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Pathologie der Demokratie: Die Grundannahmen

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Pathologie der Demokratie
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Zusammenfassung

Im folgenden Abschnitt werden die theoretischen Grundannahmen der Studie zunächst zugespitzt präsentiert, um sie dann in den weiteren Kapiteln systematisch ausbauen zu können. In einem ersten Schritt wird das Panorama demokratischer Defekte erschlossen, woran die Suche nach ihren jeweiligen Ursachen und ihrer Entwicklungslogik anschließt. Drittens sind dann die jeweiligen funktionalen Profile von Demokratie zu definieren, aus deren Konkretisierung und Abgrenzung die hier formulierte Pathologie letztlich erwächst.

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Notes

  1. 1.

    Dies gilt vor allem für die minimalistischen Messkonzepte Vanhanens (1997, 2003). Auch Lauth (2004, S. 330; Lauth und Kauff 2012, S. 21) konstruiert anhand der drei Dimensionen Freiheit, Gleichheit und Kontrolle und der fünf „Institutionen“ Entscheidungsverfahren, intermediäre Vermittlung, Kommunikation/Öffentlichkeit, Rechtsgarantie sowie Regelsetzung und Regelanwendung eine 15-Felder-Matrix, in der die policy-Komponente nur von den letzten beiden Institutionen partiell erfasst wird. Und auch das 2012 vorgestellte Demokratiebarometer von Bühlmann, Merkel, Müller, Giebler und Weßels legt mit den „Demokratieprinzipien“ Freiheit, Gleichheit und Kontrolle sowie den jeweils zugeordneten Teilfunktionen Individuelle Freiheiten, Rechtsstaatlichkeit und Öffentlichkeit, Wettbewerb Gewaltenkontrolle und Regierungsfähigkeit sowie Transparenz, Partizipation und Repräsentation erkennbar wieder den Schwerpunkt auf die strukturellen und prozeduralen Demokratiekomponenten (Bühlmann et al. 2012, S. 119–130). Ein jüngst vorgestelltes „duales Messkonzept für liberale und radikale Demokratiequalität“ von Dlabac und Schaub (2012), das also von vornherein von zwei unterschiedlichen Demokratieidealen (liberale vs. radikale Demokratie) als Beurteilungsmaßstab ausgeht, ist aber am Ende ähnlich fokussiert. Vgl. zu den konzeptionellen Evaluationsproblemen auch Hüller und Deters (2011).

  2. 2.

    Auch das komplexe Messkonzept des „Democratic Audit“ von David Beetham (1994, 1999, 2003) greift in dieser Hinsicht zu kurz, obwohl erkennbar von den Bestreben nach sachgerechter Komplexität geleitet: „We have not limited democracy to the two areas of electoral competition and inclusiveness and civil and political freedoms that have become standard since Dahl’s Polyarchy. (…) We have extended the analysis of political institutions to issues of government openness, accountability and responsiveness; and we have also included criteria to assess aspects of civil society and its relationships to government. In addition, we have used the principle of political equality as a key index of democratic attainment throughout our assessment of political rights and institutions“ (Beetham und Weir 2000, S. 76). Ähnlich fokussiert auch bereits die „Kriterien demokratischer Performanz“ von Fuchs (1998) der 2008 zusammen mit Roller wiederum andere Messkonzepte einer kritischen Diskussion unterzieht. Vgl. auch die Überblicke von Diamond und Morlino (2004, 2005). Einen Forschungsbericht zur Entwicklung der Demokratie-Audits liefern Kaiser und Seils (2005) sowie Lauth (2011, S. 51–57). Zu den Zusammenhängen zwischen Politik und Wirtschaftswachstum umfänglich auch Obinger 2004; Fausts internationaler Vergleich (2006) bestätigt zudem erneut die positive Korrelation zwischen Demokratisierung und gesamtwirtschaftlicher Produktivitätsentwicklung.

  3. 3.

