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Kindeswohl zwischen Jugendhilfe, Justiz und Gutachter

Zusammenfassung

Bezüglich des Kindeswohls obliegt dem Allgemeinen Sozialdienst/ASD (öffentlichen Jugendhilfe) eine doppelte Garantenstellung mit spezifischen Handlungspflichten.Bei elterlichem Fehlverhalten versucht erzunächst, Kinder durch intervenierende Hilfen zu schützen und überwacht Durchführung wie Erfolg solcher Interventionen. Kann auf diesem Wege eine Kindeswohlgefährdung nicht abgewendet werden und erscheint ein Eingreifen in die elterliche Sorge als unabdingbar, ruft der ASD das Familiengericht an. In einem familienrechtlichen Verfahren steht zu entscheiden, ob Eltern ihr grundgesetzlich garantiertes Recht als treuhänderische Befugnis zur Realisierung des Kindeswohls verstehen und auch als Grundpflicht wahrnehmen, ob sie ihre elterliche Sorge nicht eigennützig, sondern zum Kindesschutz ausüben.

Da der Gesetzgeber das Rechtsgut Kindeswohl weitgehendmitunbestimmten Rechtsbegriffen beschreibt, sind Familienrichter mit der Wahrnehmung ihrer Aufgabe regelhaft außerstande, ohne den wissenschaftlich fundierten Sach- und Fachverstand anderen Professionen – etwa Sozialarbeiter und Psychologen – nach Recht und Gesetz zu entscheiden.Der damit erforderliche Kommunikationsprozess zwischen den am Rechtsverfahren beteiligten Professionen verläuft i.d.R. nicht ‚störungsfrei‘. Dafür sprechen viele Gründe – nicht zuletzt derjenige, dass jede Profession auf der Basis und aus dem Blickwinkel ihrer je eigenen fachwissenschaftlich-berufsspezifischen Methodikdie Kindeswohlgefährdung diagnostizieren und Wege vorschlagen, das Kindeswohl zu sichern.

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Notes

  1. 1.

    Synonym spricht man auch von der Bezirkssozialarbeit (BSA).

  2. 2.

    Siehe dazu Peter-Christian Kunkel – www.Jugendhilfe-Wächteramt-Garantenstellung /13.01.2013. Neben der Schutzübernahme für Kinder (Beschützergarant nach § 2 sowie speziell die §§ 42 und 43 SGB VII) nimmt der ASD auch die Funktion eines Überwachungsgaranten (nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII) wahr, aus der sich u. a. die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII und bestimmte Aufsichtspflichten (laut § 1631 i. V. m. § 55 SGB VII) ableiten. (Kunkel, S. 6).

  3. 3.

    Kunkel, S. 6.

  4. 4.

    Angemessen meint, „dass der durch die Maßnahme bewirkte Schaden nicht größer sein darf als der Nutzen“. (Kunkel, S. 7).

  5. 5.

    Kunkel, S. 7.

  6. 6.

    Thomas Mörsberger , Jugendämter zwischen Hilfe und Kontrolle; München 2001, S. 34.

  7. 7.

    J. Münder, B. Mutke, R. Schone, Kindeswohl zwischen Jugendhilfe und Justiz. Professionelles Handeln – in: Kindeswohlverfahren; Münster 2000, S. 205.

  8. 8.

    Detlef Busse, Max Steller, Renate Volpert, Missbrauch in familiengerichtlichen Verfahren, in: Praxis für Rechtspsychologie, Dezember 2000/2; M. Steller/R. Volpert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung – in: dieselben, Psychologie im Strafverfahren, Bern 1997; M. Steller/R. Volpert, Forensisch-aussagepsychologische Begutachtung. Wissenschaftliches Gutachten für den BGH, in: Praxis der Rechtspsychologie (9) 2000, S. 46–112; Charlotte Frank, Psychologe im Praktikum. Gutachten in Sorgerechtsverfahren sind oft schlampig ausgestellt – in: SZ-#37–14.02.2012.

  9. 9.

    Spiros Simitis, Kindschaftsrecht – Elemente einer Theorie des Familienrechts; in: Festschrift für W. Müller-Freienfels (1987), 329 ff.

  10. 10.

    Zum unbestimmten Rechtsbegriff siehe Bernd Rüthers, Begriff, Geltung und Anwendung des Rechts; München 1999, S. 44, 177 f. Zur Konkretisierungsdebatte „verhandlungsbedürftiger Rechtsbegriffe“ siehe E. Buchholz-Schuster, a. a. O., S. 407 f. Michael Coester, Das Kindeswohl als Rechtsbegriff; Frankfurt 1983.

