kontext. Für die jeweiligen kantonalen Prozesse der Umwandlung von seminaristischer zu tertiarisierter Lehrpersonenbildung sei auf bestehende Forschung zu den Kantonen Zürich (Criblez 2000; Grube und Hoffmann-Ocon 2015; Lehmann 2016), Aargau (Metz 2000, 2001; Huber 2016a), Bern (Criblez 2015a; Weniger 2016), Fribourg (Imlig 2016a), Genf (Imlig 2016b), Zug (Huber 2016b), St. Gallen (Oggenfuss 2016), Waadt (Petitpierre 2010), Graubünden (Lehmann und Tanner 2016), Wallis (Périsset Bagnoud 2000) sowie für die Region Zentralschweiz (Diebold 2000) und die französische Schweiz (Lussi Borer 2017) verwiesen.Footnote 11

2.2.2 Die Diplom- oder Fachmittelschule als Zubringerin zur Lehrpersonenbildung

Die Tertiarisierungsreform der Lehrpersonenbildung Ende der 1990-er Jahre betraf auch die Ausbildung von Lehrpersonen des Kindergartens, der Handarbeit oder Hauswirtschaft, die bisher zwischen Sekundarstufe II und Tertiärstufe angesiedelt war. Für sie galt teilweise ein Mindesteintrittsalter von 18 Jahren, formal war zum Eintritt jedoch kein Schulabschluss der Sekundarstufe II nötig (Criblez 2010, S. 44).

Ein Überblick über die um 1990 vorherrschenden Modelle der Ausbildung von Lehrpersonen und deren Zulassungsbedingungen (Badertscher 1993) zeigt, dass vor der Tertiarisierung der Lehrpersonenbildung in etlichen Kantonen die Diplommittelschule (DMS) – die Vorgängerin der Fachmittelschule – ein üblicher Weg in die Ausbildung zur Kindergartenlehrperson war. In den Kantonen Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Waadt war aus der DMS auch der Zugang in die Primarlehrpersonenbildung möglich (ebd.). Ebenso konnten an der städtischen Töchterschule – der Vorgängerinstitution der DMS – des Kantons St. Gallen die ersten vier Ausbildungsjahre zur Primarlehrperson absolviert werden (Oggenfuss 2016, S. 182).Footnote 12

Für manche Kantone war die vorbereitende Funktion der DMS bezüglich Lehrpersonenbildung sogar ein Grund für die Ablehnung des gymnasialen Schwerpunktfachs PPP (s. o.), da man ihre bildungspolitische Stellung und Bedeutung für die Lehrpersonenbildung nicht gefährden wollte (Mombelli-Matthys 2011, S. 88) und die DMS als geeignetere Anbieterin eines pädagogischen Mittelschulprofils erachtete (ebd., S. 92). Dies bleiben allerdings die einzigen Forschungsergebnisse, welche die Dynamik zwischen Diplom- respektive Fachmittelschule und dem musisch-pädagogischen Gymnasialprofil bezüglich ihrer Vorbereitungsfunktion für die tertiarisierte Lehrpersonenbildung thematisieren.

Die DMS bereitete bis Ende 1990 überwiegend junge FrauenFootnote 13 auf Berufsausbildungen im pädagogisch-erzieherischen, sozialen und paramedizinischen Bereich vor (Criblez und Lehmann 2016, S. 57). Durch die Neustrukturierung des tertiären Bildungsbereichs (Schaffung von FH und PH) und die Einführung von BerufslehrenFootnote 14 im Sozial- und Gesundheitsbereich kam die DMS allerdings unter Legitimationsdruck (ebd.; Lehmann 2013, S. 28). Was dies für die DMS und spätere FMS im Bereich der Gesundheitsausbildungen bedeutete, beschreiben Raffaella Esposito et al. (2019) sowie Esposito (2022).

Auch die Ausbildungsgänge zur Lehrperson des Kindergartens, der Handarbeit oder Hauswirtschaft, auf welche die DMS bisher vorbereitet hatte, wurden neu auf die Tertiär- resp. Hochschulstufe angehoben. Für diese nun hochschulisch organisierten Ausbildungsgänge war im Kontext der Reform zu klären, welche Diplome der Sekundarstufe II zur Zulassung zu diesen Studiengängen berechtigten – und ob die DMS weiterhin dazugehörte (Criblez 2010, S. 44). Die Folgen dieser Entwicklungen sind Gegenstand der Analyse in Kap. 5.

Obwohl die Tertiarisierungsreform in der Lehrpersonenbildung stark harmonisierend auf die verschiedenen Ausbildungssysteme der einzelnen Kantone wirkte, konnten sich die Kantone auf keine einheitliche PH-Zulassungsregelung einigen (Lehmann 2013, S. 130; Criblez und Lehmann 2016, S. 56). In der Folge pflegten die PH längere Zeit sehr unterschiedliche Regelungen bezüglich alternativer Zulassungswege neben der gymnasialen Maturität (Criblez und Lehmann 2016, S. 56; Criblez 2010, S. 49). Dies betraf auch die Anerkennung von DMS-Diplomen als Zulassungsausweis zur PH. Vor allem in Kantonen, in denen angehende Lehrpersonen bisher über die gymnasiale Maturität in die Ausbildung gelangt waren, wollten die PH lange nur den Zugang über den gymnasialen Weg, nicht aber die DMS und später die FMS erlauben (Kiener 2004, S. 31; Capaul und Keller 2014, S. 29).

Zusätzliche Dynamik in die Diskussion (Lehmann 2013, S. 139) brachte die Einführung der Fachmaturität im Jahr 2003 (siehe Abschn. 5.3.1), welche für die Zulassung zur Lehrpersonenbildung eine «Erweiterung der Allgemeinbildung» vorsah (Criblez und Lehmann 2016, S. 57). Heftig diskutiert wurde in diesen Jahren die Frage, «ob ein Abschluss der Diplommittelschule bzw. der Fachmittelschule oder der Fachmatur zur Zulassung zu den Studiengängen der Lehrpersonenbildung an pädagogischen Hochschulen ohne zusätzliche Auflagen berechtigt, und wenn ja, zu welchen Studiengängen» (ebd.). Die Haltung der Kantone und ihrer Institutionen der Lehrpersonenbildung zu diesen Fragen waren höchst unterschiedlich. Die entsprechenden Klärungsversuche werden in Kap. 5 skizziert.

Zusammenfassung

Bezüglich der historischen Bedeutung der beiden untersuchten Bildungsprofile für die Ausbildung von Primarlehrpersonen zeigt der Forschungsstand zusammengefasst, dass das musisch-pädagogische Gymnasialprofil (Schwerpunktfächer Musik, Bildnerisches Gestalten und PPP) die in Auflösung befindlichen Lehrer*innenseminare funktional ersetzen sollte. Seine Einführung erlaubte die Übernahme institutioneller Strukturen und personeller Ressourcen der ehemaligen Lehrer*innenseminare, und das Gymnasium wurde in der FolgeFootnote 15 als «Königsweg» in die tertiarisierte Lehrpersonenbildung positioniert.

Ebenso zeigen Forschungsergebnisse, dass die DMS als Vorgängerin der FMS zwar traditionell auf erzieherisch-pädagogische Berufe vorbereitete und vielerorts Zugang zur Ausbildung von Lehrpersonen des Kindergartens, der Hausarbeit und Handwirtschaft bot. Dieser Zugang wurde aber im Kontext der Reform der Lehrpersonenbildung in Frage gestellt und die Position und Zugangsberechtigung der DMS in die neu hochschulische Ausbildung von Lehrpersonen musste geklärt werden. Zu diesem Prozess der Infragestellung und der anschließenden Institutionalisierung der FMS Pädagogik, der schließlich zur heutigen funktionalen Gleichwertigkeit gegenüber dem gymnasialen Bildungsweg beim Zugang zur Ausbildung von Primarlehrpersonen führte, existiert allerdings keine empirische Forschung. Dieser angesichts der historischen Ausgangslage durchaus erklärungsbedürftige Institutionalisierungsprozess der FMS Pädagogik stellt eine Forschungslücke dar, welche mit der vorliegenden Studie geschlossen wird.

2.3 Gymnasium und FMS Pädagogik: Merkmale und institutionelle Eckwerte

Sowohl die FMS als auch das Gymnasium sind allgemeinbildende, vollzeitschulische Mittelschulen auf der Sekundarstufe II. Entsprechend der (bildungs-)föderalistischen Tradition der Schweiz sind die Kantone für ihr jeweiliges Schulwesen zuständig. Daher unterstehen sowohl Gymnasien als auch FMS kantonaler Regelungskompetenz. Sie variieren in den jeweils angebotenen Schwerpunktfächern, FMS-Profilen und deren profilspezifischen Fächern sowie den entsprechenden Stundendotationen.

Da die Kantone auch die Aufnahme- und Zulassungsbedingungen in die allgemeinbildenden Mittelschulen selbst definieren, variieren diese ebenfalls kantonal. Generell werden hierbei die schulischen Leistungen der Schüler*innen herangezogen – Gesamtbeurteilungen, Noten, Aufnahmeprüfungen oder eine Kombination dieser Instrumente sind möglich (Cortesi 2017; EDK-IDES 2017, S. 2). Es existieren jedoch meist mehrere Wege, um an ein Gymnasium oder eine FMS zu gelangen (ebd.). Dabei sind die Eintrittsvoraussetzungen und Übertrittsbedingungen für die FMS jeweils niedriger als für die Gymnasien (EDK-IDES 2017).

2.3.1 Der Weg über das musisch-pädagogische Gymnasialprofil

Die vom GymnasiumFootnote 16 verliehene gymnasiale Maturität ist eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung und ermöglicht den prüfungsfreien Übertritt in die meisten Studiengänge an PH und Universitäten.Footnote 17 Die gymnasiale Ausbildung dauert in der Schweiz im Anschluss an die Primarschule sechs Jahre (Langzeitgymnasium) oder im Anschluss an die Sekundarstufe I drei bis vier Jahre (Kurzzeitgymnasium). Für die letzten drei bis vier Jahre der Maturitätsausbildung entscheiden sich die Schüler*innen den persönlichen Interessen entsprechend für ein sogenanntes Schwerpunktfach als vertiefendes Pflichtwahlfach. Im letzten Jahr wählen die Schüler*innen zusätzlich ein Ergänzungsfach und verfassen eine schriftliche Arbeit (Maturaarbeit) zu einem frei gewählten Thema.

