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Die Seele in bewußtseinsphilosophischer und unterscheidungsphilosophischer Analyse

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Die Moderne und Platon
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Zusammenfassung

Geht man im Unterschied zur neuzeitlichen Bewußtseinsphilosophie nicht vom Bewußtsein und der Gewißheit des ‚Ich denke’ als Fundament des Erkennens aus, sondern erkennt dieses Fundament im Akt des Unterscheidens, ergibt sich auch ein gänzlich anderes Bild der verschiedenen seelischen Aktivitäten. Sie werden von Platon nicht als bloß unterschiedliche Zustände, ‚Kodifikationen’ an einem Bewußtsein verstanden, das ihnen allen in unterschiedslos gleicher Weise zugrunde Hegt, sondern entweder als Arten des Unterscheidens oder als komplexe, auf einem oder mehreren bestimmten Unterscheidungsakten aufbauende Aktivitäten der einen Seele des Menschen. So ergibt sich eine grundlegend andere Möglichkeit, die Einheit dieser Vielfalt an Betätigungsarten zu be- greifen und in ihr die Einheit der Persönlichkeit, die Kontinuität des menschlichen Ich oder Selbst und die spezifische Individualität eines einzelnen Menschen zu definieren.

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Notizen

  1. So jetzt wieder Wolfgang Kersting, Piatons Staat, Darmstadt 1999, 164f.

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  2. Es gibt aber natürlich auch gute Gründe, das Epithymêtikon als ‚Begehrungsvermögen’, d.h. als Willen, zu verstehen. Dann kann man sich darauf einigen, den Thymos als ‚Selbstwertgefühl’ zu deuten. S. z.B. Andreas Schubert, Platon. Der Staat, Paderborn (u.a.) 1995, 75. Die Beliebigkeit dieser Deutungen und Umdeutungen zeigt selbst ihre Problematik.

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  3. Die Schwierigkeiten, in die man mit dem platonischen Text gerät, wenn man moderne Einteilungen (Verstand, Wille, Gefühl, oder: rationale vs. irrationale Akte) anwendet, sind immer wieder konstatiert worden. Ein Problem ist z.B., daß dann die Analogie zwischen den Teilen der Einzelseele und des Staats nicht richtig konstruiert zu sein scheint. So fragt Bernard Williams, The Analogy of City and Soul in Plato’s Republic, in: Edward N. Lee u. Alexander P. D. Mourelatos (Hgg.), Exegesis and Argument: Studies in Greek Philosophy presented to Gregory Vlastos, Assen 1973, 196–206 von dieser Perspektive her zu Recht, ob Platon dem Stand, den er dem Epithymêtikon, dem Begehrlichen, zuordnet, alle Vernunft absprechen wolle, obwohl er doch selbst zumindest fordere, daß dieser Stand so viel Vernunft haben solle, daß er die Berechtigung der Herrschaft der Philosophenkönige anerkenne. Das Problem löst sich, wenn man beachtet, daß das Begehrliche bei Platon nicht schlechthin irrational ist, wie wir zu denken gewohnt sind, sondern Teil der einen Vernunft des Menschen, wenn es auch eine eigene, weil gebundene Form der Vernunft ist.

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  4. Zur Interpretation der Strebevermögen bei Aristoteles und ihrer Herleitung aus den unterschiedlichen Erkenntnisformen und den unterschiedlichen Weisen der Lusterfahrung s. die grundlegende Analyse bei Viviana Cessi, Erkennen und Handeln in der Theorie des Tragischen bei Aristoteles, Frankfurt a.M. 1987, 127–161.

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  5. Über Poseidonios’ modifizierte Theorie von Gefühl und Affekt wissen wir relativ gut Bescheid durch ein Referat in Galens Schrift ‚Über die Lehren des Hippokrates und Piatons’ (Galen, De placitis Hippocratis et Piatonis (=plac), 448,15ff. S. in: Willy Theiler, Posidonius. Die Fragmente, Berlin/New York 1982 (Bd. 1 Texte, Bd. 2 Erläuterungen) (die Fragmente zur Affektenlehre: F 405–422 (sämtlich aus: Galen, plac); dazu die Erläuterungen von Theiler: Bd. 2, 350ff.); außerdem Ian Gray Kidd, Posidonius, Volume IL The Commentary, Cambridge (u.a.) 1988, 553–683; sowie allgemein zur poseidonischen Ethik: Karl Reinhardt, Posidonios, München 1921 (=ND Hildesheim/New York 1976), 262ff; Ian Gray Kidd, Posidonius on Emotions, in: Anthony A. Long (Hg.), Problems in Stoicism, London 1971, 200–215;

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  7. Zum stoischen Konzept der Einheitsseele und seiner Abgrenzung gegenüber — einem mißverstandenen — Piatonismus und Aristotelismus s. die wichtigen Ausführungen bei Maximilian Forschner, Die stoische Ethik, 114–141. Forschner schließt sich allerdings neuzeitlichen Denkgewohnheiten folgend — weitgehend dem stoischen Urteil über Platon und Aristoteles an. S. auch Anthony A. Long, Hellenistic Philosophy. Stoics, Epicureans, Sceptics, London 1974, 170ff.

