Zusammenfassung
Susanne Maurer verknüpft in ihrem Beitrag „Von der Widerspenstigkeit im alltäglich gelebten Leben zur widerständigen Aktion im öffentlichen Raum? Zum kritisch-utopischen Potential einer Alltags– und Lebensweltorientierung“ Studien und Reflexionen zwischen ’Theorie, Empirie und Methodologie‘ und fragt mit diesen nach dem Eigensinn der Subjekte und dem alltäglich gelebten Leben. Sie bewegt sich dabei in ihrem Beitrag vor der Folie feministischer Subjekt–Diskurse sowie der machtanalytischen Überlegungen von Foucault und verbindet diese mit einem Blick auf die Kritische Alltagstheorie von Karel Kosik, der es ihr ermöglicht das kritisch-utopische Potential des Alltags freizulegen und Alltag in seiner Dialektik zwischen Strukturkategorie und historischer Kategorie aufzuschließen. Der Autorin ist es dabei ein Anliegen eine Perspektive der Kritik zu entwickeln, die „elastisch“ bleibt und offen ist für die vielfältigen Wirklichkeiten und mehrdeutigen Wirksamkeiten von sozialen Politiken und Sozialer Arbeit.
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Notes
- 1.
Insbesondere der Frauenbewegungen resp. ‚feministischen Milieus‘ zwischen 1830 und 2010 im – überwiegend – deutschsprachigen Raum.
- 2.
Klaus Holzkamp, ein bedeutender Protagonist der Kritischen Psychologie, die er auch als Subjektwissenschaft versteht, geht davon aus, dass der Mensch nicht ‚subjektlos‘ sein kann. Im Kontext der Kritischen Psychologie geht es um den subjektiven Möglichkeitsraum, im Sinne der Möglichkeiten, sich in den und zu den gesellschaftlichen Verhältnissen zu verhalten (vgl. dazu auch Leiprecht 1990, Haug und Hauser 1985).
- 3.
Hinsichtlich des Subjekts lässt sich in den Arbeiten von Foucault selbst eine bestimmte Verschiebung beobachten: So akzentuiert er zunächst die Konstitution bzw. ‚Hervorbringung‘ der Individuen durch Macht und Diskursstrukturen, um schließlich in seiner Studie „Die Sorge um sich“ (Foucault 1986) die Ästhetik der Existenz zu betonen – eine spezifische Art und Weise der Selbstkonstitution als ‚Freie‘, um gegenüber den Macht- und Diskursverhältnissen auch eine gewisse Distanz gewinnen zu können (vgl. Sarasin 2005, S. 12 f.).
- 4.
Damit ist auch die qualitative Sozialforschung – wie etwa die Biografieforschung – im Spiel, die ihr besonderes Interesse den einzelnen, mehr oder weniger exemplarischen ‚Fällen‘ widmet und über anspruchsvolle theoretische und methodologische Begründungen sowie ausgefeilte empirische Strategien darin tatsächlich ‚das Allgemeine im Besonderen‘ und ‚das Besondere im Allgemeinen‘ zu zeigen vermag.
- 5.
Der Aspekt der Transformation, der in der Pädagogik meist mit dem Bildungsbegriff in Zusammenhang gebracht wird, verweist auf das ‚pädagogische Element‘, das auch jeder sozialen Bewegung und gesellschaftskritischen Strömung innewohnt, die auf eine Erweiterung der Lebensmöglichkeiten von Menschen zielt.
- 6.
Dieser Abschnitt basiert u. a. auf einem Kolloquium zu Ehren Josef Helds (Sommer 2011, bei dem ich mit Albert Scherr, Rudolph Leiprecht und Josef Held über die Frage des Subjekts diskutiert habe.
- 7.
In der Tradition der Kritischen Theorie wäre dies wohl die Rekonstruktion der subversiven, Herrschaft immer auch unterlaufenden Subjektivität (vgl. etwa Rudolf zur Lippe 1987).
- 8.
Vgl. hierzu und zum folgenden in diesem Abschnitt auch Maurer 2000.
- 9.
- 10.
Vgl. hierzu auch Sünker 1989.
- 11.
Bernd Waldenfels formuliert in diesem Zusammenhang eine andere Konzeption des ‚Allgemeinen‘, das er nicht ‚aufwärts‘ denkt, sondern ‚seitwärts‘, in einer Verflechtung von Welten, „wie die Bedeutungen, die zwischen den Zeichen angesiedelt sind, zwar nicht ablösbar, aber übersetzbar“ (Waldenfels 1978, S. 42).
- 12.
Vgl. hierzu auch Funk 2000; Eckart 1996.
- 13.
Vgl. Precarias a la deriva 2011.
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Maurer, S. (2015). Von der Widerspenstigkeit im alltäglich gelebten Leben zur widerständigen Aktion im öffentlichen Raum? Zum kritischutopischen Potential einer Alltags- und Lebensweltorientierung. In: Dörr, M., Füssenhäuser, C., Schulze, H. (eds) Biografie und Lebenswelt. Perspektiven kritischer Sozialer Arbeit, vol 20. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03835-9_2
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