Erzähltexte selbst erlebter Erfahrungen, wie sie die Sozialwissenschaften in ihrer methodisierten Form besonders aus narrativen Interviews kennen, beinhalten mehr als subjektives Erleben. Ihre allgemeine Semantik fordert geradezu vom Erzähler eine Platzierung des Textes an den Schnittstellen zwischen „Subjekt“ und „Struktur“ – was immer diese beiden Ebenen konkret bedeuten können. Dies ist sicherlich, nicht zuletzt aufgrund der methodologischen Verdienste Fritz Schützes1 oder auch der Gegenwartsanalysen Martin Kohlis2, in der Biographieforschung schon lange eine Binsenweisheit. Sie verliert an Trivialität, sobald man sich die Frage stellt, was das Strukturelle in Erzählungen ausmacht bzw. wie sich die ‚wechselseitige Beeinflussung’ von Subjekt und Gesellschaftsstruktur in narrativen Darstellungen ausdrückt. Es gibt hierauf keine abschließenden methodologischen Antworten, sondern lediglich unterschiedliche Perspektiven auf den Zusammenhang zwischen der besonderen Semantik narrativer Darstellung, der Identität des Erzählers und seiner sozialstrukturellen Verortung, die im Erzähltext markiert wird. Neben der durch Fritz Schütze differenziert ausgearbeiteten Methodologie der „formalen Textanalyse“, „strukturellen Inhaltsanalyse“3 und der „kognitiven Figuren des autobiographischen Stegreiferzählens“ (Schütze 1984) ist es insbesondere die theoretische Figur, Erzählungen aktualisierten in ihrem Vollzug ein sie per se erst ermöglichendes „Laienkonzept der Lebenswelt“ (Habermas 1981: 206ff), die zunächst eine sozialwissenschaftliche Option auf das „Strukturelle im Narrativen“ (Alheit 2007) sichert.
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Literatur
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Göymen-Steck, T. (2009). Erzähl-Strukturen: Rekonstruktion von Alltagswelten oder Beobachtung der Kontingenzreduktion?. In: Alheit, P., von Felden, H. (eds) Lebenslanges Lernen und erziehungswissenschaftliche Biographieforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91520-3_8
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