Skip to main content

Ursachen: Die Entwicklungslogik demokratischer Defekte

  • Chapter
  • First Online:
Pathologie der Demokratie

Zusammenfassung

Die im letzten Kapitel analysierten Defekte stehen jeweils in engem Zusammenhang mit einer entsprechenden Fehlprogrammierung der politisch Handelnden. Das Universum demokratischer ‚Krankheiten‘ lässt sich also durch ein komplementäres Spektrum dysfunktionaler Handlungsorientierungen erklären, das überhaupt erst zur Entstehung und Entfaltung des jeweiligen pathologischen Befunds führt. Diesem Ursachensyndrom soll deshalb in den folgenden Ausführungen genauer nachgegangen werden, die demzufolge auch nahtlos an die Defektsystematik des letzten Abschnitts anschließen.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 39.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 59.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Notes

  1. 1.

    Auch das jüngste schottische Unabhängigkeitsreferendum konnte ja – wie auch die wenigen früheren britischen Referenden (EG-Verbleib, Devolution) – nur auf der Grundlage entsprechender Legislativakte des britischen Parlaments (Scotland Act 1998, Political Parties, Elections and Referendums Act 2000) sowie einer darauf fußenden Order in Council der Londoner Regierung stattfinden, welch letztere wiederum dem schottischen Regionalparlament eine einmalige Ausnahmegesetzgebung zu dessen Durchführung gestattete. Dieses äußerst umständliche Verfahren, das im Abkommen von Edinburgh im Oktober 2012 vereinbart worden war, gründete also trotz seiner großen verfassungspolitischen Bedeutung auf einer singulären rechtlichen Autorisierung nur für diesen Fall. Darin liegt auch der demokratiepolitische Schwachpunkt dieser Konstruktion, verleitet sie doch zu ihrer opportunistischen Instrumentalisierung: Nur wenn eine derartige Abstimmung der britischen Regierung gelegen kommt bzw. sie ein genehmes Ergebnis erwartet, wird sie sie auch ansetzen. So war es auch im Vorfeld dieser Entscheidung, als das Lager der Unabhängigkeitsgegner noch erkennbar dominierte. Erst kurz vor der Abstimmung am 11. September 2014 schrumpfte dieser sicher geglaubte Vorsprung und führte in London zu größter Unruhe und schließlich sogar zu einer ungewöhnlichen parteiübergreifenden Kampagne von Regierung und Opposition für den Verbleib Schottlands im Vereinigten Königreich.

  2. 2.

    Die Traditionen des französischen und des amerikanischen Republikanismus hat Hannah Arendt schon Mitte des letzten Jahrhunderts souverän herausgearbeitet und dabei auch den zugrunde liegenden Ideenbestand systematisch erschlossen (Arendt 2000/1963). Vgl. dazu auch Ottmann (2010, S. 409–453) sowie als moderne Einführung in den Republikanismus Richter (2004).

  3. 3.

    Fukuyamas jüngst mit Blick auf die USA geäußerte lobbyismuskritische Diagnose zeigt allerdings, dass derlei Einschätzungen auch heute noch verbreitet sind: „All modern states, however, are subject to recapture by powerful groups in society. The reform efforts undertaken in the United States from the Progressive Era on have largely eliminated the form of corruption that involved explicit exchanges of favors for votes. But it has been replaced in contemporary U.S. politics by a broader and perfectly legal system of influence buying, in which politicians and interest groups engage in a reciprocal exchange of favors. It would appear that political development is not a one-way ratchet that keeps turning in a progressive direction. Political decay remains an ever-present possibility“ (Fukuyama 2013, S. 15).

  4. 4.

    Dahl weist dabei zu Recht auf die demokratiefeindlichen Wurzeln eines derartigen Elitismus hin, den er als „Guardianship“ charakterisiert und letztlich auf das Ideal der platonischen Philosophenherrschaft zurückführt: „A perennial alternative to democracy is government by guardians. In this view, the notion that ordinary people can be counted on to understand and defend their own interests – much less the interests of the larger society – is preposterous. Ordinary people, these critics insist, are clearly not qualified to govern themselves. The assumption by democrats that ordinary people are qualified, they say, ought to be replaced by the opposing proposition that rulership should be entrusted to a minority of persons who are specially qualified to govern by reason of their superior knowledge and virtue“ (Dahl 1989, S. 52).

  5. 5.

    Die moderne elitäre Demokratietheorie schreibt dieses Modell fort, wenn sie wie Schumpeter den „Konkurrenzkampf um die politische Führung“ (1987/1942, S. 427–450) zum Dreh- und Angelpunkt des politischen Geschehens erhebt, in dem also die Auseinandersetzung der (vernunftbegabten) Eliten um die Macht dominiert und die Wählerschaft zur Peripherie degeneriert. Robert Michels hat aber schon vor langem überzeugend dargetan, dass individual- und massenpsychologische sowie organisatorische Faktoren bzw. Notwendigkeiten einen derartigen Elitismus begünstigen, die er allerdings völlig überzogen als Ursachen für sein „ehernes Gesetz der Oligarchie“ benennt (Michels 1989/1911, S. 351–369). Schmitter hat dem eine sachgerechtere Lesart verliehen: „Roberto Michels was the first to observe that even in the most democratic of institutions, professional leaders and staff tend to possess certain advantages of incumbency that insulate them from the threat of being deposed by challengers. His „Iron Law” implies that parties, associations, and movements – to say nothing of legislatures – all become increasingly oligarchic and therefore less accountable to their members or the public at large“ (Schmitter 1994, S. 62). Die oligarchiebegrenzende Wirkung sozialer und politischer „Stratarchien“ hat darüber hinaus Eldersveld am US-amerikanischen Beispiel herausgearbeitet und damit verdeutlicht, dass der jeweilige systemische Kontext den Grad der Oligarchisierung maßgeblich beeinflusst (Eldersveld 1964, 1982).