    Auch der Bertelsmann-Transformationsindex deckt diese policy-Komponente inzwischen zumindest partiell ab, da er neben den fünf Messkriterien der „politischen Transformation“ (Staatlichkeit, politische Partizipation, Rechtsstaatlichkeit, Stabilität demokratischer Institutionen, politische und gesellschaftliche Integration) auch sieben Kriterien „wirtschaftlicher Transformation“ (sozioökonomisches Entwicklungsniveau, Markt- und Wettbewerbsordnung, Währungs- und Preisstabilität, Privateigentum, Sozialordnung, Leistungsstärke der Volkswirtschaft, Nachhaltigkeit) sowie fünf Kriterien des „Transformationsmanagements“ (Schwierigkeitsgrad, Gestaltungsfähigkeit, Ressourceneffizienz, Konsensbildung, internationale Zusammenarbeit) definiert (Bertelsmann Stiftung 2012, S. 134–135). Gleiches gilt für die Performanz-Kriterien von Roller, die für die Politikfelder „domestic security policy“, „economic policy“, „social policy“ und „environmental policy“ jeweils mehrere, allerdings sehr spezielle Einzelindikatoren ausweist, um das diesbezügliche Leistungsprofil von Demokratien zu messen (Roller 2005, S. 141).

  4. 4.

    Zugrunde liegt hier natürlich der Autonomie-Begriff in seinem ursprünglichen griechischen Wortsinne, der folglich als terminologisches Gegenstück zum Heteronomie-Begriff fungiert. Dieses Autonomie-Problem wird in der politischen Praxis besonders dann spürbar, wenn in einer Verfassungsordnung institutionelle „Vetopunkte“ (Kaiser 1998) solcher Akteure verankert sind, die den politischen Entscheidungsprozess im ungünstigsten Fall durch ein selbstherrliches Blockadeverhalten zum Erliegen bringen können. Zu diesem Problemkomplex umfassend und theoretisch reflektiert Tsebelis (2002).

  5. 5.

    Im Kern dreht sich die zeitgenössische, an Colin Crouchs polemischem Essay entzündete Debatte um eine bürgerferne „Postdemokratie“ (Crouch 2008) um diesen Sachverhalt, den auch Wolin fast zeitgleich mit seiner Krisendiagnose einer eliten- und wirtschaftszentrierten „Managed Democracy“ thematisiert (Wolin 2010, S. 131–158). Crouch hat dabei aber jenseits seiner skizzenhaften Problemdiagnose wenig für eine Bewältigung der Situation zu bieten. Etwas fatalistisch bilanziert er: „Wir befinden uns in einer ambivalenten Situation, aus der wir nur widersprüchliche Lehren ziehen können. Erstens: Wir müssen aufmerksam die Möglichkeiten neuer sozialer Bewegungen beobachten; vielleicht verstehen wir diese Bewegungen nicht sofort, doch möglicherweise liegt in ihnen das Potential für eine Vitalisierung der Demokratie. Zweitens: Wir sollten uns klarmachen, daß wir den Einfluß der Lobbys etablierter und neuer Initiativen und Bewegungen nutzen sollten, da postdemokratische Politik nun einmal über Lobbys funktioniert. Auch wenn es immer schwierig sein wird, egalitaristische Anliegen gegen die mächtigen Interessen der Wirtschaft durchzusetzen, werden sie zusätzlich geschwächt, wenn man ganz auf Lobbyarbeit verzichtet. Und drittens: Wir müssen – kritisch und keinesfalls bedingungslos – weiterhin auf die Parteien setzen, da keine ihrer postdemokratischen Alternativen ein vergleichbar großes Potential bietet, das Ziel der politischen und sozialen Gleichheit durchzusetzen“ (Crouch 2008, S. 155–156). Klaus von Beyme hat daher jüngst zu Recht geurteilt, dass sich aufgrund der Unschärfen des Konzepts „ein neuer genereller Typ von Postdemokratie (…) noch nicht stringent ableiten“ lässt (von Beyme 2013, S. 13). Vgl. zum Problemkomplex auch Jörke (2005), Fischer (2006), Richter (2006), Mouffe (2011) sowie Ritzi und Schaal (2014), die die damit zusammenhängenden Probleme politischer Ethik diskutieren.

  6. 6.

    Diese Funktion bildet der Bertelsmann-Transformationsindex sinngemäß mit seinen Kriterien „Währungs- und Preisstabilität“, „Nachhaltigkeit“ und „Ressourceneffizienz“ ab (Bertelsmann Stiftung 2012, S. 134–135).

