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Bildung im Zeitalter des Informationalismus

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Bankrott der Bildungsgesellschaft
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Zusammenfassung

Bereits aus den bisherigen Ausführungen in der vorliegenden Arbeit wurde deutlich, dass die sozialwissenschaftliche und politökonomische Vorstellung, unsere gesamte Welt hätte sich im Zeitalter des Informationalismus in der Phase eines revolutionären Umbruchs befunden, den sämtliche Gesellschaftsbereiche nachzuvollziehen hatten, keinesfalls vor der Pädagogik Halt machte. Im Gegenteil wurde gerade vom Bildungssektor erwartet, sich nicht lediglich an der „informationstechnologischen Revolution“ zu beteiligen, sondern diese anzuführen. In einer derart konstruierten Bildungsgesellschaft war der Anspruch an die Pädagogik gewaltig: Sie musste die Menschheit mit all den Kompetenzen ausstatten, die ihr überhaupt erst ein Überleben in der Wissensgesellschaft ermöglichen sollen.

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Notes

  1. 1.

    Wie bereits in der (zweiten Fußnote der) Einleitung expliziert, werden im vorliegenden Buch Perspektiven des als „Bildungsökonomie“ bezeichneten Forschungsbereichs auf Grund ihres – in diesem Kontext als verkürzt betrachteten – rein wirtschaftlichen Zugangs an hier untersuchte Fragestellungen nicht behandelt. Die Auswirkungen einer solchen Herangehensweise sind alleine schon am gerade zitierten Werk deutlich zu erkennen, in dem sein Autor (in bester neoliberaler Manier) für einen größtmöglichen Rückzug des Staates aus der Bildung bzw. ihrer Finanzierung zwecks einer Wettbewerbs- und folglich Effizienzsteigerung plädiert (vgl. Gundlach 2007, S. 77f).

  2. 2.

    Wie für zahlreiche Expert/innen, die sich intensiv mit Fragen rund um Medien und Bildung auseinandersetzen, üblich, ist Klaus Haefner ursprünglich kein Pädagoge. Von seiner Grundausbildung her ist er Physiker. 1972 leitete er an der Universität Freiburg ein Projekt mit dem Titel "Computerunterstützter Hochschulunterricht", woraufhin er eine Professur für computerunterstützte Hochschullehre an der Universität Bremen erhielt. Später orientierte er sich zwar wieder neu und nahm eine Professur für angewandte Informatik an, setzte sich jedoch weiterhin in leitenden Positionen mit der informationstechnischen Grundbildung von Lehrer/innen auseinander. (vgl. www.haefner-k.de/curvitae.htm [15.10.2007])

  3. 3.

    Haefners Zugang stellt keinesfalls eine – z. B. vermeintlich spezifisch deutsche – Ausnahmeerscheinung dar. So hatte in den USA der 1983 veröffentlichte Bericht mit dem Titel A Nation at Risc einen wesentlichen Einfluss auf die Bildungspolitik. hier erfolgte die Gleichsetzung der darin dargestellten Bildungsdefizite mit einem feindlichen Angriff auf das gesamte amerikanische Gesellschaftssystem. Dabei standen solche Diskurse auch in den Vereinigten Staaten im engen Zusammenhang zur Behauptung der Standortgefährdung auf Grund der mangelhaften Vermittlung von Kompetenzen in Hinblick auf IKT. (vgl. Breiter et al. 2007, S. 113)

  4. 4.

    In Haefners Argumentation ist nicht die These der durch zunehmenden wirtschaftlichen Technologieeinsatz bedingten Verdrängung des Menschen aus dem Arbeitskreislauf neu bzw. bedenklich. Diese bildete bereits die Basis der Theorien von Marx und Engels (vgl. z. B. Rifkin 2004, S. 64f; S. 71f) und wird auch in aktuelleren sozioökonomischen Publikationen angesehener Wirtschaftswissenschaftler/innen in Bezug auf IKT massiv vertreten – vgl. z. B. Jeremy Rifkins Das Ende der Arbeit (v. a. ebd. S. 80 ff). Im Gegensatz zu Haefner sehen das Letztere jedoch als ein soziologisches und damit gesellschaftlich verursachtes sowie folglich ebenso gesellschaftlich zu behebendes Problem an und nicht als eines, das aus der objektiven Überlegenheit der Maschine gegenüber dem Menschen resultiert und gegen das wir daher nichts unternehmen können.