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  8. Das Bewußtsein der Neuzeit, Gefühl und Wille als eigene ‚Grundkräfte’ der Seele zu allererst entdeckt zu haben, artikuliert z.B. auch Kant in seiner Preisschrift von 1763 „Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral“, IV, § 2. Zur Bedeutung von Shaftesbury für die Neuentdeckung des ‚Gefühls’ in der deutschen Aufklärung (v.a. bei Wieland, Mendelssohn, Herder) s. jetzt Angelica Baum, Selbstgefühl und reflektierte Neigung, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001.

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  9. S. z.B. die Beiträge in dem Sammelband: Richard D. Lane (Hg.), Cognitive Neuro-science of Emotion, Oxford 2000, bes. ebenda Antonio R. Damasio, A Second Chance for Emotion, 12–23.

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  10. S. z.B. Daniel M. Farrell, Recent Work on the Emotions, in: Zeitschrift für Analyse und Kritik 10, 1988, 71–102;

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  11. Daniel Goleman, Emotionale Intelligenz, München 1996 (=Emotional Intelligence: Why it can matter more than IQ, New York 1995);

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  12. Luc Ciompi, Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik, Göttingen 1997.

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  13. S. z.B. Hinrich Fink-Eitel, Affekte. Versuch einer philosophischen Bestandsaufnahme, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 40, 1986, 520–542;

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  16. S. z.B. Ronald de Sousa, The Rationality of Emotion, Cambridge 1997. Wenn de Sousa mit vielen anderen — Aristoteles gegen Platon ausspielt, wird er weder Platon noch Aristoteles gerecht: Platon nicht, da er ihm ohne die bedeutenden sachlichen und historischen Differenzen auch nur zu beachten, den stoischen Dualismus von (passiver) Anschauung und (spontan-freiem) Denken unterstellt, aber auch Aristoteles nicht, wenn er ihm in postmoderner Tendenz (s. z.B. Wolfgang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, Berlin 41993, 277–284) eine emotionale Rationalität zuspricht. Natürlich haben Gefühle bei Aristoteles in gewissem Sinn eine eigene Rationalität, aber sie haben dies nicht deshalb, weil ‚das Gefühl’ seine eigene Logik hat — ‚das’ Gefühl gibt es bei Aristoteles gar nicht, sondern weil Lustgefühle von Unterscheidungsakten mit unterschiedlicher Rationalität abhängen. Zu einem korrekten Verständnis emotionaler Rationalität bei Aristoteles s. v.a. Viviana Cessi, Erkennen und Handeln, 127ff.; und s. unten S.362ff.

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  17. Richard E. Cytowic, Farben hören, Töne schmecken. Die bizarre Welt der Sinne, Berlin 1995 (und München 1996) (englische Originalausgabe: The Man who Tasted Shapes: A Bizarre Medical Mystery Offers Revolutionary Insights into Emotions, Reasoning and Consciousness, New York 1993), 204.

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  18. S. z.B. Harry N. Gardiner, Ruth Clark Metcalf u. John G. Beebe-Center (Hgg.), Feeling and Emotion: A History of Theories, New York 1970.

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  19. Aristoteles, Nikomachiscche Ethik X, 4, 1174b31–33. Zum Verständnis wichtig und grundlegend ist immer noch Friedo Ricken, Der Lustbegriff in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles, Göttingen 1976. Allerdings grenzt auch Ricken Aristoteles zu wenig gegen stoische und neuzeitliche Emotionsbegriffe ab.

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  20. Dazu, daß bereits die Darstellung des Verhältnisses von Erkennen und Fühlen bei Homer ähnliche Grundvorstellungen verrät, s. Verf., Selbständigkeit und Abhängigkeit menschlichen Handelns bei Homer. Hermeneutische Untersuchungen zur Psychologie Homers, (Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse; 1990, 5), Stuttgart 1990, 157ff.

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Schmitt, A. (2003). Die Seele in bewußtseinsphilosophischer und unterscheidungsphilosophischer Analyse. In: Die Moderne und Platon. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02926-3_7

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02926-3_7

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-01949-3

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