  7. 7.

    Armingeon und Guthmann haben anhand eines Vergleichs von 26 EU-Staaten für die Jahre 2007 bis 2011 die negativen internationalen Auswirkungen auf die Demokratieakzeptanz eindrücklich dokumentiert: „Support for national democracy – operationalised as satisfaction with the way democracy works and as trust in parliament – declinend dramatically during the crisis. This was caused both by international organisations and markets interfering with national democratic procedures and by the deteriorating situation of the national economy as perceived by individual citizens“ (Armingeon und Guthmann 2014, S. 423). Die Studie Daltons aus dem Jahr 2004 verdeutlicht allerdings, dass dieser Trend schon länger zu beobachten ist und deshalb nicht zu einseitig auf die jüngsten Krisenentwicklungen zurückgeführt werden darf.

  8. 8.

    Mit Blick auf die USA charakterisierte Fukuyama dies Anfang der neunziger Jahre sogar als Kernproblem liberaler Demokratie: „Die heutige Situation ist dadurch gekennzeichnet, daß die Gesellschaft im Namen der Toleranz jede Art von moralischem und religiösem Fanatismus ablehnt. Im geistigen Klima von heute ist die Fähigkeit geschwunden, an irgendeine Lehre zu glauben, weil man fest entschlossen ist, für jeden Glauben und jedes Wertesystem dieser Welt offen zu sein. Angesichts dieser Lage sollte es nicht überraschen, daß das Gemeinschaftsleben in Amerika viel von seiner Kraft verloren hat. Die Auszehrung hat nicht etwa trotz der liberalen Prinzipien stattgefunden, sondern gerade weil liberale Prinzipien gelten“ (Fukuyama 1992, S. 430).

  9. 9.

    MacIntyre regte deshalb schon vor längerer Zeit an, „zu untersuchen, ob es nicht wahrlich erhellend wäre, die politische und soziale Geschichte des modernen Amerika in wesentlichen Teilen als Verkörperung einer zentralen begrifflichen Verwirrung zu schreiben – einer Verwirrung, die vielleicht für das Überleben eines modernen Staatswesens mit großen Ausmaßen notwendig ist, insofern als dieser Staat sich in vielen Institutionen als liberal erweisen muss, andererseits jedoch in der Lage sein muß, sich der patriotischen Verehrung einer ausreichenden Zahl seiner Bürger zu versichern, um weiter effektiv funktionieren zu können. Wollte man bestimmen, ob dies wahr ist oder nicht, riskierte man herauszufinden, daß wir in einer Art von Staatswesen leben, dessen moralische Ordnung auf einer systematischen Inkohärenz in der Form der öffentlichen Anerkennung miteinander unvereinbarer Prinzipien beruht“ (MacIntyre 1993, S. 102).

  10. 10.

    Dahl fasst die demokratiebezogene Perspektive des Anarchismus treffend in folgende Worte: „The philosophical theory of anarchism holds that because states are coercive and because coercion is intrinsically bad, states are inherently evil; and further that states could be – and as an unnecessary evil should be – eliminated by replacing them with voluntary associations. Because democracy might well be the most desirable process for governing these associations, it might also be the prevalent form of government in an anarchist society. But in the anarchist view democracy cannot redeem a state. For even if coercion were the product of a perfectly democratic process, coercion would remain, as it must, an intrinsic (and avoidable) evil; thus even a state governed by a democratic process is evil. Being evil, a democratic state, like every state, lacks any justifiable claim to our loyalty, support, or our obligation to obey its lacks“ (Dahl 1989, S. 37).

  11. 11.

