Zusammenfassung
In dem vorliegenden Beitrag wollen wir versuchen, mithilfe der Demokratietheorie Robert A. Dahls Antworten auf diese postdemokratische Herausforderung sozialer Demokratie zu finden. Dazu wollen wir in einem ersten Schritt zeigen, dass Dahls Demokratietheorie – anders als es die Rezeption in der empirischen Demokratieforschung vermuten lässt – mit ihrem anspruchsvollen Konzept politischer Gleichheit über minimalistische Demokratievorstellungen hinausgeht und klar in Richtung sozialer Demokratie deutet (2). Dabei stehen für Dahl moderne Demokratien vor vier großen Herausforderungen, die erstaunliche Parallelen zur Postdemokratie-Diagnose aufweisen und in deren Licht die Chancen für eine Realisierung sozialer Demokratiemodelle eher ungünstig erscheinen (3). Darauf aufbauend werden abschließend Dahls Vorschläge zu einer sozialeren Ausgestaltung aktueller demokratischer Systeme in Hinblick darauf diskutiert, inwiefern sie postdemokratischen Tendenzen effektiv entgegenwirken (können) (4).
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Notes
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Die einzige uns bekannte Ausnahme sind Fuchs und Roller (2008), die Dahls Kriterien des idealen demokratischen Prozesses für die Qualitätsmessung allerdings trotzdem ablehnen, da sie ihnen für die empirische Arbeit „zu fern von der Wirklichkeit der realen Demokratien“ erscheinen (85).
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Die Zahl der Polyarchie-Institutionen hat Dahl im Laufe der Zeit leicht verändert. Waren es in Polarchy noch acht „institutional guarantees“ (1971, S. 3), reduzierte sich die Zahl in Democracy and its Critics auf sieben (1989, S. 221) und dann in On Democracy weiter auf sechs (1998, S. 85 f.). Wir beziehen uns hier auf die sieben Institutionen von 1989. Das sind 1) „Elected officials“, 2) „Free and fair election“, 3) „Inclusive suffrage“, 4) „Right to run for office“, 5) „Freedom of expression“, 6) „Alternative information“ und 7) „Associational autonomy“ (1989, S. 221).
- 4.
„Since […] no large system in the real world is fully democratized, I prefer to call real world systems that are closest [sic!] to the upper right corner polyarchies” (Dahl 1971, S. 8) – das sind Systeme mit hohen, aber eben keinen Maximalwerten auf beiden Dimensionen.
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Das sind 1) „Effective Participation“, 2) „Voting Equality at the Decisive Stage“, 3) „Enlightened Understanding“, 4) „Control of the Agenda“ und 5) „Inclusiveness“ (Dahl 1989, S. 109–112, 126 f.).
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„Citizens ought to have […] adequate and equal opportunities for placing questions on the agenda and for expressing reasons for endorsing one outcome rather than another” (Dahl 1989, S. 109).
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„Citizens ought to have adequate and equal opportunities for discovering and validating […] the choice on the matter to be decided that would best serve the citizen’s interest“ (Dahl 1989, S. 112).
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Und das nicht erst in seinen neueren Schriften. So findet sich schon in Polyarchy die Aussage: „key characteristic“ der Demokratie sei „the continuing responsiveness of the government to the preferences of its citizens, considered as political equals“ (Dahl 1971, S. 1).
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Hier ist Dahl anschlussfähig für deliberative Demokratieansätze, wobei wir nicht Heidrun Abromeit folgen, die ihm unterstellt „im Terrain der deliberativen Demokratietheorie zu wildern“ (2002, S. 98).
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„A political resource is any means that a person can use to influence the behavior of other persons“ (Dahl 2006, S. 51).
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Ebenso ungleich verbreitet seien die Fähigkeiten der Bürger, ihre politischen Ressourcen auch effizient und effektiv einzusetzen – „political knowledge“, „skills“ und „incentives“ (Dahl 2006, S. 52–55).