Das Schwerpunktfachangebot umfasst alte Sprachen, eine moderne Sprache, Physik und Anwendungen der Mathematik, Biologie und Chemie, Wirtschaft und Recht, Philosophie/Pädagogik/Psychologie (PPP), Bildnerisches Gestalten und Musik, wobei die Auswahl und Anzahl der angebotenen Schwerpunktfächer den Gymnasien als kantonal geregelten Schulen selbst überlassen bleibt (EDK 1995b, S. 5). Kantonale Unterschiede in der gymnasialen Ausbildung basieren im Wesentlichen auf Unterschieden in der Kombination der angebotenen Grundlagen-, Schwerpunkt- und Ergänzungsfächer sowie in den Eintrittsverfahren (Cortesi 2017, S. 233).

2.3.1.1 Institutionelles Angebot und Nutzung

Die Ursprünge der 1995 neu eingeführten musisch-pädagogischen Schwerpunktfächer Musik, Bildnerisches Gestalten und PPP in den ehemaligen Lehrer*innenseminaren der Sekundarstufe II wurden mehrfach bestätigt (Ramseier et al. 2005, S. 153 f.; Mombelli-Matthys 2011; Criblez 2010). Stefan Denzler, Ursula Fiechter und Stefan C. Wolter (2005, S. 578) stellen beispielsweise fest, dass diese drei Schwerpunktfächer im Jahr 2005 vorwiegend von denjenigen Gymnasien angeboten wurden, welche in ehemaligen Lehrer*innenseminaren wurzeln. Auch in der gesamtschweizerischen Evaluation der Maturitätsreform im Jahr 2005 (EVAMAR I) wurde das musisch-pädagogische Profil als «besonders interessant» für diejenigen Schüler*innen bezeichnet, welche den Lehrberuf anstreben (Ramseier et al. 2005, S. 72).

Das Angebot der gymnasialen Schwerpunktfächer wurde erstmals im Jahr 2000 systematisch erhoben. Von damals 134 anerkannten Gymnasien boten 66 das Schwerpunktfach Bildnerisches Gestalten, 62 das Schwerpunktfach Musik und mit 27 nur knapp halb so viele das Schwerpunktfach PPP an (Breitler und Stauffer 2000). Erich Ramseier et al. (2005) bestätigten diese Zahlen im Rahmen der Evaluation der Maturitätsreform (EVAMAR I), ebenso Mombelli-Matthys (2011) spezifisch für das Schwerpunktfach Philosophie/Pädagogik/Psychologie (PPP). Seine Untersuchung ergab zudem, dass das Angebot des Schwerpunktfachs PPP auch innerkantonal ausgebaut und im Zeitverlauf an immer mehr Schulen angeboten wurde (ebd., S. 81). Dies widerspiegelt sich in der Untersuchung von Franz Eberle und Christel Brüggenbock (2013, S. 43), welche das Schwerpunktfach PPP an inzwischen 36 Gymnasien, Bildnerisches Gestalten an 92 und Musik an 81 Schulen nachwiesen. Insgesamt wurde das Angebot dieser Schwerpunktfächer also ausgebaut, wobei PPP immer noch bedeutend seltener als Bildnerisches Gestalten und Musik angeboten wird (Tab. 2.2):

Tab. 2.2 Anzahl Gymnasien mit Angebot musisch-pädagogischer Schwerpunktfächer, 2000 vs. 2013

Obwohl das Schwerpunktfach Philosophie/Pädagogik/Psychologie im Jahr 2013 an bedeutend weniger Schulen als die Schwerpunktfächer Musik und Bildnerisches Gestalten angeboten wurde, wird es von Gymnasiast*innen häufiger gewählt als das Schwerpunktfach Musik. Im Jahr 2018 wurden acht Prozent aller gymnasialen Maturitätszeugnisse im Fach Bildnerisches Gestalten, sieben Prozent im Fach PPP und fünf Prozent im Fach Musik vergeben (BFS 2019b). Damit rangieren diese drei Schwerpunktfächer abgesehen vom Schwerpunktfach Latein als Schlusslichter; am meisten Maturitätszeugnisse wurden mit 22 % im Schwerpunktfach Wirtschaft und Recht ausgestellt (ebd.). Laut Ramseier et al. (2005) liegt die tiefe Anzahl Maturitätszeugnisse im Schwerpunktfach PPP in dessen begrenztem Angebot begründet (siehe oben), denn das Fach als solches erweist sich im Verhältnis zur Angebotsstruktur als sehr beliebt bei den Gymnasiast*innen (Ramseier et al. 2005, S. 69).

2.3.1.2 Inhaltliches Profil

Zum inhaltlichen Profil der Schwerpunktfächer Musik, Bildnerisches Gestalten und Philosophie/Pädagogik/Psychologie (PPP) existieren kaum empirische Studien. Peter Bonati (2017) untersuchte im Rahmen seiner Evaluationsstudie zu Lehrplänen an Schweizer Gymnasien unter anderem die «Konkretheit» von Fachlehrplänen in verschiedenen Fachbereichen. Dabei wurde der Fachlehrplan des Schwerpunktfachs PPP nur zu 55,8 % als «ausreichend konkret» und zu 41,9 % «mehrere Fachgebiete [als, S.H.] zu wenig konkret» beurteilt (ebd., S. 118). Im Schwerpunktfach Musik wurde der Fachlehrplan nur zu 38,7 % als «ausreichend konkret» und in Bildnerischem Gestalten zu 30,4 % als «ausreichend konkret» bezeichnet (ebd., S. 122).

Für die vorliegende Studie ist dies relevant, da ein wenig konkreter Lehrplan den Lehrpersonen viel Spielraum bezüglich Auswahl von Bildungsinhalten und deren Vermittlung lässt. So sind einerseits große kantonale Unterschiede in den Lehrplänen an sich zu erwarten. Andererseits bleibt eine explizite Ausrichtung auf den Lehrberuf – da diese programmatisch im Rahmen der «nicht ausreichend konkreten Lehrpläne» nicht vorgegeben ist – unwahrscheinlich und könnte somit gegebenenfalls zur Erklärung der unterschiedlichen Bedeutung von Gymnasium und FMS für die Ausbildung von Primarlehrpersonen beitragen.

Für das Schwerpunktfach Philosophie/Pädagogik/Psychologie zeigte Mombelli-Matthys (2011, S. 110) entsprechend, dass sich verschiedene von ihm untersuchte Kantone für unterschiedliche Modelle der Lektionendotation sowie deren Aufteilung auf die Fachbereiche Philosophie, Pädagogik und Psychologie entschieden. Bezüglich der Bildungsinhalte stellt Mombelli-Matthys (2011) auf Basis einer Lehrplananalyse fest, dass im Lehrplan mehr psychologische als pädagogische Themen enthalten sind und dem Teilbereich Pädagogik insgesamt weniger Bedeutung zukommt:

Die Abdeckung von Grundlagen scheint in der Pädagogik weniger gesichert als in der Psychologie [...]. Weiter sind zentrale pädagogische Gegenstände wie Schule und Unterricht nicht in den Lehrplänen enthalten, was vielleicht mit der expliziten Distanzierung des gymnasialen Bildungswegs zur beruflichen Ausbildung (MAR 1995, Art. 5, Abs. 1) zusammenhängt. (Mombelli-Matthys 2011, S. 151, Herv. S.H.)

Diese vermutete Abgrenzung gegenüber einer berufspropädeutischen Logik entspricht der Haltung derjenigen Kantone, welche die Einführung des Schwerpunktfachs Philosophie/Pädagogik/Psychologie ablehnten und pädagogisch interessierte Jugendliche besser in der FMS aufgehoben sahen (siehe Abschn. 2.2.1). Andererseits widerspricht dies der Logik, nach der das musisch-pädagogische Gymnasialprofil die ehemaligen Lehrer*innenseminare funktional ersetzen sollte.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Angebot des Schwerpunktfachs Philosophie/Pädagogik/Psychologie im Kontrast zu Musik und Bildnerischem Gestalten quantitativ überschaubar bleibt, es bei den Schüler*innen aber durchaus beliebt ist. Obwohl die Einführung des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils dem funktionalen Ersatz der ehemaligen Lehrer*innenseminare und der Überführung ihrer materiellen und personellen Ressourcen dienten, deuten die Ergebnisse von Mombelli-Matthys (2011) darauf hin, dass dem Fachbereich Pädagogik im Rahmen des gymnasialen Schwerpunktfachs PPP nur geringe Bedeutung zukommt – sowohl im Lehrplan als auch in organisatorischen Aspekten der Stundendotation oder Prüfungsorganisation (ebd.).

Dies verweist auf eine Abgrenzung zu einer berufspropädeutischen Logik im Sinne einer spezifischen Vorbereitung auf den Lehrberuf oder die PH-Ausbildung. Dass die Lehrpläne der drei musisch-pädagogischen Schwerpunktfächer zudem wie von Bonati (2017) gezeigt nicht «ausreichend konkret» sind und dadurch den Kantonen und Schulen viel Spielraum in der Umsetzung lassen, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Fachbereich Pädagogik und entsprechende Verknüpfungen mit dem Lehrberuf oder einer PH-Ausbildung nur marginal bleiben. Diese Erkenntnisse können als Hinweise auf erste Antworten bezüglich der Frage nach der (unterschiedlichen) Bedeutung des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils und der FMS Pädagogik betrachtet werden.

2.3.1.3 Übertrittsquoten aus dem musisch-pädagogischen Gymnasialprofil in die PH

Die bisher skizzierten Forschungsergebnisse sprechen mit Fokus auf den funktionalen Ersatz der ehemaligen Lehrer*innenseminare durch das musisch-pädagogische Gymnasialprofil einerseits für, mit Blick auf die Ablehnung einer berufspropädeutischen Logik und das geringe Gewicht des Teilbereichs Pädagogik im Schwerpunkfach Philosophie/Pädagogik/Psychologie aber auch gegen eine hohe Bedeutung des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils als PH-Zubringer. Beides widerspiegelt sich in den Übertrittsquoten in die Pädagogischen Hochschulen.

Insgesamt treten nur 8 % aller Gymnasiast*innen in eine PH über (Babel et al. 2018, S. 28) und Gymnasiast*innen leisten keinen Beitrag zum Wachstum der PH-Studierendenzahlen der letzten Jahre (Denzler 2018). Betrachtet man alle Gymnasiast*innen, interessieren sich im musisch-pädagogischen Gymnasialprofil am meisten Jugendliche für ein PH-Studium (Denzler und Wolter 2009, S. 429; Denzler et al. 2005, S. 581; Ramseier et al. 2005, S. 126; Mombelli-Matthys 2011, S. 165).

Der Anteil der ins Lehramtsstudium übertretenden Jugendlichen aus diesem Profil scheint aber über die Jahre gesunken zu sein. Von 1203 Studierenden, die im Jahr 2007 eine Maturität im musisch-pädagogischen Gymnasialprofil erworben hatten, entschieden sich 26 % der Absolvierenden des Schwerpunktfachs Philosophie/Pädagogik/Psychologie und 20 % der Absolvierenden der musisch-gestalterischen Schwerpunktfächer für ein PH-Studium (Oepke 2017, S. 469).