  5. 5.

    Es ist nicht anzunehmen, dass Manuel Castells die Schriften Klaus Haefners kennt. Umso bemerkenswerter ist die Ähnlichkeit der beiden gewählten Metaphern zur Beschreibung des Hauptmerkmals der heutigen Wissenselite: „Unberechenbarkeit“ und „Selbstprogrammierung“ (zu Letzterem siehe z. B. Castells 2005a, S. 102).

  6. 6.

    Aus den fast durchwegs affirmativen Beiträgen sticht jener des damaligen Kultusministers von Nordrhein-Westfallen, Hans Schwier (SPD) hervor, in dem er folgendes konstatiert: „Eine Bildungspolitik, die sich Spekulationen anvertraut und darauf Handlungen begründet, ist ebenso schädlich wie eine, die die Signale für Veränderungen nicht wahrnimmt“ (nach Haefner 1985, S. 308).

  7. 7.

    Auffällig ist die Parallele dieser Formulierung zu kurz danach getätigten (und im vorliegenden Buch im Abschnitt 6.3.2. aufgearbeiteten) Aussagen „neu-linker“ Soziolog/innen sowie Politiker/innen. Z. B. jener von Anthony Giddens (2001, S. 182), der im Kontext des Bildungsdiskurses betonte, es solle „wo immer möglich (…) in menschliches Kapital investiert werden“. Oder derer von Schöder und Blair (1999), welche die allgemeine Anerkennung der Bildung als zentrale „Investition in menschliches und soziales Kapital“ als höchste Priorität für „moderne Sozialdemokraten“ bezeichneten.

  8. 8.

    Bill Gates ist es ein besonderes Anliegen, alle Befürchtungen zu zerstreuen, dass der Computer Lehrer/innen in pädagogischen Prozessen auf Dauer ablösen könnte. Im Gegenteil bezeichnet er sie als „unverzichtbar“ und ihre beruflichen Zukunftsaussichten als „ausgesprochen rosig“ (Gates 1997, 316). Die neuen Technologien sollen Lehrpersonen (lediglich) als eine gewaltige Arbeitserleichterung dienen. Dies nicht zuletzt, weil sie ihnen unliebsame, stumpfsinnige Aufgaben abnehmen würden (Vermitteln des ewig gleichen Faktenwissens, Vorbereiten und Durchführen von Test, Ausbessern von Fehlern etc.) und sattdessen Möglichkeiten eröffnen könnten, sich individuell um einzelne Kinder zu kümmern, sowie sich ständig neuen, für sie spannenden Themen zu widmen (vgl. ebd. S. 299ff; S. 306; 312 ff).

  9. 9.

    Gates (1997, S. 308) weist natürlich auch darauf hin, dass man bereits mit den gängigen Programmen seiner Firma (Office-Paket) tolles eLearning betreiben kann.

  10. 10.

    Ausführlich zu den Unterschieden – und z. T. auch Analogien – zwischen der deutschen Mediendidaktik, die sich intensiv auf das im vorangehenden Abschnitt behandelte US-amerikanische ‚Instructional Design‘ beruft, und der hier besprochenen deutschen Medienpädagogik siehe Pasuchin 2009a.

  11. 11.

    Zur Abkehr vom Begriff des Nutzers bzw. Users in kommunikations-mediensoziologischen Kontexten auf Grund der damit implizierten passiven Konsumorientierung siehe z. B. Lievrouw; Livingstone 2006, S. 8.

  12. 12.