    Bächtiger und Wyss diagnostizierten jüngst auch einen entsprechenden „Boom“ der empirischen Deliberationsforschung seit den 1990er Jahren: „Das philosophische Konstrukt des vernünftigen Dialogs wurde nicht nur auf sein Vorkommen in der politischen und zivilgesellschaftlichen Sphäre hin untersucht, sondern zunehmend auch in Modelle politischen Entscheidungshandelns eingebaut“ (Bächtiger und Wyss 2013, S. 155). Kritisch zum Deliberationsmodell Jörke (2010), der darin Reibungspunkte zu den beiden zentralen demokratischen „Versprechen“ (gleiche Teilhabe am politischen Prozess, Angleichung der sozialen Lebensverhältnisse) erkennt. Ähnlich lautet Schaals und Heidenreichs Argument, „dass die deliberative Demokratietheorie nur das Ideal prozeduraler politischer Gleichheit vertritt, jenes der substanziellen politischen Gleichheit jedoch verletzen muss“ (Schaal und Heidenreich 2007, S. 23). Vor einiger Zeit haben Hoggett und Thompson zudem angemahnt, die emotionale Komponente des Deliberationsprozesses besser zu berücksichtigen und verweisen in ihrer Skizze einer „Democracy of the Emotions“ (2002) auf entsprechende Berührungspunkte mit der psychoanalytischen Forschung.

  12. 12.

    In einer Sichtung der aktuellen Forschungsliteratur stellen Töller und Vollmer überdies das traditionelle Ressourcenmodell zur Diskussion, dass sich also „die Interessen der ressourcenstärkeren Abstimmenden im Ergebnis stärker wiederfinden“ (Töller und Vollmer 2013, S. 315). In Frage gestellt wird damit also die traditionelle These, dass die Ergebnisoffenheit direktdemokratischer Partizipation durch die ressourcenbedingte variable Kampagnenfähigkeit der Beteiligten beeinträchtigt werde.

  13. 13.

    Fairerweise darf dabei aber auch die ordnungsstiftende Funktion des römischen Rechts nicht aus dem Blick verloren werden, wie Meier zurecht betont: „Man kann nicht abschätzen, wie die Geschichte seit dem hohen Mittelalter verlaufen wäre, wenn Herrscher, Städte, Untertanen, wenn Geschäftsleute, schließlich der Staat dieses Werkzeug, diese Wissenschaft mit all ihren Möglichkeiten der Versachlichung und der Entscheidung nicht gehabt hätten. So sei es genug zu sagen, daß die Tradition dieses Rechts jedenfalls von ganz außerordentlicher Bedeutung für Europa (wie schließlich für die ganze Welt) war und ist“ (Meier 2006, S. 115).

  14. 14.

    Die jahrzehntelange kontroverse Diskussion um den Zusammenhang zwischen (ökonomischer) Modernisierung und Demokratisierung verweist auf die große Relevanz des Sachverhalts. Lipset hat hier in seiner klassischen Analyse eine positive Korrelation postuliert (1959), die Przeworski et al. aber später differenzierter beurteilen: „Our central finding is the importance of economic factors in sustaining democracies. While the modernization theory was wrong in thinking that development under dictatorship breeds democracies, Lipset was correct to argue that once established in a wealthy country, democracy is more likely to endure. Indeed, we have found that once a country is sufficiently wealthy, with per-capita income of more than $ 6,000 a year, democracy is certain to survive, come hell or high water“ (Przeworski et al. 1996, S. 49). Vgl. zu diesem Problemkomplex auch umfänglich Przeworski et al. (1999, 2000).

  15. 15.

    Kielmansegg kommt nicht zuletzt deshalb zu einer recht nüchternen Einschätzung des Problemkomplexes, wofür er auch den kurzfrist-orientierten Charakter der Demokratie (Wahlperioden, elitäre Machtkalküle) und die egozentrische Fixiertheit des Menschen verantwortlich macht: „Das Entscheidungskollektiv Wählerschaft ist zu zukunftsverantwortlichem Handeln im definierten Sinn grundsätzlich nicht sonderlich disponiert. Die Zeitstruktur des politischen Prozesses in der Demokratie und der Zeithorizont der Wählerschaft bewirken gemeinsam, daß Politik in der Demokratie in hohem Maße auf die Gegenwart fixiert, an die Gegenwart und die allernächste Zukunft gebunden ist“ (Kielmansegg 2003a, S. 586–587). Auch Theisen benennt die „strukturelle Kurzfristigkeit von Demokratie und Marktwirtschaft“ und die Fixierung auf das „Hier und Jetzt“ als Kernprobleme, denen durch eine „gute Gouvernanz“ begegnet werden müsse (Theisen 2003).

  16. 16.