Von denjenigen Absolvierenden, die 2012 eine Maturität im musisch-pädagogischen Profil erworben hatten, entschieden sich 19 % der Absolvierenden des Schwerpunktfachs Musik, 18 % der Absolvierenden aus dem Schwerpunkfach PPP und 13 % der Absolvierenden des Schwerpunktfachs Bildnerisches Gestalten innerhalb von 42 Monaten für eine Lehramtsausbildung (Babel et al. 2018, S. 28).

Diese Zahlen verweisen darauf, dass die Pädagogische Hochschule nicht die hochschulische Hauptabnehmerin des musisch-pädagogischen Profils ist (ebd.). Auch Mombelli-Matthys (2011) zeigt, dass sich nur halb so viele der 438 befragten Schüler*innen der Kantone Aargau, Bern und Luzern für eine PH-Ausbildung wie für sozial- oder geisteswissenschaftliche Studiengänge an einer Universität interessierten (S. 163 f.). Daraus schlussfolgert Mombelli-Matthys, dass «das Schwerpunktfach PPP für die Lernenden nur begrenzt die Bedeutung eines gymnasialen Zubringerprofils für die Lehrkräfteausbildung» habe (ebd., S. 165). Aus Sicht der PH erweisen sich die Schwerpunktfächer im Bereich moderne Sprachen in absoluten Zahlen gemessen als quantitativ bedeutsamere Zubringerprofile als das musisch-pädagogische Profil (Ingrisani 2014, S. 301; SKBF 2018, S. 260).

Es ist bisher empirisch nicht erforscht, wie viele der Absolvierenden eines musisch-pädagogischen Gymnasialprofils spezifisch in den PH-Studiengang Primarstufe eintreten, und für welche anderen Studiengänge an Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen sich diese Gymnasiast*innen entscheiden. Auf der Website des Bundesamts für Statistik publizierte Daten zeigen zwar, dass «Geisteswissenschaften und Künste», «Sozialwissenschaften, Journalismus und Informationswesen» sowie «Wirtschaft, Verwaltung und Recht» von den Absolvierenden des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils am häufigsten gewählt werden (BFS 2019d). Inwiefern es sich dabei aber um mit dem gymnasialen Schwerpunktfach inhaltlich verwandte Studiengänge wie etwa Musikwissenschaft, Kunstwissenschaft oder philosophische, psychologische sowie erziehungswissenschaftliche Studiengänge handelt, ist nicht ersichtlich.

Auch diese Forschungslücke schließt die vorliegende Studie, indem auf Basis von Bildungsverlaufsdaten gezeigt wird, in welche Studiengänge an Universitäten, FH und PH die Absolvierenden des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils übertreten (siehe Kap. 6). Damit können Hinweise darauf gewonnen werden, ob beispielsweise Absolvierende des Schwerpunktfachs Philosophie/Pädagogik/Psychologie zwar pädagogische Interessen haben, diesen aber nicht an einer Pädagogischen Hochschule, sondern im Rahmen eines erziehungswissenschaftlichen, sonderpädagogischen oder psychologischen Studiengangs an der Universität nachgehen – oder ob sie sich für fachbereichsfremde Studiengänge entscheiden.

2.3.1.4 Merkmale von Gymnasiast*innen, die sich für ein PH-Studium entscheiden

Wie im vorhergehenden Kapitel erläutert, haben PH-Studierende mit einer gymnasialen Maturität mit hoher Wahrscheinlichkeit das musisch-pädagogischen Gymnasialprofil besucht. Ebenfalls breit erforscht sind soziale Merkmale, Berufs- und Studienwahlinteressen sowie kognitive Leistungen von Gymnasiast*innen, welche ein Studium an einer Pädagogischen Hochschule aufnehmen.

2.3.1.4.1 Soziale Merkmale

Gymnasiast*innen, die sich für ein PH-Studium entscheiden, zeichnen sich durch bestimmte soziale Merkmale aus. Die Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung befragte im Jahr 2006 gemeinsam mit der PH Zürich 1460 Gymnasiast*innen kurz vor dem Erwerb der gymnasialen Maturität zu ihrer Studienwahl bzw. Studieninteressen. Die Ergebnisse zeigen ebenso wie weitere empirische Studien aus der Schweiz, dass Gymnasiast*innen, die sich für ein PH-Studium interessieren, überdurchschnittlich häufig weiblich sind und aus statustieferen Schichten bzw. einem nicht-akademischen Elternhaus stammen (Bieri Buschor et al. 2008a, b; Denzler et al. 2005; Denzler und Wolter 2008a, b, S. 15, 2009; Keck Frei et al. 2012; Périsset Bagnoud und Ruppen 2012; Ingrisani 2014, S. 302).

Damit repräsentieren diese Gymnasiast*innen die sozialen Merkmale von PH-Studierenden: Lediglich ein Viertel aller PH-Studierenden hat Eltern, die eine hochschulische Ausbildung abgeschlossen haben, und über ein Drittel hat Eltern mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung als höchsten Bildungsabschluss (Fischer et al. 2017, S. 18). Im Kontrast dazu betragen diese Anteile an Universitäten 52 % (Eltern mit Hochschulabschluss) respektive 22 % (Eltern mit Berufslehre als höchstem Abschluss) (ebd.). Zudem sind – ebenso wie bei den am PH-Studium interessierten Gymnasiast*innen – Männer untervertreten: 72 % aller PH-Studierenden sowie 81 % aller Studierenden des Studiengangs Primarstufe sind weiblich (BFS 2019c).

2.3.1.4.2 Motivation für die Schwerpunktfachwahl

Die Evaluation der Maturitätsreform von 1995 (EVAMAR I) zeigte, dass die wichtigsten Motive für die Schwerpunktfachwahl das Interesse am gewählten Fach sowie die eigenen Fähigkeiten sind (Ramseier et al. 2005, S. 82 f.). Hierbei ließ sich beim musisch-pädagogischen Gymnasialprofil von allen Schwerpunktfächern der größte Zusammenhang zwischen Fachinteresse und Schwerpunktfachwahl nachweisen (ebd., S. 85). Am wenigsten relevant erwiesen sich bei der Wahl dieses Profils die Motive der Nützlichkeit für die spätere Karriere und für spätere Ausbildungsmöglichkeiten (ebd.).

Mombelli-Matthys (2011) bestätigte diese Ergebnisse auf der Datengrundlage der 438 von ihm befragten Schüler*innen des Schwerpunktfachs PPP des Abschlussjahrgangs 2008. Auch in seiner Stichprobe waren das Entfalten eigener Stärken respektive Fähigkeiten sowie das Interesse am gewählten Schwerpunktfach die wichtigsten Wahlmotive (S. 207). Obwohl sich vor der Schwerpunktfachwahl nur ein Drittel der Schüler*innen gründlich und ein Fünftel hingegen kaum über das Schwerpunktfach Philosophie/Pädagogik/Psychologie informierte (ebd.), nahm das fachliche Interesse der befragten Schüler*innen während der gymnasialen Ausbildung zu (ebd.). Dies deutet darauf hin, dass die schulische Sozialisation im Laufe der Schwerpunktfachausbildung entsprechende fachliche Interessen prägt und verstärkt. Für das musisch-pädagogische Gymnasialprofil scheint also fachliches Interesse eines der wichtigsten und sich im Verlauf der gymnasialen Ausbildung verstärkenden Wahlmotive zu sein. Die Verknüpfung mit einer späteren PH-Ausbildung oder Berufstätigkeit als Lehrperson hingegen erscheint unbedeutend.

2.3.1.4.3 Kognitive Leistungen

Bisherige empirische Forschung zeigt, dass Gymnasiast*innen, die sich für den Lehrberuf interessieren oder entscheiden, nur mit geringer Wahrscheinlichkeit aus der kognitiv leistungsfähigsten Gruppe stammen. Am Lehrberuf interessierte Gymnasiast*innen stammen mit geringerer Wahrscheinlichkeit aus den oberen zehn Prozent der leistungsstärksten Schüler*innen im Fach Deutsch als ihre Mitschüler*innen mit anderen Berufswünschen (Denzler und Wolter 2008a, S. 128; Keck Frei et al. 2012).

Im Rahmen des zweiten Berichts zur Evaluation der Maturitätsreform (EVAMAR II, Eberle et al. 2008) zeigte sich, dass im Erstsprachentest Schüler*innen des Schwerpunktfachs PPP im Durchschnitt am zweitbesten, Schüler*innen der Schwerpunktfächer Musik und Bildnerisches Gestalten jedoch am schlechtesten abschnitten (ebd., S. 190 f.). Die Schüler*innen des Schwerpunktfachs Musik und teilweise PPP lieferten auch im Biologietest die schlechtesten Ergebnisse (ebd., S. 195 f.), und alle drei musisch-pädagogischen Schwerpunktfächer rangierten beim Mathematiktest am Ende der Leistungsskala (ebd., S. 193 f.). Bei den schriftlichen Maturitätsprüfungen in Mathematik stammten mehr als die Hälfte aller ungenügenden Bewertungen aus Klausuren von Schüler*innen des musisch-pädagogischen Profils (ebd., S. 200 f.). Zudem schnitten die Gymnasiast*innen dieses Profils auch beim überfachlichen Fähigkeitstest in allen getesteten BereichenFootnote 18 am schlechtesten ab (ebd., S. 201 f.). Während die These, dass vor allem leistungsschwache Jugendliche das musisch-pädagogische Profil wählen, in EVAMAR I noch widerlegt wurde (Ramseier et al. 2005, S. 138), scheint sie sich in der Untersuchung von Eberle et al. (2008) zu bestätigen.

In einer Nachfolgestudie zu EVAMAR II (Eberle und Oepke 2014) wurden die von den untersuchten Maturand*innen tatsächlich aufgenommenen Studiengänge erfragt, was die Auswertung der Testergebnisse nach Studiengang ermöglichte (Eberle 2016). Es bestätigte sich, dass Maturand*innen, welche sich für ein PH-Studium entschieden hatten, in den Testbereichen Deutsch, Mathematik, Biologie sowie im überfachlichen Fähigkeitstest am schlechtesten abschnitten (ebd., S. 38). Ähnliche Ergebnisse für Deutschland berichtet Colin Cramer (2012, S. 192) bezüglich der Abiturnoten. Je höher das angestrebte Lehramt, desto höher waren die Abiturnoten der Lehramtsstudierenden – wobei dies aber in moderatem Ausmaß über die soziale Herkunft moderiert wird (ebd., S. 472). Mit Blick auf die soziale Herkunft der PH-Studierenden (siehe vorheriges Kapitel) kann ein ähnlicher Zusammenhang auch für die Schweiz angenommen werden.

