Zusammenfassung
In der Forschung zur Transnationalisierung industrieller Beziehungen wird häufig beklagt, dass die länderübergreifende Vernetzung der ArbeitnehmerInnen und ihrer Gewerkschaftsorganisationen trotz aller positiven Ansätze noch immer am Anfang stünde: Zu oft würden nationale Organisationslogiken, nationale Selbstverständnisse der Akteure und nationale institutionelle Traditionen dominieren und transnationale Verständigung und Vernetzung behindern.
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Notes
- 1.
In der „Scale“-Debatte der sog. Radical Geography wird auf die soziale und politische Herstellung räumlicher Maßstabsebenen in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen abgehoben, sowie betont, dass diese nicht isoliert voneinander zu betrachten sind, sondern sich als Verhältnis gegenseitig konstituieren (vgl. Brenner 2004; Belina und Michel 2007).
- 2.
Mit den Möglichkeiten der „datentechnischen Verknüpfung“ können die produktionsbezogenen Einheiten (Abteilungen, Zulieferer, Distributionsnetze etc.) stärker miteinander vernetzt und abgeglichen werden, was die Effektivität ihres Zusammenspiels (der „Prozessabläufe“), aber auch die Transparenz der verschiedenen Teilprozesse erhöht und „Dezentralisierung“ von Produktion ermöglicht, d. h. eine Verlagerung von Kompetenz und (prozessualer) Eigenständigkeit in die unternehmerischen Einheiten – allerdings von vornherein gebunden an zugleich stärkere Zentralisierung von Kontrolle und Unternehmenssteuerung als Kehrseite (vgl. Sauer 1987, S. 145).
- 3.
So beschreiben Stirling und Tully (2004, 79 ff.) Konfliktsituationen zwischen „Hoch-“ und „Niedriglohnländern“ im EBR, ordnen die Spannungen und Konflikte, die sich rund um die Frage von Verlagerungen ergeben, dann aber als „typischen Kulturkonflikt“ ein, ohne weiter auf die ökonomische und soziale Dimension von faktischer Lohnkonkurrenz einzugehen. Stattdessen folgt die schon erwähnte Aufforderung, sprachliche und kulturelle Barrieren zu überwinden und sich insgesamt eines achtsamen Umgangs miteinander zu befleißigen (ähnlich neben vielen anderen auch Miller 1999).
- 4.
Schon früh gab es daran Kritik: Adelheid Hege monierte wiederholt den „Ethnozentrismus“ in der Gewerkschaftsforschung (z. B. 1998, S. 11) und Meardi (2000, S. 25 f.) kritisiert die „theoretical laziness“, die mit der Markierung von Arbeitnehmerverhalten als – in seinem Fall – „typisch polnisch“ einhergehe (hier: für bessere Löhne zu streiken), während ganz ähnliche Forderungen auch in Westeuropa keine analytische Rolle spielen; Richard Hyman polemisierte gegen europäische, gewerkschaftlich ausgerichtete Länderstudien, die angetreten seien, einen „Vergleich“ anzustellen, aber dem methodologischen Grundsatz der Unvergleichbarkeit folgten. Er resümiert: „Die Logik, die diesem Ansatz zugrunde liegt, scheint eher zu sein: jeder Kontext ist einzigartig und in jedem Land muss die Gewerkschaftsbewegung nach ihren eigenen Begriffen analysiert werden.“ (Hyman 1998, S. 56 f.; dt. Übers. d. A.).
- 5.
Lecher et al. (1998, S. 255) schildern beispielsweise, dass „Supranationalisierung“ (so der von ihnen gebrauchte Begriff) ein riskanter, nicht vorauszusetzender Prozess sei: „Man kann den Prozess der Supranationalisierung mit der take-off-Phase eines Passagierflugzeugs vergleichen. Es ist möglich, dass die Maschine ‘nicht abhebt’, d. h. die Arbeitsbeziehungen bleiben national“, oder es komme, so die Autoren weiter, zu Prozessen der „Renationalisierung der Arbeitsbeziehungen“.
- 6.
(Gewerkschaftliche) Veränderungsprozesse erschienen im VoC-Ansatz als „national adjustments“ (Hall und Thelen 2005, S. 14) an letztlich unbestimmt bleibende „Herausforderungen“ wie „veränderten Handlungsbedingungen für Unternehmen“, die nebulös als „developments“, „Globalization“, „new market pressures“ oder auch „changed environment“ beschrieben wurden. Anpassung ist so ein weitgehend enttheoretisierter, naturhafter Prozess.
- 7.
Beck und KollegInnen können mit ihrem kosmopolitischem Ansatz hier nur mit Einschränkungen angeführt werden, weil sie in Anschluss an die berechtigt vehemente Kritik am „methodologischen Nationalismus“ abermals auf eine – zudem reichlich voluntaristisch konzeptionalisierte – „Überwindung“ des Nationalen abzielen, und damit faktische Vergesellschaftungsprozesse, wie beispielsweise eine Stärkung nationaler Wettbewerbsstrukturen, negieren (vgl. Beck und Grande 2004).