    Wie angesprochen geht es an dieser Stelle um die historische Verwurzelung der zeitgenössischen deutschen Medienpädagogik, die keinesfalls mit der gesamten Bandbreite des entsprechenden aktuellen Diskurses zu verwechseln ist. Letzterer erweist sich inzwischen als den medialen Einflüssen gegenüber bedeutend aufgeschlossener. So besteht das zentrale praktische Handlungsfeld dieser Disziplin in der aktiven bzw. kreativen Medienarbeit, wobei derartige Projekte darauf abzielen, Jugendlichen dazu zu verhelfen, den eigenen Identitäten medial Ausdruck zu verleihen und dabei ihren spielerischen, phantasievollen Umgang mit Technologien zu fördern (Pasuchin 2009b).

  13. 13.

    Ralf Vollbrecht geht in seiner ausführlichen und höchst pointierten Aufarbeitung dieses Themas u.a. auf den Anfang des 20. Jhd. in der Rechtsprechung üblichen Begriff des „Kinodeliktes“ ein. So sollen dem Direktor einer Schweizer Zwangserziehungsanstalt zufolge „zehn Prozent der Inhaftierten vom Kinematographen zu ihrem Verbrechen verführt worden sein“ (Vollbrecht 2001, S. 32).

  14. 14.

    Das Thema digital divide (digitale Spaltung) spielt in der aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskussion eine sehr wichtige Rolle – siehe z. B. Abschnitte 2.4.4. und 3.2.4. Jedoch wird es auf einer völlig anderen Ebene verhandelt, als im Rahmen der im folgenden Abschnitt dargestellten Initiativen.

  15. 15.

    Deutschland war in Bezug auf Multimedia und Internet sowohl technologisch in Europa führend (vgl. z. B. Breiter et al. 2007, S. 2), als auch politisch tonangebend. So ist es sicherlich auch kein Zufall, dass ein Deutscher – und zwar der FDP-Politiker Martin Bangemann – der Namensgeber jenes EU-Reports ist, welcher die Initialzündung für die intensive medien- und v. a. markteuphorische Auseinandersetzung mit dem Thema Informationsgesellschaft in Europa bildete (siehe Bangemann et al. 1994).

  16. 16.

    Theoretisch könnte es also an Schulen eines EU-Staates an existenziellen Betriebsmitteln mangeln – solange genügend Computer vorhanden wären, würden diese Länder in den EU-Statistiken gut abschneiden.

  17. 17.

    Natürlich sagt die Angabe, dass jede Schule einen Internetzugang hat, noch nichts über die Qualität und Aktualität der jeweiligen medientechnischen Ausstattung aus. So schreibt z. B. Jochen Krautz (2007, S. 68) zur Realität an deutschen Schulen, es würde hier statt „Computer für alle“ zumeist noch nicht einmal Tageslichtprojektoren geben.

  18. 18.

    Auf der hier zitierten Unterseite des Vereins „Schulen ans Netz‘ war kein Erstellungsdatum angegeben. Da dort rückblickend von Entwicklungen aus dem Jahre 2006 gesprochen wurde, ist davon auszugehen, dass die Verfassung der Angaben danach stattfand. Die hier zitierten Informationen sind seit dem Relaunch des Webaustritts dieser Organisation am 01.03.2010 nicht mehr online, wurden jedoch dem Autor der vorliegenden Arbeit von ihrer Leitung freundlicherweise im Volltext zur Verfügung gestellt.

  19. 19.

    Es ist bezeichnend, dass die hier zitierten Aussagen dem 2010 (also nach dem vom Autor der vorliegenden Arbeit so bezeichneten „Ende des Informationalismus“) durchgeführten Relaunch des Webaustritts von ‚Schulen ans Netz‘ zum Opfer gefallen sind.

  20. 20.

    Das an dieser Stelle verwendete Wort „empowered“ lässt sich schwer auf Deutsch übersetzen. Es geht dabei um Emanzipation und Teilhabe – darum, zuvor Ohnmächtigen zur Macht zur verhelfen.

  21. 21.