Diese ernüchternden Ergebnisse bezüglich der Leistungsfähigkeit angehender Lehrpersonen relativiert Stefan Denzler (2018). Er zeigt anhand von Daten der internationalen Schulleistungsuntersuchung PISA aus dem Jahr 2006, dass Schüler*innen, welche im Alter von 15 Jahren angeben, den Lehrberuf ergreifen zu wollen, in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften «dem Durchschnitt aller Jugendlichen im Land leistungsmäßig um etwa ein Schuljahr voraus» sind bzw. leistungsmäßig etwa 45 Punkte über dem nationalen Median liegen (ebd., S. 290). Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass in der Schweiz am Lehrberuf interessierte Jugendliche zwar im Vergleich zu ihren Mitschüler*innen des Gymnasiums (und analog PH-Studierende im Vergleich zu Studierenden einer Universität) zwar eher aus dem leistungsschwächeren, im Vergleich zur Gesamtpopulation aber dennoch aus einem leistungsstärkeren Spektrum stammen.

Die Ergebnisse zu den kognitiven Leistungen und Motivkonstellationen für die Schwerpunktfachwahl sind auch für die vorliegende Studie von Bedeutung. Interviews mit Schüler*innen des musisch-pädagogischen Profils können nicht nur wie bisher aus quantitativer, sondern auch aus einer qualitativen Forschungsperspektive Hinweise auf das Zustandekommen von Wahlmotiven bezüglich der Wahl des Schwerpunktfachs und des PH-Studiums liefern. Ebenso können durch die vorliegende Studie Hinweise darauf gewonnen werden, inwiefern die schulische Sozialisation – wie von Mombelli-Matthys (2011) angedeutet – fachliche Interessen verstärkt und so möglicherweise eine entsprechende Studienwahl vorprägt.

2.3.2 Der Weg über die FMS Pädagogik

Die Fachmittelschule (FMS) ist wie das Gymnasium eine allgemeinbildende, vollzeitschulische und kantonal geregelte Mittelschule auf der nachobligatorischen Sekundarstufe II. Sie strebt nicht die allgemeine Hochschulreife an, sondern bereitet praxis- und berufsfeldbezogen auf Berufsausbildungen im Tertiärbereich an Fachhochschulen, Pädagogischen Hochschulen und Höheren Fachschulen vor (EDK 2018a). So hat sie sich unter anderem als formal anerkannter Zugangsweg in die Ausbildung zur Primarlehrperson an PH etabliert.

FMS sind organisatorisch teils an Gymnasien angegliedert, teils eigenständig geführt. Die Kantone Appenzell Innerrhoden, Nidwalden, Obwalden und Uri führen keine eigenen FMS (EDK-IDES 2017, S. 2). Die wesentlichen kantonalen Unterschiede im FMS-Ausbildungsangebot betreffen die Eintrittsbedingungen, die Kombination von Grundlagen- und profilspezifischen Fächern sowie die Dauer des Praktikums während des Fachmaturitätsjahrs. Die grundsätzliche Struktur und der Aufbau der FMS-Ausbildung allerdings ähnelt sich in den verschiedenen Kantonen (Cortesi 2017, S. 234).

Zur FMS im Allgemeinen sowie zum pädagogischen FMS-Profil im Besonderen existiert abgesehen von zwei kantonalen Evaluationsstudien der FMS in den Kantonen St. Gallen (Capaul und Keller 2014) und Bern (ED Bern 2012) sowie einer sprachregional vergleichenden Untersuchung der FMS durch Sasha Cortesi (2017) kaum empirische Forschung.

Im Rahmen des SNF-Projekts, in deren Kontext die vorliegende Studie entstand, ist seit 2016 einiges an empirisch fundiertem Wissen zur FMS als bislang weitgehend unbekanntem Bildungsweg auf der Sekundarstufe II generiert und publiziert worden. Dies betrifft den Transformations- und Institutionalisierungsprozess der FMS (Leemann und Imdorf 2019b; Leemann und Hafner 2022), die FMS als sozial integrativen Schultyp der Sekundarstufe II (Leemann et al. 2016; Fischer et al. 2018; Leemann 2019b) und Fragen der Reproduktion der Geschlechtstypik in der FMS (Fischer et al. 2017; Leemann et al. 2019).

Raffaella Esposito beschäftigte sich mit der Bedeutung des FMS-Profils Gesundheit gegenüber der dualen Berufsausbildung zur Fachfrau/-mann Gesundheit im Hinblick auf seine Zubringerfunktion zu Gesundheitsausbildungen im tertiären Bildungsbereich in der Schweiz (Esposito 2022). Die Ergebnisse ihrer Studie sind Grundlage für weitere Publikationen zum Thema der Positionierung und Profilierung der FMS Gesundheit gegenüber Berufsausbildungen im Gesundheitsbereich in der Schweiz (Esposito et al. 2018, 2019a, b, 2020).

2.3.2.1 Das FMS-Profil Pädagogik

Der Übertritt in die FMS erfolgt nach drei Jahren Sekundarstufe I, die Ausbildung dauert im Anschluss drei Jahre. Üblicherweise nach einem allgemeinbildenden ersten Schuljahr wählen die Schüler*innen ein sogenanntes Berufsfeld, in der vorliegenden Studie «Profil» genannt. Das Angebotsspektrum umfasst die Profile GesundheitFootnote 19, Pädagogik, Soziale Arbeit, Kommunikation und Information, Gestaltung und Kunst sowie Musik und/oder Theater (EDK 2018b), aus welchen die Schulen ihr Angebot generieren.

Das Profil Pädagogik ist im gesamtschweizerischen Durchschnitt das von den Schüler*innen am häufigsten gewählte FMS-Profil. 2018 wurden 47 % aller Fachmittelschulausweise im Profil Pädagogik oder einem Kombinationsprofil Soziale Arbeit/Pädagogik oder Gesundheit/Pädagogik vergeben (BFS 2019a). Bestätigt wurde dies auf kantonaler Ebene für den Kanton St. Gallen, in welchem 59 % aller Fachmittelschüler*innen das Profil Pädagogik belegten (Capaul und Keller 2014, S. 23). Von allen Profilwechseln bis Ende des dritten Semesters war ein Wechsel in das Profil Pädagogik am beliebtesten (ebd., S. 21 f.).

2011 gab es noch kein Angebot des Profils Pädagogik in den Kantonen Bern, Genf, Neuenburg und Tessin. Laut dem Schweizer Bildungsbericht 2018 wird das Profil Pädagogik inzwischen «flächendeckend in der ganzen Schweiz angeboten» (SKBF 2018, S. 170). Faktisch haben die Kantone Genf und Tessin zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Studie noch kein pädagogisches Profil im Angebot.Footnote 20 In manchen Kantonen wird das Profil Pädagogik mit den Profilen Gesundheit oder Soziale Arbeit kombiniert (ebd., S. 170).

Meist ab dem zweiten FMS-Jahr besuchen die Schüler*innen neben allgemeinbildendem Unterricht zusätzlich profilspezifische Fächer des gewählten Profils. Der allgemeinbildende Unterricht umfasst sogenannte Grundlagenfächer, die denjenigen des Gymnasiums ähneln (z. B. erste Landessprache und Fremdsprachen, Mathematik, Naturwissenschaften, Geistes- und Sozialwissenschaften, musische Fächer) (EDK 2018). Die profilspezifischen Fächer des Profils Pädagogik umfassen in der deutschsprachigen Schweiz meist naturwissenschaftlichen Unterricht, Psychologie/Pädagogik, Musik (mit ggf. Instrument) und/oder Chor, Gestaltung sowie Wirtschaft und Recht sowie Gesellschaftswissenschaften (Capaul und Keller 2014, S. 46 f.). Da die Kantone selbst über ihr Bildungsangebot entscheiden, variiert die Anzahl und das Spektrum der profilspezifischen Fächer kantonal. Von der EDK empfohlen werden für das Profil Pädagogik die profilspezifischen Fächer Bildnerisches Gestalten, Musik, Natur- und Geisteswissenschaften und Sport (EDK 2018a).

Der berufsfeldbezogene Unterricht in den profilspezifischen Fächern beinhaltet «auf den Beruf ausgerichtete Angebote», vermittelt «für das Berufsfeld notwendige Kenntnisse» und beschäftigt sich «mit allgemeinen Gegebenheiten der Berufssituation» (EDK 2018b, S. 5). Die Evaluation der FMS im Kanton St. Gallen zeigte in diesem Zusammenhang, dass der berufsorientierte Unterricht durch gemischte Klassen (verschiedene Profile) erschwert wird (Capaul und Keller 2014, S. 31). Zudem würden für berufsfeldbezogenen Unterricht anwendungsorientierte Lehrmittel für das spezifische Profil wie beispielsweise «Mathematik für Pädagogen» fehlen, so dass die Lehrpersonen den Berufsbezug selbstständig herstellen müssten (ebd., S. 31).

Außerschulische Kurzzeitpraktika von mindestens zwei Wochen Dauer ergänzen die FMS-Ausbildung (EDK 2018b, S. 5). Sie werden in manchen FMS zur Orientierung hinsichtlich der Profilwahl (Capaul und Keller 2014, S. 24), in anderen FMS für einen Einblick in das zukünftige Berufsfeld genutzt. Die Fachmittelschüler*innen verfassen im Verlauf der Ausbildung eine schriftliche Arbeit.

Nach drei Jahren wird die Ausbildung mit dem Fachmittelschulausweis abgeschlossen. Er ermöglicht den Eintritt in Studiengänge an Höheren Fachschulen (so etwa zur dipl. Kindererzieher/-in HF, dipl. Sozialpädagog/in HF), nicht aber an Fachhochschulen oder PH. Bis zum Inkrafttreten des Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetzes (HFKG) im Jahr 2015 war für Inhaber*innen des Fachmittelschulausweises an einzelnen PH der prüfungsfreie Eintritt in den Studiengang Kindergarten/Vorschule möglich. Die PH Zürich, Thurgau und Schaffhausen erlaubten dies noch bis Studienbeginn Herbst 2020 oder 2021 im Rahmen einer Übergangsfrist.Footnote 21

2.3.2.2 Die Fachmaturität Pädagogik

Die FMS-Ausbildung gestaltet sich zweistufig. Im Anschluss an den Fachmittelschulausweis kann eine Fachmaturität im gewählten Profil erworben werden. Sie umfasst in allen Profilen außer Pädagogik ein Praktikum im angestrebten Berufsfeld von 24–40 Wochen und das Verfassen einer Fachmaturitätsarbeit (EDK 2018b). Für die Fachmaturität Pädagogik ist gemäß EDK-Richtlinien hingegen kein Praktikum vorgesehen, sondern sie besteht aus einem mindestens einsemestrigen Kurs in Erstsprache, zweiter Landessprache oder Englisch, Mathematik, Natur- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften, einer Fachmaturitätsarbeit mit Präsentation sowie einem Abschlussexamen (EDK 2018b). Ein Bestehen ermöglicht schweizweit den prüfungsfreien Eintritt in die Ausbildung zur Primarlehrperson (Schuljahre 1–8) an PH. Die Fachmaturität Pädagogik stellt somit eine fachgebundende Fachhochschulreife dar. Sie ist im Gegensatz zur Österreichischen Fachmatura aber nicht berufsbefähigend.

