Zusammenfassung
In einer theoriekritischen Perspektive nähern sich Andreas Hanses, Katrin Heuer und Kathleen Paul – am Beispiel der bisher sie überraschenden Forschungsergebnisse ihres DFG-Projekts „Konstruktionen des Sterbens“ – der „Relevanz biographischer Neukonzeptualisierungen“. Die bis dato erhobenen biographischen Selbstpräsentationen der schwer erkrankten/sterbenden Menschen fordern offenbar eine Auseinandersetzung mit derzeit anerkannten Biografiekonzepten heraus. Dabei fragen sie nicht nur nach den Bedingungen, die die Geschichte des eigenen Lebens konstituieren und welche Bedeutung die zu erwartenden institutionellen Zukunftsperspektiven auf die biographischen Selbstthematisierungen haben? Sie fokussieren zudem auf die Frage, welche Macht möglicher Umdeutung die aktuelle Erzählsituation gegenüber dem Erfahrungsstrom eines gelebten Lebens besitzt? Abschließend werden Folgerungen für die Soziale Arbeit erörtert.
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Notes
- 1.
Das Forschungsprojekt wird weitere 2 Jahre durch die DFG gefördert (Phase 3: September 2013–August 2015). Da in den ersten beiden Phasen aus forschungspragmatischen Gründen die Interviews vor allem aus dem Raum Sachsen erhoben worden sind, sollen nun noch Interviews mit Sterbenden und Professionellen aus den alten Bundesländern durchgeführt werden. Im Forschungsprozess ist die zwingende Forschungsfrage aufgetaucht, inwieweit bestimmte Selbstpräsentationsformen in den Interviews auch dem Sachverhalt geschuldet sind, dass die Interviewten zentrale Sozialisationserfahrungen noch in der DDR erworben haben und inwieweit die biographischen aber auch die professionellen (Selbst-)Thematisierungen über das Sterben unterschiedlichen kulturellen Selbstpräsentationsweisen über die Biographie, das Sterben und professioneller Hilfe geschuldet sind. Eine Frage, die potentiell auch für diesen Beitrag eine große Bedeutung hat, aber natürlich jetzt noch nicht mit einbezogenen werden kann.
- 2.
Die biographischen Interviews aus den Kontexten der Inneren Klinik haben zwar auch zum Teil entdramatisierende Formen gehabt, aber die biographische Thematisierung sind stärker durch die Frage möglicher professioneller „Körperbearbeitungen“ geprägt und zum Teil stärker fragmentiert.
- 3.
Andere biographische Phänomen, die diese Spannung von sozialer Strukturiertheit und biographischer Eigensinnigkeit aufzeigen, haben sich auch im Kontext von Krisen (vgl.u. a. Hanses 1999, 2013a) und dem Auftauchen „lokaler Wissensformen“ (Foucault) in Biographien aufzeigen lassen (vgl. Hanses 2010b).
Literatur
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Hanses, A., Heuer, K., Paul, K. (2015). Zur Relevanz biographischer Neukonzeptualisierungen. Theoretische Perspektiven zu empirischen Ergebnissen aus einer Studie zu den „Konstruktionen des Sterbens“. In: Dörr, M., Füssenhäuser, C., Schulze, H. (eds) Biografie und Lebenswelt. Perspektiven kritischer Sozialer Arbeit, vol 20. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03835-9_9
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