    Wie im Abschnitt 6.5.1. noch darzustellen sein wird, bemühte sich die Erziehungswissenschaft durchaus um die Bereitstellung sowohl von Konzeptionen als auch von Methoden, die der neuen sozio-technologischen Situation gerecht werden sollten. Jedoch blieben die Ergebnisse dieser Anstrengungen aus den in darauf folgenenden Abschnitt en behandelten Gründen zumeist rein theoretischer Natur und sind kaum jemals in der Praxis „angekommen“ – und wenn, dann eher in Form höchst negativer Auswirkungen.

  22. 22.

    Heutzutage werden die Inhalte der ‚Informationstechnischen Bildung‘ zumeist an jenen dieses Kurssystems ausgerichtet (vgl. z. B. Donner 2010, S. 21).

  23. 23.

    An dieser Studie ist besonders bemerkenswert, dass ihre Autor/innen sich explizit von allen zum Zeitpunkt ihrer Verfassung modischen „offenen“ Lernformen abgrenzen und auch sämtlichen Wissenschaftler/innen widersprechen, welche die reine Förderung von Fertigkeiten für anachronistisch und konterproduktiv halten. Laut Anke Hanft und ihren Kolleg/innen (2004, S. 4) erwiesen sich Fertigkeitstests „als weitaus valider als authentische Erfassungsinstrumente (Portfolio und ganzheitliche Aufgabe) im Hinblick auf den Nachweis von IT-Kompetenzen“.

  24. 24.

    Der Begriff eLearning bedeutet grundsätzlich lediglich „elektronisches“, d. h. durch Computer- und Webtechnologien unterstütztes Lernen sowie Lehren und ist sehr weit auslegbar (vgl. Reinmann 2009). So wird auch im Aktionsplan eEurope diesem Bereich alles zugerechnet, was irgendwie mit Bildung und neuen Technologien zu tun hat – also entsprechende Ausrüstung von Institutionen, Lehrer/innen-Schulungen etc. (vgl. Europäische Kommission 2000, S. 13f). In der vorliegenden Arbeit wird jedoch von der – oben ausgeführten – viel engeren Definition dieses Terminus ausgegangen, die sich an der Jahrtausendwende in einem großen Bereich der Erziehungswissenschaften etablierte (vgl. z. B. Niegemann et al. 2004). In dieser Auslegung wird eLearning auch grundsätzlich vom – US-amerikanisch dominierten – ‚Instructional Design‘ her fundiert (vgl. ebd. S. 19 ff).

  25. 25.

    Z. B. erfolgt in der Publikation E-Learning eine Zwischenbilanz alleine für Deutschland für den Zeitraum Ende der 1990er bis Ende der 2000er Jahre die Angabe eines Betrages von „deutlich mehr als 300 Millionen Euro“ für die Förderung von eLearning-Initiativen nur für den Hochschulbereich (Haug; Wedekind 2009, S. 22). Dabei werden hier anscheinend lediglich Bundes- und Landesbudgets mitgerechnet, jedoch keine EU-Förderungen, die z. B. in Form der (Co-) Finanzierung von Forschungsprojekten im Bereich der medienunterstützten Lehre zu dieser Zeit reichlich ausgeschüttet wurden.

  26. 26.

    Laut Ulrich Schäfer (2009, S. 49) trug Thatcher „Hayek nicht nur im Herzen, sondern auch in der Tasche“: Als sie bei einer Veranstaltung von ihren eigenen Parteikollegen für die radikalen Reformen kritisiert wird, zieht sie Hayeks oben zitiertes Buch hervor und ruft: „Das ist woran wir glauben!“

  27. 27.

    Wie schon in Abschnitt 5.3.3. ausgeführt, ließ Peer Steinbrück bereits im Jahre 2003 noch in seiner Funktion als Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen mit der Aussage aufhorchen, dass sich Sozialpolitik ausschließlich um gesellschaftliche Leistungsträger/innen zu kümmern habe (vgl. Steinbrück 2003).

  28. 28.

    Für die relativ hohen Bildungsausgaben in Großbritannien gibt es vielfältige Erklärungen – nicht zuletzt basieren diese auf intensiven „Umwegfinanzierungen“ von schulgeldpflichtigen Ausbildungsstätten über ein stark ausgebautes System von Stipendien, Zuschüssen und Darlehen.