  11. 11.

    Spanl Reinhold, Das neue Familien-Verfahrensrecht FamFG – FGG: Vergleichende Gegenüberstellung zum Familien-, Betreuungs- und Unterbringungsverfahrensrecht, Regenburg 20102, S. 18 f.

  12. 12.

    Bisher hat sich allerdings diese Fristsetzung in der Realität noch nicht umgesetzt.

  13. 13.

    Spanl, a. a. O., S. 14 f.

  14. 14.

    Ebd., S. 10 f.

  15. 15.

    Münder spricht von der Prärogativen des Jugendamtes (§ 50 Abs. 3 SGB VIII alt), das Vormundschaftsgericht (alt) anzurufen (siehe: Münder e.a., „Quantitative und qualitative Aspekte der Sicherung des Kindeswohls zwischen Jugendhilfe und Justiz“ – in: RdJB 2/98; S. 205) Ein solches Initiativrecht bzw. Prärogative darf nicht als Rechtsvorrang des ASD missverstanden werden, da nach § 1666 BGB das Familiengericht im Falle einer Kindeswohlgefährdung auch von sich aus einschreiten muss. Das Kindesrechteverbesserungsgesetz vom 9.4.2002 (Novellierung des § 1666a BGB) hat diese Eingriffsmöglichkeiten des Gerichtes noch erweitert. Initiativrecht meint allerdings sehr wohl, dass der ASD – gestärkt durch die Einführung des § 8a SGB VIII – nach eigenständiger Informationsgewinnung und Risikoabwägung das Gericht anrufen kann (und muss), wenn sich das Kindeswohl nicht länger durch Hilfen für die Familien schützen und sichern lässt. Mit § 162FamFG „stellt der Gesetzgeber sicher, dass die bei den Jugendämtern vorhandene Fachkompetenz, die auf dem Zusammenwirken verschiedener Fachrichtungen basiert (Hvhg. durch uns), bei familiengerichtlichen Entscheidungen … zur Verfügung steht“ (Handbuch der Kindeswohlgefährdung; München 2006, S. 116). Insofern ist der ASD mit der Anrufung des Gerichts Initiator eines Verfahrens, das der Gesetzgeber nach § 2 Abs. 3 Nr. 6 SGB VIII als eine „andere Form der Jugendhilfe“ versteht. Erfolgt bei Gefahr im Verzug (§ 8a Abs. 2 Satz 2 SGB VIII) eine Inobhutnahme, erfährt das Initiativrecht des ASD eine besonders prominente Ausprägung, die auch dann bestehen bleibt, wenn unverzüglich, allerdings nachträglich eine Entscheidung des Familiengerichtet herbeigeführt wird.

  16. 16.

    Als wichtigstes verfahrensrechtliches Gebot gilt dabei die Gewährung des rechtlichen Gehörs der am Verfahren Mitwirkenden: Jugendamt (§ 162 FamFG), der Eltern (§ 160 FamFG) sowie des Kindes (§ 159 FamFG),

  17. 17.

    Handbuch Kindeswohlgefährdung, a. a. O., S. 181–2.

  18. 18.

    Ingrid Rieder, Das neue FamFG – Zur Rolle des Jugendamtes – Kompetenzzuwachs oder Überforderung – in: ZKJ Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 8/9 2009, S. 312 ff.

  19. 19.

    Siehe dazu: BVerfG E 24, 120, 135 ff, 143.

  20. 20.

    Handbuch der Kindeswohlgefährdung, a. a. O., S. 118–3.

  21. 21.

    Er ist Garant des Kindeswohl, braucht andererseits aber das Vertrauen der Beteiligten. Konflikte, die daraus entstehen können, lassen sich nur bedingt steuern. Im schlimmsten Falle reagieren Eltern mit dem Verdacht, der ASD sei ein „Agent des Staates“.

  22. 22.

    Im Handbuch der Kindesgefährdung (a. a. O. – Kindeler/Meysen, S. 212–2) heißt es hinsichtlich einer solchen Ermessensfrage: „Hier kann sich unter der Hand eine von der Rechtsordnung nicht gewollte Machtverschiebung vom Gericht auf Sachverständige einstellen“. Diese Machtverschiebung erscheint umso deutlicher, je geringer die Fähigkeit angesetzt werden muss, dass Richter von Berufswegen in der Lage sind, die inhaltliche Qualität eines Gutachtens zu prüfen und sich deshalb „indirekten Strategien“ (a. a. O., S. 121–4) bedienen müssen.