Nach Erhalt des Fachmittelschulausweises im Profil Pädagogik setzten im Jahr 2012 innerhalb von 42 Monaten 70 % aller Schüler*innen ihre Ausbildung mit einer Fachmaturität fort, was von allen FMS-Profilen die höchste Übertrittsquote in die Fachmaturität darstellt (Babel et al. 2018, S. 23). Ob es sich hierbei spezifisch um die Fachmaturität Pädagogik handelt, ist allerdings ungeklärt. 4 % der Schüler*innen traten in eine andere Ausbildung auf Sekundarstufe II ein (etwa Gymnasium oder Berufslehre), 14 % befanden sich in einer Ausbildung auf Tertiärstufe, und drei Prozent waren erwerbstätig (ebd., S. 23). Die durchschnittliche Übertrittsquote in die Fachmaturität lag im Kanton St. Gallen in den Jahren 2009–2012 sogar bei 90 % aller Schüler*innen des Profils Pädagogik, welche auch die Fachmaturität Pädagogik absolvierten (Capaul und Keller 2014, S. 21).

Im Jahr 2018 wurden 35 % aller Fachmaturitätszeugnisse für die Fachmaturität Pädagogik vergeben (BFS 2019a). Wie die Daten des Bundesamtes für Statistik zeigen (ebd.), ist damit sowohl der Fachmittelschulausweis in Pädagogik als auch die Fachmaturität Pädagogik das am häufigsten gewählte FMS-Profil, gefolgt von den Profilen Gesundheit und Soziale Arbeit.

Carsten Quesel, Fréderic Voisard und Marc Herren (2010) evaluierten die Fachmaturität Pädagogik nach ihrer provisorischen Einführung im Jahr 2007 im Auftrag der EDK, um ihre «Praxistauglichkeit» und einen allfälligen Überarbeitungsbedarf zu prüfen (ebd., S. 3). Mittels Dokumentenanalysen und einer Online-Befragung von 19 Schulleitungen und 97 Lehrpersonen sowie sechs PH-Fachpersonen wurden die Themenbereiche Zulassungsbestimmungen, Funktionen und Ziele der Ausbildung, Prüfungsmodalitäten, fachspezifische Bestimmungen und die Fachmaturitätsarbeit fokussiert (ebd., S. 6).

Bezüglich Zulassungsbestimmungen zur Fachmaturität Pädagogik schlugen die Befragten vor, die Zulassung zur Fachmaturität auf Schüler*innen zu beschränken, «die im FMS-Ausweis durchschnittliche bis überdurchschnittliche Resultate nachweisen können» (ebd., S. 8), und insbesondere mit Hinblick auf die zukünftige Tätigkeit als Lehrperson die Mindestanforderungen in den Fächern Mathematik und Deutsch anzuheben (ebd.). Dies verweist auf die in Abschn. 2.3.1.4.3 skizzierte Diskussion um kognitive Kompetenzen von PH-Studierenden.

Mehrere Befragte forderten zudem eine Überarbeitung des Lehrplans zu einem «kohärenten Gesamtkonzept» vom Fachmittelschulausweis bis hin zur Fachmaturität Pädagogik als Vorbereitung auf die PH (ebd., S. 13). Dies entspricht auch dem Wunsch der Lehrpersonen des Kantons St. Gallen, welche angesichts der hohen Übertrittsquote vom FMS-Ausweis in die Fachmaturität Pädagogik eine «Gesamtkonzeption» von Profil und Fachmaturität Pädagogik mit insgesamt mehr Fokus auf Praktika, mehr Zeit für die Herstellung von Praktikums- und Berufsfeldbezug während des Fachmaturitätslehrgangs sowie die Integration von Sprachpraktika als Vorbereitung für die PH forderten (Capaul und Keller 2014, S. 34 f.). Bemängelt wurde zudem das Fehlen musischer Fächer in der Fachmaturität Pädagogik in Hinblick auf das zukünftige Berufsfeld der Absolvierenden (Quesel et al. 2010, S. 14).

Insgesamt wurden die Richtlinien zur Fachmaturität Pädagogik jedoch als praxistauglich beurteilt (ebd., S. 17). Die aus der Evaluation abgeleiteten Empfehlungen (ebd., S. 19) wurden in die Überarbeitung der FMS-Anerkennungsrichtlinien einbezogen, welche die EDK Ende 2018 verabschiedete (EDK 2018).

2.3.2.3 Die FMS Pädagogik als Zubringerin zur PH: Übertrittsquoten und Bedeutung als Nachfolgerin des Lehrer*innenseminars

Von allen Schultypen der Sekundarstufe II (Gymnasium, Fachmittelschule, berufliche Grundbildung) erweist sich die FMS als derjenige mit der höchsten Übertrittsquote in die PH: nach Abschluss der Sekundarstufe II entschieden sich innerhalb von 54 Monaten 21 % aller FMS-Absolvierenden für ein PH-Studium (Kriesi und Leemann 2020, S. 15). Aus dem Gymnasium waren dies im gleichen Zeitraum 8 %, aus der beruflichen Grundbildung mit Berufsmaturität 3 % (ebd.). Wie groß der Anteil der FMS-Absolvierenden spezifisch aus dem Profil Pädagogik ist, die in diesem Zeitraum in die PH übertraten, ist bisher nicht bekannt. Für die Absolvierenden der Fachmaturität Pädagogik ist die Übertrittsquote in die PH mit 85 %Footnote 22 sehr hoch (Babel et al. 2018, S. 29).

Absolvierende der Fachmaturität Pädagogik machen aufgrund der hohen Übertrittsquote in die PH einen beträchtlichen Anteil der Studierenden der Primarstufe aus. Aus PH-Sicht sind im gesamtschweizerischen Durchschnitt inzwischen ungefähr 30 % der Studierenden des Studiengangs Primarstufe (inklusive Kindergarten/Vorschulstufe) Inhaber*innen eines Fachmaturitätszeugnisses (SKBF 2018, S. 259; Capaul 2019, S. 29). Der Anteil Fachmaturand*innen an den Studierenden der Primarstufe variiert allerdings stark nach Kanton – besonders hohe Anteile verzeichnen die PH der Nordwestschweiz (PH FHNW), der Zentralschweiz sowie Wallis, Fribourg und Waadt, geringe Anteile die PH in Bern, Thurgau und Zürich (SKBF 2018, S. 260; für Fribourg siehe auch Capaul 2019, S. 29).

Der Anteil Fachmaturand*innen an PH-Studierenden ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen (SKBF 2018, S. 259). Die Zunahme an PH-Studierenden der letzten Jahre ist insbesondere auf Absolvierende der FMS respektive Fachmaturität zurückzuführen (Denzler 2018, S. 285), weshalb sie als eine wichtige Zubringerschule für die PH bezeichnet wird (Capaul und Keller 2014, S. 7). Vielerorts wird sie als Ersatz der ehemaligen Lehrer*innenseminare wahrgenommen (ebd., S. 27).

Bezüglich der Bedeutung der FMS Pädagogik und des Gymnasiums für die Ausbildung von Primarlehrpersonen sind auch Ergebnisse einer Evaluationsstudie aus dem Kanton Bern interessant: Vor der Einführung des FMS-Profils Pädagogik im Kanton Bern besuchten im Vergleich zum gesamtschweizerischen Durchschnitt dreimal so viele Gymnasiast*innen das Schwerpunktfach PPP (CH: 6,8 %, Bern: 17,8 %) und überdurchschnittlich viele Schüler*innen die Schwerpunktfächer Musik und Bildnerisches Gestalten (ED Bern 2012, S. 18). Dies bewegte die Verfasser*innen zur Schlussfolgerung, «dass sich […] Schülerinnen und Schüler an den Gymnasien finden, die in anderen Kantonen eine Fachmittelschule mit Berufsfeld Pädagogik besuchen» (ebd., S. 18). Der «Erfolg» der FMS Pädagogik in anderen Kantonen wurde darauf zurückgeführt, «dass die Fachmittelschule dem Profil einem Teil der an den genannten PH-Studiengängen Interessierten besser entspricht als das Gymnasium» (ebd., S. 8). Was genau dieses «besser entspricht» sein könnte, stellt eine Forschungslücke dar, zu deren Beantwortung die vorliegende Studie mit der Fragestellung nach den Charakteristika und Spezifika der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils beitragen kann.

2.3.2.4 Merkmale von Fachmittelschüler*innen

Drei Viertel der FMS-Schülerschaft sind weiblich, und auch Jugendliche mit Migrationshintergrund sind im Vergleich mit der gesamten Schüler*innenpopulation auf der nachobligatorischen Sekundarstufe II übervertreten (SKBF 2018, S. 166). Die Mehrheit der Fachmittelschüler*innen hat auf Sekundarstufe I einen Schulzweig mit mittlerem Leistungsniveau (sogenannte erweiterte Anforderungen) absolviert (ebd.) Auch wenn spezifische Daten zum Profil Pädagogik fehlen, ist davon auszugehen, dass die sozialen Merkmale und die Erkenntnisse zu den kognitiven Leistungen auch auf Schüler*innen dieses Profils zutreffen.

Fachmittelschüler*innen zeigen in den PISA-Testbereichen Mathematik und Erstsprache geringere Leistungen als Gymnasiast*innen (SKBF 2018, S. 109), differenzierte Untersuchungen nach gewähltem FMS-Profil existieren bis anhin nicht. In einer qualitativen Studie berichteten Lehrpersonen von der eigenen Wahrnehmung, dass Fachmittelschüler*innen kognitiv leistungsschwächer seien als Gymnasiast*innen (Capaul und Keller 2014, S. 27). Dies habe unter anderem zur Folge, dass gewisse Lehrpersonen an institutionell gemeinsam geführten Schulen lieber am Gymnasium als an der FMS unterrichten würden (ebd.). Andererseits schrieben FMS- Schulleitungen den Fachmittelschüler*innen eine hohe Motivation und Sozialkompetenz, spezifisch den Schüler*innen des Profils Pädagogik eine «soziale Ader» und «besonderes Engagement» zu (Capaul und Keller 2014, S. 27).