  29. 29.

    Auch in Bezug auf diesen Bereich kann Großbritannien als „Trojanisches Pferd“ der USA (Herz 2010, S. 175) betrachtet werden, mit dessen Hilfe das Einschleusen von Konzepten nach Europa erfolgt, die sich in den Vereinigten Staaten bereits durchgesetzt haben.

  30. 30.

    Ende 2010 hat die – diesmal konservativ-liberale – britische Regierung eine nochmalige drastische Erhöhung der Studiengelder beschlossen. Die Höchstgrenze bis zu der Universitäten jetzt Gebühren einfordern können, wurde auf 10.605 EUR angehoben und hat sich damit mehr als verdoppelt. Das führte zu massiven, teils gewalttätigen Ausschreitungen von Schüler/innen und Studierenden (vgl. Handelsblatt-online 2010).

  31. 31.

    Häcker bezieht sich dabei keineswegs lediglich auf die Diskussion im deutschsprachigen Raum. Sowohl der im Zentrum seiner Arbeit stehende Portfolioansatz als auch die daran unmittelbar geknüpften Konzeptionen der Selbstbestimmung sowie Selbststeuerung haben ihren Ursprung in der US-amerikanischen Pädagogik (dazu siehe z. B. Häcker 2007, S. 63; S. 90 ff) und weisen inzwischen einen hohen Stellenwert im gesamten internationalen didaktischen Diskurs auf.

  32. 32.

    Z. B. sagte Margaret Thatcher in einem Interview im Jahre 1987: “(…) who is society? There is no such thing! There are individual men and women and there are families and no government can do anything except through people and people look to themselves first” (Margaret Thatcher Foundation o. J.).

  33. 33.

    Herz stellt in ihrem Beitrag ausgehend von mehreren internationalen Quellen und Studien dar, dass in den letzten Jahrzehnten in den wohlhabenden Staaten immer mehr arme Menschen in Gefängnissen interniert werden, die dafür ihre Kapazitäten massiv erhöhen mussten, wobei der entsprechende Ausbau „in keinem Verhältnis zur realen Kriminalitätsbelastung der Bevölkerung“ steht (Herz 2010, S. 176).

  34. 34.

    Dies soll keinesfalls heißen, dass das Problem verharmlost werden darf. Denn einerseits ist auch nur ein einziges misshandeltes Kind, unbestreitbar ein misshandeltes Kind zu viel. Andererseits kann beobachtet werden, dass Drohung und Zwang im Rahmen von Schulungsmaßnahmen genau jene Handlungsmuster darstellen, gegen die sich die so genannten „schwererziehbaren“ Heranwachsenden gerade mit jenen Mechanismen zu schützen versuchen, die neuerdings als „Bildungsverweigerung“ bezeichnet werden. Dabei wird diese Abwehrhaltung durch ein aggressives pädagogisches Vorgehen naturgemäß lediglich verstärkt (vgl. z. B. Sturzenhecker 2010, S. 42).

  35. 35.

    Das hat v. a. mit der unklaren Zuschreibung der Autorenschaft des Gegensatzpaares Disziplinargesellschaft ( = alt) vs. Kontrollgesellschaft ( = neu) innerhalb der einschlägigen Fachliteratur zu tun. Zumeist wird dessen Einführung mehr oder weniger direkt Foucault zugerechnet – vgl. z. B. Meyer et al. 2011, S. 19; Breit et al. 2005, S. 5. Jedoch können manche Passagen aus Foucaults zentralem Werk Überwachen und Strafen , auf das sich die Meisten in diesem Kontext berufen, so gelesen werden, dass gerade die „Disziplinarmacht“ jene ist, welche die neue Ordnungsform charakterisiert (vgl. z. B. Foucault 1976, S. 241). Der erwähnte Begriffsdualismus wurde dagegen erst von Deleuze konstruiert, wobei er sich aber explizit auf Foucault berief – vgl. z. B. Deleuzes (1993, S. 254 ff) Postskriptum über die Kontrollgesellschaften . In seiner Nachfolge gibt es zahlreiche Theoretiker/innen, die zwar angeben von Foucault auszugehen, jedoch tatsächlich auf Deleuze rekurrieren (vgl. z. B. sämtliche Publikationen im „Schulheft“ Kontrollgesellschaft und Schule – Breit et al. 2005). Das führt insofern zu Verwirrungen, als solche Analytiker/innen mit dem Terminus der Disziplinargesellschaft die alte Gemeinschaftsordnung bezeichnen, während andere Autor/innen, die direkt auf Foucault aufbauen, damit das aktuelle System umschreiben (vgl. z. B. Dörr 2010, S. 193f).

