Zusammenfassung
Das Verhältnis vom Journalismus zu seinen Publika gestaltet sich vielschichtig und zuweilen widersprüchlich. Im Kern beruhen diese Interrelationen auf (wechselseitigen) Erwartungen. Erwartungen sind im Spiel, wenn von generalisierten Kommunikationsmedien, journalistischen Rollenselbstbildern, Leistungs- und Publikumsrollen oder aber journalistischen Berichterstattungsmustern die Rede ist. Erwartungen reduzieren Komplexität, indem sie unbestimmte Ungewissheit, die keinerlei Orientierung ermöglicht, durch eine bestimmte Ungewissheit ersetzen. Der Beitrag führt die Vorteile dieser Unschärfe aus und beschreibt unterschiedliche Erwartungsstile des Publikums. Hierbei wird argumentiert, dass gerade die Erwartungsenttäuschung keineswegs per se dysfunktional ist, sondern dass sich im Umgang mit enttäuschten Erwartungen zeigt, wie lernfähig Journalismus und Publika sind.
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Notes
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Bildlich gesprochen besteht die Cleverness des Systems darin, sich nicht auf eine – und nur eine – Option festzulegen, sondern sich gleichsam mehrere Hintertüren offen zu halten. Aus eben diesem Grund wird später auch von viablen Erwartungen die Rede sein.
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Durchaus ähnlich formuliert Marcinkowski (1993, S. 40): „[D]ie Selektion von Ereignissen aus einer Welt unendlicher Kontingenz in Form von Themen öffentlicher Kommunikation war entwicklungsgeschichtlich genau in dem Augenblick unvermeidlich, als diese Ereignisse nicht mehr irrelevant für das Operieren anderer Sozialsystem waren.“
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Luhmann (1996) zufolge lassen sich zudem auch Public Relations/Werbung sowie Unterhaltung als Programmbereiche öffentlicher Kommunikation bezeichnen. Konkurrierende Modellentwürfe sehen hingegen Public Relations und Werbung als unterscheidbare soziale Kommunikationssysteme, denen teilweise – wenn auch nicht durchgängig – Funktions- bzw. Leistungssystemstatus zugeschrieben wird (hierzu etwa Görke 2008; Hoffjann 2001; Ronneberger und Rühl 1992; Zurstiege 2002).
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Diese Vereinnahmung des Öffentlichkeitsbegriffs für letztendlich journalistische Kommunikation ist auch von Malik (2004, S. 40) kritisiert worden: „Die Positionierung von Journalismus als einzigen Leistungssystem von Öffentlichkeit ist insofern problematisch, als dass öffentliche Kommunikation nicht exklusiv über Journalismus, sondern auch durch andere Formen medial vermittelter Kommunikation initiiert werden kann.“ Vergleiche Görke (2008) für einen Versuch, neben Journalismus und Unterhaltung auch Public Relations und Werbung im Funktionssystem Öffentlichkeit zu verorten.
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Erst „beide Rollen zusammen bilden die Totalität von funktionssystemspezifischen Inklusionsrollen“ (Stäheli 2004, S. 179).
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Hierzu tragen entscheidend auch die Unterschiede bei, die sich auf der Organisationsebene der beiden Leistungssysteme ergeben.
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Eingedenk der in Leistungs- und Publikumsrolle implementierten Universalisierungsansprüche kann man daher auch sagen: Nichts entgeht der journalistischen Aktualitätsproduktion und eben darum entgeht ihr manches. Das ist nicht tautologisch gemeint, sondern bezieht sich auf den aus Komplexität erwachsenden Selektionszwang. Dieser wiederum führt zur Kontingenz. Diese wiederum impliziert Risiken.
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Mit anderen Worten: Organisation ermöglicht Interdependenzen, die mit der selbstreferenziell geschlossenen Operationsweise der Funktionssysteme kompatibel sind (Luhmann 1997, S. 828 f.).
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Baecker (1999, S. 25) macht darauf aufmerksam, dass diese Irritationspotenziale innerhalb der Organisation von der Organisationssoziologie heutzutage viel gelassener eingeschätzt und zudem in der Regel eher positiv als Bestandteil einer spezifischen Organisationskultur angesehen werden.
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Eben darin sehe ich einen Unterschied zu der Typologie von Meyen und Riesmeyer (2009, S. 207 ff.), in der neben vertraut anmutenden Typen wie Detektiv, Lehrer, Wächter, Dienstleister auch Selbstverständnistypen wie Promoter, Verkäufer und Künstler genannt werden.
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Eine ähnliche Autonomieschutzfunktion schreibt auch Scholl (2004, S. 530) den Publikumsverweisen des Journalismus: „Mit der Referenz auf das Publikum kann sich der Journalismus gegen andere externe Einflüsse zumindest teilweise, ausschnittweise und zeitlich begrenzt abschirmen – aber eben nicht abschotten.“
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Görke, A. (2014). Vom Hasen und vom Igel – oder warum der Journalismus sein Publikum stets erfolgreich und folgenreich verfehlen darf. In: Loosen, W., Dohle, M. (eds) Journalismus und (sein) Publikum. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19821-7_3
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