  23. 23.

    Joseph Salzgeber, Hat das ‚Kindeswohl’ als Entscheidungsgrundlage ausgedient? Zur Approximation Rule als Ersatz für the Child’s Best Interest“ – in ZKJ 2006/4 S. 195 ff.

  24. 24.

    So kommen beispielsweise Münder u. a. zu dem Ergebnis, dass gerade die Jugendhilfe das schwache Glied im professionellen Dreieck sei. Sie müsse noch ihre „Hausaufgaben“ erfüllen, damit eine Systematisierung der Kindeswohlgefährdung-Tatbestände möglich werde – eine Aufgabe, die nicht von der Justiz erwartet werden könne (Münder 1998, S. 205). Ähnlich konstatieren Busse u. a., dass bei der Jugendhilfe „eine systematische und differenzierte Beschreibung der aktuellen Lebenssituation… und des sozialen Beziehungsgefüges nicht immer gegeben“ und deren Entscheidungsvorschläge „häufig unzureichend begründet (sind), so dass ein argumentativer Nachvollzug kaum möglich ist“. („Missbrauch in familiengerichtlichen Verfahren“ – in: Praxis für Rechtspsychologie 2000/2, S. 42.) Nicht nur die Jugendhilfe, sondern auch die beiden anderen Professionen sind ins Visier ihrer Kritiker geraten. So stellen Busse u. a. in ihrer Studie ebenfalls fest, dass es „zwischen der Empfehlung der Gutachter und der Entscheidung der Gerichte… in allen Fällen eine hohe Übereinstimmung“ (a. a. O., S. 69) gab. Ob ein solcher Konsens zwischen Justiz und Gutachter für die Qualität der Gutachten spricht, bestreiten sie. Eine kritische Lektüre der Gutachten könne eine solche Vermutung „nicht gelten lassen“. Viel eher sei der konstatierte Konsens auf „eine unzureichende Kontrolle und Prüfung der Gutachten seitens der Richter“ (ebd., S. 70) zurückzuführen. Dezidiert fällt auch das Urteil von Simitis aus, der Familien- (und Vormundschafts-) Gerichten fehlende Sachkompetenz vorhält, die sie durch fachkundiges Wissen anderer Professionen zu kompensieren versuchten (Spiros Simitis, „Kindeswohl – eine Diskussion ohne Ende“ – in: Joseph Goldstein u. a., Diesseits des Kindeswohles; Frankfurt 1982). Was die Qualität der (überwiegend psychologischen und psychiatrischen) Gutachten betrifft, merken Busse u. a. an, dass diese zum großen Teil nicht einmal der Mindestanforderung genügten. Sie basierten nur selten auf einer ausführlichen Exploration und ihnen fehlten oft systematische Erörterungen relevanter Erklärungsmöglichkeiten. Weil in den Gutachten eine persönlichkeitsorientierte Vorgehensweise dominiere, schlössen sie eine inhaltsanalytische Bewertung der Aussagen bzw. Befragungen der Kinder i. d. R. aus. Damit bestätigen die Autoren die Auffassung von Steller und Volpert, die sich kritisch mit forensischen Glaubwürdigkeitsbegutachtungen im Rechtsstreit um sexuellen Missbrauch von Minderjährigen befasst haben. (M. Steller & R. Volpert, „Glaubwürdigkeitsbegutachtung“ – in: dies., Psychologie im Strafverfahren, Bern 1997; sowie Steller/Volpert, „Forensisch-aussagepsychologische Begutachtung. Wissenschaftliches Gutachten für den BGH“ – in: Praxis der Rechtspsychologie (9) 2000, S. 46–112).

  25. 25.

    Beispielhaft seien hier genannt: Kindler/Lukaczyk/Reich, Validierung und Evaluation eines Diagnoseinstrumentes zur Gefährdungseinschätzung bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung (Kinderschutzbogen). Ergebnisse einer Studie im Auftrag der Jugendämter Düsseldorf und Stuttgart – in: ZKJ 12/2008, S. 500 ff. Eckhardt Buchholz-Schuster, Beurteilung und Umsetzung des KICK in der Praxis bayerischer Jugendämter. Eine Erkundungsstudie – in: ZKJ 12/2007, S. 467 ff.

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Schneider, K., Toussaint, P., Cappenberg, M. (2014). Zum Gegenstand der Untersuchung. In: Kindeswohl zwischen Jugendhilfe, Justiz und Gutachter. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-01902-0_1

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