  36. 36.

    Der Begriff der „Selbstdisziplinierung“ wird in keiner der im vorliegenden Abschnitt aufgearbeiteten Publikationen verwendet, erscheint jedoch – in direkter Anlehnung an Foucault – zur Bezeichnung hier besprochener Prozesse als besonders treffend. „Selbstkontrolle“ hat dagegen auf dem Hintergrund des oben Dargestellten einen euphemistischen Beigeschmack, weil in der Alltagssprache „sich selbst unter Kontrolle haben“ durchaus positiv besetzt ist.

  37. 37.

    Dabei beruft sich Dörr (2005, S. 192f) auf eine im Jahre 1972 publizierte Studie unter arbeitslosen Amerikanern, die u.a. zum folgenden Schluss kam: „Jene amerikanischen Arbeiter hatten die Normen und Werte der Leistungsideologie so stark verinnerlicht, dass sie vor deren Hintergrund auch ihren eigenen Berufsweg als individuell verursachtes Scheitern wahrnahmen.“

  38. 38.

    In einer Diktatur wäre so eine Entwicklung leicht begründbar und historisch auch an zahlreichen Beispielen belegbar. Jedoch fallen Konzeptionen, welche unsere derzeitige westliche Welt als eine (z. B. mit Hilfe medialer Manipulation) besonders subtil unkenntlich gemachte Gewaltherrschaft (z. B. jene der Kultur- und Bewusstseinsindustrie) beschreiben, in den Bereich der uns von der Notwendigkeit zu Handeln (anstatt nur zu klagen) entlastenden Verschwörungshypothesen. Deswegen kann hier – trotz mehrerer argumentativer Parallelen – auch keinesfalls ein Anschluss an pädagogische Ansätze erfolgen, die sich dem Gedankengut der ‚Kritischen Theorie‘ der ‚Frankfurter Schule‘ verpflichtet fühlen. Als Beispiel für Letzteres soll an dieser Stelle lediglich das Buch Untiefen im Mainstream von Pongratz (2005) genannt werden.

  39. 39.

    Die in Folge vorgebrachte Kritik ist insofern etwas „delikat“, als damit eine extreme Oppositionshaltung zu den auf dem Höhepunkt des Informationalismus geltenden und bis heute stark nachwirkenden Glaubenssätzen der (die Mediendidaktik nachhaltig beeinflussenden) Instruktionstheorie eingenommen wird, wie sie z. B. besonders prominent von Charles Reigeluth (1999b, S. 19 ff) formuliert wurden. Gerade deswegen fiel die Wahl der Hauptquelle auf einen Artikel zweier Autor/innen, deren Perspektive keinesfalls von außen, sondern direkt aus dem Zentrum des von ihnen kritisierten Fachbereichs kommt – sowohl Michael Kerres als auch Claudia de Witt sind habilitierte Mediendidaktiker/innen und bekleiden entsprechende Professuren an renommierten deutschen Universitäten.

  40. 40.

