Zusammenfassung
Die strukturgenetische Soziologie ist nicht nur die fundamentalste Theorie der Sozialwissenschaften, sondern generell der Geisteswissenschaften. Die Kenntnis über die kindnahe Natur der vormodernen Menschheit und den ansteigenden anthropologischen Entwicklungsstand beinhaltet eine Kopernikanische Wende der Geistes- und Sozialwissenschaften, der ersten Kopernikanischen Wende, die diese Disziplinen jemals erfahren haben. Sie impliziert Konsequenzen, die denen der Erfindung des Rades, der Entstehung der Sprache oder der Darwinschen Revolution in der Biologie vergleichbar sind.
Eine große philosophische Idee, der entwicklungsgeschichtliche Grund-gedanke, das Rückgrat aller genetischen Weltbetrachtung, wird seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts als Leitgedanke tiefer und tiefer in den empirischen Stoff eingearbeitet.
… das Ziel ist ja der Nachweis eines gemeinsamen Entwicklungstypus der Menschheit und des Kindes… Die in der Menschheits- und Kindheitsentwicklung einander entsprechenden festen Punkte müssen genau bestimmt werden.
Damit steht der Bau der Geschichtsphilosophie, der Völker- und Kinderpsychologie fertig da. Die Entwicklung der Menschheit und die des Kindes sind übersehbar gemacht, dem allgemeinen Fluß der Entwicklung eingereiht.
Von Herder und Hegel über Schlegel und Comte zu Lamprecht ist zweifellos die Masse empirischen Gehaltes in den Maschen des spekulativen Netzes mit der Zahl der Stufen gewachsen; die Grundideen sind bestimmter hervorgetreten. Noch fehlt die Einarbeitung in ein ungeheures Material, die leuchtende Klarheit einfachster Hauptlinien im massenhaften Stoff; noch fehlt der Darwin der Geschichte. Aber kommen wird er, heute oder morgen. Die Geschichtswissenschaften werden die einheitliche entwicklungsgeschichtliche BetrachtungsweiseHegels, die bei ihrem ersten Auftreten für sie zu früh kam, voll in sich aufnehmen.
(Hermann Schneider, Kultur und Denken der alten Ägypter, Leipzig: Hinrich’sche Buchhandlung 1909, S. VIII, XVI, XVII, IX.) Die Erkenntnis von dem präformalen Entwicklungsstand von Menschen vormoderner Gesellschaften und von der Anhebung des anthropologischen Entwicklungsstandes um fünf bis zehn Jahre und mehr in der Kulturmoderne ist zweifelsohne die grundlegendste Erkenntnis der Geistes- und Sozialwissenschaften… Sie bietet ihnen Möglichkeiten der Fundierung, von denen sie bisher noch nicht einmal träumen konnten.
(Georg W. Oesterdiekhoff, Die Humanisierung des Menschen, in: Jörn Rüsen (Hrsg.), Perspektiven der Humanität, Bielefeld: Transcript Verlag 2010, S. 252)
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Oesterdiekhoff, G. (2012). Strukturgenetische Soziologie als Grundlagentheorie der Geistes- und Sozialwissenschaften. In: Die Entwicklung der Menschheit von der Kindheitsphase zur Erwachsenenreife. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19727-2_26
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