Zusammenfassung
Wir neigen dazu, Selbsthilfekonzepte im Kontext von Bildungsprozessen als reizvolle Randphänomene zu betrachten. Sie scheinen zu jenem diffusen Erfahrungsbereich zu gehören, der im Allgemeinen mit den Etiketten „alternativ“ oder „außerinstitutionell“ versehen wird (vgl. stellvertretend bereits Killait und Burr 1980; von Werder 1981). Die positive Konnotation des Begriffs „Selbsthilfe“ schließt eine Ausgrenzung des von ihm bezeichneten Realitätsfeldes nicht aus, sondern macht sie offensichtlich erst möglich. Diese Spaltung der Bildungswirklichkeit in gleichsam „realitätshaltige“ und „marginale“ Dimensionen ist jedoch problematisch. Sie verdeckt, dass „Bildung“ im Zuge der Modernisierung kapitalistischer Gesellschaften selbst einem Strukturwandel unterliegt und durchaus Marginalisierungsprozessen ausgesetzt ist (vgl. ausführlich Weymann 1987a). Sie ignoriert zudem, dass im Rahmen solcher Veränderungen Selbsthilfekonzepte einen heimlichen Bedeutungszuwachs erfahren und ihrerseits eine Art „Karriere“ durchlaufen.
Der folgende Beitrag ist die zweite Überarbeitung des 1994 erschienenen Ursprungsartikels („Selbsthilfe in Lernprozessen. Zur ‚Karriere‘ eines alternativen Konzepts“). Er bekommt unterdessen das reizvolle Format einer Analyse, die die „Ablagerung“ von Schichten des kritischen Erkennens transparenter macht. Deshalb habe ich meine Einsichten von 1994, ihre Weiterentwicklung von 1998 nicht einfach modifiziert, sondern aus neuer Perspektive gleichsam „fortgeschrieben“.
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Alheit, P. (2018). Lernen und Erwachsenenbildung in Selbsthilfe. In: Tippelt, R., von Hippel, A. (eds) Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19979-5_71
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