    So lehnte Skinner auch die – heute zumeist mit dem Behaviorismus in Verbindung gesetzten – Multiple-Choice-Tests ( = Fragen auf die mehrere anzukreuzende Antwortalternativen angeboten werden) massiv ab und forderte, Möglichkeiten von Freitextantworten einzubauen. Es begründete das u.a. damit, dass bei solchen Fragen „den Lernenden neben einer richtigen auch falsche Antwortalternativen präsentiert werden (müssen), die sich möglicherweise einprägen“ (Kerres; de Witt 2002, S. 4).

  41. 41.

    Die meisten davon sind tatsächlich ziemlich „verstaubt“ – zu den offensichtlichen Schwächen der Zugänge zur sowie Methoden der Kreativitätsförderung siehe z. B. Hentig 1998.

  42. 42.

    In der Folge wird – auf Grund ihrer besonders problematischen Auswirkungen – fast ausschließlich auf die neoliberalen Ausprägungen eingegangen, welche für den pädagogischen Konstruktivismus charakteristisch sind. Die nicht weniger konstitutiven technikdeterministischen Aspekte zeigen sich z. B. am (bereits mehrmals erwähnten) Postulat von einem der Hauptvertreter des konstruktivistischen Instruktionsdesigns – Michael Hannafin –, die neuen didaktischen Zugänge wären erst durch das Internet möglich bzw. sogar nur in diesem Zusammenhang überhaupt denkbar geworden (vgl. Hannafin et al. 1999, S. 118). Auf der anderen Seite konstatieren Kerres und de Witt (2002, S. 9) für die Mediendidaktik, dass die Entstehung des neuen Paradigmas nicht zuletzt als eine Reaktion auf eine sich wandelnde „gesellschaftliche Konstruktion des Artefakts ‚Computer‘“ betrachtet werden kann – „Benutzer/innen müssen sich zunehmend weniger schwer verständlichen Systemdialogen ‚unterwerfen‘, sondern erwarten eine intuitive Benutzeroberfläche, die bei Arbeitsprozessen optimale Unterstützung bietet.“ Damit ging ihrer Meinung nach „die Suche nach Konzepten des Computereinsatzes für Lehr-Lernzwecke [einher], die auf diese veränderte Wahrnehmung und Nutzung eingingen. Der ‚Konstruktivismus‘ lieferte dazu einen passenden Theoriehintergrund, indem er den Benutzer als aktiv konstruierendes Wesen im sozialen Kontext darstellte“ (ebd.).

  43. 43.

    Zu weiteren Widersprüchen zwischen dem Konstruktivismus und den – auch von konstruktivistischen Bildungsexpert/innen nicht hinterfragten – Grundzielen der Bildung siehe Hackl 2007, S. 10 f. Z. B. müssten seiner Analyse nach aus einer konsequent konstruktivistischen Perspektive „biografische Karrieren als Prostituierte, Crackdealer oder Auf[t]ragskiller pädagogisch genauso opportun sein, wie solche als Bäcker, Sozialarbeiter oder Konzertmusiker (…)“ (ebd. S. 10). Das hat Hackl zufolge nicht zuletzt damit zu tun, dass sich Autopoiesis weder fördern noch unterdrücken lässt (ebd., S. 11).

  44. 44.

    Des Weiteren spricht Horst Siebert in einer gemeinsamen Publikation mit Rolf Arnold (1995, S. 23) von der „Konvergenz zwischen postmodernem und konstruktivistischem Denken“. Zum Zusammenhang zwischen systemtheoretischen und konstruktivistischen pädagogischen Ansätzen siehe z. B. Luhmann; Schorr 1988. Zur Gegnerschaft zwischen Vertreter/innen der Postmoderne und der Systemtheorie siehe z. B. Lyotard 1986, S. 44.

  45. 45.

    Besonders bemerkenswert wird dieser Hinweis, wenn man beachtet, dass Manuel Castells – der selbst zu wichtigen Protagonisten der „68er“ zählt – die studentische Revolte als eine der Hauptwurzeln des informationellen Kapitalismus betrachtet. Dabei räumt auch er ein, dass diese Strömung „mit dem Marxismus und übrigens auch mit der Arbeiterklasse wenig zu schaffen“ hatte, da es sich im Wesentlichen um „kulturelle Bewegungen“ handelte (Castells 2003, S. 389). Trotzdem bzw. gerade deswegen hatten sie auf Grund der aus ihnen resultierenden gesamtgesellschaftlichen Durchsetzung einer libertären Grundhaltung enorme „Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Technologie und die sich daraus ergebenden Prozesse der Neustrukturierung“ (ebd., S. 390).

