Zusammenfassung
Gegen die Äußerung von wissenschaftlich begründeten, gleichwohl oftmals subjektiven Meinungen in den Medien oder sonstwo ist nichts einzuwenden, denn dies gehört zum Geschäft von Forschungsinstituten, und das insbesondere dann, wenn es sich um nicht-staatliche, am Markt operierende Akteure handelt, für die im amerikanischen der Begriff ‘Think Tanks’ existiert, der nicht direkt übersetzbar ist.1 Dies hat verschiedene Autoren nicht davon abgehalten, aus der sprachlichen Not eine Tugend zu machen. Der häufig verwendete Begriff ‘Denkfabrik’ geht aber an der Sache vorbei, soweit damit die Fließbandproduktion von Gedanken unterstellt wird. Dies ist ganz und gar nicht der Fall, wie im übrigen schon der Blick auf den Hintergrund des ‘Think Tank’-Begriffs zeigt. Er taucht erstmals um die Jahrhundertwende als britischer Slang-Begriff für das Gehirn auf.2 Erst gegen und dann verstärkt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges findet sich die Übertragung auf den militärischen Bereich, im Sinne eines „sicheren Platzes, um zu denken und zu planen“ (Smith 1991, 241). Parallel hierzu bleibt der Begriff aber ein Synonym für Gehirn, wie sich an einer Äußerung des ehemaligen US-Präsidenten Harry S. Truman aus dem Jahre 1964 zeigen läßt: „Truman ... said he hoped to live to be 90 but only ‘if the old think-tank is working’.“3
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Literatur
In einem Bericht der Süddeutschen Zeitung v. 374.8.91 heißt es: „(...) das scheußliche Wort von der ‘Denkfabrik’ — eine mißlungene Eindeutschung des amerikanischen ‘think tank’ (...).”
Diese und die folgenden Angaben sind dem Oxford English Dictionary Supplement entnommen.
Nach Angaben der in Anmerkung 2 genannten Quelle zitiert im St. Louis Post-Dispatch v. 8.5.1964, 2A.
So die Definition des Oxford Dictionary.
Times Literary Supplement vom 6.11.1959, XIX. Vgl. hierzu auch die treffende Charakteristik von Princeton in der NZZ v. 28.12.1992: ‘Wissenschaft im Park’.
In der Regel wird mit dem Begriff der von Edward Heath gegründete Central Policy Review Staff bezeichnet, den es bis heute gibt. Vgl. Plowden 1981; Blackstone, Plowden 1988 sowie James 1993.
The Listener v. 26.4.1973, 534. Zit. nach Oxford Dictionary.
‘Le Pens Denkfabrik: Universität Lyon III. Rechte Professoren beraten den Chef der französischen Front National.’ Schlagzeile im Trierischen Volksfreund v. 24.3.1993.
‘Schewardnadse will denken’ — Schlagzeile der BILD-Zeitung v. 11.2.1991.
Vgl. den Exkurs in Kapitel IV, 2.5.
Die ZEIT Nr. 38, 1969, 5. Zit. nach Nunn 1974, 62. Bei Nunn findet sich auch der Hinweis auf die zitierte SPIEGEL-Quelle.
Das Spektrum umfaßt bei Leggewie beispielsweise die Stiftung Wissenschaft und Politik (sicher ein Think Tank) genauso wie die Konrad-Adenauer-Stiftung (in Teilen ein Think Tank) und die Einzelpersonen Robert Spaemann, Gerd-Klaus Kaltenbrunner und Armin Mohler (sicherlich keine Think Tanks!).
Vgl. Kapitel II, 1.3.