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Weiter vorne formuliert Dahl noch vorsichtiger: „For when differences in political resources cause citizens to be politically unequal, then that inequality necessarily reveals itself by a violation of the criteria [of the democratic process; DJ/TL]“ (1989, S. 131).
- 13.
Zu den Kennzeichen der Theorien der sozialen Demokratie vgl. Schmidt (2010, S. 225–235).
- 14.
Bühlmann et al. illustrieren das durch den Hinweis, dass „sowohl Freedom House wie auch Polity im Jahr 2005 für Italien unter Berlusconi oder die USA unter Georg W. Bush die gleichen Maximalwerte auf[wiesen; DJ/TL] wie für Finnland unter Matti Vanhanen, obwohl der geneigte Leser die Qualität dieser drei Länder zumindest intuitiv als unterschiedlich beurteilen dürfte“ (2012, S. 116).
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Dahl spricht von „market capitalism“ als der ökonomischen Ordnung, in der ein weitgehend freier, wenn auch nicht unregulierter Markt existiert und die meisten Firmen sich in Privatbesitz befinden.
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Vgl. etwa Putnam (2000), Taylor (2002) und jüngst Sandel (2012). All diese Autoren teilen die Diagnose eines sanften Despotismus. Ein sanfter Despotismus entsteht nach der berühmten Analyse von Alexis de Tocqueville am Ende des zweiten Bandes von Über die Demokratie in Amerika dann, wenn in der Gesellschaft eine privatistische Grundhaltung vorherrscht, die Bürger sich nur noch um ihr eigenes Heil, jedoch nicht mehr um das der politischen Gemeinschaft sorgen.
- 17.
Hier ist vielleicht die deutlichste Parallele zwischen Dahl und Crouchs Postdemokratiediagnose zu sehen.
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Die Diagnose von Winters besitzt eine deutliche Parallele zu der Postdemokratiethese von Colin Crouch. Auch für Crouch besteht das wesentliche Kennzeichen eines postdemokratischen Regimes in der formalen Existenz demokratischer Institutionen bei gleichzeitiger Umgehung derselben durch ressourcenstarke Akteure. Insofern Dahl vor einer Verfestigung politischer Ungleichheiten warnt, die offensichtlich zumindest in den USA ein demokratiegefährdendes Ausmaß angenommen haben, befindet auch er sich in der Nähe von Crouchs Diagnose.
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Vgl. aber Jörke und Take (2011).
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- 21.
Zu Taylor als Postdemokratietheoretiker vgl. Jörke und Müller (2014).
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Auch für Danilo Zolo (1997) ist es die wachsende Komplexität moderner Gesellschaften, die deren politische Systeme zu „liberalen Oligarchien“ degenerieren lässt.
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Dafür sieht er auch realpolitisch gute Chancen. So habe der Niedergang des Sozialismus als Systemalternative „certainly not led to the demise of efforts and policies intended to reduce the injustices of market capitalism“ (Dahl 2006, S. 98).
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Auf lange Sicht sind für Dahl Einstellungsänderungen infolge solcher institutioneller Reformen dagegen eher wahrscheinlich: „And might not we Americans be different, if in the 1880s we had adopted self-governing enterprises rather than corporate capitalism as the standard solution?“ (1985, S. 98).
- 25.
Die Orientierung breiter Schichten an den Finanzmärkten ist sicherlich auch eine Reaktion auf den Abbau von Sozialstaatlichkeit (beispielsweise Rentenkürzungen) sowie Ausdruck eines Mentalitätswandels hin zum Primat der Eigenvorsorge (vgl. Lessenich 2008). Beides lässt sich zudem als Folge einer neoliberalen Umgestaltung sozialer Beziehungen deuten (vgl. Streeck 2013).
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Jörke, D., Lenz, T. (2017). Bürgerkultur und Demokratisierung der Wirtschaft. In: Eberl, O., Salomon, D. (eds) Perspektiven sozialer Demokratie in der Postdemokratie. Staat - Souveränität - Nation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02724-7_7
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