  46. 46.

    Die hier behandelte Problematik betrifft den schulischen Bereich auch deswegen ungleich stärker, als den universitären, weil das Schlimmste, was Studierenden passieren kann, die mit „offenen“ Unterrichtsansätzen nicht klar kommen, jenes ist, dass sie das Studium abbrechen und sich einen Beruf suchen müssen, der keinen akademischen Abschluss erfordert. Das ist zwar sowohl persönlich als auch gesellschaftspolitisch tragisch, stellt jedoch für einzelne wenigstens noch keine Bedrohung ihrer Existenz dar. In der (Pflicht-) Schule kommt jedoch durchaus das Letztegenannte hinzu. Denn wer hier „durch den Rost“ fällt, wird als „Bildungsverweiger/in“ abgestempelt – mit allen zu Beginn des Abschnitt 6.4.4. beschriebenen Konsequenzen.

  47. 47.

    Eine besonders ausführliche Untersuchung zum Thema der sozialen Selektivität des Bildungswesens bietet die Habilitationsschrift des Erstautors des gerade mehrfach zitierten Artikels Helmut Bremer, in der er aufbauend auf Konzeptionen von Pierre Bourdieu postuliert, dass die „Ungleichheit der Lernenden eine ungleiche Pädagogik erfordert, wenn mehr Gleichheit das Ziel sein soll“ (Bremer 2007, S. 13; Hervorhebungen im Original).

  48. 48.

    Zum Zwecke der Erleichterung des Auffindens der ausführlichen Besprechung des Behandelten und von dazu gehörenden Belegen erfolgt hier eine zum Hauptkapitel in Hinblick auf die Benennung sowie Anordnung der Unterabschnitte analoge Einteilung. Dabei gibt es jedoch eine bedeutende Abweichung: Die Darstellung sämtlicher direkter Auswirkungen auf die pädagogische Praxis wird zunächst ausgespart und erst im letzten Unterabschnitt gemeinsam vorgenommen, um eine besonders deutliche Herausarbeitung der Erkenntnisse bezüglich dieses für das vorliegende Buch wichtigsten Themas zu ermöglichen.

  49. 49.

    Auf dieses Thema wird im 7. Kapitel sehr ausführlich eingegangen. Hier soll die Aussage lediglich anhand eines Beispiels verdeutlicht werden: In der im Abschnitt 6.4.1. angesprochenen Studie der Österreichischen Arbeiterkammer aus dem Jahre 2011 wird aufgezeigt, dass die ständig steigenden Gewinne der Unternehmen dieses Landes nur zu einem geringen Anteil in ihren Ausbau oder in das Anlegen von „Sicherheitspölstern“ investiert werden. Dagegen erfolgt hauptsächlich ihre Auszahlung an die Eigentümer/innen. Dabei sind die Gewinnausschüttungen insgesamt neuerdings sogar höher, als die Jahresüberschüsse – im Krisenjahr 2008 betrug die entsprechende Differenz 37,30 %. D. h., dass die Eigentümer/innen sich nicht nur an ihren Beschäftigten bereichern (deren Löhne trotz höherer Leistung inflationsbereinigt sinken), sondern auch die ökonomische Handlungsfähigkeit der eigenen Betriebe zugunsten der persönlichen Profitmaximierung einschränken (vgl. AK 2011).

  50. 50.

    Zur (naturgemäß zahlreichen ihrer Ausprägungen kritisch gegenüber stehenden) Selbstverortung Michel Foucaults in der Tradition der Aufklärung siehe z. B. Foucault 1992.

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Pasuchin, I. (2012). Bildung im Zeitalter des Informationalismus. In: Bankrott der Bildungsgesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19638-1_6

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