Zusammenfassung
Dieser Beitrag reflektiert den Ertrag, der mithilfe von Videoanalysen der filmischen Selbstdokumentation für eine Untersuchung von Mikroprozessen sozialer Wirklichkeit gewonnen werden kann, wenn sie vom Standpunkt einer Theorie der symbolischen Praxis aus beurteilt werden. (Unter dem Wort Film soll hier jedwede Form der Aufzeichnung von Bewegtbildern verstanden werden. Die Begriffe Film und Video verwenden wir synonym.) Dazu werden die methodischen Zugänge der ethnomethodologischen Konversationsanalyse (Sacks 1984; Garfinkel 1967) und der Dokumentarischen Interpretation (Bohnsack 2010) auf die grundlegende Prämisse der Theorie symbolischer Praxis (sensu Bourdieu und Passeron 1970) bezogen (Kap. 1). Hierzu wird eine Sequenz eines Videos vom Treffen eines Film- und Fotoclubs analysiert (Kap. 2). Anhand dieser Analyse soll erörtert werden, welchen Ertrag der Feldzugang der filmischen Selbstdokumentation für die Analyse habitueller Diskursformen darstellt (Kap. 3).
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Notes
- 1.
Der FFC ist ein eingetragener Verein in einer mittelgroßen Stadt in Norddeutschland. Er zählt dreißig Mitglieder im Alter von 50 bis 80 Jahren, davon sind zwei Mitglieder weiblich, die anderen männlich. Der Verein trifft sich einmal wöchentlich zu einem zweistündigen Clubabend in einem angemieteten Raum, der mit Stühlen und Tischen sowie einer Leinwand, Beamer und PC ausgestattet ist. An diesen Abenden zeigen abwechselnd Mitglieder selbstgemachte Fotografien oder Videos den anderen Mitgliedern. Hierbei wird dann u. A. darüber diskutiert, wie und warum die Aufnahmen erstellt wurden (Anlass, Auswahl der Technik, Lichtverhältnisse, Arrangement der Objekte, etc.) und, wie man die Aufnahme anders gestalten könnte (z. B. Änderung von Belichtungszeiten, Aufnahmewinkel, nachträgliche Bildbearbeitung).
- 2.
Das Forschungsteam besteht aus den Autor_Innen dieses Artikels sowie weiteren studentischen Mitarbeiter_Innen. Die vorliegende Forschung wurde im Kontext des DFG-geförderten Projektes „Digitale Verbreitungsmedien, Kommunikationsmacht und Generation“ (http://www.uni-hildesheim.de/digitalmachtmedien/) durchgeführt. Der Fokus dieses Projektes lag auf der Untersuchung von Differenzen zwischen analoger und digitaler Kommunikation. Das Forschungsteam nahm Kontakt zum FFC auf, da dieser Verein ein Forschungsfeld darstellt, in dem analog (unter Anwesenden) über Medienhandeln (Fotografieren, Filmen) kommuniziert wird. Die Datenerhebung erfolgte über teilnehmende Beobachtung, Leitfadeninterviews sowie filmische Selbstdokumentationen.
- 3.
Das Material wurde in einem ersten Schritt durch eine Sequenzanalyse strukturierend erfasst. Da wir uns in diesem Artikel nur mit der Analyse einer dieser Sequenzen befassen, soll diese grobe Zusammenfassung des Ablaufs des Abends an dieser Stelle genügen, um einen Einblick in das empirische Feld zugeben.
- 4.
Die Namen der Mitglieder werden durch den ersten Buchstaben ihres Vornamens sowie den Verweis auf ihr Geschlecht (m für männlich, w für weiblich) abgekürzt bzw. anonymisiert. Am heutigen Abend sind 15 Mitglieder anwesend. Sie sitzen an Tischen die u-förmig auf die Leinwand ausgerichtet sind.
- 5.
Wie bereits erwähnt, haben wir uns bewusst dafür entschieden, es den Akteur_Innen im Feld zu überlassen, wie sie sich selbst mit der Kamera dokumentieren, indem wir sie lediglich darum baten, sich selbst bei ihrem Tun zu filmen. So hat sich der FFC für einen „mobilen Kameramann“ entschieden; eine Abiturklasse unseres Samples wiederrum hat eine „statische Kamerafrau“ ausgewählt, die sich in die hinterste Sitzreihe des Klassenraumes gesetzt hat und von dort aus die Kamera nach dem Geschehen im Klassenzimmer durch seitliches Schwenken und Zoomen ausgerichtet hat.
- 6.
Die Selbstdokumentation des Clubabends wurde mit dem Programm ELAN (https://tla.mpi.nl/tools/tla-tools/elan/) transkribiert. Die verbale Kommunikation wurde nach TiQ (Talk in Qualitative Social Research) (vgl. Przyborski 2014, S. 167 f.) transkribiert. Das Videotranskript wurde mit dem Programm MoviScript (http://www.moviscript.net/index.php) erzeugt.
Literatur
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Maleyka, L., Oswald, S., Herma, H., Corsten, M. (2018). Filmische Selbstdokumentationen als Datenmaterial. In: Moritz, C., Corsten, M. (eds) Handbuch Qualitative Videoanalyse. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-15894-1_38
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-15894-1_38
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