Zusammenfassung
Zum ausländischen Standardwissen über die Schweiz gehören nicht allein Produkte wie Käse, Schokolade und Uhren. Es ist geläufig, daß die Schweiz vielfältige und traditionsreiche direktdemokratische Institutionen kennt. Zwei Beispiele: (1) Die Arbeitsbelastung der schweizerischen Parlamentarier ist, wie jene aller nationalen Parlamentarier, recht hoch. Sie entspricht etwa 60 Prozent einer vollen Stelle. Entschädigung und Infrastruktur sind diesem Arbeitspensum aber bei weitem nicht angemessen. Die schweizerische Bundesversammlung hat deshalb 1992 eine Parlamentsreform verabschiedet. Einige wenige Parlamentarier, die über genügend außerparlamentarische Ressourcen verfügen, opponierten gegen diese Reform. Sie sammelten 50.000 Unterschriften und ergriffen so das Referendum gegen die entsprechenden Parlamentsbeschlüsse — oder besser: sie ließen es durch einige Studenten unserer Universität und ein PR-Büro ergreifen und finanzierten die Abstimmungskampagne. Zwei Gesetze, die eine bessere Entschädigung sowie die Möglichkeit zur Anstellung von Teilzeitmitarbeitern gebracht hätten, wurden am 27. September 1992 in einer Volksabstimmung hoch, mit 70 Prozent Nein-Stimmen, verworfen. (2) Während in den Parlamenten von fünf EFTA-Staaten die Genehmigung des Vertrages über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mehr oder weniger reibungslos über die politische Bühne ging, wurde sie in der Schweiz durch Volksabstimmung am 6. Dezember 1992 verworfen und in Liechtenstein am 13. Dezember 1992 nur relativ knapp gutgeheißen.
Erweiterte Fassung eines Referats, gehalten am 12. Januar 1993 in Paris vor dem Subkomitee „Partizipative Demokratie“ der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.
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Literatur
Zum „konsultativen Referendum“ siehe die gründliche Studie von Ulrich Rommelfanger, Das konsultative Referendum. Eine verfassungstheoretische, -rechtliche und -vergleichende Untersuchung, Berlin 1988. Er kommt zum Schluß, daß in den westlichen Demokratien den meisten konsultativen Entscheidungen faktische Bindungswirkung zukam, indem die Staatsorgane das Volksvotum akzeptierten und ihr Verhalten danach ausrichteten.
Bundesgesetz über die politischen Rechte, Artikel 69,1.
Artikel 23 des Geschäftsverkehrsgesetzes der eidgenössischen Räte.
Bislang wurden erst zwei Initiativen für ungültig erklärt: die „Chevallier“-Initiative für eine Rüstungspause 1955 und die Initiative der Partei der Arbeit gegen Teuerung und Inflation 1977.
Schweizerische Bundesverfassung, Art. 121, 6.
Aus: Silvano Möckli, Direkte Demokratie. Ein Vergleich der Einrichtungen und Verfahren in der Schweiz und Kalifornien, unter Berücksichtigung von Frankreich, Italien, Dänemark, Irland, Österreich, Liechtenstein und Australien, Bern und Stuttgart 1994, S. 105f.
Leonhard Neidhart, Regierbarkeitsfragen in der direkten Demokratie, in: Schweizerisches Jahrbuch für Politische Wissenschaft 23 (1983), S. 37.
David B. Magleby, Direct Legislation. Voting on Ballot Propositions in the United States, Baltimore and London 1984, S. 184f.
Siehe Thomas E. Cronin, Direct Democracy. The Politics of Initiative, Referendum, and Recall, Cambridge (MA) and London 1989, S. 144.
Die Initiative gelangt, ohne im Parlament beraten worden zu sein, direkt zur Volksabstimmung.
Hans Werder, Die Bedeutung der Volksinitiative in der Nachkriegszeit, Bern 1978, S. 164.
Vgl. Ole Barre, The Danish Referendum on the EC Common Act, in: Electoral Studies, Volume 5, Number 2, August 1986, S. 189–193.
EG-Magazin 2/1986, S. 15.
Vgl. Cornelius O’Leary, The Irish Referendum on Divorce (1986), in: Electoral Studies, Volume 6, Number 1, April 1987, S. 69–74.
Reinhard Schiffers, Elemente der direkten Demokratie im Weimarer Regierungssystem, Düsseldorf 1971, S. 287.
Otmar Jung, Direkte Demokratie: Forschungsstand und -aufgaben, in: ZParI, 21. Jg. (1990), H. 3, S. 496.
Ernst-Wolfgang Böckenförde, Mittelbare/repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, in: Georg Müller u.a. (Hrsg.), Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel, Festschrift für Kurt Eichenberger, Basel/Frankfurt a.M. 1982, S. 305.
Ernst-Wolfgang Böckenförde (Anm. 25), S. 319.
Die Entschiedenheit einer gewichtigen Gegenstimme sollte dabei jedoch zugleich stets gegenwärtig bleiben. Woodrow Wilson, US-Präsident von 1913 bis 1921, kam 1911 über die direkte Demokratie in den USA zu folgendem Schluß:
For twenty years I preached to the students of Princeton that the Referendum and the Recall was bosh. I have since investigated and I want to apologize to those students. It is the safeguard of politics. It takes power from the boss and places it in the hands of the people.“ (Zitiert nach Cronin [Anm. 13], S. 38)
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Möckli, S. (1995). Direkte Demokratie in der Schweiz. Ein Mittel zur Behebung von Funktionsmängeln der repräsentativen Demokratie?. In: Steffani, W., Thaysen, U. (eds) Demokratie in Europa: Zur Rolle der Parlamente. Zeitschrift für Parlamentsfragen. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93517-5_15
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