  6. 6.

    Am Beispiel der jüngsten Weltwirtschaftskrise thematisieren Laux und Rosa aber zu Recht auch die Gefahren, die mit einem Verfall in das planungskritische Gegenteil verbunden sein können. Politik wird ihrer Auffassung nach gerade durch die wachsende „Beschleunigung“ politischer, ökonomischer und sozialer Modernisierungsprozesse und der damit verbundenen größeren Problemkomplexität „auf merkwürdige Weise willkürlich. (…) Die Voraussetzungen für rationale Entscheidungsprozesse, so unser Kernargument, werden zunehmend untergraben. Diese Beobachtung behält auch dann ihre Gültigkeit, wenn Rationalität in der verkürzten Lesart der Rational-Choice-Theorien als „egoistische Nutzenmaximierung“ definiert wird: Langfristige politische Planung wird in der Gegenwart, ganz unabhängig von den verfolgten Präferenzen, geradezu dysfunktional und muss durch flexibel-kurzfristiges Anpassungsverhalten ersetzt werden. Eine Politik des „muddling through“ (Lindblom 1959) ist nicht nur in Krisenzeiten der sichtbare Effekt. (…) Im Schatten der Netzwerke wird indes der demokratische Willensbildungsprozess unterhöhlt – und damit die Hoffnung auf politische Rationalität, da eine demokratisch-deliberative, kollektive Präferenzbildung ausbleibt“ (Laux und Rosa 2009, S. 552). Zum Grundproblem der Beschleunigung umfänglich und weiterführend auch Rosa (2014).

  7. 7.

    Blühdorn hat dabei jüngst einen strukturellen Hang postdemokratischer Politik zur „Nicht-Nachhaltigkeit“ postuliert und macht dafür nicht zuletzt Verantwortung verwischende, unübersichtliche governance-Strukturen verantwortlich: „Für die Politik der Nicht-Nachhaltigkeit sind diese modernen governance-Formen aber besonders zuträglich. Denn erstens verschieben sie, wie gesagt, die politischen Macht- und Einflussverhältnisse zugunsten der Modernisierungsgewinner und ihrer spezifischen Interessen. Zweitens nehmen sie für sich in Anspruch, weit weniger hierarchisch und sehr viel flexibler, kooperativer und bürgernäher zu sein als traditionelle Formen zentralstaatlichen Regierens. (…) Drittens schließlich zerstreuen sie politische Verantwortlichkeiten und machen es so sehr viel schwerer, konkrete Akteure der Politik der Nicht-Nachhaltigkeit überhaupt zu benennen, geschweige denn zur Rechenschaft zu ziehen“ (Blühdorn 2013, S. 266–267).

  8. 8.

    Allerdings hat diese technizistisch-biopolitische Perspektive seit den 1970er Jahren in Gestalt der „liberalen Eugenik“ und dabei konkret in Form der modernen Reproduktionsmedizin ein problematisches Revival erfahren, worauf Kauffmann hinweist: „Liberale Eugeniker treten für eine radikale Ausweitung von individuellen Fortpflanzungsfreiheiten ein. Wenn man sich gegen die Auswüchse der alten Eugenik schützen wolle, die von staatlichen Institutionen betrieben worden war, müsse man, so die einhellige Meinung, die Verantwortung ganz in die Hände der mutmaßlichen Eltern legen. (…) Die Fortpflanzungsfreiheit sollte [den liberalen Eugenikern zufolge, M.S.] alle Entscheidungen betreffen, ob, mit wem und unter Einsatz welcher Mittel man sich fortpflanzen möchte, ferner, wann man Kinder haben will und wie viele“ (Kauffmann 2008, S. 222).

  9. 9.

    Willke hat dies im Zusammenhang mit der von ihm analysierten Entgrenzungsproblematik folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „In einer atopischen Gesellschaft mit globalem Radius (…) findet die Marktutopie die Bedingungen ihrer Verwirklichung. Aber jede Form des Marktes hat Vorbedingungen, die sie nicht selber erzeugen kann, und jede Form weist Externalitäten auf, die sie nicht selber kontrollieren will. So bleibt auch in der atopischen Gesellschaft der Politik die Aufgabe, die Kollektivgüter bereitzustellen, die eine reine Marktgesellschaft erst zu einer Utopie ganz anderer Qualität erhebt. Es ist die utopische Hoffnung, die Schumpeter von Marx übernommen hat: Dass es nicht die Qualität des Marktes ist, sondern die Qualität der Demokratie, welche eine Form der Gesellschaft als menschenwürdig adelt“ (Willke 2001, S. 65). Vgl. zur Grundproblematik auch Thielemann (2010).

  10. 10.

    Präzise Zahlen über die Religionszugehörigkeit der ägyptischen Bevölkerung liegen zwar nicht vor, doch reicht schon die grobe Schätzung des Anteils der Kopten auf ca. 6–15 % aus, um deren religionspolitische Relevanz zu belegen. Ihnen stehen über 80 % zumeist sunnitische Muslime gegenüber (Fischer Weltalmanach 2013, S. 25).

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Martin Sebaldt .

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2015 Springer Fachmedien Wiesbaden

About this chapter

Cite this chapter

Sebaldt, M. (2015). Ursachen: Die Entwicklungslogik demokratischer Defekte. In: Pathologie der Demokratie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09518-5_5

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-09518-5_5

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-09517-8

  • Online ISBN: 978-3-658-09518-5

  • eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)

Publish with us

Policies and ethics