Zusammenfassung
Aus der langjährigen praktischen Arbeit der Autorin mit von Ausweisung bedrohten Drogenabhängigen entstand die Idee, den „Einfluss des Aufenthaltsstatus auf den Drogenkonsumverlauf und die Zukunftschancen hier geborener und/oder aufgewachsener Männer ohne deutsche Staatsbürgerschaft“ im Rahmen einer Dissertation zu untersuchen. Dabei wurde deutlich, dass eine Forscherin vor anderen ethischen Fragen als eine Sozialarbeiterin steht. Vor allem der Umgang mit den anvertrauten Informationen unterscheidet sich. Vor diesem Hintergrund werden die Bedeutung gesetzlicher Bestimmungen und ethischer Richtlinien verschiedener Disziplinen diskutiert und reflektiert. Ein besonderes Augenmerk richtet sich dabei auf das Informierte Einverständnis, das als Prozess, nicht als einmaliger Akt zu Beginn eines Forschungsvorhabens zu verstehen ist.
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Notes
- 1.
„Für eine Vielzahl ausreisepflichtiger Ausländer ist (die Duldung) die aufenthaltsrechtliche Grundlage eines – z. T. langjährigen – Aufenthalts und damit faktisch zu einem Ersatztitel zweiter Klasse mutiert“ (Will 2008, S. 59; kursiv i. O.).
- 2.
Der Begriff der „Drogenabhängigkeit“ wird kontrovers diskutiert. Ich verwende den Begriff im Sinne des klinisch-diagnostischen Leitfadens der Weltgesundheitsbehörde WHO („Internationale Klassifikationen psychischer Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen, ICD-10“). Danach ist ein entscheidendes Charakteristikum von Abhängigkeit der „oft starke, gelegentlich übermäßige Wunsch, psychotrope Substanzen oder Medikamente (ärztlich verordnet oder nicht), Alkohol oder Tabak zu konsumieren“. Eine sichere Diagnose soll nur gestellt werden, wenn mindestens drei Kriterien erfüllt sind, u. a. verminderte Kontrollfähigkeit, körperliche Entzugserscheinungen, Nachweis einer Toleranz, fortschreitende Vernachlässigung sowie anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises von eindeutig schädlichen Folgen (Dilling et al. 2010, S. 99).
- 3.
Als Betroffene bezeichne ich diejenigen, die von Abschiebung bedroht sind oder durch ihren (fehlenden) ausländerrechtlichen Status benachteiligt werden.
- 4.
Nach Flicker et al. (2007) versucht beispielsweise die Community-Based Participatory Research (CBPR) die Entwicklung partnerschaftlicher Prozesse zwischen Forscher*innen und Beforschten durch Teilhabe am Forschungsprozess zu fördern. Siehe dazu auch von Unger (2012).
- 5.
- 6.
Das jetzige Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) stammt vom 20.12.1990 (Neufassung von 2003), zuletzt geändert am 14. August 2009. Das Gesetz gilt für öffentliche und nicht-öffentliche Stellen des Bundes und der Länder, wobei die Länder teilweise eigene bzw. ergänzende Datenschutzgesetze besitzen. Es gilt jedoch Bundesrecht vor Landesrecht. Alle Informationen zum Datenschutz unter: www.bfdi.de, zugegriffen: 04. August 2013.
- 7.
Das Zeugnisverweigerungsrecht für Drogenberater findet sich in § 53 Abs. 1 Ziff. 3b der Strafprozessordnung (siehe dazu u. a. Remé 2007, S. 124).
- 8.
Nach einem Schreiben des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vom 26. August 2010, GeschZ 531.1112.3.
- 9.
Die ethnische Herkunft wird beispielsweise in der bundesweiten Drogenstatistik nicht erfasst. Sie ist aber gerade für die von mir untersuchte Gruppe von Bedeutung, weil sie ausländerrechtlich relevant sein kann. Das Gleiche gilt für Fragen der Gesundheit (vgl. dazu auch Padieu 2006, S. 31). Einerseits haben die Betroffenen gute Gründe, ihre Krankheiten nicht zu offenbaren, andererseits muss die Ungleichbehandlung öffentlich gemacht werden, damit Veränderungsprozesse herbeigeführt werden können. Zudem sind die Betroffenen in der Praxis häufig zur Offenlegung ihrer Erkrankungen gezwungen, weil eine notwendige finanzielle Unterstützung oder medizinische Hilfe begründet werden muss.
- 10.
„Finally, ethics and law differ in important ways, and care must always be taken in making these distinctions. Different processes are involved in making ethical versus legal decisions, and they are subject to different regulations“ (AAA 2012, S. 3).
- 11.
René Padieu ist Mitglied der Ethik-Komission des Europarates im Bereich Drogen. Er ist Statistiker und Mitverfasser der Erklärung zum Berufsethos des Internationalen Statistischen Instituts (Amsterdam, 1985) und arbeitete am Entwurf der Europarat-Entschließung Nr. R (97) 18 über den Schutz von zu statistischen Zwecken erfassten und verarbeiteten Personendaten mit.
- 12.
„[…] members are not absolved from this responsibility by the consent given by research participants“ (BSA 2002,S. 26).
- 13.
„Clarification should also be given to research participants regarding the degree to which they will be consulted prior to publication. Where possible, participants should be offered feedback on findings, for example in the form of a summary report“ (BSA 2002, S. 24).
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Narimani, P. (2014). Zustimmung als Prozess: Informiertes Einverständnis in der Praxisforschung mit von Ausweisung bedrohten Drogenabhängigen. In: von Unger, H., Narimani, P., M´Bayo, R. (eds) Forschungsethik in der qualitativen Forschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-04289-9_3
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