Zusammenfassung
Bildungs-und Sozialarbeit wurde in den letzten Jahrzehnten zunehmend dem neoliberalen Prinzip des „what counts is what works“ (Tony Blair, zit. nach Ziegler 2003: 101), also „was zählt ist, was wirkt“, unterworfen. Unter den Bedingungen eines solchen Pragmatismus, der möglichst standardisier-und messbare Lösungswege für psycho-soziale Probleme liefern soll, wird dem einzelnen Individuum die Aufgabe übertragen, (schwierige) Lebenssituationen selbst zu lösen. Bildungs-und Sozialarbeit sind darin aufgefordert, eine mess-und damit beweisbare Praxis der Kompetenzvermittlung zur Bewältigung sozialer Aufgabenstellungen zu entwickeln. Gesellschaftliche Gründe für Problemlagen werden weitestgehend ausgeblendet (ebd.). Der/die Einzelne mag darin die Möglichkeit erhalten, seine/ihre Situation mit Hilfe individuell angeeigneter Kompetenzen zu verbessern, möglicherweise jedoch nur auf Kosten anderer, wenn sich nicht grundsätzlich etwas an bestehenden Verhältnissen ändert. Auch eine Anti-Diskriminierungspolitik und -pädagogik, die nur auf den Abbau von Diskriminierungen bzw. auf Empowerment aufgrund bestimmter ‚Merkmale‘ abzielt, stößt an die Grenze, dass die Besserstellung einer bestimmten Gruppe oder einzelner Individuen die Schlechterstellung einer anderen bedeuten wird, wenn die „zugrundeliegenden Segregationsmechanismen“ (Soiland 2008: 4) – mit anderen Worten: die gesellschaftlichen Verhältnisse – nicht berücksichtigt und verändert werden. „Denn solange die makrostrukturellen Gründe für die Segregation bestehen bleiben, wird zwangsläufig jede Fördermaßnahme, so intersektionell sie auch ausgerichtet sein mag, letztlich zu einer lediglich neuen Verteilung oder Umverteilung von Ungleichheitslagen führen.“ (ebd.) Im Folgenden wollen wir ein Verständnis von Intersektionalität entwickeln, in dem beides, makrostrukturelle Gründe bzw. gesellschaftliche Verhältnisse wie auch individuelle Handlungsstrategien, enthalten ist. Eine Beschäftigung mit den „Beziehungen der Dominanz und Unterordnung“ (Hall 1994: 113f.) soll sowohl auf der Ebene unmittelbarer Beziehungen, zum Beispiel in einer Schulklasse, wie auch bezüglich Ungleichheiten produzierender gesellschaftlicher Verhältnisse ermöglicht werden. Für pädagogische Überlegungen halten wir dieses Übereinanderlegen und Verbinden der strukturellen mit der individuellen Ebene für nötig. Eine diese Verschränkung verdeutlichende Darstellungsweise ist grundlegend, da uns daran gelegen ist, sowohl subjektive wie auch gesellschaftliche Veränderungsprozesse zum Gegenstand von Bildungs-und Sozialarbeit zu machen. Dazu wird sowohl soziologisches wie auch pädagogisches Wissen mit dem Ziel der Erweiterung von Handlungsfähigkeit von Akteur_innen interdisziplinär einbezogen. Mit der Frage nach den Herstellungsbedingungen und Wirkungsweisen der Ungleichheiten zwischen Jugendlichen ist ein Gegenstand transdisziplinärer Forschung beschrieben, anhand dessen neben den Grenzen von Wissenschaftswissen und Praxiswissen ebenso unterschiedliche disziplinäre Grenzen zwischen Gender Studies, Soziologie und Post-colonial Studies im Sinne intersektionaler Erweiterungen überschritten werden.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Akka, Abousoufiane/Pohlkamp, Ines (2007): Pädagogik der Oberfläche. Gender und Ethnizitäten in der antirassistischen Mädchen- und Jungenarbeit. In: Riegel, Christine/ Geisen, Thomas (Hrsg.): Jugend, Zugehörigkeit und Migration. Subjektpositionierung im Kontext von Jugendkultur, Ethnizitäts- und Geschlechtskonstruktionen. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften. 323–342.
Bereswill, Mechthild (2007): Undurchsichtige Verhältnisse: Marginalisierung und Geschlecht im Kontext der Männlichkeitsforschung. In: Klinger, Cornelia/Knapp, Gudrun-Axeli/Sauer, Birgit (Hrsg.): Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität. Frankfurt: Campus. 84–99.
