Zusammenfassung
In Teil II dieser Arbeit soll eine phasenbezogene Darstellung der Industrietransformation in der chemischen Industrie Ostdeutschlands versucht werden (vgl. Schmidt-Tophoff 1993a und b; Treuhandanstalt 1994/4: 259). Aus dieser Gesamtsicht kann das Chemieprojekt in den Transformationsprozeß eingeordnet und einer kritischen Würdigung unterzogen werden.
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Literatur
Die Öffnung der ungarischen Grenzen ab Juli 1989 sowie die sogenannten “Montagsdemonstrationen” um den 50. Jahrestag der DDR sollen hier nicht als Anfangspunkte genommen werden.
Problematisch bleibt die Bestimmung des genauen Zeitpunktes eines Transformationsbeginns in der chemischen Industrie (vgl. kritischer Zustand“ bei Kloten 1991: 2). Denn das Chemieministerium wird nicht sofort aufgelöst, sondern zunächst in das Schwerindustrieministerium überführt und viele Regularien der Zentralverwaltung kennzeichnen das Industriesystem in dieser Übergangszeit. Auch der Bezug zum Zeitpunkt der Gründung der Treuhandanstalt am 1.3.90 erscheint wenig sinnvoll, da die Anstalt erst sehr viel später die Arbeit mit den Unternehmen aufnimmt und das DDR-Rechtssystem zunächst erhalten bleibt. Faktisch haben die ostdeutschen Chemieunternehmen jedoch schon ab Ende 1989 bzw. Anfang 1990 große Freiheiten in der Anbahnung von Kontakten und in der Untemehmensplanung.
Die auch 1996 noch anhaltende Privatisierung der nach dem Verkauf der Raffinerie in Leuna und der Olefinchemie um Buna verbliebenen restlichen Chemieaktivitäten scheint, mit aller Vorsicht, unproblematischer und abschätzbarer zu sein. Diese Restprivatisierung kann aufgrund des Redaktionsschlusses zum Jahresende 1995 nicht näher betrachtet werden. Eine Wende in dieser Phase, die eine fundamental unterschiedliche Einschätzung des Gesamtprozesses erforderte, ist nach der Privatisierung des quantitativ und qualitativ überwiegenden Teils der Chemieunternehmen bis Ende 1995 nicht absehbar. Die Feststellung einer abschätzbaren Beendigung des Prozesses der Industrietransformation in der chemischen Industrie Ostdeutschlands soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß ursächlich mit Ausgangssituation und Transformationsprozeß in engem Zusammenhang stehende Folgeprozesse vorgesehen (z. B. Beteiligungsmanagement, Vertragscontrolling, Nachverhandlungen) oder schon jetzt zu erwarten sind. Teilweiser, aber nicht strukturbestimmender Restbesitz von Staat oder Ländern über das Jahr 1996 hinaus, muß nicht untypisch für eine Marktwirtschaft, insbesondere der deutschen Art, sein.
In einem vom Branchendirektorat Chemie verfaßten Papier wird die Phase im Jahre 1990, die zeitlich vor dem Chemieprojekt liegt, mit “Sicherung des Überlebens” (Treuhandanstalt 1994/4: 259) bezeichnet.
Weitere Gründe hierzu sind, daß in allen Folgephasen immer wieder auf die gemeinschaftlich erarbeiteten und beschlossenen Projektergebnisse verwiesen wird. Außerdem sind die ‘Strategiewechsel’ eher aus den exogenen Bedingungen der Privatisierung, z. B. aufgrund der sich verstärkenden Chemierezession, als aus endogenen und damit potentiell vorhersehbaren Faktoren erklärbar. Schließlich ist die dem Projekt zugrundegelegte personelle, organisatorische und instrumentelle Projektmanagement-Infrastruktur richtungsweisend für nachfolgende Abstimmungsprozesse und Projekte. In der kritischen Analyse des Prozesses in Kapitel B. soll auf die damit verbundene Problematik, z. B. die Verzögerung der Implementierung durch Fehleinschätzungen über den Projektverlauf, eingegangen werden.
Einen Überblick über Ausgangspunkte, Denkansätze und Erwartungen in dieser Zeit aus ost-und westdeutscher Sicht geben beispielsweise Heine et al. 1990.
Die Ergebnisse der Volkskammerwahlen am 18.3.1990 und am 6.5.1990 gestatten es, daß der Weg der Wiedervereinigung unter de Maizière festgelegt und die entsprechenden Verhandlungen beginnen konnten, bis daß der Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion am 18.5.1990 abgeschlossen wurde. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Untemehmenstätigkeit bleiben zunächst weitgehend ungeklärt, nach wie vor gelten alte DDR-Gesetze.