Think Tanks oder ‘Denkfabriken’ sind im übrigen der dernier cri der Mode- und Kulturszene. Bloomingdale’s wirbt z.B. in der New York Times v. 13.5.1990 unter der Überschrift ‘Think Tank’ für ein darunter abgebildetes, eng anliegendes Kleidchen mit dem Text: „Think simple: it’s almost summer: Here, from a collection, the pared-down tank dress in sultry shades of curry, orange ...”. Die Sängerin Madonna bezeichnet ihre Begleitertruppe als „artistic think tank, a group of writers, photographers, directors and editors that I’ve met along the way in my career who I want to take with me wherever I go (!).” USA Today v. 22.4.1992. Aber auch die FAZ berichtet in ihrer Ausgabe v. 31.7.1991 über den „think tank von Dagobert Duck”. Auch ganze Städte wie Boston, Harvard (!) und Yale werden zur ‘Denkfabrik’ erklärt (Anzeige in der FAZ v. 13.8.92). Schließlich gibt es eine „Denkfabrik zum Thema Sitzen” bei einer Firma mit dem Namen Grammer: „Gesammeltes Wissen und neueste Forschungsergebnisse aus der Denkfabrik von Grammer stecken in jedem Bürostuhl.” Anzeige im SPIEGEL 22, 1992. Eine Liste, die sich fortsetzen läßt.
Beide Begriffe werden hier und im folgenden synonym verwendet. Aus den genannten Gründen wird der Begriff ‘Denkfabrik’ nicht benutzt.
Der Begriff der Tdeenmakler’, der in Übersetzung des Buchtitels von Smith 1991 nahegelegen hätte, wurde verworfen. Im Begriff des ‘Makelns’ läßt sich die ‘Produktion’ von Ideen nur schwer unterbringen. Die ‘Agentur’ hat dagegen eine Vielfalt von Aufgaben, die besser denen entspricht, die man von Think Tanks gemeinhin erwartet.
Für eine allgemeine Diskussion des ‘dritten Sektors’ und seiner Besonderheiten vgl. Orlans 1980, Powell 1987, Reichard 1988, Ware 1989, Gies u.a. 1990.
Der Begriff wurde in Anlehnung an Sabatiers Konzept von ‘advocacy coalitions’ gewählt. Vgl. Sabatier 1988 sowie die theoretischen Überlegungen in Kapitel H, 1.
Weitere Überlegungen zu diesem Problemkreis und Belege für die hier vertretene These bei Rudolf Wildenmann 1989 und seinen Mitarbeitern.
Vgl. hierzu die Überblicksdarstellungen von Stone 1991, 209 und (für die Zeit vor M. Thatcher) Marsh 1980, 39–59.
Siehe hierzu ausführlich Kapitel II, 1.
Polsby 1984 spricht von ‘policy initiation’. In vielen persönlichen, auch für die vorliegende Arbeit beratenden Gesprächen im Frühjahr/Sommer 1990 in Berkeley hat er deutlich gemacht, daß er es für zwecklos halte, nach direkten Auswirkungen von Think Tank-Aktivitäten zu fragen. Solche Fragen könne nur stellen, wer die Komplexität des politischen Prozesses nicht in Rechnung stelle. In Einzelfällen, ‘case studies’ eben, seien Nachweise durchaus möglich, systematisch überzeugende Erklärungen wohl eine Illusion. Weitere Arbeiten im deutschen Sprachraum, die sich um empirische Nachweise bemühen, sind die von Müller 1988, Timm 1989 und Küntzel 1992.
Die auf den ‘policy-Prozeß’ und seine Institutionen ausgerichtete Arbeit von Lehmbruch u.a. 1988 sieht sich dem „neuen Institutionalismus in der policy-Forschung” verhaftet (253) und stellt die auch sonst richtige „politikwissenschaftlich interessante Frage, unter welchen Bedingungen politische Akteure in der Auswahl ihrer Optionen (besonders in der Policy Formulierung) sich wissenschaftlicher Experten bedienen und wie andererseits die ‘Wissenschaft’ Zugang zu politischen Prozessen erhält” (256–257). Die Beschränkung auf die Wirtschaftspolitik und deren Identifizierung mit ‘policy’ an sich sowie die weitgehende Ausblendung des ‘politics’-Aspekts reduziert aber die Nützlichkeit dieser an sich vom Ansatz her überzeugenden Studie für die hier thematisierten Fragen. Vgl. zum neuen (alten?) Institutionalismus in der Politikwissenschaft insgesamt March, Olsen 1989. Man beachte, daß im Titel ausdrücklich von ‘politics’ die Rede ist, während Lehmbruch u.a. den ‘policy’-Aspekt ins Zentrum der wiederentdeckten Institutionen-Forschung rücken. Im Mittelpunkt der hier vorgelegten Betrachtungen steht daher auch der ‘politics’-Aspekt, und zwar in dem Sinne, wie er schon in der Überschrift meines Aufsatzes von 1990 zum Ausdruck gebracht wurde: ‘The politics of policy’.