Gleichzeitig kämen Schüler*innen oft mit der Einstellung an die FMS, dass sie weniger Wert seien – was sich dann in einer Art «self fulfilling prophecy» in schlechten schulischen Leistungen zeige (ebd., S. 27). Ebenso scheint die FMS als sogenanntes Auffangbecken für gescheiterte Gymnasiasten zu gelten (ebd., S. 33). Gestärkt würde ihr Image aber durch die Durchlässigkeit zum Gymnasium für «fleissige» Fachmittelschüler*innen sowie die Tatsache, dass längst nicht alle ‘gescheiterten’ Gymnasiasten die FMS erfolgreich durchliefen (ebd., S. 33).

Zusammenfassung

Die skizzierten Forschungsergebnisse zeigen, dass der Berufs- respektive Praxisbezug in der FMS einerseits von organisatorischen Aspekten (gemeinsamer Unterricht von Schüler*innen verschiedener Profile), andererseits aufgrund fehlender profilspezifischer Lehrmittel von der Eigeninitiative der Lehrpersonen abhängig ist. Wie sich dies konkret im Unterricht äußert, ist Teil der Forschungsfrage nach den Spezifika und Charakteristika der beiden untersuchten Schultypen. Die skizzierten Diskussionen um die Ausgestaltung der Fachmaturität verdeutlichen zudem die hohe Bedeutung des pädagogischen FMS-Profils für die Ausbildung von Primarlehrpersonen sowie des «Musischen» als bedeutender Aspekt einer pädagogischen Ausbildung. Nichts bekannt ist allerdings über kantonale Unterschiede in der Ausgestaltung des Profils Pädagogik und der Fachmaturität Pädagogik, und welche Hinweise daraus für die Bedeutung der FMS für die PH abgeleitet werden können.

Im Weiteren sind zwar Übertrittsquoten von Fachmaturand*innen in die Tertiärstufe und insbesondere in die PH bekannt. Bisher existieren aber keine Studien, die aufzeigen, wie viele Fachmittelschüler*innen ohne Fachmaturität in die PH eintreten (prüfungsfreie Zulassung zum Studium Kindergarten an gewissen PH) und in welche anderen – fachverwandten oder fachfremden – Studiengänge auf Hochschulstufe Inhaber*innen des Fachmittelschulausweises sowie der Fachmaturität Pädagogik eintreten. Auch dies soll im Rahmen der vorliegenden Studie unter Rückgriff auf Bildungsverlaufsdaten des Bundesamts für Statistik geklärt werden (siehe Kap. 6).

2.3.3 Sprachregionale Unterschiede bezüglich FMS und Gymnasium

Cortesi (2017) untersuchte und systematisierte mittels Analyse von institutionellen Selbstbeschreibungen und Expertengesprächen das Angebot an vollzeitschulischen Ausbildungen auf der Sekundarstufe II in der Schweiz (Gymnasien, Fachmittelschulen, Vollzeitberufsschulen, Handelsmittelschulen). Spezifische Erkenntnisse zur FMS Pädagogik sowie zum musisch-pädagogischen Gymnasialprofil sind zwar nicht Teil seiner Analyse. Dennoch sind einige Erkenntnisse bezüglich (sprach-)regionaler Unterschiede zwischen FMS und Gymnasium und der Dynamik zwischen beiden Schultypen bedeutsam für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie.

Cortesi (2017) zeigt auf, wie die im Bildungssystem institutionalisierte Unterscheidung zwischen Allgemein- und Berufsbildung in den verschiedenen vollzeitschulischen Schultypen der Sekundarstufe II unterschiedlich gedeutet und umgesetzt wird. Für die vorliegende Studie ist dies insofern relevant, als dass auch in der Lehrpersonenbildung das Verhältnis von «Theorie und Praxis» sowie die Trennung von Allgemein- von Berufsbildung im Kontext der Tertiarisierungsreform und Auflösung der Lehrer*innenseminare ein vieldiskutiertes Thema war und noch immer ist. Weiter kann Cortesi (2017) zeigen, dass in den französisch- und italienischsprachigen KantonenFootnote 23 akademische (Allgemein-)bildung größere Wertschätzung erfährt und somit vollzeitschulischen Ausbildungsangeboten größere Bedeutung zugemessen wird, während in der deutschsprachigen Schweiz berufliche Bildung und somit die dual organisierte Berufslehre einen höheren Stellenwert genießt. Dies deckt sich mit den Ergebnissen von Cattaneo und Wolter (2016), wonach berufliche Bildung in deutschsprachigen Kantonen hohe Anerkennung erfährt, in der französischsprachigen Schweiz im Vergleich zu einer akademischen Ausbildung aber weniger wertgeschätzt wird (ebd., S. 12).

Spezifisch für die FMS kommt Cortesi (2017) zum Schluss, dass diese einerseits eine gewisse Berufsvorbereitungsfunktion beansprucht, tatsächlich aber die Allgemeinbildung eine Vorrangstellung erhält. Die primäre Funktion und die «empreinte professionelle»Footnote 24 (ebd., S. 231) der FMS identifiziert er in der spezifischen Vorbereitung auf tertiäre Berufsausbildungen, nicht jedoch in einer berufsqualifizierenden Funktion an sich. Die FMS werde so zu einer Art Übergangsausbildung, welche allgemeinbildende Kenntnisse im Hinblick auf die Vorbereitung für tertiäre Berufsausbildungen vermittle. Die berufsspezifische Ausrichtung der FMS identifiziert Cortesi folglich primär im Unterricht in allgemeinbildenden Fächern, die auch als profilspezifische Fächer gelten und auf die entsprechenden tertiären Berufsausbildungen vorbereiten sollen (ebd., S. 231). Die unterschiedliche (Be-)wertung von Allgemein- und Berufsbildung in den Sprachregionen führt dazu, dass sowohl die «empreinte professionelle» als auch die «empreinte académique»Footnote 25 in der FMS kantonal variiert (ebd., S. 149 f.).

In der deutschsprachigen Schweiz dient laut Cortesi (2017) die berufliche Ausrichtung der FMS als entscheidendes Abgrenzungsmerkmal gegenüber dem Gymnasium (ebd., S. 228). Denn am Gymnasium identifiziert Cortesi (2017) einen sogenannten «purisme académique»Footnote 26 (ebd., S. 230), mit welchem sich dieser Schultyp auf Sekundarstufe II legitimiert. Analog gilt dies für den «purisme professionnel»Footnote 27 in der dualen Berufslehre.

Die höhere Wertschätzung akademischer Allgemeinbildung in der lateinischen Schweiz äußert sich darin, dass dort die akademische, gymnasiale Bildung als der legitime Bildungsweg gilt und die zentrale Referenzkategorie nachobligatorischer Bildung darstellt. Die FMS als allgemeinbildende Vollzeitschule wird so einerseits zur zweitrangigen Ausbildung gegenüber dem Gymnasium, einer Art Subgymnasium für gescheiterte Gymnasiast*innen (Cortesi 2017, S. 239). Aufgrund der hohen Wertschätzung der Allgemeinbildung muss sich die FMS andererseits auch nicht wie in der deutschsprachigen Schweiz über eine beruflich-professionelle Komponente legitimieren, sondern die Orientierung an der Allgemeinbildung reicht als Existenzberechtigung aus (ebd.). Aus diesem Grund kommt die berufliche Komponente an der FMS in der lateinischsprachigen Schweiz auch lediglich im Hinweis auf die tertiäre Berufsausbildung zum Ausdruck, zu der sie Zugang bietet (ebd., S. 239).

In der deutschsprachigen Schweiz hingegen, wo die beruflich-professionelle Komponente und die duale Berufslehre gegenüber der Allgemeinbildung höhere Wertschätzung erhält, weist die FMS entsprechend eine stärker berufsvorbereitende Ausprägung auf (ebd., S. 239), mit der sie sich gegenüber der Gymnasialausbildung abgrenzt und profiliert (ebd., S. 244). Cortesi diagnostiziert insgesamt eine «affinité académique» der lateinischen und eine «affinité professionnelle»Footnote 28 der deutschsprachigen Kantone (ebd., S. 237), welche letztendlich die spezifische institutionelle Gestalt der FMS in den beiden Sprachregionen prägt.

Zudem beeinflussen laut Cortesi (2017) spezifische kantonale Besonderheiten und Ausbildungstraditionen die Organisation und Ausgestaltung der Schultypen. Sie zeigen sich in materiellen und immateriellen Komponenten der Bildungseinrichtungen und bieten den teilnehmenden Akteur*innen Orientierung (ebd., S. 233). Cortesi schließt mit dem Verweis auf die Relevanz einer pädagogisch-didaktischen Analyse der Schulinstitution (ebd., S. 245). Solch eine Analyse von Unterrichtsmaterialien und pädagogisch-didaktischen Ansätzen, welche die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten sowie die pädagogischen Beziehungen prägen, würde eine Rekonstruktion der Normen, Werte und Prinzipien ermöglichen, die die untersuchten Ausbildungsfelder strukturieren und eine Reflexion der Mehrdeutigkeit der Unterscheidung zwischen Allgemein- und Berufsbildung erlauben (ebd.).

Diesem Forschungsdesiderat widmet sich die vorliegende Studie – mit Zuschnitt auf das Profil Pädagogik und das musisch-pädagogische Gymnasialprofil – und nimmt auch die pädagogisch-didaktische, materielle und immaterielle Dimension der untersuchten Schultypen in den Blick. Dies erlaubt, die grundlegenden normativen Orientierungen der Bildungsprogramme zu rekonstruieren und Rückschlüsse auf ihre unterschiedliche Bedeutung für die Lehrpersonenbildung zu ermöglichen. Auch die von Cortesi (2017) diagnostizierte unterschiedliche (Be-)deutung von allgemeinbildenden und berufsbildenden Aspekten in der FMS-Ausbildung, wie sie sich in materiellen und immateriellen Komponenten der untersuchten Bildungsgänge niederschlagen und so Orientierungen für die jeweiligen schulischen Akteur*innen bieten, wird im Rahmen der vorliegenden Studie mit Fokus auf die FMS Pädagogik und das musisch-pädagogische Gymnasialprofil in den Blick genommen.

2.4 Einflussgrößen auf die Studienwahl PH und die Berufswahl Lehrperson

Die unterschiedliche Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils für die Lehrpersonenbildung wurde erstens an deren (unterschiedlicher) Institutionalisierung als Zubringer zur Ausbildung von Primarlehrpersonen festgemacht. Zweitens zeigt sie sich aber auch an den Übertrittsquoten in die PH und somit der Anzahl derjenigen jungen Erwachsenen, welche sich für ein PH-Studium und damit (zumindest indirekt) für den Lehrberuf entscheiden.

Wenn es darum geht, dieses unterschiedliche Wahlverhalten der Schüler*innen des Gymnasiums und der FMS zu erklären, ist drittens ein Blick auf die empirische Forschungsliteratur zum Thema Studien- und Berufswahl in der Lehrpersonenbildung erforderlich. Erweisen sich einige zentrale Motive respektive Motivkonstellationen als günstig oder ungünstig für die Wahrscheinlichkeit, den Lehrberuf, bzw. ein PH-Studium zu ergreifen, stellt sich im Anschluss die Frage, ob und inwiefern diese Motive oder einzelne Aspekte davon durch die Vorbildung respektive durch die schulische Sozialisation im vorgelagerten Bildungstyp der Sekundarstufe II erklärt werden können.