    Charles Lindblom hat diese überzogene Form politischer Planung als synoptische Methode bezeichnet, die er von der realistischeren, weil inkremental angelegten strategischen Methode mit einem schönen Fallbeispiel abgrenzt: „Wir wollen die beiden Methoden politischer Entscheidung und Planung am Beispiel eines auf 20 Jahre angelegten Ausbauprogrammes von Autobahnen ein wenig näher beleuchten. Die synoptische Theorie verlangt, daß alle neu zu bauenden Autobahnen als Teil eines integrierten Gesamtkomplexes zu sehen seien und daß kein Bau einer Strecke ohne Berücksichtigung aller anderen Strecken gerechtfertigt werden könne. Die Politiker und Planer des strategischen Modells gehen dagegen von der Annahme aus, daß sie nicht 20 Jahre vorausblicken könnten. Sie sehen sich selbst nicht in der Lage, alle die Wechselbeziehungen des Verkehrsgeschehens zu kennen, aus denen sich, je nach Anlage anderer Strecken, eine bestimmte Strecke begründen ließe. Sie werden deshalb zunächst einmal den Bau einiger dringend erforderlicher Autobahnen beschließen und dann die entsprechenden Resultate analysieren, bevor neue Strecken geplant werden“ (Lindblom 1980, S. 491).

  17. 17.

    Naschold hat daher in seiner klassischen Studie „Organisation und Demokratie“ für eine pragmatische Kombination von Routine-, Zweck- und Innovationsentscheidungen plädiert, die den strukturellen Beharrungstendenzen der Bürokratie Rechnung trägt und trotzdem zu weit reichender Innovation in der Lage ist. Das sei gerade bei einer derartigen komplexen „Programmverschachtelung“ nötig: „Bei einer solchen Programmverschachtelung wird die Anwendung der jeweiligen Routineprogramme durch vorgelagerte Zweckprogramme festgestellt. Ein je spezifisches Routineprogramm wird hierbei als ein Mittel angesehen, das im Variationsbereich eines bestimmten Zweckes durch andere, funktional äquivalente Programme ersetzt werden kann. (…) Der nächste Schritt muß dann folgerichtig in der Institutionalisierung von Innovationsentscheidungen in Zweckprogrammen gesehen werden. Bei einer solchen Verschachtelung wird eine bestimmte Variationsbreite für Zweckprogramme programmiert, innerhalb derer Zwecke eigenständig verändert werden können und sollen“ (Naschold 1972, S. 78).

  18. 18.

    Geis fordert deshalb zu Recht: „Die Kapazitäten zur Selbstkritik und Selbstdistanzierung, über welche die westlichen Demokratien verfügen, müssen gestärkt werden, um sich den kontingenten Charakter von Identitäts-/Differenzkonstruktionen vor Augen zu halten und die ihnen innewohnenden Verlockungen der Degradierung bestimmter „Anderer“ zu reflektieren. Damit verbunden wäre die Bereitschaft, Entzivilisierungstendenzen im eigenen Inneren nicht lediglich dem unguten Einfluss „Anderer“ zuzuschreiben, sondern im „Wir“ zu lokalisieren“ (Geis 2008, S. 183).

  19. 19.

    Schieren weist allerdings zu Recht darauf hin, dass das Konzept der Parlamentssouveränität selbst Wandlungen durchlaufen hat. Er grenzt diesbezüglich die „orthodoxe Lehre“ von der „Neuen Lehre“ ab, die im Unterschied zum klassischen Modell aus Praktikabilitätsgründen nun doch von einer Hierarchie zwischen verschiedenen Rechtsnormen ausgeht (Schieren 2001, S. 70–81). Abromeit (1995) erschließt darüber hinaus das ideengeschichtliche und systematische Spannungsfeld zwischen den konkurrierenden Konzepten der Volks-, der Parlaments- und der Verfassungssouveränität.

  20. 20.