Eine funktionale Elite könnte definiert werden als „ein soziales Subjekt, dessen Mitglieder für das Sozialsystem charakteristische soziale Prozesse entscheidend beeinflussen und dadurch den anderen Mitgliedern des Systems überlegen ist” (Endruweit 1979, 43).
Herzog 1982, 25 weist darauf hin, daß sich dabei auch die Rangfolge der Eliten verändern kann
Vgl. für dieses Konzept von Politischer Kultur u.a. Rohe 21994, 162–174.
Dluhy 1981 beschreibt in seiner Typologie von Politikberatungsrollen (advocates, technicians, pragmatists) die Art der Beratung durch Advokaten denn auch mit: „appeal to values; specific and tangible recommendations; one-sided.” Dluhy 1981, 214.
Sabatier 1991, 151–154; vgl. auch die Diskussion und Anwendung dieses Modells bei Lindquist 1989, insb. 106–112. Inzwischen deutet sich eine breite Rezeption des Ansatzes an. Vgl. hierzu die entsprechenden Beiträge im PVS-Sonderheft 24, 1993.
Sabatier 1993, 129; er hat mir dies in einem persönlichen Gespräch am 31.8.94 bestätigt.
Vgl. hierzu auch den Ansatz und die Fallstudien von Polsby 1984.
Im Unterschied zu Dye 51990, 251 handelt es sich bei den Ideenagenturen aber keineswegs um die eigentlichen ‘decision maker’. Der naive und überholte elitentheoretische Ansatz des Autors (Stichwort ‘Herrschende Klasse’) ist für diese Fehleinschätzung verantwortlich. Dye nähert sich hier dem ähnlich argumentierenden G. William Domhoff. Dessen marxistisch angehauchte Variante traditioneller Elitenforschung führte ihn schon in den 60er Jahren zu der Entdeckung der vermeintlich subversiven Rolle der Think Tanks des Establishment. Vgl. hierzu die Analyse der Literatur in Kapitel 11, 2.
„ (...) that is, well informed about the ins and outs of a particular policy debate” (Heclo 1978, 103).
Vgl. hierfür auch die Zusammenstellung und Kritik von Kenis, Schneider 1991, 32: „The network concept and all these other policy concepts are variations of a basic theme: the idea of public policies which are not explained by the intentions of one or two central actors, but which are generated within multiple actor-sets in which the individual actors are interrelated in a more or less systematic way. However, each of the different policy concepts emphasizes a special aspect (...).“
Ähnlich sieht dies Lindquist 1989, 107–108.
Einige der folgenden Überlegungen wurden in einem anderen Zusammenhang in der Medien Kritik v. 4.11.91 veröffentlicht.
So die Überschrift eines Artikels im Washington Monthly, Dezember 1986, 33.
Vgl. hierzu die auf den agenda-setting Prozeß in den USA bezogenen Arbeiten von Gandy 1982, Iyengar, Kinder 1987, Baumgartner, Jones 1991 (mit ausdrücklichem Einbezug der Rolle von ‘advocacy coalitions’ in den agenda-setting Prozeß) und Stimson 1991. Für die deutsche Situation vgl. vorab Böckelmann, Nähr 1979 (insb. 30–31) und die akribische rechtswissenschaftliche Arbeit von Schürmann 1992.
Vgl. hierzu auch die entsprechenden Stufenfolgen von Gitelson u.a. 1988, 386–389. Burstein 1991, 332 beschreibt das Ziel vereinfacht als „getting on the governmental agenda.”
Schon Krauch 1970, 205 hatte auf die Bedeutung der Öffentlichkeit verwiesen, in der sich Wissenschaftler das Image von Sehern, Propheten oder Schamanen erwürben.