2.4.1 Motive, die zur Wahl eines PH-Studiums führen

Die von der empirischen Forschung in der Schweiz bisher herausgearbeiteten zentralen Motive, die zur Wahl einer Ausbildung zur Lehrperson führen, betreffen nicht spezifisch Absolvierende des musisch-pädagogischen Profils, sondern Gymnasiast*innen im Allgemeinen. Ob die herausgearbeiteten Motive auch auf Fachmittelschüler*innen zutreffen, ist nicht bekannt. Auch Ergebnisse aus dem Ausland beschäftigen sich lediglich mit Studien- und Berufswahlmotiven von Gymnasiast*innen, weil dort ein allgemeiner Hochschulzulassungsausweis Voraussetzung für den Eintritt in die Lehrpersonenbildung ist. Da Absolvierende des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils jedoch einen bedeutenden Anteil der in der PH-Ausbildung befindlichen Gymnasiast*innen ausmachen (siehe Abschn. 2.3.1.3), kann davon ausgegangen werden, dass die genannten Motive auch Schüler*innen dieses Profils betreffen. Gemäß bisheriger empirischer Forschung in der Schweiz sind folgende Aspekte wichtige Motive für die Wahl eines PH-Studiums:

  • geringeres wissenschaftliches Interesse (Denzler und Wolter 2008a, S. 133; Keck Frei et al. 2012; Denzler et al. 2005; Ingrisani 2014, S. 305),

  • soziale Interessen (Denzler und Wolter 2008a; Fischer 2002; Denzler et al. 2005),

  • Praxisorientierung respektive praktische Interessen (Denzler und Wolter 2008a, Keck frei et al. 2012; Affolter et al. 2015, S. 78; Ingrisani 2014, S. 305),

  • die Vereinbarkeit des Studiums und Lehrberufs mit Familientätigkeit sowie eine generelle Familienorientierung (Denzler und Wolter 2008a; Fischer 2002; Denzler et al. 2005) als auch die

  • kurze Ausbildungsdauer als Ausdruck einer Gegenwartspräferenz (Keck Frei et al. 2012; Denzler et al. 2005, S. 588; Denzler und Wolter 2008a; Affolter et al. 2015, S. 78).

Die genannten Studienwahlmotive betreffen vor allem Studienanwärter*innen, welche sich für Ausbildungsgänge der Primarstufe und der Sekundarstufe I interessieren (Keck Frei et al. 2012, S. 489). Am Lehramt der Sekundarstufe II interessierte Gymnasiast*innen unterscheiden sich bezüglich Studienwahlmotiven kaum von ihren Mitschüler*innen mit anderen Studienwünschen (ebd.). Die «Negativselektion» in die Ausbildung zur Lehrperson als Motivkonstellation von Präferenz einer kurzen Ausbildungsdauer, Unentschlossenheit bezüglich Berufswahl und der Wahl des Studiums aufgrund des größeren Freiraums für andere Tätigkeiten ist laut Daniel Ingrisani (2014, S. 307) bei Inhaber*innen einer gymnasialen Maturität im Vergleich zu anderen Zulassungsausweisen am stärksten ausgeprägt.

Zu den Studienwahlmotiven von Fachmittelschüler*innen bezüglich PH-Studium existieren bisher keine empirischen Untersuchungen. Benita Affolter et al. (2015) konnten allerdings nachweisen, dass bei derjenigen Gruppe von PH-Studierenden, welche sich durch hoch ausgeprägte «intrinsisch-pädagogische Studien- und Berufswahlmotive» auszeichnet (etwa «Interesse an Schülerinnen und Schülern» oder «Interesse an Vermittlung»), Absolvierende ohne gymnasiale Maturität – zu denen auch Fachmaturand*innen gehören – übervertreten sind (S. 81 f.). Ebenso weist Ingrisani nach, dass PH-Studierende im Studiengang Primarstufe, welche über die FMS in die Lehrpersonenbildung gelangt sind, ähnlich wie PH-Studierende mit einer gymnasialen Maturität eher weniger wissenschaftsorientiert sind (2014, S. 307).

Die Ergebnisse zu den Studienwahlmotiven von Gymnasiast*innen und/oder PH-Studierenden in der Schweiz widerspiegeln im Großen und Ganzen die empirischen Ergebnisse aus dem deutschsprachigen und internationalen Ausland. Zu nennen sind beispielsweise die Studien von Christian Bergmann und Ferdinand Eder (1994) oder Ulrich Trautwein et al. (2006). Für einen Überblick sei Martin Rothland (2014) empfohlen.

Der Schweizer Bildungsbericht 2018 zeigt zudem, dass zehn Prozent der ins Primarstufenstudium eintretenden Gymnasiast*innen dies erst nach Abbruch eines Universitätsstudiums tun (SKBF 2018, S. 261). Die Untersuchung von Andrea Keck Frei et al. (2012, S. 491) zeigte, dass an der PH Zürich diejenigen Studierenden, welche sich nach Abbruch eines Universitätsstudiums für ein PH-Studium entscheiden, tendenziell eher die Ausbildung zur Lehrperson der Sekundarstufe I aufnehmen (ebd.). Erfolgt der Wechsel an die PH nach Abbruch eines Fachhochschulstudiums, entscheiden sich die Gymnasiast*innen mit größerer Wahrscheinlichkeit für das Studium der Primarstufe. Interessant ist hierbei, dass die letztgenannte Gruppe als Grund für den Studienabbruch vermehrt das Motiv der fehlenden Praxisnähe bzw. die Praxisferne des Studiums anführte (ebd.). Die bereits als wichtiges Studienwahlmotiv genannte (siehe oben) «praktische» Ausrichtung der Ausbildung bzw. Praxisbezug scheint also insbesondere für Studierende der Primarstufe – welche als «zukünftige PH-Studierende» in der vorliegenden Studie im Fokus stehen – ein wichtiges Argument für die Entscheidung zur Ausbildung an einer Pädagogischen Hochschule zu sein.

2.4.2 Motive für die Berufswahl Lehrperson

Unabhängig von den Studienwahlmotiven weisen am Lehrberuf interessierte Personen häufig Stärken und Interessen im kommunikativen, sozialen und künstlerischen Bereich auf, welche die Berufswahl Lehrperson prägen. Für eine Übersicht siehe etwa Cramer (2016), für die Schweiz Christian Brühwiler und Maria Spychiger (1997) sowie Affolter et al. (2015). In der bisherigen Forschung zur Lehrpersonenbildung herrscht Konsens darüber, dass folgende Aspekte zentrale Motive für die Berufswahl Lehrperson sind:Footnote 29

  • Freude an Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (Brühwiler 2001; Herzog et al. 2007; Oesterreich 1987; Ulich 1998; Ingrisani 2014, S. 305),

  • Interesse an der Initiierung und Begleitung von Lernprozessen (Brühwiler 2001; Oesterreich 1987; Kersten 2001) sowie

  • Interesse an der Zusammenarbeit mit anderen Menschen (Brühwiler 2001; Herzog et al. 2007; Ingrisani 2014, S. 305)

  • Freiheit in der Gestaltung der eigenen Arbeit (Herzog et al. 2007; Ulich 1998; Ingrisani 2014, S. 305)

  • Abwechslungsreichtum der Aufgaben (Herzog et al. 2007; Oesterreich 1987; Ulich 1998; Denzler et al. 2005, S. 584)

2.4.2.1 Die Bedeutung pädagogischer Vorerfahrungen

Auch berufliche Erfahrungen mit Kindern und Jugendlichen erweisen sich als bedeutender Faktor bei der Berufswahl Lehrperson (Kersten 2001). Da Berufsfeldpraktika obligatorischer Teil der FMS-Ausbildung sind, lohnt sich eine nähere Betrachtung der Forschung zu diesem Berufswahlmotiv. Empirische Studien bestätigen, dass am Lehrberuf interessierte Jugendliche respektive Lehramtsstudierende vermehrt über praktische Erfahrungen im pädagogischen Bereich verfügen (Cramer 2012, S. 199; Willer 1993; Ulich 2004; Hertramph und Herrmann 1999; Nieskens 2009). Diese pädagogischen Praxiserfahrungen vor Studienbeginn fallen üblicherweise positiv aus und werden als prägend bezeichnet (Cramer 2012, S. 473).

Auch in der Studie von Walter Herzog et al. (2007) gaben 42 % von 2107 Befragten Primarlehrpersonen des Kantons Bern an, dass persönliche Erfahrungen beispielsweise in der Jugendarbeit «ihr Interesse am Lehrberuf geweckt hätten» (ebd., S. 142). Ähnliches berichten Faulstich-Wieland et al. (2010) aus einer Befragung von Lehramtsstudierenden des ersten Semesters der Studiengänge Primar- und Sekundarstufe I an der Universität Hamburg. An vierter Stelle der ausschlaggebenden Faktoren für den Berufswunsch Lehramt rangierten «gute Erfahrungen im Umgang mit Kindern/Jugendlichen» beispielsweise im Rahmen eines Praktikums (ebd., S. 39). Von denjenigen Studierenden, welche bereits im ersten Semester der Lehramtsausbildung sicher waren, zukünftig in der Primarschule arbeiten zu wollen, hatte ein Viertel diesen Entscheid bereits früher nach einem «(einschlägigen) Zivildienst oder Praktikum» getroffen (ebd., S. 35). Auch bei denjenigen Studierenden, welche laut eigener Aussage bereits während der Schulzeit Interesse am Lehrberuf hatten, berichteten viele davon, dass sie die «Bestätigung für die Richtigkeit dieser Entscheidung» in einem Praktikum oder Zivildienst fanden (ebd., S. 35).

Birgit Nieskens wies auf Basis unveröffentlichter Längsschnittdaten von Mayr ein signifikant höheres Interesse an den Tätigkeitsbereichen des Lehrberufs bei Studierenden mit pädagogischer Vorerfahrung nach – was diese laut Nieskens zu einer Art «Prädiktorfunktion für den Berufswunsch Lehramt» macht (2009, S. 169). Auch in ihrer eigenen Längsschnittsuntersuchung mit 310 Schüler*innen der elften und zwölften Stufe an fünf niedersächsischen Gymnasien (ebd., S. 177 f.) zeigte sich, dass pädagogische Vorerfahrungen signifikant positiv mit dem Berufswunsch Lehrperson korrelieren (ebd., S. 228). Zum gleichen Ergebnis kam Eva Treptow (2006) in einer Studie zu Bildungsbiografien von Lehrpersonen: bei über der Hälfte der befragten Lehrpersonen konnte ein Zusammenhang zwischen pädagogischen Vorerfahrungen und dem Berufswunsch Lehrperson nachgewiesen werden (ebd., S. 214). Auch Johannes König et al. (2013) zeigten, dass pädagogische Vorerfahrungen sowohl bei Lehramtsstudierenden aus Deutschland, Österreich als auch der Schweiz die Regel sind und die Motivation für den Lehrberuf beeinflussen (ebd., S. 573).