- 8.
Andrew Herod (2014) bemüht die Metapher des mehrdimensionalen Spinnennetzes: Eine Ebene ist nicht zu betreten, ohne dass die anderen in Bewegung geraten; für die Europasoziologie formulieren beispielsweise Heidenreich et al. (2012, S. 13): „Scales stellen auf die soziale Konstruktion von Räumen in der Wechselwirkung zwischen unterschiedlichen Ebenen ab und erfassen so die soziale Dimension räumlicher Prozesse angemessener als die Vorstellung unabhängiger Ebenen“.
- 9.
„The goal of their critique has not been to negate the signifance of the nation-state but to ensure that the nation-states are not the exclusive framework of study and analysis but one of several possible social contexts within which to empirically analyze social relations, institutions, cultures, spaces and ethnicities and histories.“ (Amelina et al. 2012, S. 2).
- 10.
„Die Kleinigkeiten regelt jeder für sich. Die schleppt man nicht in den EBR. Denn, wenn man sich mit Kleinigkeiten an so ein Gremium wenden würde, mit der Bitte um Lösungen, dann heißt das, dass entweder die Gewerkschaft im Betrieb nicht gut funktioniert, oder dass es kein Verständnis zwischen dem Vorstand der Firma und der Gewerkschaft gibt.“ (Szymon P.; zit.n. Hürtgen 2008, S. 259).
- 11.
„Die Portugiesen, bis dahin, jetzt haben sie einen neuen, das ist ein anderes Niveau, der spricht auch sehr gut Englisch, aber sein Vorgänger, das war für uns also – ja, ich muss das karikieren, so der Urtyp des Proleten. Bis dahin, dass es einigen auch schon peinlich war, bis dahin wie er sich gegeben, wie er sich angezogen hat. Das war also nicht so besonders imponierend. Aber er ist halt gewählt worden und war dabei.“ (Heiner D.; zit.n. Hürtgen 2008, S. 221).
- 12.
„Es ist natürlich auch eine Art Lobby-Arbeit, weil die Personen, die im EBR vertreten sind, die arbeiten gut mit der Leitung des Konzerns zusammen. Und mit den Mitgliedern der Vorstände. Da gibt es dann Verständnis füreinander, und wenn man jemanden für seine Idee gewinnt, da kann sich dann in der Zukunft etwas entwickeln.“ (Szymon P.; zit.n. Hürtgen 2008, S. 259).
- 13.
Claude F.: „Wenn es ein deutsches Unternehmen gewesen wäre, das hätte auch Unzufriedenheit gegeben. Aber die Schweden und die Deutschen – die stützen sich auf die Gewerkschaft, das hat nichts mit den Koreanern zu tun. Also wenn es von Europäern gekauft worden wäre, wären die Leute auch nicht völlig einverstanden gewesen. Aber die Franzosen sind ja immerhin in der EU. Mit den Europäern ist das was anderes.“
- 14.
Castel bezeichnet diesen Prozess als „Abstraktifizierung“ von Arbeit und entwickelt ihn u. a. an der Einrichtung des – zumal am Anfang des Monats ausbezahlten –Lohns.
- 15.
Eine Vorstellung, die mit verbreiteten Ablehnungen der „Wasserköpfe“ in den Büros und einer Infragestellung, ob diese denn „überhaupt arbeiteten“ einherging. Dieses gewissermaßen klassisch-ouvrieristische Verständnis von Arbeit ist heute mitunter noch anzutreffen (vgl. Hürtgen und Voswinkel 2014, S. 163 ff.), allerdings nicht mehr typisch. Vielmehr hat sich verbreitet ein Arbeitsverständnis durchgesetzt, wonach „alle“ im Betrieb arbeiten (vgl. Hürtgen 2008, S. 145 ff.).
- 16.
In unserer theoretischen Auseinandersetzung über die Kategorien „Ansprüche“ argumentieren wir, dass „privatisierte Ansprüche“ letztlich keine Ansprüche mehr darstellen, sondern „Wünsche“, insofern sie nicht mit Bezug auf vorgestellte gesellschaftliche, d. h. im Prinzip allgemein gültige Normen und Werte in Anschlag gebracht werden können (vgl. Hürtgen und Voswinkel 2014).
- 17.
„Also die Belegschaft ist – also wahnsinnig qualitätsorientiert, engagiert in der Arbeit, klagt auch – aber macht die Arbeit! Und das ist auch, wenn man so will, ein Gegensatz. Also wenn ich das vergleiche z. B. mit denen [aus X, einem westdeutschen Werk], wie ich sie empfinde und beobachte, und das mag ungerecht sein, aber das Qualitätsengagement, beispielsweise, und der Einsatzwille, scheinen mir dort nicht so ausgeprägt zu sein, wie hier in [Y].“ (Heiner D.; zit.n. Hürtgen 2008, S. 237).
- 18.