Vgl. hierzu auch die Ergebnisse der empirischen Umfrage in Kapitel VI.
Der Druck scheint nach den Aussagen Betroffener in gesellschaftspolitischen Politikbereichen am stärksten zu sein.
Vgl. hierzu die differenzierte und zurückhaltende Einschätzung des Economist v. 25. Mai 1991, 30.
Das Vereinsrecht wirkt in seinen Bestimmungen zur Gemeinnützigkeit veraltet und suggeriert eine Eindeutigkeit staatlichen Handelns, die in Risikogesellschaften überhaupt nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Zweck der Tätigkeit gemeinnütziger Vereine muß nach diesen Bestimmungen die Förderung der Allgemeinheit sein. Diese muß nicht völlig wertneutral sein. Die „Förderung der Allgemeinheit liegt noch vor, wenn gegen-sätzliche Standpunkte — z.B. auf wissenschaftlicher Grundlage — ausgetragen werden. Dabei ist es unschädlich, wenn eine gewisse Beeinflussung der politischen Meinungsbildung angestrebt wird. Förderung der Allgemeinheit ist aber dann nicht mehr gegeben, wenn Ziele verfolgt werden, die sich gegen eindeutige Grundaussagen staatlichen Handelns (!) richten. Das ist z.B. der Fall bei einer Vereinigung von Atomkraftgegnern, die nicht die Verbesserung der Sicherheit kerntechnischer Anlagen oder die Verringerung von Strahlenbelastung zum Ziel hat, sondern den Einsatz von Atomkraft im Wirtschaftsleben überhaupt verhindern will, obwohl sich die Bundesrepublik Deutschland für die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken entschieden hat” (Koch3 1986, 204).
Vgl. hierzu Abb. 2 in Kapitel IV.
Ältere Titel, von denen die Arbeit Bruce Smiths die beste ist, sind: Saunders 1966; B. Smith 1966; Dickson 1971; Smith 1971; Critchlow 1985. Diese — zumeist historisch angelegten — Arbeiten thematisieren nur amerikanische Think Tanks.
Stone sieht das Phänomen durch die australische ‘Brille’, während sich Fischer nur auf die USA beschränkt. Ebenfalls einen australischen Blickwinkel nimmt die veraltete Arbeit von Marsh 1980 ein.
So der Buchtitel von Ricci 1993.
Klappentext von Ricci 1993. Eine weitergehende Diskussion der Arbeit von Ricci ist hier nicht möglich, da das Buch erst kurz vor Abschluß des Manuskripts publiziert wurde und direkt aus den USA importiert werden mußte.
So lautete z.B. der Tenor der 23. Tagung des Bergedorfer Gesprächskreises zu Fragen der freien industriellen Gesellschaft im Juli 1966. Referenten waren Schelsky und Lohmar.
Als wichtigste grundlegende Arbeiten sind zu nennen: Morkel 1967, Lohmar 1968, Matz 1968, Maier u.a. 1971. Vgl. hierzu die umfassende Diskussion und Literaturübersicht bei Krevert 1993, der hier nichts hinzuzufügen ist.
Weitere Arbeiten, die hier zu erwähnen sind: Illich 1979, Haskeil 1984, Dror 1991, B.L.R. Smith 1992. Vgl. hierzu insgesamt auch die Bibliographie von Benson 1990.
Ein Beispiel für diesen Begleitprozeß ist die regelmäßige Verlagsbeilage zum ‘journalist’, der Verbandszeitschrift des Deutschen Journalistenverbandes, die den Titel ‘Themen’ trägt. Gestaltet von einer Agentur für Public Relations kommen verschiedene interessenorientierte und -gebundene Ideenagenturen zu Wort. Und zumeist handelt es sich um kontroverse und brisante Themen der aktuellen Politik, zu denen Journalisten hier ‘gebrieft’ werden.
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Gellner, W. (1995). Ideenagenturen und Tendenzkoalitionen in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland — Fragen und Thesen. In: Ideenagenturen für Politik und Öffentlichkeit. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 157. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95636-1_2
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