2.4.2.2 Unterschiedliche Motivkonstellationen nach Zielstufe und deren Entstehung

Im Weiteren scheinen sich die Berufswahlmotive nach Zielstufe zu unterscheiden. Mehrere empirische Studien weisen nach, dass bei angehenden Primarlehrpersonen pädagogische Interessen stärker ausgeprägt sind als bei Studierenden der Sekundarstufe I, bei welchen eher fachliche Interessen respektive fachbezogene Berufswahlmotive im Zentrum stehen (Brühwiler und Spychiger 1997; Keck Frei et al. 2012; Affolter et al. 2015). Inwiefern diese Interessen aber nicht nur durch Persönlichkeitsmerkmale (Cramer 2016), sondern auch durch die schulische Sozialisation respektive die Vorbildung auf Sekundarstufe II geprägt und ausgebildet werden, ist bisher nicht empirisch erforscht und unter anderem Gegenstand der vorliegenden Studie.

In diesem Zusammenhang verweisen Denzler und Wolter (2008a, b) darauf, dass das gewählte Schwerpunktfach die Studienwahl wesentlich beeinflusst, da «Maturandinnen und Maturanden in den jeweiligen Gymnasien und Fächerprofilen entsprechend unterschiedlich sozialisiert werden» (ebd. 2008b, S. 19).Footnote 30 Obwohl die Autoren diese Aussage lediglich auf das gymnasiale Schwerpunktfach beziehen, kann dies analog auch für das gewählte FMS-Profil angenommen werden.

Auf die mögliche Bedeutung des schulischen Profils bzw. der Vorbildung für die Wahl eines Lehramtsstudiums wird auch in anderen empirischen Studien hingewiesen. So verweisen Affolter et al. (2015) darauf, dass dem Entscheid für eine Ausbildung zur Lehrperson verschiedene Motivkonstellationen zugrunde liegen, welche unter anderem auch mit der besuchten Vorbildung in Zusammenhang stehen (Affolter et al. 2015, S. 88). Dies konstatierte bereits Brühwiler (2001), der anhand einer Untersuchung der Berufsmotivation von Lehramtsstudierenden zum Ergebnis kam, dass sich «die Absicht, den Lehrerberuf zu ergreifen, vor allem auf individuelle Faktoren, die bereits vor Eintritt in die Lehrerausbildung vorhanden sind» zurückführen lässt (ebd., S. 364), und hierbei neben personalen und sozialen Faktoren auch der bisherige Ausbildungsweg von Bedeutung ist (Brühwiler und Spychiger 1997, S. 50). So würden, wie auch Ingrisani (2014, S. 138) festhält, Berufs- und Studienwahlmotive weit vor Beginn der eigentlichen Ausbildung entstehen. Gleichermaßen erachtet es Treptow (2006) bei der Untersuchung von Studienwahlmotiven in der Lehrpersonenbildung als «notwendig, die bisherigen Sozialisations- und Lernerfahrungen […] zu berücksichtigen» (Treptow 2006, S. 214). So würden «gewissermaßen automatisch die Berufe anvisiert», welche bisherigen Sozialisationserfahrungen (auch diejenigen schulischer Art) sowie «den daraus resultierenden Handlungsschemata am meisten entsprechen» (ebd., S. 214 f.).

Für die vorliegende Untersuchung sind die in diesem Kapitel skizzierten empirischen Erkenntnisse zu Motiven und Interessen, welche die Studien- und Berufswahl (Primar-)lehrperson begünstigen, von hoher Bedeutung. Denn diese Interessen, Erfahrungen und Motive werden möglicherweise während der Ausbildungszeit in der FMS oder im Gymnasium durch das gewählte Profil aus- oder mitgeprägt, aber möglicherweise auch beschränkt. Mit einer Untersuchung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils können Hinweise darauf gewonnen werden, inwiefern und wodurch (unterschiedliche) Motivationen, Interessen und praktische Erfahrungen durch die schulische Ausbildung gefördert oder behindert werden, und inwiefern sie zur Erklärung der unterschiedlichen Bedeutung der beiden Profile für die Ausbildung von Primarlehrpersonen beitragen.

2.5 Forschungslücke und Forschungsfragen

Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, fehlt bislang empirische Forschung zum historischen Prozess der Institutionalisierung der FMS Pädagogik als Zugangsweg zur Lehrpersonenbildung an Pädagogischen Hochschulen. Dies stellt die erste Forschungslücke dar, der sich die vorliegende Studie widmet. Das Ziel ist zu erklären, wie und warum sich die ehemalige Diplom- und heutige Fachmittelschule trotz Kritik und Infragestellung, trotz der Wahrnehmung des Gymnasiums als «Königsweg» in die Lehrpersonenbildung und trotz der Einführung des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils als funktionaler Ersatz der Lehrer*innenseminare als Zubringerin zur PH institutionalisieren und zu einer heute anerkannten, zum Gymnasium funktional äquivalenten Zubringerschule für die Ausbildung von Primarlehrpersonen entwickeln konnte.

Die zweite identifizierte Forschungslücke betrifft die Übertrittsquoten von Absolvierenden des FMS-Profils und der Fachmaturität Pädagogik sowie des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils in die Tertiärstufe. Es ist bisher ungeklärt, wie viele der 70 % Fachmittelschüler*innen des Profils Pädagogik, die ihre Ausbildung mit einer Fachmaturität fortsetzen (Babel et al. 2018, S. 23), sich für eine pädagogische Fachmaturität entscheiden. Ebenso, wie viele Absolvierende des pädagogischen FMS-Profils letztendlich – mit oder ohne Fachmaturität – in ein PH-Studium übertreten. Zudem existieren bisher keine detaillierten empirischen Untersuchungen dazu, in welche konkreten Studiengänge an PH, FH und Universitäten die Absolvierenden der Fachmaturität Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils eintreten. Eine solche Untersuchung könnte Hinweise darauf generieren, warum die PH-Ausbildung zur Primarlehrperson für Gymnasiast*innen an Bedeutung verliert – wenn sich etwa zeigen würde, dass sie ihren pädagogischen Interessen eher an Universitäten in psychologischen oder erziehungswissenschaftlichen Studiengängen nachgehen, oder sie ihre sich im Verlauf der schulischen Laufbahn verstärkenden fachlichen Interessen (Mombelli-Matthys 2011) im Rahmen eines musik- oder kunstwissenschaftlichen Studiums weiterverfolgen.

Ebenso ist bisher empirisch nicht geklärt, welche Bildungswege Absolvierende eines Fachmittelschulausweises ohne Fachmaturität Pädagogik einschlagen. Im Weiteren fehlen sprachregional differenzierte Untersuchungen, die zeigen könnten, inwiefern sich die von Cortesi (2017) herausgearbeiteten unterschiedlichen Wertigkeiten von Allgemein- und Berufsbildung in der deutschsprachigen und der französischsprachigen Schweiz auch auf Übertrittsquoten in die Tertiärstufe auswirken. Dies stellt die zweite Forschungslücke dar, der sich die vorliegende Studie annimmt.

Die dritte Forschungslücke betrifft die Erklärung des (unterschiedlichen) Wahlverhaltens der Schüler*innen und somit der unterschiedlichen Bedeutung von FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils für die Ausbildung von Primarlehrpersonen an PH. Im Anschluss an die in Abschn. 2.4 skizzierten empirischen Untersuchungen kann von der Annahme ausgegangen werden, dass das gewählte Profil in der FMS oder im Gymnasium die Studien- und Berufswahl wesentlich beeinflusst.

Wie und durch welche Mechanismen und Charakteristika sich die schulische Sozialisation in diesen Profilen auszeichnet und wie dadurch möglicherweise unterschiedliche Studien- und Berufswahlmotive geprägt und geformt werden, ist bisher allerdings unerforscht. Daher ist das dritte Ziel der vorliegenden Studie zu rekonstruieren, durch welche Charakteristika und Spezifika sich die schulische Ausbildung in der FMS Pädagogik sowie im musisch-pädagogischen Gymnasialprofil auszeichnet, um damit Hinweise auf die – quantitativ festgestellte – unterschiedliche Bedeutung der beiden Schultypen für die Ausbildung von Primarlehrpersonen an PH zu erklären. Auch hierbei sind die von Cortesi (2017) angedeuteten sprachregionalen Unterschiede von Interesse.

Zudem existiert abgesehen von zwei Evaluationsstudien (Capaul und Keller 2014; Quesel et al. 2010) keinerlei empirische Forschung zur schulischen Ausbildung in der FMS Pädagogik, obwohl sie sich zu einer bedeutenden Zubringerin für die Ausbildung von Primarlehrpersonen entwickelt hat. Empirische Forschung zur FMS Pädagogik stellt somit an sich eine grundlegende Forschungslücke dar. Ähnlich ist es abgesehen von der Studie Mombelli-Matthys (2011) zum Schwerpunktfach PPP um das musisch-pädagogische Gymnasialprofil bestellt. Daher verfolgt diese Studie auch das Ziel, in explorativer Weise empirisch fundierte Ergebnisse zu diesen beiden Ausbildungsprofilen zu generieren.

Die vorliegende Studie hat zum Ziel, die unterschiedliche und historische Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils für die Ausbildung von Primarlehrpersonen an PH zu erklären. Der Begriff der «Bedeutung» umfasst hierbei entsprechend den drei formulierten Forschungslücken erstens die historische Bedeutung der beiden Profile, zweitens ihre aktuelle quantitative Bedeutung sowie ihre Bedeutung aus einer qualitativ-explorativen Perspektive. Daraus resultieren folgende drei Forschungsfragen:

  1. 1.

    Wie konnte sich die FMS Pädagogik trotz wiederholter Kritik und in Anbetracht des gymnasialen «Königswegs» als Zugangsweg in die Ausbildung von Primarlehrpersonen an PH institutionalisieren?

  2. 2.

    Welche Übertrittsquoten in den Studiengang Primarstufe weisen die beiden untersuchten Profile auf und in welche Studiengänge auf Tertiärstufe treten ihre Absolvierenden über?

  3. 3.

    Durch welche Charakteristika und Spezifika konstituieren sich die FMS Pädagogik und das musisch-pädagogische Gymnasialprofil? Wie kann auf dieser Basis ihre unterschiedliche Bedeutung für die Primarlehrpersonenbildung erklärt werden?