Zusammenfassung
Die Diskussion um Musikwissenschaft als »verspätete Disziplin«1 zwingt im Blick auf die Jahre zwischen 1933 und 1945 und deren Nachwirkungen zur Verfolgung unterschiedlicher Verspätungen. Obenauf liegt die einer überfälligen, jahrzehntelanges Schweigen aufbrechenden Rechenschaft, bestätigt noch dadurch, daß trotz einiger Anläufe seit den achtziger Jahren die ersten bahnbrechenden Untersuchungen von nichtdeutschen Musikwissenschaftlern stammen.2 Die gewollte, wo nicht inszenierte Verspätung indessen ließ sich nicht sauber eingrenzen, sie zog weiterreichende Verspätungen in Bezug auf Problemfelder nach sich, welche nahe bei den beschwiegenen lagen; gerade, weil sorgsam gemieden, wurden sie zu Probiersteinen einer Substanz und Methoden gleichermaßen betreffenden Selbstverständigung der Disziplin — seit dem Eklat auf dem Bonner Kongreß des Jahres 1970 war das allen Beteiligten klar. Entgegen dem Artikel »Musikwissenschaft« in der neuen MGG3 steht außer Zweifel, daß »die Korrumpierung durch den Nationalsozialismus die westdeutsche Musikwissenschaft nach 1945 auch intellektuell noch beschädigte«; der Zweifel daran ist selbst Teil dieser Beschädigung. Bestünde er zu Recht, verlöre die Beschäftigung mit dem Thema überdies jene Motivation, welche sie, dem vermeintlichen Abstand entgegen, dringlich macht: eben die Verknüpfung mit der Selbstverständigung der Disziplin. »Appanate talpe«4 wissen nicht oder wollen nicht wissen, wie blind sie sind.
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Anmerkungen
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Gülke, P. (2001). Die Nazis und der Fauxbourdon. In: Die Sprache der Musik. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02813-6_7
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