Zusammenfassung
Der US-amerikanische Germanist Robert C. Holub nennt den 1797 geborenen und 1856 im Pariser Exil gestorbenen Heinrich Heine »the best known German author of the nineteenth century and one of the few German authors of his age to achieve worldwide recognition.«2 Das war nicht immer so, Heines Stellung in der deutschsprachigen Literatur ist bekanntlich das Produkt einer beispiellosen Renaissance nach 1945. Ein Unbehagen an der relativ jungen Idolisierung Heines hat im gleichen Band wie Holub ein anderer amerikanischer Literaturwissenschaftler, Jeffrey L. Sammons, geäußert.3 In der Tat ist zu fragen, ob man das kritische Potenzial Heines, indem man ihn immer stärker kanonisiert, nicht zwangsläufig auch, zumindest teilweise, neutralisiert.4 Das kritische Potenzial wird besonders in Heines Behandlung des deutschen Nationalismus deutlich, der hier am Beispiel eines modernen Mythosbegriffs nachgegangen werden soll.
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Anmerkungen
Robert C. Holub: Preface. — In: Jost Hermand and Robert C. Holub (Hrsg.): Heinrich Heine’s Contested Identities. Politics, Religion, and Nationalism in Nineteenth-Century Germany. New York 1999 (German Life and Civilization 26), S. vii-ix, Zitat S. vii.
Vergleichbare Bedenken artikuliert schon Joseph A. Kruse in einem ironischen Kommentar zu dem Werbetext für eine Heine-Ausgabe: »Ob wir Deutschen es damit [in der »Familiarität im Umgang mit Heine«] nun wirklich so herrlich weit gebracht haben, wie es Heine verdient und den deutschen Lesern nottut, möge eine gute Zukunft zeigen.« Joseph A. Kruse: Denk ich an Heine. Biograpisch-literarische Facetten. Düsseldorf 1986, S. 174.
Roland Barthes: Mythen des Alltags. Deutsch von Helmut Scheffel. Frankfurt/Main 1964 (edition suhrkamp 92).
August Heinrich Hoffmann von Fallersieben: Gedichte und Lieder. Im Auftrag der Hoffmann von Fallersieben-Gesellschaft hrsg. v. Hermann Wendebourg u. Anneliese Gerbert. Hamburg 1974, S. 249. — In dieser Zeit entstanden beispielsweise auch die antifranzösischen Rheinlieder von Nikolaus Becker und Max Schneckenburger.
Die Forschungsliteratur zu Heine ist mittlerweile fast unübersehbar. Ich habe jedenfalls keinen vergleichbaren Ansatz gefunden, auch wenn auf das Thema Heine und Deutschland / Europa neben der allgemeinen, Biographie und Werk behandelnden Literatur bereits einige Spezialstudien näher eingehen: Walter Hinck: Die Wunde Deutschland. Heinrich Heines Dichtung im Widerstreit von Nationalidee, Judentum und Antisemitismus. Frankfurt/Main 1990;
Jürgen Voigt: O Deutschland, meine ferne Liebe … Der junge Heinrich Heine zwischen Nationalromantik und Judentum. Bonn 1993 (Hochschulschriften 283);
Wolfram Hogrebe: Heinrich Heine und Europa. Erlangen und Jena 1993 (Jenaer Philosophische Vorträge und Studien 8),
Renate Stauf: Der problematische Europäer. Heinrich Heine im Konflikt zwischen Nationenkritik und gesellschaftlicher Utopie. Heidelberg 1996 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, 3. Folge, 154), außerdem verschiedene Beiträge des Bandes von Christian Liedtke (Hrsg.): Heinrich Heine. Neue Wege der Forschung. Darmstadt 2000.
Die Begriffsverwendung in diesem Beitrag orientiert sich an der wörtlichen Bedeutung, nicht an der Verwendung im Rahmen poststrukturalistischer Theoriebildung. Allerdings ist eine Kritik an der Dekonstruktion in der Konzeption Derridas, Paul de Mans und anderer durchaus beabsichtigt. Die These des vorliegenden Beitrags setzt die Kategorien ›Sinn‹ und ›Verstehen zweifach‹ voraus: Die Konstruktion des nationalen Mythos und seine ironische Entlarvung als Mythos durch Heine können anders nicht nachvollzogen werden. — Zur Einführung in die fraglos hochinteressante, angesprochene Theoriebildung vgl. Jonathan Culler: Dekonstruktion. Derrida und die post-strukturalistische Literaturtheorie. Reinbek 1994 (rowohlts enzyklopädie 474).
Vgl. Josef Joffe: Deutsch und stolz. Worauf? Auf die Demokratie, die europäische Bindung und die Abkehr von der alten Arroganz. — In: Die Zeit Nr. 13 v. 22. März 2001, S. 1.
Vgl. Stefan Neuhaus: Warum sollen keine Poeten nach London fahren? Zur Intention literarischer Reiseberichte am Beispiel von Heinrich Heines Englischen Fragmenten. — In: Heine-Jahrbuch 36 (1997), S. 22–39.
Zu den Anspielungen auf Shakespeare vgl. auch Stefan Neuhaus: »Sechsunddreißig Könige für einen Regenschirm«: Heinrich Heines produktive Rezeption britischer Literatur. — In: Norbert Bachleitner (Hrsg.): Beiträge zur Rezeption der britischen und irischen Literatur des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Amsterdam u. Atlanta 2000 (= Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft), S. 409–442.
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Neuhaus, S. (2002). Dekonstruktion nationaler Mythologeme: Heinrich Heine und Deutschland. In: Kruse, J.A. (eds) Heine-Jahrbuch 2002. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02889-1_1
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