Zusammenfassung
Agrar- und Ernährungswirtschaft ist ein Themenkomplex, der für die Partei Bündnis 90/Die Grünen eine zunehmend wichtige Rolle im Parteienwettbewerb auf Bundes- wie auf Länderebene spielt. In Baden-Württemberg wurde das für Agrar- und Verbraucherpolitik zuständige Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) von 2011 bis 2016 zum ersten Mal seit Bestehen des Landes von einem grünen Minister geführt. Welche Ziele haben die baden-württembergischen Grünen im Hinblick auf die Agrar- und Ernährungswirtschaft in der Wahlkampfphase definiert? Inwieweit konnten die Grünen ihre Zielvorstellungen im Rahmen der Koalitionsverhandlungen mit der SPD festschreiben? Inwiefern wurde eine „grüne“ Handschrift bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Agrar- und Verbraucherpolitik sichtbar? In diesem Beitrag gehen wir diesen drei Forschungsfragen mithilfe einer Analyse von Wahlprogrammen, dem Koalitionsvertrag von 2011 sowie Entscheidungen im Hinblick auf die grüne Gentechnik nach. Daraus lassen sich folgende Erkenntnisse gewinnen: i) Die Grünen haben im Zuge des Landtagswahlkampfs eine umfangreiche Programmatik zu Agrar- und Ernährungswirtschaft vorgelegt; ii) bei den Koalitionsverhandlungen konnten die Grünen ihre Idealvorstellungen gegenüber den Positionen der SPD durchsetzen; iii) die grüne Gentechnik ist ein Bereich, in dem ein weitreichender Politikwandel stattgefunden hat. Insgesamt zeigt die Analyse, dass die Agrar- und Verbraucherpolitik nach dem Regierungswechsel – und in Übereinstimmung mit den Wahlkampfaussagen – deutlich „grüner“ geworden ist.
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Notes
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Zu kommerziellen Zwecken angebaut wurde MON810 zuletzt 2011 in Sachsen-Anhalt, während die letzte wissenschaftliche Freisetzung 2013 in Mecklenburg-Vorpommern erfolgte. Seit 2014 wurden bundesweit keinerlei gentechnisch veränderte Pflanzen mehr angepflanzt (BVL 2016).
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Gegenwärtig besteht das Netzwerk aus 64 Regionen aus den 28 EU-Mitgliedsstaaten. Vor Baden-Württemberg waren dem Netzwerk bereits die Bundesländer Thüringen (2010), Nordrhein-Westfalen (2011) und Schleswig-Holstein (zuletzt 2012) beigetreten. In den Jahren von 2013 bis 2015 traten zudem Rheinland-Pfalz, Saarland, Niedersachsen, Bayern, Hessen, Bremen und Hamburg bei, sodass dem Netzwerk mittlerweile elf von 16 Bundesländern angehören.
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Als gentechnikfrei gelten Futtermittel demnach dann, wenn sie dem Standard „ohne Gentechnik“ entsprechen (Landtag BW 2012, S. 4).
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Tosun, J., Hartung, U. (2017). Wie „grün“ wurde die Agrar- und Verbraucherpolitik unter Grün-Rot?. In: Hörisch, F., Wurster, S. (eds) Das grün‐rote Experiment in Baden-Württemberg. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-14868-3_9
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