Dieser Übergang von einem gewerkschafts- und gesellschaftspolitischen Anspruch hin zu einem unternehmensinternen wird in der EBR-Literatur, die sich vorrangig den Verständigungsproblemen widmet, so gut wie nicht thematisiert. Nur hier und da wird festgestellt, dass stärker gewerkschafts- und sozialpolitisch verstehende, unternehmensübergreifend denkende EBR-Akteure an den Rand gedrängt würden und eine Orientierung auf das (partikulare) Standort- und Unternehmenswohl sich durchsetze (z. B. Waddington 2000, S. 314; Kotthoff 2006, S. 63), eine Erklärung dafür sucht man in diesen Bemerkungen allerdings vollends vergeblich.
- 19.
Die permanente Veränderung des EBR-Gremiums, die gewissermaßen Spiegel der permanenten Unternehmensrestrukturierungen ist, führt dazu, dass auch nach 10 und 20 Jahren immer wieder geäußert wird, der EBR stehe erst „am Anfang“, man finde sich noch usw. (vgl. Hürtgen 2008, S. 162 ff.).
- 20.
Prekäre Beschäftigung wird hier in Anlehnung an Dörre et. al. (2013, S. 34 ff.) als relationale Kategorie verstanden, d. h. diese Beschäftigten sinken, aufgrund der sozialen Verfasstheit ihrer Arbeitstätigkeit, “deutlich unter das Schutz- und Integrationsniveau, das in der Gegenwartsgesellschaft als Standard definiert wird” (Dörre et. al. 2013, S. 35).
- 21.
Zentrales Ziel der damaligen „Lissabon-Strategie“ war es, die Bereitstellung von mehr „arbeitsfähigen“ Menschen durch Rückführung auf den Arbeitsmarkt zu erreichen, und zwar durch Maßnahmen, die ihre „Beschäftigungsfähigkeit“ erhöhen. „Mit dem Lissabon-Prozess sind drei Patentrezepte in den Rang offizieller Politikziele erhoben worden: Das Konzept des ‚aktivierenden Sozialstaates‘, das Konzept der Privatisierung der sozialen Sicherung, die der gewünschten ‚Eigenverantwortung‘ der Sozialstaatsbürger auf die Sprünge helfen würde, und das Konzept der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, das heißt der Förderung irregulärer, prekärer Beschäftigungsverhältnisse und eines wachsenden Niedriglohnsektors.“ (Krätke 2005, S. 89).
- 22.
Paugam (2009) unterscheidet für die gegenwärtigen europäischen Gesellschaften zwei Formen von Prekarisierung: Die der Arbeit und die der Beschäftigung. Er führt anhand umfangreicher empirischer Studien aus, dass Beschäftigte, die unter Arbeitsbedingungen arbeiten, die auf geringe Anerkennung dieser Arbeit schließen lassen (rechtlich durch prekäre Arbeitsverträge, finanziell durch sehr geringe Entlohnung, politisch durch geringe Vertretung und Sichtbarkeit im öffentlichen Raum usw.) ihre Arbeit selbst als nur begrenzt gestaltbar wahrnehmen.
- 23.
So der Titel eines 2010 lancierten umfassenden Sanierungsprogramms.
- 24.
„Ich will ein Profil erstellen von den Leuten, die hier mit Werkvertrag arbeiten, ob die Werkvertragsarbeitnehmer sind oder heimlich gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verstoßen und im Prinzip Leasing-Leute sind, und das braucht die Zustimmung des Betriebsrates. Und wenn das so ist, dann kriegen die ein Problem, dann sehen wir uns vor Gericht. […] Und dann kamen die Kollegen [mit Werkvertrag], und ich dann ganz klar: ‚Ich vertrete Euch nicht! Ihr gehört woanders hin! Ich bin für die hier zuständig, für meine Leute, die mich gewählt haben, die wollen die nun entlassen. Werkverträge? Ihr seid im Prinzip von einem anderen Unternehmen.‘ ‚Ja, aber wir sind in einem Konzern‘, sagt der. Sag ich: ‚Gut, aber das kann ich nicht so sehen!‘“ (Demiray D.; zit.n. Hürtgen 2008, S. 215 f.).
- 25.
Pawel, ein Arbeiter in einem polnischen Werk eines großen Automobilherstellers antwortet auf die Frage nach den derzeit wichtigsten Problemen: „[D]ie Frage, die die Leute hier am meisten beschäftigt, ist, dass sie für ein großes internationales Unternehmen arbeiten, mit sehr bekannten Marken, und sie werden mit 2000 Zloty brutto bezahlt, was ungefähr 500 € brutto entspricht – und gleichzeitig verdienen die Arbeiter in Deutschland 2000 €. Natürlich kann man seinen Lohn aufstocken, wenn man Mehrarbeit macht usw. Aber das geht nicht endlos!“ (Zit.n. Hürtgen 2008, S. 233).
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Hürtgen, S. (2015). Transnationalisierung und Fragmentierung – Euro-Betriebsratshandeln als multiscalare Praxis. In: Pernicka, S. (eds) Horizontale Europäisierung im Feld der Arbeitsbeziehungen. Europa – Politik – Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-07556-9_2
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