Zusammenfassung
Die augenblickliche historische Situation ist durch einschneidende soziale, ökonomische, ökologische und technische Umstrukturierungsprozesse gekennzeichnet. Alles, was in der spätmodernen Welt geschieht, gestaltet sich vieldeutig, beschleunigt und kontingenzgesättigt. Die Gesellschaft der radikalisierten Moderne setzt, wo sie sich aus der traditionellen Ständegesellschaft herausentwickelt und die stratifikatorische Segmentierung durch differenzierte Funktionssysteme wie Wirtschaft, Recht, Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usf. ersetzt hat, auf Desintegration. Bestimmend sind die Steigerung von Wahlmöglichkeit, Alternativität, Freisetzung, Selbstmanagement, Risikokontrolle. Aufgrund ihrer „systematischen Differenzierung, normativen Offenheit und lebensweltlichen Pluralisierung weisen moderne Gesellschaften (umgekehrt, S.D.) einen extrem hohen Integrationsbedarf auf“ Die gegenwärtige Situation gestaltet sich somit ambivalent. Einerseits bietet sie ein bereites Spektrum an Chancen zur Selbstverwirklichung und Existenzsicherung. Andererseits ist das Subjekt in steigendem Maße eigentätig auf sich selbst gestellt: Ausbildung, Beruf, Partnerwahl, Gesundheit, Rente usf. Weil es immer komplizierter wird, individuelle und gesellschaftliche Prozesse in geordneten Bahnen zu halten, wird die Verantwortung dafür auf die handelnden Individuen verlagert (Responsibilisierung). Auch die Risikoquelle (z.B. das Risiko für Arbeitslosigkeit, Armut, eine genetische Erkrankung usf.) wird im Falle einer Fehlentscheidung oder eines Schadenseintritts bei den Einzelnen lokalisiert.
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Dungs, S. (2009). Anerkennung und Jugendgewalt. In: Jugendgewalt. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91927-0_4
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