Blair, Tony (1997): Britain will be better with New Labour. www.labour-party.org.uk/manifestos/1997/1997-labour-manifesto.shtml
Butler, Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Connell, Robert W. (1999): Der gemachte Mann. Opladen: Leske und Budrich.
Eggers, Maureen M. (2005): Rassifizierte Machtdifferenz als Deutungsperspektive in der Kritischen Weißseinsforschung in Deutschland. In: Eggers, Maureen M./Kilomba, Grada/Piesche, Peggy/Arndt, Susan (Hrsg.): Mythen, Masken, Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: Unrast-Verlag. 56–72.
Gilligan, James (2001): Preventing Violence. London: Thames & Hudson.
Hagemann-White, Carol (2010): Sozialisationstheoretische Perspektiven auf die Mädchenpädagogik. In: Matzner, Michael/Wyrobnik, Irit (Hrsg.): Handbuch Mädchenpädagogik. Weinheim/Basel: Beltz. 45–61.
Hall, Stuart (1994): ‚Rasse‘, Artikulation und Gesellschaften mit struktureller Dominante. In: ders. (1994): Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. Hamburg: Argument Verlag. 89–136.
Hall, Stuart (2004): Die Frage des Multikulturalismus, In: Hall, Stuart: Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4. Hamburg: Argument Verlag. 188–227.
Holzleithner, Elisabeth (2008): Vielfalt zwischen Management und Herrschaftskritik. Keynote zum Workshop Doing Intersectionality. Über das Recht auf Verschiedenheit und den Umgang mit Differenz. 28.11.2008. Hamburg. www.homepage.univie. ac.at/elisabeth.holzleithner/HolzleithnerVielfalt2008.pdf. Zugriff 06.05.2010.
Kerner, Ina (2009): Differenzen der Macht. Zur Anatomie von Rassismus und Sexismus. Frankfurt/New York: Campus.
Leiprecht, Rudolf/Lutz, Helma (2005): Intersektionalität im Klassenraum. Ethnizität, Klasse, Geschlecht. In: Kerber, Anne/Leiprecht, Rudolf (Hrsg.): Schule in der Einwanderungsgesellschaft. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag. 218–234.
Lorey, Isabell (2008): Kritik und Kategorie. Zur Begrenzung politischer Praxis durch neuere Theoreme der Intersektionalität, Interdependenz und Kritischen Weißseinsforschung. www.eipcp.net/transversal/0806/lorey/de.
McCall, Leslie: The Complexity of Intersectionality. In: Journal of Women in Culture and Society 30. 2005. 1771–1800.
Mecheril, Paul (2003): Prekäre Verhältnisse. Über natio-ethno-kulturelle (Mehrfach-) Zugehörigkeit. Münster: Waxmann Verlag.
Mecheril, Paul (2004): Einführung in die Migrationspädagogik. Weinheim/Basel: Beltz.
Meuser, Michael (2005): Männliche Sozialisation und Gewalt. www.berlin.de/imperia/md/content/lb-lkbgg/bfg/nummer24/06_meuser.pdf. Zugriff 30.03.2009.
Romih,Tina (2009): Children and Youth Victims of Violence in the Family. In: Gaber, Milica A. (Hrsg.): VIOLENCE in the EU examined: policies on violence against women, children and youth in 2004 EU accession countries. Ljubljana: University of Ljubljana. Faculty of Arts. 85–100.
Rommelspacher, Birgit (1995): Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und Macht. Berlin: Orlanda Verlag.
Scherr, Albert (2003): Warum theoretisch undisziplinierte Interdisziplinarität eine gesellschaftstheoretisch fundierte reflexive Jugendforschung nicht ersetzen kann. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 4. 321–335.
Soiland, Tove (2008): Die Verhältnisse gingen und die Kategorien kamen. Intersectionality oder Vom Unbehagen an der amerikanischen Theorie. In: querelles-net 26. 2008. www.querelles-net.de/index.php/qn/article/view/694/702. Zugriff 07.05.2010.
Spivak, Gayatri Ch.: The Rani of Sirmur: an Essay in Reading the Archives. In: History and Theory 24. 1985. 247–272.
Spivak, Gayatri Ch. (2008): Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Wien: Verlag Turia + Kant.
Ziegler, Holger: Diagnose, Macht, Wissen und „What Works?“ – Die Kunst, dermaßen zu regieren. In: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich 88. 2003. 101–115.
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2010 VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Busche, M., Stuve, O. (2010). Bildungs-und Sozialarbeit intersektional erweitern. In: Riegel, C., Scherr, A., Stauber, B. (eds) Transdisziplinäre Jugendforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92587-5_14
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-92587-5_14
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-17132-6
Online ISBN: 978-3-531-92587-5
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)