Gegenstand weiterführender Untersuchungen könnte die Frage sein, was mit den zum Teil technisch hochqualifizierten und teilweise aus den Untemehmen stammenden Mitarbeitern der Ministerien geschieht. Nach Kenntnis des Verfassers können sich einige Ministeriumsmitarbeiter, meist nur für eine Übergangszeit, in die Nachfolgeorganisationen und schließlich in die Treuhandanstalt retten. Diese besteht zu Beginn, noch unter der DDR-Regierung vollzählig aus Ostdeutschen. Andere werden abgeworben oder machen sich mit Handelsunternehmen selbständig. Beispiele für einen Wechsel zurück in die Chemieunternehmen sind dem Verfasser nicht bekannt. Ein weiterer Aspekt betrifft die Datenbestände in Chemieministerium und Plankommission. Einige Daten zur chemischen Industrie können nicht mehr ermittelt werden, und es muß vermutet werden, daß viele verloren gingen. All dies bedarf weiterer Untersuchungen.
Weiteren Untersuchungen bleibt die genaue Analyse des so entstandenen Vakuums vorbehalten. Unklar ist nämlich, inwieweit und mit welchen Auswirkungen die alten Planvorgaben und auch das Berichtswesen der Zentralverwaltungswirtschaft in dieser Übergangszeit intakt bleiben. Es muß vermutet werden, daß die Kombinate, getreu der Devise,erlaubt ist, was nicht verboten ist“ (Schmidt-Tophoffrriby 1990c), versuchen, ihre Freiräume auszuweiten.
Vgl. zu den Aufgaben und den rechtlichen Bestimmungen der Treuhandanstalt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 1992. Vgl. zu der Entstehung, dem gesetzlichen Rahmen und dem organisatorischen Aufbau der Treuhandanstalt, Fischer/Hax/Schneider 1993 (Teil A).
Zu diesen Gesetzen und Vorschriften können die folgenden gezählt werden: Anordnung über den Abschluß der Buchführung in Mark der DDR zum 30.6.90 (Buchführungsverordnung)“ vom 27.6.90, die die Schlußbilanz regelt und Angaben zu einer ‘Bilanzbrücke’ zwischen Schluß-und Eröffnungsbilanz macht, das „DM-Bilanzgesetz” vom Juli/August 1990, das die Bewertungs-und Ansatzprinzipien für die DM-Eröffnungsbilanzen auf der Basis der Mark-Inventur zum Stichtag 1.7.90 vorschreibt und eine Frist von 4 Monaten setzt, die,Entschuldungsverordnung“ vom 5.9.90 und schließlich die Verordnung zur Vollkonvertibilität des RGW-Handels ab 1.1.91.
Weitere, wichtige Rahmenbedingungen sind die Erarbeitung des Einigungsvertrages zum 30.8.1990 und die sogenannten “2+4”-Gespräche in Moskau am 12.9.1990. Diese führen schließlich zur politischen Wiedervereinigung am 3.10.1990. Am 2.12.1990 finden dann die ersten gesamtdeutschen Wahlen statt.
Der.Leitfaden der THA für die Ausgestaltung von Sanierungskonzepten 1990“ sieht folgende Positionen vor:,1. Allgemeine Angaben zum Unternehmen; 2. Sanierungskonzept mit Produkt-, Produktions-, und Mitarbeiterkonzept sowie Geschäfts-und Liquiditätsplan bis zum Jahre 1993” (Treuhandanstalt 1994 (Band 2): 287–312).
Biener weist darauf hin, daß im Zuge der Neubewertung der Bilanzen in DM (gemäß DM-Eröffnungsbilanz-Gesetz vom 23.09.90) die Aktivseite industrieweit auf ein Viertel bis ein Zehntel schrumpft. Dahingegen reduziert sich die Passivseite nur etwa auf die Hälfte. Oder sie erhöht sich sogar gegenüber dem ostdeutschen Nominalwert als Folge von verdeckten Verbindlichkeiten (vgl. Biener 1993: 62). Damit sind die meisten Unternehmen von Anfang an konkursgefährdet.
Einen Überblick über die in der Treuhandanstalt verwendeten Abläufe, Entscheidungskriterien und Rechnungsformate zur Prüfung von Unternehmenskonzepten gibt Treuhandanstalt 1994 (Band 10): 4990, insbesondere S. 55–71.
