Zusammenfassung
Die Kommunikationsforschung beschreibt und analysiert das Verhältnis von Journalisten und ihrem Publikum als imaginäre, nicht als soziale Beziehung. Diese etablierte Konzeption zu hinterfragen, ist Ziel des Beitrags. Unschärfen der theoretischen Setzungen zu Massenkommunikation und ihrem Beziehungspotenzial werden dabei ebenso herausgearbeitet wie die Limitationen empirischer Studien zur Kommunikator-Rezipient-Beziehung. Anschließend wird ein alternatives Konzept einer sozialen Beziehung entwickelt, das die vorherrschenden Restriktionen mit einer sozialkonstruktivistischen Argumentation überwindet. Journalistische Strukturen können dabei als Kitt einer Sozialbeziehung zwischen Journalisten und Rezipienten identifiziert werden.
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Notes
- 1.
Die Forscher untersuchten Exaktheit inhaltsanalytisch anhand dreier Indikatoren (der Reihenfolge der Fakten sowie inhaltliche Zusätze oder Auslassungen) in Hinblick auf die Hypothese, dass Probanden mit überproportional positiven (respektive negativen) Publikumsbildern weniger akkurat berichten, wenn es sich um schlechte (respektive gute) Nachrichten handelt.
- 2.
Eine Kritik zur vorgeblichen Spezifik etablierter Modelle von Massenkommunikation findet sich bei Wagner (1998, S. 187–207).
- 3.
„Die Inklusion wird durch die Differenz, nicht durch den positiven Codewert bewirkt.“ (Luhmann 1988, S. 189; Hervorhebungen im Original)
- 4.
Dies geschieht in der Gesellschaft vergleichsweise selten, etwa in rechtlichen Regelungen.
- 5.
Da journalistische Schemata auf einem hohen Abstraktionsniveau liegen, bleiben sie insoweit unspezifisch, als sie die Produktion und Rezeption in der sachlichen Dimension nicht detailliert strukturieren, sondern vielmehr einen Regelrahmen vorgeben. Die Regeln müssen in konkreten Situationen teilweise über Koordinierung ausgehandelt werden (Luhmann 1987b, S. 87 f.; Altmeppen 1999).
- 6.
Weischenberg und Scholl (1989, S. 425) geben hierfür in ihrer Wirkungsstudie ein Beispiel. Sie erfragen auf journalistische Kommunikation bezogene, normative Erwartungen.
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Meusel, J. (2014). Die Beziehung zwischen Journalisten und ihrem Publikum. In: Loosen, W., Dohle, M. (eds) Journalismus und (sein) Publikum. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19821-7_4
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