    Ein generelles Plädoyer für die Verbindung von Evolutionstheorie und Politikwissenschaft findet sich auch bei Lempp und Patzelt: „Erstaunlich viel haben politische Institutionen mit biologischen Organismen bzw. mit jenen Arten gemeinsam, denen diese Organismen angehören. Beide sind eingebettet in eine Umwelt, aus der sie Ressourcen beziehen, für die sie bestimmte Leistungen erbringen und in der sie mit anderen um Ressourcen konkurrieren. (…) Sowohl das Verhalten biologischer Organismen und ganzer Arten als auch das politischer Institutionen kann sinnvollerweise so interpretiert werden, als ob diese danach strebten, die eigene Existenz auf Dauer zu stellen und nicht zu gefährden. Zugleich sind beide von der grundsätzlichen Möglichkeit des Endes ihrer Existenz bedroht. Und schließlich werden sowohl im Bereich von Organismen und Arten als auch in jenem sozialer Institutionen erfolgreiche Methoden zur Lösung von Problemen fixiert und für dauerhafte Reproduktion verfügbar gehalten: hier durch den genetischen Code, dort durch Weitergabe von Regeln und Normen“ (Lempp und Patzelt 2007, S. 375). Vgl. zu dieser Forschungsperspektive auch Demuth (2007a, b) sowie Patzelt (2007a, b, c).

  21. 21.

    Dabei darf diese stabilisierende Selektion nicht mit dem Modell der evolutionär stabilen Strategie verwechselt werden, das von einer sich verstetigenden Kooperation in wiederholten Gefangenendilemma-Spielen ausgeht, weil die gegenseitigen Sanktionspotentiale jede andere Option als weniger rational erscheinen lassen. Vgl. dazu Smith und Szathmáry (1996, S. 262–266) und Axelrod (1988).

  22. 22.

    Die moderne Rezeption, Kritik und Weiterentwicklung dieses Politie-Modells hat Riklin überzeugend zusammengefasst (Riklin 2006, S. 401–426).

  23. 23.

    Schaal plädiert in diesem Zusammenhang dafür, die Effektivität von Responsivität durch eine gezielte Ergänzung des politischen Dialogs um „Komponenten deliberativer Formen demokratischer Entscheidungsfindung“ zu erhöhen (Schaal 2008, S. 353). Vgl. zum komplexen Zusammenhang von Repräsentation und Responsivität auch bereits Uppendahl (1981) sowie Kuper (2004) und Thaa (2007). Zur großen Bedeutung spezifisch symbolischer Repräsentation überdies Göhler (2007). Die verschiedenen Formen von Repräsentation erörtern darüber hinaus eingehend Pitkin (1972) und Young (2000, S. 133–141).

  24. 24.

    Schmalz-Bruns’ Modell einer „reflexiven Demokratie“ betont ebenfalls das Erfordernis einer Intensivierung dieses gegenseitigen Austauschprozesses: „Das impliziert, daß man von der Vorstellung einer institutionell konzentrierten und homogenisierten Willensartikulation Abschied nehmen muß, und statt dessen tief gestaffelte, mehrstufig aufeinander bezogene Prozesse der Willensbildung vorsieht; erst eine solche Vorstellung erlaubte es schließlich, sich in durchaus kritischer Absicht von dem Gesichtspunkt der entscheidungsbezogenen Effektuierung demokratischer Teilhabe leiten zu lassen und Fragen der Verbesserung der politischen Problemlösungskapazität und der Qualität der Ergebnisse politischer Prozesse in den Vordergrund zu rücken, ohne die zivilgesellschaftliche Ressourcenbasis differenzierter Willensbildungsprozesse überzustrapazieren und den Eigensinn und Eigenwert eines autonomen zivilgesellschaftlichen Handlungszusammenhangs zu unterminieren“ (Schmalz-Bruns 1995, S. 164).

  25. 25.

    Dieses Spannungsfeld aus möglichst weit reichender Diversifizierung einerseits und funktional gebotener Strukturierung dieser Vielfalt andererseits verdeutlicht das zentrale Dilemma eines „kooperativen Staates“: Kooperation mit der Gesellschaft bzw. ihre politische Einbindung ist seitens der öffentlichen Hand zwar gewünscht, darf aber aus Praktikabilitätsgründen ein bestimmtes Niveau nicht überschreiten. Vgl. zu diesem Problemkomplex statt anderer Benz (1997). Eine philosophische Lesart der „Demokratie als Kooperation“ liefert darüber hinausgehend Nida-Rümelin (1999).

  26. 26.