Ein Joint-Venture (englisches Wort für Gemeinschaftsunternehmen; JV) ist nach betriebswirtschaftlicher Definition eine zwischenbetriebliche Kooperationsform mit meist gleicher Kapitalbeteiligung je Partner zur Durchführung gemeinsamer, synergetischer Projekte. Joint-Ventures sind daher von bloßen Absichtserklärungen, wie seinerzeit in Ostdeutschland häufig mißverstanden, zu unterscheiden.
In dieser Zeit werden von den meisten westlichen Chemieuntemehmen auch Mittel-und Osteuropakonzepte entwickelt und die Osteuropa-Abteilungen restrukturiert (vgl. o.V. (ECN) 7.5.90: 19). Dieser Umstand hat einen weiter zu untersuchenden, großen und stark exogenen Einfluß auf die Privatisierung und den Wettbewerb in Ostdeutschland. Denn die bei den Besuchen in Ostdeutschland gewonnenen Informationen werden ausgewertet und alternative Strategieoptionen zwischen Aufbau einer Vertriebsniederlassung und Investition in die Produktion evaluiert. Dabei steht der Standort Ostdeutschland von Anfang an in Konkurrenz mit Standorten in Mittel-und Osteuropa oder auch anderswo, wie z. B. in Ostasien.
Das Programm sieht Investitions- und Beratungshilfen unterschiedlicher Art sowie beschäftigungspolitische Übergangslösungen vor (vgl. Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) 1991).
Die in Kapitel 3 erwähnte RGW-Organisation für kleintonnagige, höherveredelte Chemieprodukte, die Interchim in Halle, versucht engagiert, die Vorteile des paritätisch besetzten und finanzierten RGW-Koordinierungsgremiums unter marktwirtschaftlichen Bedingungen zu nutzen. Eine Restrukturierung soll zu einer Genossenschaft marktwirtschaftlichen Typs führen, mit den Aufgaben des Handelsaustausches und der Beratung sowie mit gemeinsam durchzuführenden Entwicklungsprojekten. Diese unternehmerische Initiative scheitert letztlich an politischen, finanziellen und bürokratischen Hindernissen und führt zur Auflösung der Institution.
Vgl. die Ausnahme bei Albach/Witt 1993.
Der Vorstandsvorsitzende der Buna AG, Saalbach, beispielsweise, geht bei seinem Restrukturierungsprogramm davon aus, bis 1995 die Beschäftigtenzahl von 18.000 auf 10.000 zu reduzieren (tatsächliche Zahl Ende 1996: weniger als 4.000). Er schätzt den Sanierungsaufwand hingegen relativ gut auf drei Milliarden DM (vgl. o.V. (Handelsblatt) 31.8.90: 20).
Vgl. die detaillierte und firmengenaue Darstellung des personellen Wechsels in den Unternehmensführungen bei Gilles/Hertle 1993: 263–268.
Vgl. Schmidt-Klingenberg 46/1990, mit einem Persönlichkeitsprofil der Person des ehemaligen Buna-Vorstandsvorsitzenden Saalbach.
Eine Untersuchung von Verhandlungsprotokollen kann klären, inwieweit der Abschluß der Tarifverträge politisch motiviert und betriebswirtschaftlich begründet ist und ob daraus Rückschlüsse auf eine ‘Verbrüderung’ der Tarifparteien erlaubt sind, die sich auch auf der Arbeitgeberseite, nämlich auf Seiten der sich im Treuhandbesitz befindlichen Firmen, aus ehemals ’Werktätigen’ rekrutiert (vgl. Gilles/Hertle 1993).
Der Anteil der leitenden Angestellten liegt im Osten bei etwa 1% der Gesamtbelegschaft und ist damit deutlich geringer als der Anteil von 4% im Westen Deutschlands (vgl. Sieß 23.11.1990).
Mit der Einführung des westdeutschen dualen Ausbildungssystems in die zukünftig privatwirtschaftlichen Chemiekombinate Ostdeutschlands müssen auch auf diesem Gebiet die Beziehungen zwischen Unternehmen und Territorien unter großem finanziellen Druck neu definiert werden. Darüber hinaus stehen chemiefremde Ausbildungsrichtungen, z. B. zu Schlossern und Bäckern, zur Disposition.
Vgl. VCI Ost 1991c, zur Entwicklung der Umweltsituation zwischen 1989 und 1991 im Chemiedreieck, aber auch in der chemischen Industrie in ihrer Gesamtheit.
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Schmidt-Tophoff, J. (1997). Periodisierung und Vorphase der ungesteuerten Transformation. In: Projektmanagement zur Privatisierung der ostdeutschen Großchemie. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97633-8_4
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