Zusammenfassung
Der vorliegende Artikel soll die soziokulturelle Bedeutung von Fußball-Räumen aufgreifen und in den Fokus rücken. Der Raum als Kategorie im Fußball beschränkt sich dabei nicht nur auf die Ausmaße des Spielfelds. Von Interesse ist nicht, dass ein Fußballfeld nach offiziellen FIFA-Statuten mindestens 6400 und maximal 8250 Quadratmeter groß sein muss (Biermann 2010: 127). Vielmehr sollen anhand einer Fallstudie aus Benin dessen facettenreiche Bedeutungen und Nutzungspraxen in einer westafrikanischen Mittelstadt erkenntlich gemacht werden. Dabei sollen nicht nur Spielpraxen beschrieben, sondern vorrangig die Wechselbeziehungen zwischen identitätsstiftenden Aspekten des Spiels und den Strukturen des sportiven Raumsverdeutlicht werden. Hauptaugenmerk gilt dabei den dort agierenden Fußballern, ihrem Spielfeld und inwiefern dieses als Plattform bzw. als Interaktionsraum für die Entwicklung urbaner Identitäten, Austragungsraum für Konflikte oder Soziabilität verstanden werden kann.
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Notes
- 1.
Der Text basiert auf empirischem Datenmaterial einer viermonatigen Feldforschung, welches die Grundlage meiner Magisterarbeit bildete. Verwendete Interviewpassagen (welche im Original transkribiert und in den dazugehörigen Fußnoten ins Deutsche übersetzt wurden) und verschriftlichte Beobachtungen wurden dementsprechend kenntlich gemacht.
- 2.
Schroer weist in diesem Zusammenhang auf die Vorstellungen von gesellschaftlichem Wandel hin, die v. a. in der abendländischen Geistesgeschichte von einem tief verankerten Verständnis von Raum und Zeit geprägt sind. Zeit steht hier für das Mobile, Dynamische, Progressive, für Veränderung, Wandel und Geschichte. Hingegen wird Raum stets mit Immobilität, Stagnation, Starre oder Festigkeit in Verbindung gebracht und scheint in diesem Sinne als Hemmnis für Entwicklung oder Modernisierung betrachtet zu werden (vgl. Schroer 2006: 21).
- 3.
Das „Wembley Banikanis“ erhielt seine Bezeichnung vom Besitzer des Grundstückes, da dieser einige Zeit in London lebte und dort regelmäßig Champions-League-Matches im inzwischen abgerissenen Wembley-Stadion besuchte.
- 4.
Das Team wurde Ende der 1990er Jahre gegründet und hat sich aus einer Schulmannschaft weiterentwickelt. Der Mannschaftsname beruht auf der Affinität eines schon verstorbenen Mitbegründers des Teams zum englischen Verein Arsenal London. Das Vereinsemblem des Londoner Clubs ziert eine Kanone, was ausschlaggebend für die Namensfindung des Vereins in Banikani war.
- 5.
Eigene Übersetzung: „Es ist wirklich das Zuhause unseres Clubs, da wir diejenigen sind, die sich darum kümmern. Ich weiß, dass der Besitzer, der Chef, in Cotonou ist, aber wir sind wie Wächter, nicht nur für das Haus, sondern vielmehr für das Grundstück. Er, der Chef, ist weit weg und hat überhaupt keine Ahnung was hier passiert. Aber ich glaube, er wäre zufrieden, wenn er wüsste, wie wir uns verhalten“.
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Eigene Übersetzung: „Ich habe sehr viel Respekt vor den Dreien, weil sie sehr stark auf dem Platz sind und sie jeder in Banikani kennt. Sie sind immer da für uns. Nicht nur auf dem Platz, während der Matches oder des Trainings. Selbst im normalen Leben, wenn wir Probleme mit den Erwachsenen oder in der Schule haben. Wie ich schon sagte, alle kennen sie, weil sie Respektspersonen und im Viertel bekannt sind“.
- 7.
Eigene Übersetzung: „Eigentlich sind wir eine Fußballmannschaft wie jede andere. Wir sind fußballverrückt, das stimmt! Aber wir sind auch Repräsentanten unseres Viertels. Das heißt, wir haben eine Vorbildrolle. Und außerdem: Mitglied unserer Mannschaft zu sein, hat auch bestimmte Vorteile. Unser Ruf ist ziemlich gut, weil wir Jungs sind, die Verantwortung übernehmen. Aber nicht nur hier auf dem Platz, wo wir uns um das Grundstück kümmern. Selbst im Viertel sind wir zur Stelle, wenn es Probleme gibt“.
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Eigene Übersetzung: „Ich kenne viele Leute in der Stadt. Wenn es Neuigkeiten gibt – egal was, egal wo – weiß ich das sofort! Besonders bezüglich Gelegenheitsjobs hab ich viele Kontakte. Und wenn ich weiß, dass jemand aus unserem Team Arbeit sucht, lasse ich sie das sofort wissen“.
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Eigene Übersetzung „Ich bin für den Ball verantwortlich. Ich bewahre ihn immer zu Hause auf und auf dem Platz bin ich der Erste und der Letzte, der ihn hat. Momentan haben wir zwei Bälle. Diesen hier und einen zweiten, der gerade kaputt ist. Mit den Bällen ist das wirklich eine heikle Sache, weil die Fußballplätze hier in Parakou ständig dreckig und voll mit spitzen Gegenständen sind. Die Qualität der Bälle ist räudig! Das sind billige Produkte aus China, die nach einer Saison hinüber sind. Fast jeden Monat muss ich die Bälle reparieren. Zu Hause habe ich Werkzeug, um die Bälle zu reparieren – Nadeln, Garn, etc. Momentan sparen wir für einen echten Ball. Wenn Gott es so will und wir die Meisterschaft gewinnen, werden wir am Ende der Saison einen echten Adidas haben“.
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Eigene Übersetzung: „Das ist nicht schlimm. Le terrain ist für jeden. Heute spielt man Fußball, morgen schlachtet man die Ziegen und übermorgen spielt man wieder Fußball. Das ist normal hier. Gäbe es Probleme oder Stress wegen der Nutzung des Platzes, wäre die Zukunft des FC Canon in Gefahr, weil dieser Platz der einzige hier in Banikani ist, wo man ein richtiges Match austragen kann“.
- 11.
Erfahren während mehrerer Trainingseinheiten im August 2004.
- 12.
Huizinga entwarf eine Theorie der Kultur, indem er dem Denker (homo sapiens) und dem Tätigen (homo faber) noch die Person des Spielers (homo ludens) an die Seite stellt. Nach Huizinga ist das Spiel ein grundlegendes Element unserer Kultur. Der Mensch ist ein Spieler, so Huizinga, denn ohne seine Lust und Fähigkeit zum Spielen hätten sich auch andere Bereiche seiner Kultur, wie z. B. das Recht, die Wissenschaft oder die bildenden Künste, nicht entwickelt. Huizinga versucht das Spiel in den Begriff der Kultur einzugliedern, um zu zeigen, dass Kultur selbst Spielcharakter hat (2009: 7).
- 13.
Das Spiel geht also über die Grenzen rein biologischer bzw. physischer Betätigung hinaus und hat eine sinnvolle Funktion inne. Das heißt, jedes Spiel hat eine Bedeutung bzw. eine Sinnhaftigkeit (vgl. Huizinga 2009: 9).
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Scharf, L. (2012). Aus der Tiefe des urbanen Raumes. In: Brandt, C., Hertel, F., Stassek, C. (eds) Gesellschaftsspiel Fußball. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19677-0_10
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