    Eisenstadt charakterisiert das dahinter stehende Spannungsverhältnis zwischen Eliten und Basis sinngemäß mit folgenden Worten: „Die Schwierigkeiten in den modernen konstitutionell-demokratischen Systemen ergeben sich aus der Offenheit des politischen Prozesses und der Ungewißheit seiner Ergebnisse. Der Ruf nach der Integration von Forderungen und Themen des Protests, der stets die Forderung nach einer massiven Umverteilung der gesellschaftlichen Ressourcen und weitreichenden Veränderungen in der Machtbalance zwischen verschiedenen Sektoren der Gesellschaft einschließt, macht es wahrscheinlich, daß diejenigen, die in dieser Gesellschaft mit einer gewissen Machtfülle ausgestattet sind, ihre Positionen nicht freiwillig zu räumen bereit sind. Ihre Bereitschaft, ihre Stellungen aufzugeben und zu akzeptieren, daß sie durch den Prozeß der Integration von Protest zumindest einen Teil ihrer Macht verlieren werden, kann nur dann entstehen, wenn sie zu der Überzeugung gelangen, ihr Machtverlust sei nur vorübergehend und sie könnten ihre Position oder äquivalente Stellungen nach einer gewissen Zeit mit Hilfe desselben politischen Prozesses zurückgewinnen“ (Eisenstadt 2005, S. 96).

  27. 27.

    Auf die demokratiepolitische Bedeutung variabler Formalisierungs- und Institutionalisierungsgrade hat bereits Abromeit hingewiesen. Explizit benennt sie als Indikatoren das „Ausmaß der Verrechtlichung insgesamt“ sowie das „Ausmaß der Verregelung der Interaktionen innerhalb des Entscheidungssystems“ (Abromeit 2004, S. 85).

  28. 28.

    Rifkin sieht darin ein wesentliches Element der von ihm skizzierten „dritten industriellen Revolution“: „Die Umstellung des weltweiten Energiesystems auf Elektrizität aus erneuerbaren Quellen, der Umbau von Hunderten von Gebäuden zu Mikrokraftwerken, die Einführung von Wasserstoff- und anderen Speichertechnologien über die ganze globale Infrastruktur, die Umstellung des Weltstromnetzes auf digitale Technologien und intelligente Versorgungsnetze und die Revolutionierung des Transports und auch die Einführung elektrischer Steckdosen- und Brennstoffzellenfahrzeuge – das alles verlangt die Zusammenarbeit kleiner Hightech-Unternehmen mit hoch qualifizierten industriellen Arbeitskräften.“ Nicht zuletzt dies befördere dann „den Übergang zu einer dezentralisierten, kollaborativen Ära und signalisiert das Ende des Industriezeitalters und der sie begleitenden Massenarbeit“ (Rifkin 2011, S. 276).

  29. 29.

    Die konkreten Herausforderungen von „Politik in einer entgrenzten Welt“ bzw. von „Regieren in entgrenzten Räumen“ sind in den entsprechenden Sammelwerken von Landfried (2001) und Kohler-Koch (1998a) umfänglich dokumentiert. Einschlägig auch immer noch Zürn (1998).

  30. 30.

    Der daraus resultierende komplexe Problemzusammenhang von „Ethik und Politikmanagement“ ist Thema des jüngst erschienenen Sammelwerks von Bieber und Grundmann (2014). Gerade hier offenbart sich die Schwierigkeit der allgemeinverbindlichen Definition eines „Gemeinwohls“ in besonderer Weise. Vgl. dazu statt anderer Fuchs (2002) und Schuppert (2002). Entwicklung und Profil der für moderne Demokratien zentralen neopluralistischen Gemeinwohlidee hat Detjen herausgearbeitet (1988, S. 197–230).

  31. 31.

    Bei Fukuyama findet sich dann sinngemäß eine zugespitzte Weiterführung dieses Gedankens: „All dies legt die Vermutung nahe, daß eine fundamentale Wiederbelebung des Gemeinschaftslebens nur möglich sein wird, wenn die Individuen bestimmte Rechte an die Gemeinschaft abtreten und die Rückkehr bestimmter historischer Formen der Intoleranz dulden“ (Fukuyama 1992, S. 430).

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Sebaldt, M. (2015). Pathologie der Demokratie: Die Grundannahmen. In: Pathologie der Demokratie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09518-5_3

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